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Siebentes Kapitel.

Ein scandalum magnatum klar erwiesen. – Ich zeige dem Kapitän, daß ich ihn als Gentleman betrachte, obschon ich ihm das Gegenteil gesagt hatte, und beweise den Seekadetten, daß ich selbst ein Gentleman bin. Sie bezeugen ihre Dankbarkeit, indem sie ihren Witz an mir üben; denn Übung macht den Meister.

—————

 

Der Kapitän kam ungefähr um zwölf Uhr an Bord und befahl, sobald der erste Leutnant den Vorfall gemeldet hatte, daß die Entlassung des Herrn Trotter sogleich ausgefertigt werden solle. Sodann ließ er alle Seekadetten auf das Hinterdeck kommen.

»Gentlemen«, sprach er mit ernster Miene zu ihnen, »ich fühle mich einigen von Ihnen sehr verbunden, wegen der Charakterschilderung, welche Sie dem Herrn Simpel von mir entworfen haben. Ich muß Sie nun bitten, mir einige Fragen zu beantworten, welche ich in seiner Gegenwart stellen werde. Ließ ich jemals die ganze Steuerbordwache peitschen, weil das Schiff nur neun Knoten auf der Boleine segeln wollte?«

»Nein, Sir, nie!« erwiderten alle in großer Angst.

»Ließ ich jemals einem Seekadetten ein Dutzend geben, weil er seine sechswöchentlichen Berichte nicht niedergeschrieben hatte, oder einem anderen fünf Dutzend, weil er ein scharlachrotes Uhrband trug?«

»Nein, Sir, nie!« versetzen alle zugleich.

»Starb jemals ein Seekadett auf seinem Koffer vor Anstrengung?«

Wiederum antworten sie verneinend.

»Dann, Gentlemen, werden Sie mich verpflichten, wenn Sie sagen, wer von Ihnen es für geeignet fand, in einem öffentlichen Kaffeehause dergleichen falsche Aussagen zu behaupten, und ferner, wer von Ihnen diesen jungen Mann genötigt hat, sein Leben in einem Duelle zu wagen?«

Alle schwiegen.

»Wollen Sie antworten, Gentlemen?«

»Was das Duell betrifft, Sir«, erwiderte der Seekadett, welcher sich mit mir geschlagen hatte, »so hörte ich sagen, die Pistolen seien nur mit Pulver geladen gewesen. Es war ein Scherz.«

»Gut, Sir, wir wollen zugeben, daß das Duell nur ein Spaß war (und ich hoffe zuverlässig, daß Ihre Angabe richtig ist); aber erlauben Sie nur zu fragen, ist der gute Ruf Ihres Kapitäns auch nur ein Scherz? Ich verlange zu wissen, wer es wagte, solche schimpfliche Verleumdung zu verbreiten. (Hier trat eine Totenstille ein.) Wohlan denn, Gentlemen! Da Sie selbst nicht gestehen wollen, so muß ich mich an meinen Gewährsmann halten. Herr Simpel, haben Sie die Güte, mir den oder diejenigen zu nennen, welche Ihnen die Mitteilung machten.«

Allein ich dachte, dies sei nicht schön, und da sie mich alle nach dem Duelle sehr freundlich behandelt hatten, so beschloß ich, nichts zu sagen. Ich antwortete daher: »Wenn es Ihnen beliebt, Sir, so will ich die Sache so betrachten, als hätte ich sie Ihnen im Vertrauen gesagt.«

»Im Vertrauen, Sir?« versetzte der Kapitän, »wer hat je von Vertrauen zwischen einem Postkapitän und einem Seekadetten gehört?«

»Nein, Sir!« erwiderte ich, »nicht zwischen einem Postkapitän und einem Seekadetten, sondern zwischen zwei Gentlemen.«

Der erste Leutnant, welcher bei dem Kapitän stand, hielt seine Hand vor das Gesicht, um sein Lachen zu verbergen.

