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Vierzehntes Kapitel.

Der erste Leutnant hat mehrere Patienten. – Mr. Chucks teilt mir das Geheimnis seiner feinen Sitten mit.

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Ehe ich in meiner Erzählung weiter fortfahre, will ich dem Leser bemerken, daß meine Geschichte nicht im spätern Leben geschrieben wurde, nachdem ich eine größere Weltkenntnis erlangt hatte. Als ich zum erstenmale zur See ging, versprach ich meiner Mutter ein Tagebuch zu führen, worin ich alles, was mir begegnete, nebst meinen Bemerkungen darüber aufnehmen wollte. An dieses Versprechen habe ich mich strenge gebunden, und seitdem ich mein eigener Herr geworden bin, sind diese Journale in meinem Besitz geblieben. Demnach ist alles, was den ersten Teil meiner Abenteuer bildet, so erzählt, wie es sich damals meinem Geiste eingeprägt hatte. In manchen Punkten habe ich Ursache gehabt, eine von den früheren verschiedene Meinung zu fassen, und bei manchen andern habe ich seitdem über meine Thorheit und Einfalt herzlich lachen müssen, allein dessenungeachtet hielt ich es für rätlicher, die Ansichten von damals beizubehalten, als sie durch die Meinungen einer später teuer erkauften Erfahrung zu berichtigen. Von einem Knaben mit fünfzehn Jahren, der in einem abgelegenen Landstädtchen erzogen wurde, kann nicht so viel Urteil und Überlegung erwartet werden, als von einem jungen Manne, welcher viel im Leben gesehen und mancherlei Abenteuer durchgemacht hat. Der Leser darf also nicht vergessen, daß ich mich in betreff der Meinungen und Gefühle, welche mich bei jedem bedeutenden Wendepunkte meines Lebens leiteten, auf mein Tagebuch bezogen habe.

Wir hatten nun sechs Wochen gekreuzt, und ich fand meinen Stand viel angenehmer, als ich gedacht hatte. Mein Wunsch, es recht zu machen, wurde für die That genommen, und obschon ich gelegentlich einen Bock schoß, schienen doch der Kapitän und der erste Leutnant der Ansicht, daß ich so viel als möglich auf meinen Dienst bedacht sei, und lächelten nur über meine Mißgriffe. Ich entdeckte auch, daß, wie auch immer meine natürlichen Fähigkeiten von meiner Familie geschätzt werden mochten, sie hier nicht so beurteilt wurden. Jeden Tag fühlte ich mehr Zutrauen in mich selbst, und hoffte durch Fleiß und Aufmerksamkeit den Mangel an natürlichen Gaben zu ersetzen. Es ist gewiß etwas im Leben des Seemannes, was seinen Geist erweitert. Als ich vor sechs Monaten zu Hause war, ließ ich andere Leute für mich denken, und mich von ihren Meinungen gängeln; an Bord dachte ich so viel als möglich für mich selbst. Mit meinen Tischgenossen stand ich gut; diejenigen, welche barsch gegen mich waren, ließen davon ab, weil ich ihr Betragen nicht rügte, und diejenigen, welche mir artig begegneten, wurden noch artiger als vorher. Die Zeit floß schnell dahin, vermutlich weil ich genau wußte, was ich zu thun hatte, da jeder Tag dem andern glich. Der erste Leutnant war einer von den unterhaltendsten Männern, die ich je kennen lernte, aber er wich doch nie von der Mannszucht im Dienste ab, noch nahm er sich die geringste Freiheit gegen einen seiner Vorgesetzten oder Untergebenen heraus. Sein Humor zeigte sich besonders bei den verschiedenen Arten von Strafen, und obgleich die Strafe für den Schuldigen streng war, so bot doch die Art, wie sie auferlegt wurde, der übrigen Schiffsmannschaft eine unversiegliche Quelle des Vergnügens dar. Es fiel mir oft auf, daß, obgleich kein einzelner gerne gestraft werden mochte, doch die ganze Schiffsmannschaft sich höchlich ergötzte, wenn eine Bestrafung stattfand. Er war in betreff seiner Verdecke besonders eigen; sie waren immer so weiß wie Schnee, und nichts mißfiel ihm so sehr, als wenn sie beschmutzt wurden. Aus diesem Grunde hatte er eine starke Abneigung gegen den Tabak, weshalb auch auf verschiedenen Stellen der Verdecke für die Matrosen Spucknäpfe aufgestellt waren, damit sie die Dielen mit Tabaksaft nicht besudeln möchten. Bisweilen vergaß ein Mann in seiner Eile, sich dieser Näpfchen zu bedienen, allein da der Tischgesellschaft, neben welcher der Fleck sich befand, der Grog vorenthalten wurde, wenn man den Schuldigen nicht ausfindig machte, so nahmen sie sich wohl in acht, aufzupassen und den Thäter anzugeben. Die Strafe für das Vergehen bestand darin: dem Manne wurden die Hände auf den Rücken gebunden, und ein großer zinnerner Spucknapf an einem Riemen über die Schultern an seiner Brust befestigt. Alle übrigen Spuckkästchen auf dem untern Verdecke wurden hinweggenommen, und er mußte auf die Aufforderung eines jeden, welcher seinen Mund des Tabaksaftes zu entledigen wünschte, bereit sein. Die übrige Mannschaft freute sich so sehr über den Einfall, daß sie, um sich das Vergnügen zu verschaffen, den Sträfling herumlaufen zu sehen, zweimal mehr als sonst ausspieen. Herr Chucks, der Bootsmann, nannte dies des ersten Leutnants »ambulierenden Spucknapf«. Er bemerkte mir eines Tages, Herr Falkon sei wirklich ein solcher Epikur in betreff seiner Verdecke, daß er sich scheue, einen Anker auf dem Vorderkastell mit einem Taukranz zu versehen. Auf einer Morgenwache hatte ich einen großen Spaß. Wir waren gerade daran, die Hängematten in die Hinterdecknetze zu verpacken, als ein Schiffsjunge mit seiner Hängematte auf der Schulter heraufkam; da er an dem ersten Leutnant vorüberging, bemerkte dieser, daß er ein Stück Tabak in seinem Backen hatte.

