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Fünftes Kapitel.

Ich werde in das Hinterverdeck eingeführt und dem ersten Leutnant vorgestellt, der mich für sehr geschickt erklärt. Ich steige hinunter zu Frau Trotters Ehestandshimmel in einem Cockpit. – Frau Trotter nimmt mich als Kostgänger an. – Ich bin sehr darüber erstaunt, daß so viele Leute wissen, daß ich der Sohn meines Vaters bin.

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Bei unserer Ankunft an Bord gab der Coxswain oder Beischiffsführer dem ersten Leutnant, welcher gerade auf dem Verdeck war, ein Billet von dem Kapitän. Er las es, blickte mich ernsthaft an, und dann hörte ich ihn zu einem andern Leutnant sagen: »Der Dienst geht zum Teufel. So lange er nicht beliebt war, hatten wir, wenn nicht viel Erziehung, doch wenigstens den Vorteil, welche natürliche Fähigkeiten uns gaben; aber nun, da vornehme Leute ihre Söhne zur Versorgung auf die Marine schicken, bekommen wir allen Ausschuß ihrer Familien, als ob jedes Ding gut genug wäre, um einen Kapitän eines Linienschiffs daraus zu machen, der in manchen Fällen mehr Verantwortlichkeit auf seinen Schultern hat, und in Lagen versetzt wird, die mehr Urteilskraft erheischen, als jeder andere Stand erfordert. Hier wird wieder einer von den Familiengimpeln dem Staate zum Geschenk gemacht, ein anderer junger Bär, den ich abrichten soll. Nun, ich sah noch keinen, aus dem ich nicht etwas machte. Wo ist Herr Simpel?«

»Ich bin Herr Simpel, Sir,« erwiderte ich sehr eingeschüchtert durch das, was ich gehört hatte.

»Gut, Herr Simpel, passen Sie auf und schenken Sie dem, was ich sage, besondere Aufmerksamkeit. Der Kapitän schreibt mir in diesem Billete, Sie hätten sich einfältig angestellt. Nun, Sir, ich lasse mich auf diese Art nicht fangen. Sie haben etwas von den Affen, welche nicht sprechen, weil sie besorgen, man werde sie zur Arbeit verwenden. Ich habe Ihr Gesicht aufmerksam betrachtet und auf den ersten Blick gesehen, daß Sie sehr fähig sind, und wenn Sie sich in kurzer Zeit nicht so erweisen, nun, so thun Sie besser, über Bord zu springen, und hiermit Punktum. Sie werden mich vollkommen verstehen, und da ich es Ihnen nun gesagt habe, so suchen Sie mich ja nicht zu täuschen; denn dies geht nicht!«

Ich war über diese Sprache sehr erschrocken, aber zugleich freute es mich zu hören, daß er mich für fähig hielt, und ich nahm mir vor, alles aufzubieten, um eine so unerwartete Meinung zu rechtfertigen.

»Quartiermeister,« sagte der erste Leutnant, »rufen Sie Herrn Trotter aufs Verdeck.«

Der Quartiermeister brachte Herrn Trotter herauf, der sich entschuldigte, daß er so schmutzig sei, da er eben Tonnen aus dem Schiffsraume herausschaffe. Es war ein kleiner untersetzter Mann, ungefähr dreißig Jahre alt, mit einer Nase, welche eine rote Warze hatte, sehr häßlichen Ohren und einem großen schwarzen Backenbarte.

»Herr Trotter,« sagte der erste Leutnant, »hier ist ein junger Gentleman, welcher für das Schiff bestimmt ist. Führen Sie ihn an seinen Kajüttenplatz und sehen Sie, daß man seine Hängematte aufschlingt. Sie müssen ein wenig nach ihm schauen.«

»Ich habe wirklich sehr wenig Zeit, nach einem von ihnen zu schauen, Sir,« erwiderte Herr Trotter, »aber ich will thun was ich kann. Folgen Sie mir, junger Herr!«

Ich stieg also die Leiter hinter ihm hinab, hierauf noch eine, und endlich sollte ich zu meinem Erstaunen noch eine dritte hinabsteigen; ich that es, und jetzt bemerkte er mir, nun sei ich im Cockpit.