»Er mag ein Dummkopf sein, Sir!« bemerkte er dem Kapitän beiseite, »aber ich kann Ihnen versichern, er ist offen und geradezu.«

Der Kapitän biß sich in die Lippe, wandte sich dann an die Seekadetten und sagte: »Danken Sie es Herrn Simpel, Gentlemen, daß ich diese Geschichte nicht weiter verfolge. Ich glaube, es war Ihnen nicht ernst, als Sie mich verleumdeten, aber vergessen Sie nicht, daß, was man im Spaß sagt, nur zu oft im Ernst wiederholt wird. Ich hoffe, Herrn Simpels Benehmen wird nicht ohne Wirkung sein und Sie werden aufhören, an Demjenigen Ihre Witze zu üben, welcher Sie vor einer strengen Strafe bewahrt hat.«

Als die Kadetten hinunter gingen, schüttelten Sie mir alle die Hand und sagten: ich sei ein braver Kerl, weil ich nicht geklatscht habe; in betreff der Mahnung des Kapitäns, sie sollten mich nicht mehr zum besten haben, waren sie jedoch sehr vergeßlich, denn sie fingen sogleich wieder an, und ließen nicht eher nach, als bis sie fanden, daß ich nicht länger zu düpieren sei. Ich war noch keine zehn Minuten in der Kajütte, so begannen sie ihre Bemerkungen über mich zu machen. Einer sagte, ich sehe einem tüchtigen Burschen gleich und fragte mich, ob ich auch ein gut Teil Schlaf ertragen könne. Ich erwiderte: »O ja, wenn es zum besten des Dienstes nötig ist.« Sie lachten darüber, und ich meinte, etwas Gutes gesagt zu haben.

»Nun, hier ist Tomkins,« sagte jener Kadett, »er kann Ihnen zeigen, wie Sie diesem Teil ihres Dienstes vorstehen können. Er hat es von seinem Vater geerbt, der ein Marineoffizier war. Er kann vierzehn Stunden lang in einem fort schnarchen, ohne sich einmal in seiner Hängematte umzudrehen, und vollendet seinen Schlaf auf der Kiste den ganzen Tag hindurch, die Mahlzeiten ausgenommen.«

Allein Tomkins verteidigte sich und sagte: »Einige Leute seien sehr schnell in allen Dingen, und andere sehr langsam; er gehöre zu den langsamen und bekomme von seinem langen Schlafen nicht mehr Erfrischung, als andere Leute durch kurzen Schlaf, denn er schlafe viel langsamer als jene.«

Dieses sinnreiche Argument wurde jedoch ohne allen Widerspruch über den Haufen geworfen, weil es sich ergab, daß er am Tische schneller als irgend einer Pudding aß.

Der Postbote kam mit Briefen an Bord und steckte seinen Kopf in die Seekadettenback. Ich war sehr gespannt, einen von Haus zu bekommen, allein ich wurde getäuscht. Einige erhielten Briefe, andere nicht. Diese letzteren erklärten, ihre Verwandten seien sehr pflichtvergessen, und sie würden dieselben mit keinem Schilling bedenken; diejenigen, welche Briefe bekamen, boten sie, nachdem sie dieselben gelesen hatten, den anderen gewöhnlich um das halbe Porto zum Kaufe an. Ich konnte nicht begreifen, weshalb die einen kauften, und die anderen verkauften; allein es war so. War ein Brief mit guten Ermahnungen angefüllt, so wurde er dreimal nach einander verkauft, und dieser Umstand trug dazu bei, daß ich eine bessere Meinung von der Sittlichkeit meiner Kameraden bekam. Die Briefe, welche am niedrigsten verkauft wurden, waren von Schwestern. Man bot mir einen für einen Penny an, allein ich lehnte den Kauf ab, weil ich selbst genug eigene Schwestern habe. Kaum hatte ich diese Bemerkung gemacht, als sie alle nach dem Namen und Alter derselben fragten und ob sie hübsch seien oder nicht.

Sobald ich ihnen Auskunft darüber gegeben hatte, stritten sie, wem sie gehören sollten. Der eine wollte Lucien haben, der andere Marie nehmen, aber ein großer Streit erhob sich um Ellen, da ich gesagt hatte, sie sei die hübscheste von allen. Zuletzt kamen sie überein, dieselbe zu versteigern, und sie wurde dem Gehilfen eines Schiffmeisters, Namens O'Brien, zugeschlagen, welcher siebzehn Schillinge und eine Flasche Rum dafür bot. Sie verlangten, ich solle nach Hause schreiben, um meinen Schwestern ihre Grüße zu vermelden, und ihnen sagen, wie man über sie verfügt habe, was mir sehr sonderbar vorkam; doch muß ich gestehen, ich fühlte mich durch den Preis, welchen man für Ellen bot, sehr geschmeichelt, weil ich zu wiederholten Malen Zeuge war, daß eine sehr hübsche Schwester für ein Glas Grog verkauft wurde.