»Was hast Du da, mein guter Junge – ein Geschwür? – Dein Backen ist ja ganz angeschwollen.«

»Nein, Sir«, versetzte der Junge, »es fehlt mir gar nichts.«

»Das kann nicht sein; dann ist es ein böser Zahn, öffne Deinen Mund und laß mich sehen.«

Sehr ungern öffnete der Junge seinen Mund, und eine tüchtige Rolle Tabakblätter wurde sichtbar.

»Ich sehe schon«, sagte der erste Leutnant, »dein Mund braucht Ausputzens und Deine Zähne müssen gereinigt werden. Ich wünsche, wir hätten einen Zahnarzt an Bord, allein da wir keinen haben, so will ich, so gut ich kann, operieren. Schickt den Rüstmeister mit seiner langen Zange herauf.«

Als dieser erschien, wurde der Junge gezwungen, seinen Mund zu öffnen, worauf sodann der Tabaksklumpen mit dem großen Instrumente herausgenommen wurde.

»Ich bin überzeugt«, sagte der erste Leutnant, »Du mußt Dich jetzt schon besser fühlen. Du kannst ja gar keinen Appetit haben. Kapitän von der Hinterwache, bringt ein Stück altes Segeltuch und etwas Sand her und putzt ihm seine Zähne sauber.«

Der Kapitän von der Hinterwache kam herbei, nahm den Kopf des Jungen zwischen seine Kniee und rieb seine Zähne mit dem Sand und Segeltuch zwei oder drei Minuten lang.

»Das wird es thun«, sagte der erste Leutnant. »Nun, mein Bürschchen, Dein Mund ist jetzt rein und sauber und das Frühstück wird Dir schmecken. Du hast unmöglich etwas essen können, so lange Dein Mund in einem so garstigen Zustande war. Wenn er wieder schmutzig ist, komm nur zu mir, ich will Dein Zahnarzt sein.«

Einmal befand ich mich mit Herrn Chucks, dem Bootsmann, der sehr artig gegen mich war, auf dem Vorderkastell. Er hatte mir eben gezeigt, wie man die verschiedenen Knoten und Schleifen an den Tauen machte, welche in unserm Dienste üblich sind. Ich fürchte, daß ich mich sehr einfältig anstellte, allein er zeigte mir es wieder und wieder, bis ich es lernte. Unter anderem lehrte er mich den Fischersknoten, welchen er den König aller Knoten nannte, »und, Herr Simpel«, fuhr er fort, »in diesem Knoten liegt eine Moral. Sie bemerken, daß die Teile, wenn sie recht geschlungen werden, um so fester halten, je mehr man zieht, allein Sie sehen auch, daß sie, einzeln gezogen, durch einen noch so schwachen Zug nach einer andern Seite hin, sogleich sich auflösen, und wie leicht sie dann im Augenblick losgehen. Dies weist auf die Notwendigkeit hin, in dieser Welt zusammenzuhalten, wenn man stark sein will, und dies ist ein Stück Philosophie, das die sechsundzwanzigtausend und ungerade Jahre meines Freundes, des Zimmermanns aufwiegt, welche ihn nur auf finstere Gedanken bringen, wenn er auf seinen Dienst aufmerken sollte.«