»So, junger Herr,« sagte Trotter, indem er sich auf eine große Kiste niederließ, »thun Sie, wie zu Hause. Der Tisch der Seekadetten ist auf dem Verdecke, das sich über diesem befindet, und wenn Sie daran teil nehmen wollen, so können Sie es; aber das will ich Ihnen als guter Freund sagen, daß Sie dann den ganzen Tag durch zerdroschen werden, und übel dabei fahren. Der Schwächste kommt hier immer an die Wand; doch vielleicht fragen Sie nichts danach. Da wir im Hafen sind, so speise ich hier, weil Madame Trotter an Bord ist. Sie ist ein sehr reizendes Weib, kann ich Ihnen versichern, und wird sogleich hier sein. Sie ist gerade in die Schiffsküche gegangen, um nach einem Netz Kartoffeln zu sehen. Wenn Sie wollen, so will ich sie um Erlaubnis bitten, daß Sie mit uns speisen dürfen. Sie sind dann von den Seekadetten entfernt, welche ein böses Volk sind und Sie nichts lehren werden, als was unsittlich und unanständig ist; Sie haben dann den Vorteil, in guter Gesellschaft zu sein, denn Madame Trotter hat die allerbeste in England genossen. Ich mache Ihnen dies Anerbieten, weil ich mich gerne dem ersten Leutnant verpflichten möchte, welcher ein Interesse an Ihnen zu nehmen scheint; sonst wäre ich nicht sehr geneigt, mein häusliches Glück stören zu lassen.«

Ich erwiderte ihm, ich sei ihm für seine Höflichkeit sehr verbunden, und wenn es Madame Trotter in keine Verlegenheit setze, so werde ich sein Anerbieten gerne annehmen; ich hielt mich in der That für sehr glücklich, einen solchen Freund gefunden zu haben. Ich hatte kaum Zeit zu antworten, als ich auf der Leiter über uns ein Paar in schwarzkattunene Strümpfe gehüllte Beine erblickte, und es zeigte sich, daß sie der Madame Trotter gehörten, welche mit einem Netze voll dampfender Kartoffeln die Leiter herabkam.

»Auf mein Wort, Madame Trotter, Sie müssen sich bewußt sein, sehr hübsche Knöchel zu haben, sonst würden Sie es nicht wagen, sie vor Herrn Simpel zu zeigen, vor einem jungen Gentleman, welchen ich Ihnen vorstellen will, und der mit Ihrer Erlaubnis unsern Tisch teilen wird.«

»Mein lieber Trotter, wie grausam von Dir, mich nicht gewarnt zu haben; ich dachte, es sei niemand unten; ich schäme mich wirklich,« fuhr die Dame fort, indem sie einfältig lächelte und ihr Gesicht mit der Hand bedeckte, welche sie frei hatte.

»Es ist nun einmal geschehen, meine Liebe, und Du brauchst Dich auch darüber nicht zu schämen. Ich hoffe, Herr Simpel und Du werden sehr gute Freunde sein; ich glaube, ich habe schon seinen Wunsch erwähnt, an unserem Tisch teilzunehmen.«

»Ich werde gewiß in seiner Gesellschaft sehr glücklich sein. Dies ist ein sonderbarer Platz für mich zum Leben, Herr Simpel, nach der Gesellschaft, an welche ich gewöhnt bin; aber Liebe kann jedes Opfer bringen, und ehe ich den Umgang meines teuern Trotter verliere, der in Geldsachen unglücklich gewesen ist –«

»Sprich nicht mehr davon, meine Liebe; häusliches Glück geht über alles und kann selbst die Düsterheit eines Cockpit erhellen.«

»Und doch,« fuhr Madame Trotter fort, »wenn ich an die Zeit denke, wo wir in London zu leben pflegten. Waren Sie schon in London, Herr Simpel?«

Ich antwortete »ja.«

»Dann werden Sie gewiß mit den Smiths bekannt geworden sein oder von ihnen gehört haben.«

Ich erwiderte, daß die einzigen Leute, die ich daselbst kenne, Herr und Frau Handycock seien.

»Wenn ich gewußt hätte, daß Sie in London waren, so hätte ich Ihnen mit vielem Vergnügen ein Empfehlungsschreiben an die Smiths gegeben. Diese Leute geben den Ton an.«

»Aber mein Schatz«, unterbrach sie Herr Trotter, »ist es nicht Zeit, nach unserem Essen zu sehen?«

»Ja, ich will nun danach gehen. Wir haben heute Speilerstücke. Herr Simpel, wollen Sie mich entschuldigen?« und dann stieg Madame Trotter unter vielem Kokettieren und Lachen über ihre Knöchel die Leiter hinauf, wobei sie mich um die Gunst bat, mein Gesicht abzuwenden. Da der Leser vielleicht gerne wissen möchte, wie diese Person aussah, so will ich diese Gelegenheit benutzen und sie beschreiben. Sie war sehr gut gebaut und zu einer Zeit ihres Lebens mußte ihr Gesicht sehr hübsch gewesen sein; damals, als ich ihr vorgestellt wurde, zeigte es die Verheerungen, welche Zeit oder Not darauf angerichtet hatten, sehr deutlich – kurz, man konnte sie eine verwelkte Schönheit nennen, prunkend in ihrem Anzuge und nicht sehr reinlich von Person.