Ich erwähnte der Ursache, warum ich so ängstlich auf einen Brief warte: ich müsse mir nämlich einen Degen und aufgestülpten Hut kaufen, worauf sie mir sagten, ich brauche hierfür mein Geld nicht auszugeben, weil nach dem Dienstreglement des Zahlmeisters Verwalter allen Offizieren diese Stücke verabfolge, wenn man sie verlangte. Da ich wußte, wo das Zimmer von dem Verwalter des Zahlmeisters sich befand, so ging ich sogleich hinab.

»Herr Verwalter«, sagte ich, »lassen Sie mir gleich einen aufgestülpten Hut und einen Degen verabfolgen.«

»Sehr wohl, Sir«, versetzte er, und schrieb auf ein Stückchen Papier eine Anweisung, welche er mir einhändigte. »Hier ist eine Anweisung, Sir, allein die aufgestülpten Hüte werden in der Kiste auf dem großen Mars aufbewahrt, und was den Degen betrifft, so müssen Sie sich an den Schlächter wenden, welcher diese Waffen in Verwahrung hat.«

Ich ging mit der Anweisung hinauf und dachte, ich wolle mir zuerst den Degen verschaffen; ich fragte daher nach dem Schlächter, welchen ich im Schafstalle unter den Schafen sitzend fand, wo er seine Hosen ausbesserte. Auf meine Anfrage antwortete er mir, er habe den Schlüssel zu der Reservekammer nicht, da derselbe einem der Marinekorporale anvertraut sei. Als ich fragte, wie er heiße, versetzte er, Cheeks Diese berühmte Person bedeutet am Bord eines Kriegsschiffes den ›Herrn Niemand.‹, der Seesoldat. Ich ging nun überall auf dem Schiffe umher, und suchte nach Cheeks. dem Seesoldaten, konnte ihn aber nicht finden. Einige sagten, sie glaubten, er sei auf der Fockstenge, er stehe Schildwache vor dem Winde, daß er sich nicht drehe, andere, er werde in der Küche sein, und den Seekadetten aufpassen, daß sie ihren Zwieback nicht in des Kapitäns Bratpfanne tunken. Endlich fragte ich einige Weiber, welche zwischen den Kanonen auf dem Hauptverdecke standen, und eine davon antwortete, es sei nicht gebräuchlich bei ihnen, nach demselben zu schauen, da sie alle Ehemänner hätten, Cheeks aber sei einer Witwe Ehemann Witwen-Ehemänner sind fingierte Matrosen, welche in die Schiffsbücher eingetragen sind und Löschung und Prisengeld empfangen, das aber dem Greenwich-Hospital zufällt..

Da ich den Seesoldaten nicht finden konnte, so dachte ich, ich wolle mich nun nach dem Hute umsehen, und den Degen mir nachher verschaffen. Es war mir nicht lieb, auf das Takelwerk zu klettern, weil ich besorgte, schwindelig zu werden, und wenn ich über Bord ginge, konnte ich nicht schwimmen. Ein Seekadett bot sich jedoch an, mich zu begleiten, und sagte, wenn ich über Bord falle, brauche ich mich nicht zu fürchten, unterzusinken, denn wenn ich schwindelig sei, werde mein Kopf auf alle Fälle schwimmen. Daher beschloß ich, es zu wagen. Ich klomm nun ganz nahe zum großen Mars hinauf, nicht ohne die kleinen Stricke sehr oft zu verfehlen und mir die Haut vom Schienbein aufzuschürfen. Dann gelangte ich zu den dicken Trossen, welche vom Mast ausgespannt sind und mit rückwärts gebogenem Kopfe erklettert werden müssen. Der Seekadett sagte mir, sie heißen Katzenharfe, weil sie so schwer zu erklimmen seien, daß eine Katze sich sträuben würde hinaufzuklettern. Da ich zögerte, schlug er mir vor, ich solle durch das Lümmelloch gehen, welches für Leute meines Schlages wie gemacht sei. Ich wollte es versuchen, denn es schien mir leichter, und kam zuletzt ganz außer Atem und überglücklich, mich auf dem großen Mars zu befinden, oben an.