»Sehr wahr, Herr Chucks, Sie sind der bessere Philosoph von beiden.«

»Ich bin besser erzogen, Herr Simpel, und wie ich hoffe, mehr ein Gentleman.«

»Ich denke, ein Gentleman muß in gewissem Grade Philosoph sein; denn er ist sehr oft gezwungen, seinen Charakter als solchen zu behaupten, und muß manches einstecken, was einen andern in heftige Leidenschaft versetzen könnte. Kaltblütigkeit halte ich für ein Hauptmerkmal eines Gentleman.«

»Im Dienste, Herr Simpel, muß man zornig scheinen, ohne daß man sich diesem Gefühle hingiebt. Ich kann Ihnen versichern, daß ich nie meine Gemütsruhe verliere, selbst wenn ich von meinem Rohrstocke Gebrauch mache.«

»Wie kommt es denn, Herr Chucks, daß Sie soviel auf die Matrosen fluchen? Dies ist gewiß nicht gentlemanisch.«

»Allerdings nicht, Sir. Allein ich muß mich verteidigen, indem ich auf den ganz erkünstelten Zustand aufmerksam mache, in welchem wir an Bord eines Kriegsschiffes leben. Not, mein lieber Herr Simpel, kennt kein Gebot. Sie müssen bemerken, wie höflich ich immer beginne, wenn ich einen Fehler zu rügen habe. Ich thue dies, um meine feinen Manieren zu zeigen; allein Sir, mein Eifer für den Dienst zwingt mich, meine Sprache zu ändern, und am Ende zu beweisen, daß ich es ernst meine. Nichts würde mir mehr Vergnügen gewähren, als wenn ich als ein Gentleman meinen Dienst erfüllen könnte, allein das ist unmöglich.«

»Ich sehe in der That nicht ein, warum?«

»Sie können mir dann vielleicht erklären, warum der Kapitän und der erste Leutnant fluchen?«

»Dies will ich nicht beantworten, aber sie thun es nur im Notfall.«

»Ganz richtig, allein, Sir, ihr Notfall ist mein täglicher und stündlicher Dienst. Bei dem beständigen Arbeiten auf dem Schiffe bin ich für alles verantwortlich, was fehlerhaft geschieht; das Leben eines Bootsmannes ist ein Leben des Notfalls und daher fluche ich.«

»Ich kann dennoch nicht zugeben, daß es notwendig ist, und gewiß ist es sündhaft.«

»Entschuldigen Sie, mein lieber Herr; es ist durchaus notwendig und keineswegs sündhaft. Es giebt eine Sprache für die Kanzel, und eine andere an Bord eines Schiffes, und in jeder Lage muß ein Mann die Ausdrücke gebrauchen, welche am wahrscheinlichsten die nötige Wirkung auf seine Zuhörer hervorbringen. Kommt es nun von der langen Gewohnheit im Dienste, oder von der Gleichgiltigkeit eines Matrosen gegen alltägliche Dinge und Ausdrücke her (ich kann mich nicht recht erklären, Herr Simpel, allein ich weiß, was ich meine), vielleicht mag es auch ein beständiger Anreiz sein, und deshalb braucht es mehr Stimilis, wie sie es nennen, um ihn in Bewegung zu setzen. Gewiß ist soviel, daß die gewöhnliche Sprachweise bei den Matrosen nicht ausreicht. Hier heißt es nicht, wie in der heiligen Schrift: ›Thu dies und er thut es‹ (nebenher bemerkt, dieser Bursche muß seine Soldaten tüchtig in Ordnung gehalten haben), sondern da muß es heißen: ›Thu dies, Gott verdamm dich‹, und dann ist es auf der Stelle gethan. Der Befehl ›zu thun‹, macht gerade das Gewicht einer Kanonenkugel, allein es fehlt die Triebkraft, ›das Gott verdamm dich‹, ist das Schießpulver, welches ihm in der Ausübung seines Dienstes Flügel verleiht. Verstehen Sie mich, Herr Simpel?«

»Ich verstehe Sie vollkommen, Herr Chucks, und kann nicht umhin, zu bemerken, und zwar ohne Schmeichelei, daß Sie sich von den übrigen Unteroffizieren sehr unterscheiden. Wo erhielten Sie Ihre Erziehung?«

»Herr Simpel, ich bin hier ein Bootsmann mit reinlichem Hemde, und ich darf es selbst sagen, und niemand wird es bestreiten, verstehe meinen Dienst durchaus. Allein obschon ich nicht sagen will, daß ich mich je besser befunden habe, so kann ich es doch behaupten, daß ich in der besten Gesellschaft, in der von Lords und Ladies, gewesen bin. Ich speiste sogar einmal mit Ihrem Großvater.«

»Das ist mehr, als ich jemals that, denn er lud mich nie ein, und nahm nicht die geringste Notiz von mir«, erwiderte ich.