»Ein scharmantes Weib, die Madame Trotter, nicht wahr, Herr Simpel?« sagte des Schiffsmeisters Gehilfe, welchem ich natürlich sogleich beistimmte. »Nun, Herr Simpel«, fuhr er fort, »es sind einige Arrangements zu treffen, welche ich besser erwähne, so lange Madame Trotter fort ist; sie würde unser Gespräch über dergleichen Dinge übel aufnehmen. Natürlich ist die Lebensart, welche wir führen, etwas kostspielig. Madame Trotter kann ihren Thee und ihre sonstigen kleinen Bequemlichkeiten nicht missen; zugleich darf ich Ihnen keine besonderen Kosten verursachen, denn lieber wollte ich sie aus meiner Tasche bestreiten. Ich mache Ihnen den Vorschlag, Sie sollen, so lange Sie mit uns speisen, wöchentlich nur eine Guinee bezahlen; zum Eintrittsgeld darf ich Ihnen, glaube ich, nicht mehr als ein paar Guineen auferlegen. Haben Sie Geld?«

»Ja«, erwiderte ich, »ich habe drei Guineen und eine halbe übrig.«

»Nun, dann geben Sie mir die drei Guineen, und die halbe können Sie als Taschengeld behalten. Sie müssen Ihren Freunden sogleich um weitere Unterstützung schreiben.«

Ich händigte ihm das Geld ein und er steckte es in seine Tasche.

»Lassen Sie«, fuhr er fort, »Ihre Kiste herbeibringen, denn Madame Trotter wird sie, wenn ich es verlange, nicht nur in Ordnung bringen, sondern auch dafür sorgen, daß Ihre Kleider ordentlich ausgebessert werden. Madame Trotter ist eine reizende Frau und sieht junge Gentlemen sehr gerne. Wie alt sind Sie?«

»Fünfzehn«, erwiderte ich.

»Nicht mehr? nun das freut mich; denn Madame Trotter ist bei einem gewissen Alter etwas eigen. Ich empfehle es Ihnen, sich auf keine Weise mit den anderen Seekadetten einzulassen. Sie sind sehr ungehalten auf mich, weil ich Madame Trotter nicht gestatte, ihren Tisch zu teilen; auch sind es böse Schwätzer.«

»Das sind sie in der That«, versetzte ich. Doch hier wurden wir von Madame Trotter unterbrochen, welche mit einem Stecken in der Hand herabkam, auf dem ungefähr ein Dutzend dünne Stückchen Rind- und Schweinefleisch steckten; diese legte sie zuerst auf eine Platte, dann begann sie das Tischtuch auszubreiten und aufzudecken.

»Herr Simpel ist erst fünfzehn, meine Liebe«, bemerkte Herr Trotter.

»Gerechter Himmel«, versetzte Madame Trotter, »wie groß er ist! Er ist gerade so groß als der junge Lord Foutretown, welchen Du beim Ausfahren mitzunehmen pflegtest. Kennen Sie Lord Foutretown, Herr Simpel?«

»Nein, Ma'am«, antwortete ich; weil ich aber sie gern wissen lassen mochte, daß ich in guter Verwandtschaft stehe, so fuhr ich fort, »aber ich darf behaupten, mein Großvater, Lord Privilege, kennt ihn.«

»Gott im Himmel! ist Lord Privilege Ihr Großvater? Nun, ich dachte gleich, ich sehe eine Ähnlichkeit. Erinnerst Du Dich nicht an Lord Privilege, lieber Trotter, welchen wir bei Lady Scamp trafen? – eine ältliche Person. Es ist sehr undankbar von Dir, Dich seiner nicht zu erinnern, denn er schickte Dir einen sehr schönen Rehschlegel.«

»Privilege, Gott straf' mich, ja. Ein alter Gentleman, nicht wahr?« sagte Herr Trotter, indem er sich an mich wandte.

»Ja, Sir«, entgegnete ich, voll Freuden, mich unter Leuten zu befinden, welche mit meiner Familie bekannt waren.