Der Kapitän vom Hauptmaste war mit zwei anderen Matrosen daselbst. Der Kadett führte mich sehr höflich ein: – »Herr Jenkins – Herr Simpel, Seekadett – Herr Simpel, Herr Jenkins, Kapitän vom Haupttop. Herr Jenkins, Herr Simpel ist mit einer Anweisung zu einem Hute heraufgekommen.«

Der Kapitän vom Top erwiderte, es thue ihm sehr leid, daß er keinen im Vorrat habe, der letzte sei an des Kapitäns Affen ausgeteilt worden. Dies war sehr ärgerlich. Hierauf fragte mich der Kapitän vom Top, ob ich mit meinem Fußen fertig sei?

»Nicht sehr«, versetzte ich, »denn ich habe beim Heraufsteigen zwei- oder dreimal gefehlt.«

Er erwiderte lachend, »ich werde es, bevor ich hinabgehe, ganz verlieren: ich müsse es aushändigen.«

»Mein Fußen aushändigen?« sagte ich ganz bestürzt, und wandte mich an den Seekadett: »was bedeutet dies?«

»Es bedeutet: Sie sollen ein Siebenshillingstück fliegen lassen.«

Ich war gerade so klug als vorher und machte große Augen, als Herr Jenkins den Matrosen befahl, ein halb Dutzend Füchse zu holen und einen ausgespreizten Adler aus mir zu machen, bis er seine Gebühr habe. Ich hätte nie herausgefunden, was er meinte, hätte nicht der Seekadett, welcher lachte, bis ihm die Augen überliefen, mich endlich belehrt, es sei der Brauch, wenn man zum erstenmale heraufkomme, den Leuten ein Trinkgeld zu geben, und wenn ich dies nicht thue, so würden sie mich an das Takelwerk anbinden. Da ich kein Geld in der Tasche hatte, so versprach ich zu zahlen, sobald ich hinabkäme; allein Mr. Jenkins wollte mir nicht trauen. Ich wurde deshalb ärgerlich und fragte ihn, ob er an meiner Ehre zweifle, worauf er erwiderte, nicht im geringsten, aber er müsse, bevor ich hinunterginge, seine sieben Schillinge haben.

»Wie, Sir«, sagte ich, »wissen Sie, mit wem Sie sprechen? ich bin Offizier und Gentleman. Wissen Sie, wer mein Großvater ist?«

»O ja«, versetzte er, »sehr gut.«

»Nun, wer ist es, Sir«, entgegnete ich, sehr aufgebracht.

»Wer ist es, nun es ist Lord, ›wer weiß wer‹.«

»Nein, das ist nicht sein Name, es ist Lord Privilege«, war meine Antwort. (Doch mußte ich mich sehr wundern, daß er wußte, mein Großvater sei ein Lord). »Glauben Sie, ich werde die Ehre meiner Familie wegen sieben elender Schillinge aufs Spiel setzen?«

Diese Bemerkung meinerseits und ein Versprechen von seiten des Seekadetten, welcher sagte, er wolle für mich Bürge sein, genügte Herrn Jenkins, und er ließ mich das Takelwerk hinuntersteigen. Ich ging zu meiner Kiste, zahlte die sieben Schillinge einem von den Matrosen, welche mir folgten, und stieg dann das Hauptdeck hinauf, um soviel als möglich von meinem Geschäfte zu lernen. Ich richtete eine große Menge Fragen an die Kadetten, die Kanonen betreffend, und sie drängten sich um mich, um sie zu beantworten. Einer erzählte mir, sie hießen die Zähne der Fregatte, weil sie den Franzosen das Maul stopften. Ein anderer sagte, er sei so oft im Feuer gestanden, daß man ihn den Feueresser nenne. Ich fragte ihn, wie er dem Tode entronnen sei, worauf er mir erwiderte, er habe es sich stets zum Grundsatze gemacht, sobald die erste Kanonenkugel durch die Schiffsseite schlage, seinen Kopf in das gemachte Loch zu stecken, da nach einer von Professor Inman angestellten Berechnung die Wahrscheinlichkeit wie zweiunddreißigtausend sechshundert siebenundvierzig und einigen Dezimalstellen zu eins vorhanden sei, daß eine zweite Kugel nicht in dasselbe Loch fahren würde. Daran hätte ich freilich nie gedacht.

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