»Was ich sage, ist wahr. Ich wußte nicht, daß es Ihr Großvater war, bis gestern, da ich mit Herrn O'Brien sprach; allein ich erinnere mich noch ganz gut an ihn, obschon ich damals noch ganz jung war. Nun, Herr Simpel, wenn Sie mir als ein Gentleman versprechen (und ich weiß, Sie sind einer), daß Sie nicht wiedersagen wollen, was ich Ihnen erzählen will, so werde ich Ihnen meine Lebensgeschichte mitteilen.«

»Herr Chucks, so wahr ich ein Gentleman bin, will ich es nie weiter verbreiten, bis Sie tot und begraben sind, und selbst dann nicht, wenn Sie es wünschen.«

»Wenn ich tot und begraben bin, dann können Sie thun, was Ihnen beliebt, es kann dann andern Leuten zum Nutzen dienen, obwohl meine Geschichte nicht sehr lang ist.«

Herr Chucks setzte sich sodann auf das vordere Gebälk-Ende neben der Schornsteinröhre nieder und ich nahm an seiner Seite Platz, worauf er folgendermaßen anfing:

»Mein Vater war ein Bootsmann, wie ich, einer von der alten Schule, so rauh wie ein Bär und so betrunken wie ein Marktgeiger. Meine Mutter war – meine Mutter und mehr will ich nicht sagen. Mein Vater wurde nach einem ausschweifenden Leben zum Hafendienste untauglich und starb bald darauf. Mittlerweile ward ich durch die Güte der Frau des Hafenadmirals in einer Schule erzogen. Ich war dreizehn Jahre alt, als mein Vater starb, und meine Mutter, welche nicht wußte, was sie mit mir anfangen sollte, wünschte mich als Lehrjungen auf ein Kauffahrteischiff zu bringen; allein dieses wollte ich nicht, und nach halbjährigem Zanken über diesen Gegenstand entschied ich die Sache dadurch, daß ich freiwillig auf die Fregatte Narzissus ging. Ich glaube, die gentlemanischen Ideen waren mir angeboren, Herr Simpel; ich konnte schon als Kind den Gedanken an Kauffahrteidienst nicht ertragen. Nachdem ich eine Woche an Bord gewesen, wurde ich dem Zahlmeister als Bedienter zugewiesen, dessen Zufriedenheit ich durch mein flinkes und gewandtes Wesen in solchem Grade erwarb, daß der erste Leutnant mich von dem Zahlmeister weg und in seine eigenen Dienste nahm. So war ich nach zwei Monaten eine Person von solchem Einfluß, daß ich in der Offizierkajütte einen Streit erregte, denn der Zahlmeister war sehr erzürnt und viele Offiziere nahmen seine Partei. Man flüsterte sich in die Ohren, ich sei der Sohn des ersten Leutnants, und dies sei ihm wohl bekannt. Inwiefern dies wahr sein mag, weiß ich nicht, allein es herrschte eine Ähnlichkeit zwischen uns, und meine Mutter, welche eine sehr hübsche Frau war, hatte sein Schiff vor Jahren als Marktschiffmädchen bedient. Ich will weiter davon nichts sagen, nur soviel, Herr Simpel, – und manche werden mich deshalb tadeln, aber ich kann nicht umhin, meine natürlichen Gefühle auszusprechen – ich möchte lieber der Nebensprößling eines Gentlemans sein, als der rechtmäßige Abkömmling eines Bootsmannes und seiner Frau. Im letzteren Falle kann kein gutes Blut in unsern Adern fließen, während man im ersten ein paar Tropfen erwischt haben mag. Es traf sich, daß, nachdem ich den ersten Leutnant ein Jahr bedient hatte, ein junger Lord (seinen Namen darf ich nicht erwähnen, Herr Simpel) von seinen Freunden oder aus eigener Wahl zur See geschickt wurde. Ich weiß nur soviel, daß man sagte, sein Onkel, welchem an seinem Tode gelegen sein mochte, habe ihn dazu überredet. Ein Lord war zur damaligen Zeit, etwa vor fünfundzwanzig Jahren, eine Seltenheit im Dienste, und man pflegte vor ihm, wenn er an Bord kam, zu salutieren. Die Folge davon war, daß der junge Lord für sich selbst einen Bedienten haben mußte, obgleich alle übrigen Seekadetten nur einen miteinander hatten. Der Kapitän fragte nach den besten Jungen im Schiffe, und der Zahlmeister, an welchen er sich wandte, empfahl mich. Demgemäß wurde ich zum großen Verdrusse des ersten Leutnants (denn die ersten Leutnants durften sich damals nicht soviel herausnehmen, wie jetzt; doch spreche ich nicht von Herrn Falkon, der ein Gentleman ist) sogleich für Seine Lordschaft bestimmt. Ich hatte hier ein sehr angenehmes, bequemes Leben, und that wenig oder gar nichts; fragte man nach mir, wenn alle Hände beschäftigt waren, so mußte ich gerade Seiner Lordschaft Stiefel reinigen oder Seiner Lordschaft Kleider ausbürsten, und man sagte nichts, wenn Seiner Lordschaft Namen erwähnt wurde. Wir gingen in das Mittelmeer, (weil Seiner Lordschaft Mama es wünschte), und waren ungefähr ein Jahr daselbst gewesen, als Seine Lordschaft soviel Trauben aß, daß sie von der Ruhr befallen wurde. Er war drei Wochen krank und wünschte dann in einem Transportschiffe, welches für Ochsen nach Gibraltar oder vielmehr nach der Küste der Berberei ging, nach Malta geschickt zu werden. Er wurde jeden Tag schlimmer, machte sein Testament und hinterließ mir alle seine Effekten an Bord, was ich gewiß für die Sorgfalt verdiente, mit welcher ich ihn gepflegt hatte. Auf der Höhe von Malta trafen wir auf eine Schebeke, welche nach Civita Vecchia bestimmt war, und der Kapitän des Transportschiffes, welcher gern vorwärts zu kommen wünschte, riet uns, an Bord derselben zu gehen, da der Wind leicht und widrig war und diese Mittelmeerschiffe besser im Winde segelten, als das Transportschiff. Mein Herr, welcher nun schnell dahin wollte, gab es zu, und wir wechselten die Schiffe. Als er am andern Tage starb, stellte sich ein stürmischer Wind ein, der