»Nun, denn, Herr Simpel«, begann Madame Trotter, »da wir das Vergnügen haben, mit Ihrer Familie bekannt zu sein, so will ich Sie unter meine Aufsicht nehmen, und so für Sie besorgt sein, daß Trotter ganz eifersüchtig werden soll«, fügte sie lächelnd hinzu. »Wir werden nur heute ein ärmliches Mittagsessen haben, denn die Frau im Marktschiffe hat mich getäuscht. Ich trug ihr nämlich besonders auf, mir eine Hammelskeule zu bringen, aber sie sagt, es wäre noch etwas früh dazu, aber Trotter ist sehr lecker im Essen. Nun wollen wir uns zu Tische setzen.«

Ich fühlte mich sehr unwohl und konnte nichts essen. Unsere Mahlzeit bestand in Stückchen Rind- und Schweinefleisch, Kartoffeln und gebackenem Pudding in einer zinnernen Schüssel. Herr Trotter ging hierauf, um der Schiffsmannschaft das Getränk auszuteilen, und kehrte mit einer Flasche Rum zurück.

»Hast Du Herrn Simpels Portion bekommen, mein Lieber?« fragte Madame Trotter.

»Ja, er hat für heute seinen Teil, weil er vor Mittag an Bord kam. Trinken Sie Rum, Herr Simpel?«

»Nein, ich danke Ihnen«, versetzte ich, denn mir fiel des Kapitäns Warnung ein.

»Da ich ein solches Interesse an Ihrer Wohlfahrt nehme, so muß ich Ihnen ernstlich empfehlen, sich desselben zu enthalten«, sagte Herr Trotter. »Es ist eine üble Gewohnheit, und hat man sie einmal, so kann man sie nicht mehr leicht lassen. Ich muß ihn trinken, um nach der Arbeit im Schiffsraume die Ausdünstung nicht zu hemmen. Zwar habe ich einen natürlichen Abscheu davor; aber meine Champagner- und Claret-Tage sind vorbei, und ich muß mich in die Umstände schicken.«

»Mein armer Trotter«, sagte die Lady.

»Ja«, fuhr er fort, »es ist mein armes Herz, das nie sich freuet.«

Er goß einen halben Becher voll Rum ein und füllte das Glas mit Wasser auf.

»Mein Schatz, willst Du versuchen?«

»Nun, Trotter, Du weißt ja, daß ich ihn nie anrühre, außer wenn das Wasser so schlecht ist, daß man ihm den Geschmack nehmen muß. Wie ist das Wasser heute?«

»Wie gewöhnlich, mein Schatz, nicht trinkbar.«

Nach vielem Zureden ließ sich Madame Trotter herbei, ein wenig aus dem Glase zu nippen. In Betracht, daß sie das Getränk nicht liebte, dünkte es mich, sie lange ziemlich oft danach, allein ich fühlte mich so unwohl, daß ich auf das Deck gehen mußte. Hier traf ich einen Seekadetten, welchen ich vorher noch nie gesehen hatte. Er blickte mir sehr ernsthaft ins Gesicht und fragte dann nach meinem Namen.

»Simpel«, sagte er, »wie, sind Sie der Sohn der alten Simpel?«

»Ja, Sir«, erwiderte ich erstaunt, daß so viele Leute meine Familie kennen sollten.

»Nun, ich dachte mir's gleich wegen der Ähnlichkeit. Und wie befindet sich Ihr Vater?«

»Sehr wohl, danke Ihnen, Sir.«

»Wenn Sie ihm schreiben, richten Sie ihm mein Kompliment aus, und sagen Sie ihm, ich wünsche besonders in seinem Gedächtnis zu bleiben.«

Damit ging er fort, aber da er vergaß, seinen Namen anzugeben, konnte ich es nicht thun. Ich ging sehr ermüdet zu Bette. Herr Trotter hatte in dem Cockpit meine Hängematte aufgehängt, welche nur durch eine Decke von Segeltuch von der Hängematte getrennt war, in welcher er mit seiner Frau schlief. Dies kam mir sehr sonderbar vor, allein sie sagten mir, es sei so Sitte an Bord, obwohl das Zartgefühl der Madame Trotter sehr dadurch verletzt werde. Ich fühlte mich sehr unwohl, allein Madame Trotter war sehr zärtlich. Als ich im Bette lag, küßte sie mich, wünschte mir gute Nacht und bald darauf fiel ich in festen Schlaf.

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