uns mehrere Tage hinderte, den Hafen zu gewinnen. Der Leichnam Seiner Lordschaft wurde nicht nur so übelriechend, sondern erregte auch den Aberglauben der katholischen Matrosen dermaßen, daß er über Bord geworfen wurde. Niemand von den Leuten konnte englisch sprechen, noch ich maltesisch; sie hatten keinen Gedanken, wer wir wären und mir blieb Zeit genug zum Nachdenken. Ich hatte oft gedacht, wie hübsch es wäre, ein Lord zu sein, und oft gewünscht, daß ich als ein solcher geboren worden wäre. Der Wind war noch gegen uns, als ein Kauffahrteischiff heranfuhr, welches von Civita Vecchia nach Gibraltar bestimmt war. Ich bat den Kapitän der Schebeke, ein Notsignal zu geben, oder ich gab es vielmehr selbst, und das Schiff, welches sich als ein englisches auswies, steuerte auf uns zu. Als ich das Boot bestieg, um an Bord zu gehen, kam mir der Gedanke in den Kopf, wenn sie mich auch nicht annehmen möchten, so würden sie doch einen Lord nicht zurückweisen. Ich legte die Seekadettenuniform, welche Seiner Lordschaft gehörte, an (damals gehörte sie allerdings mein), und steuerte auf das Kauffahrteischiff zu. Ich sagte ihnen, ich hätte, um meine Gesundheit herzustellen, mein Schiff verlassen, und suche auf meinem Heimwege eine Gelegenheit nach Gibraltar. Mein Titel und meine augenblickliche Bewilligung der für die Überfahrt verlangten Kosten war hinreichend. Mein Eigentum wurde von der Schebeke an Bord gebracht, und da ihre Leute nicht englisch konnten, so konnten sie natürlich nicht widersprechen, wenn sie auch Verdacht geschöpft hätten. Hier, Herr Simpel, muß ich eine kleine Betrügerei in meinem früheren Leben eingestehen, welche ich Ihnen nun im Vertrauen mitteile, sonst wäre es mir nicht möglich, die Richtigkeit meiner Behauptung zu beweisen, daß ich mit Ihrem Großvater zu Mittag speiste. Allein die Versuchung war zu stark, ich konnte nicht widerstehen. Denken Sie sich selbst, Herr Simpel, nachdem man als ein Schiffsjunge gedient hat – hier gestoßen, dort geschlagen, von dem einen verflucht, von dem andern zum Teufel geschickt – denken Sie sich nun, auf einmal mit Achtung und Ehrerbietigkeit behandelt und jede Minute des Tages Euer Lordschaft hier und Euer Lordschaft da angeredet zu werden! Während der Überfahrt nach Gibraltar hatte ich Zeit genug, meine Pläne zu ordnen. Ich brauche kaum zu sagen, daß meines Lords Kleidung von Wert war, und was noch besser war, sie paßte mir ganz genau. Ebenso hatte ich seine Uhren und Kleinodien und außerdem einen Sack voll Dollars. Doch dies war mein rechtmäßiges Eigentum. Das einzige, was ich nahm, war sein Name, welchen er nimmer nötig hatte, der arme Junge. Allein es ist vergeblich, verteidigen zu wollen, was nicht recht ist, – es war unredlich und damit Punktum. Bemerken Sie nun, Herr Simpel, wie ein Ding zum andern führt. Ich versichere Ihnen, mein erster Gedanke, von Seiner Lordschaft Namen Gebrauch zu machen, war, mir eine Gelegenheit nach Gibraltar zu verschaffen. Ich war dann unentschlossen, was ich thun sollte; da ich jedoch seine Papiere und Briefe an seine Mutter besaß, so denke ich, ja, ich bin fest überzeugt, ich würde meine Würde mit einer Seekadettenkleidung beiseite gelegt und mich wegen einer Überfahrt nach Hause an den Hafenkommissär gewendet haben. Aber es war vom Schicksale anders beschlossen, denn der Kapitän des Transportschiffes ging ans Land, um dasselbe anzumelden und Erlaubnis zum Ausladen zu holen, und erzählte jedermann, es sei der junge Lord A. an Bord, der, um seine Gesundheit wieder herzustellen, nach England gehe. In weniger als einer halben Stunde kam das Boot des Kommissärs an und noch ein anderes vom Gouverneur, und bat um die Ehre meines Besuches, wie auch, daß ich während meines Aufenthaltes ein Nachtlager in ihrem Hause annehmen möchte. Was konnte ich machen? Ich geriet in Angst, allein ich fürchtete mich, zu bekennen, daß ich ein Betrüger sei; denn sicherlich hätte der Kapitän des Transportschiffes mich über Bord geworfen, wenn ich ihn hätte merken lassen, daß er so verdammt höflich gegen einen Schiffsjungen war. Halb aus Bescheidenheit, halb aus dem Gefühle der Schuld errötend, nahm ich die Einladung des Gouverneurs an; dem Kommissär schickte ich unter dem Vorwande, es gäbe kein Papier und keine Federn an Bord, mündlich eine höfliche, abschlägige Antwort. Ich hatte meinen letzten Herrn so oft in die Gesellschaft begleitet, daß ich sehr wohl wußte, wie ich mich betragen mußte; auch hatte ich sein Benehmen und seine Haltung größtenteils angenommen, wie ich denn überhaupt einen natürlichen Geschmack an feinen Manieren besaß. Ich konnte lesen und schreiben; vielleicht nicht so gut, als ich hätte sollen, in Betracht der Erziehung, welche ich genossen, aber doch noch gut genug für einen Lord, und in der That viel besser als mein letzter Herr. Ich kannte seine Unterschrift ganz gut, obschon der Gedanke, davon Gebrauch machen zu müssen, mir ein Zittern verursachte. Doch der Würfel war gefallen. Ich muß bemerken, daß wir in einem Punkte nicht unähnlich waren; wir hatten beide helles, geringeltes Haar und blaue Augen; in anderer Hinsicht fand keine Ähnlichkeit statt. Ich war bei weitem der hübschere Bursche von beiden, und da wir zwei Jahre auf dem mittelländischen Meere gewesen waren, besorgte ich keinen Zweifel an meiner Identität, bis wir in England ankamen.

»Ich kleidete mich sehr sorgfältig, zog meine Ketten und Ringe an, träufelte ein bischen Parfüm auf mein Taschentuch und begleitete den Adjutanten zu dem Gouverneur, wo man mich nach meiner Mutter, Lady, – nach meinem Onkel und nach meinem Vormund fragte, und hundert andere Fragen an mich richtete. Anfangs war ich sehr verwirrt, was man meiner Blödigkeit zuschrieb; das war es auch, aber nicht von der rechten Sorte. Aber ehe der Tag vorbei war, gewöhnte ich mich so daran, mich Lord nennen zu hören, und überhaupt an meine ganze Lage, daß ich mich sehr wohl befand und anfing, die Bewegungen und das Benehmen der Gesellschaft zu beobachten, um mein Betragen nach dem des guten Tones zu regeln. Ich blieb vierzehn Tage in Gibraltar, und dann bot sich mir eine Gelegenheit auf einem Transportschiffe nach England dar. Als ein Offizier war ich natürlich bis auf einen gewissen Betrag frei. Bei meiner Überfahrt nach England faßte ich wieder den Entschluß, meine Kleidung und meinen Titel, sobald ich es unbemerkt könnte, abzulegen, allein ich wurde wie zuvor daran verhindert. Der Hafenadmiral ließ sich das Vergnügen meiner Gesellschaft bei Tische ausbitten; ich durfte es nicht abschlagen, und nun war ich wieder wie vorher mein Lord, von jedermann bekomplimentiert und gefeiert. Handelsleute erbaten sich die Ehre von Seiner Herrlichkeit Kundschaft; mein Tisch im Hotel war mit Karten aller Art bedeckt, und um die Wahrheit zu gestehen, ich gefiel mir so sehr in meiner Lage und hatte mich so daran gewöhnt, daß mir der Gedanke, eines Tages darauf verzichten zu müssen, unangenehm war, obschon ich den Entschluß faßte, dies, sobald ich den Platz verließ, wirklich zu thun. Meine Rechnung im Hotel war sehr übertrieben und überstieg thatsächlich meine Geldmittel, allein der Inhaber sagte, dies habe gar nichts zu bedeuten, Seine Lordschaft sei natürlich nicht mit Kasse versehen, da sie gerade aus fremden Landen kämen, und bot mir, wenn ich es wünschte, Geld an. Doch ich muß sagen, daß ich ehrlich genug war, dies abzulehnen. Ich ließ meine Karten, mit P. P. C. Pour prendre congé, um Abschied zu nehmen. bezeichnet, wie es in guter Gesellschaft gebräuchlich ist, zurück und fuhr auf der Post nach London, wo ich fest entschlossen war, meinen Titel abzulegen und zu Seiner Lordschaft Mutter mit der traurigen Nachricht seines Todes nach Schottland zu gehen – denn Sie sehen, Herr Simpel, niemand wußte, daß Seine Lordschaft tot war. Der Kapitän des Transportschiffes hatte ihn lebend in die Schebeke gebracht, und das nach Gibraltar bestimmte Kauffahrteischiff ihn, wie man vermutete, aufgenommen. Der Kapitän der Fregatte erhielt sehr bald Nachricht von Gibraltar, welche Seiner Lordschaft Wiederherstellung und Rückkehr nach England meldete. Ich war kaum fünf Minuten in der Kutsche, als ein Gentleman hereinstieg, welchen ich bei dem Hafenadmiral getroffen hatte; außer diesem kannten mich der Kutscher und andere Personen sehr wohl. Als ich in London ankam (ich trug noch meine Uniform), begab ich mich in ein Hotel, das mir empfohlen und, wie ich nachher fand, das nobelste in der Stadt war. Mein Titel folgte mir dahin nach. Ich beschloß nun, die Uniform abzulegen und einfache Kleidung zu tragen – meine Komödie war vorbei. Ich ging in dieser Nacht zu Bette und erschien den anderen Morgen in einem Gewande von Mufti, Zivilkleidung (anglo-indischer Offiziersausdruck). und fragte den Oberkellner, welches die beste Gelegenheit nach Schottland wäre.«

»›Extrapost mit Vieren, mein Lord. Wann soll ich's bestellen?‹«

»›O‹, versetzte ich, ›ich weiß noch nicht gewiß, ob ich morgen abreisen werde.‹«

»Gerade in diesem Augenblicke trat der Hotelbesitzer mit der Morgenpost herein, machte mir eine tiefe Verbeugung, indem er auf einen Artikel hinwies, der meine Ankunft in seinem Hotel unter der Noblesse bezeichnete. Dies ärgerte mich, und da ich nun fand, wie schwierig es war, meinen Titel loszuwerden, wünschte ich sehnlichst, wieder William Chucks zu sein, wie vorher. Vor zwölf Uhr wurden drei oder vier Gentlemen in mein Zimmer geführt, welche meine Ankunft in der verdammten Morgenpost entdeckt hatten und mir ihre Ehrerbietung bezeugen wollten; ehe der Tag vorbei war, hatte ich von einem Dutzend Personen Einladung über Einladung. Ich sah ein, daß ich mich nicht zurückziehen konnte, und ging mit dem Strome, wie früher zu Gibraltar und Portsmouth. Drei Wochen lang war ich überall, und wenn ich es in Portsmouth angenehm fand, wie viel angenehmer in London? allein ich fühlte mich nicht glücklich, Herr Simpel, weil ich ein Betrüger war, der jeden Augenblick erwarten mußte, entdeckt zu werden. Doch war es wirklich etwas Hübsches, ein Lord zu sein.

»Endlich hatte die Posse ein Ende. Einige junge Leute hatten mich in ein Spielhaus gelockt, wo sie mich zu rupfen beabsichtigten, aber in der ersten Nacht ließen sie mich, glaube ich, dreihundert Pfund gewinnen. Ich war ganz erfreut über mein gutes Glück und hatte versprochen, den nächsten Abend wieder mit ihnen zusammen zu kommen; allein als ich eben mit übereinander geschlagenen Beinen beim Frühstück saß und die Morgenpost las, – wer trat herein? – mein Onkel-Vormund. Er kannte seines Neffen Züge zu gut, um sich täuschen zu lassen, und der Umstand, daß ich ihn nicht erkannte, bewies sogleich, daß ich ein Betrüger war.

»Erlauben Sie mir über die Scene hinweg zu eilen, welche nun folgte. – Die Wut des Onkels, die Verwirrung in dem Hotel, das Schimpfen der Aufwärter, des Polizeioffiziers, und wie ich in einer Mietkutsche nach Bowstreet geschleppt wurde. Hier wurde ich verhört und gestand alles. Der Oheim freute sich so sehr, zu finden, daß sein Neffe wirklich tot war, daß er keinen Groll gegen mich empfand, und da ich überhaupt nur einen Namen angenommen, aber niemand als den Wirt in Portsmouth betrogen hatte, so wurde ich an Bord des Lichters beim Tower geschickt, um einem Kriegsschiffe überliefert zu werden. Von meinen dreihundert Pfund, meinen Kleidern und so fort, habe ich nie mehr etwas gehört, sie wurden vermutlich von dem Hotelier für meine Rechnung in Beschlag genommen, und er muß sich sehr gut damit bezahlt gemacht haben. Ich trug zwei Ringe an meinen Fingern und eine Uhr in meiner Tasche, als ich an Bord des Lichters geschickt wurde, und verwahrte sie sehr sorgfältig. Ich hatte auch einige Pfund in meinem Beutel. Man schickte mich nach Plymouth, wo ich auf einer Fregatte Dienst nehmen mußte. Nachdem ich hier einige Zeit verweilt hatte, verwandelte ich die Uhr und die Ringe in Geld, und kaufte mir einen guten Vorrat Kleider; denn Schmutzigkeit konnte ich nicht leiden. Ich wurde für den Besanmast bestimmt, und niemand wußte, daß ich ein Lord gewesen bin.«

»Sie fanden gewiß einen Unterschied in Ihrer Lage?«

»Allerdings, Herr Simpel, allein ich war viel glücklicher. Ich konnte die Ladies, und die Diners, und die Oper und alle Ergötzlichkeiten Londons, nebst dem Respekt, welchen man meinem Titel zollte, nicht vergessen; allein der Polizeioffizier und Bowstreet kamen mir auch ins Gedächtnis, und ich schauderte bei der Erinnerung. Es hatte jedoch eine gute Wirkung; ich faßte den Entschluß, womöglich Offizier zu werden, lernte meinen Dienst und arbeitete mich zum Quartiermeister und von da zum Bootsmann hinauf – und ich kenne meinen Dienst, Herr Simpel. Allein für meine Thorheit habe ich seitdem stets gebüßt. Ich faßte Gedanken, die über meine Stellung im Leben hinausgehen, und kann nicht umhin, zu wünschen, daß ich ein Gentleman sein möchte. Es ist ein böses Ding für einen Mann, wenn er Ideen hat, die über seinen Stand sind.«

»Sie mußten allerdings einen Unterschied zwischen der Londoner Gesellschaft und den Unteroffizieren finden.«

»Es ist nun schon einige Jahre her, Sir, allein ich vermag über das Gefühl nicht Herr zu werden. Ich kann mich durchaus nicht mit ihnen befassen. Es kann jemand auch in einem niedrigen Stande die Gefühle eines Gentleman haben, aber nie kann man mit solchen Leuten, wie Herr Dispart oder Herr Muddle, dem Schiffszimmermann, auf vertrautem Fuße stehen. Sie sind zwar ganz recht in ihrer Art, Herr Simpel, aber was läßt sich von Offizieren erwarten, welche ihre Kartoffeln in einem Kohlnetze zum Sieden in den Schiffskessel hängen, während sie wissen, daß ihnen ein Dritteil eines Kochofens eingeräumt ist, um daselbst ihre Speise zu kochen?«

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