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Drittes Kapitel.

Schilderung der Küste von Martinique. – Fürs Hineinsehen Kopfnüsse. – Es ist kein Heldenmut, wenn man sich selbst zur Zielscheibe macht. – Wir entern eine Miniatur-Noahs-Arche unter Yankeefarben. – Wegnahme eines französischen Sklavenhändlers. – Papageiensuppe als Surrogat für Schildkröten.

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Zu Barbados fanden wir Befehl, auf der Höhe von Martinique zu kreuzen und die Zufuhren für die Garnison der Insel abzuschneiden; wir brachen deshalb ohne Verzug dahin auf. Ich kann mir nichts Lieblicheres denken, als an der Ostseite dieser schönen Insel hinzusegeln. Die Hügelreihen laufen bis an den Saum des Meeres hin, sind mit dem frischesten Grün bedeckt und zerspalten sich an der Basis in kleine Buchten mit blendend weißem Sandgestade, wo die kleinen Küstenschiffe, welche von den benachbarten Ländereien den Zucker fortschafften, vor Anker lagen. Jeder gegen das Meer abstürzende Berg war mit einer Festung gekrönt, auf welcher die Trikolore flatterte – dem Aussehen nach gewiß eine der kriegerischsten Flaggen in der Welt. Am dritten Morgen umschifften wir den Diamantfels und lenssten an der Leeseite der Insel vor der Ausmündung der Fort-Royal-Bai hin; dabei gerieten wir an dem östlichen mit Buschwerk verdeckten Eingange, der durch das Vorgebirge Salomonsspitze gebildet wurde, in eine etwas mißliebige Nähe von einer neu errichteten Batterie. Eine Rauchsäule fegte über das blaue Wasser hin, und dann folgte das Zischen einer Kugel, die durch unser großes Segel fuhr, zuerst aber den Verklicker dicht neben dem Kopfe des alten Swinburne abriß, der auf der Karronade stand und die Brigg musterte. Ich speiste eben mit O'Brien und dem ersten Leutnant in der Kajütte.

»Wo zum Henker haben sie jetzt die Brigg getroffen«, sagte O'Brien, indem er aufstand und auf das Deck ging. Wir beide folgten, aber ehe wir auf dem Decke anlangten, waren drei oder vier weitere Kugeln zwischen den Masten durchgefahren.

»Mit Verlaub, Sir«, sagte der Schiffsmeistersmaat, der O'Farrell hieß und das Deck zu beaufsichtigen hatte, »die Batterie hat ihr Feuer gegen uns eröffnet.«

»Danke sehr für die Nachricht, Meister O'Farrell«, versetzte O'Brien, »aber die Franzosen haben dies vor Ihnen berichtet. Darf ich fragen, ob Sie eine besondere Vorliebe haben, sich zu einer Zielscheibe zu machen, oder ob Sie glauben, Seiner Majestät Brigg, die Klapperschlange, sei hierher geschickt worden, um sich für nichts und wieder nichts durchlöchern zu lassen? Steuerbord das Ruder, Quartiermeister.«

Das Ruder wurde aufgehoben und die Brigg befand sich bald außer Schußweite; indes erhielten wir doch noch einige Kugeln, von welchen eine das Fockstengenstag abriß.

»Nun, Herr O'Farrell«, fuhr O'Brien fort, »möchte ich Ihnen nur bemerklich machen, daß hoffentlich weder ich noch irgend jemand auf diesem Schiffe sich nur eine Feige um das Zischen einiger Kugeln kümmert, wenn etwas für uns selbst oder für das Vaterland dadurch zu gewinnen ist; aber es liegt mir viel daran, die Gliedmaßen meiner Leute und noch mehr ihr Leben zu erhalten, wenn kein Grund vorhanden ist, es zu gefährden. Merken Sie sich's daher in Zukunft: es ist keine Schande, einer Batterie aus dem Wege zu gehen, wenn der Vorteil rein auf ihrer Seite ist. Ich habe stets beobachtet, daß Schüsse aufs Geratewohl gerade die besten Leute auswählen. Lassen Sie das Hauptsegel nieder und schicken Sie den Segelmacher nach hinten, damit er es ausbessere.«

O'Brien kehrte nach der Kajütte zurück, und ich blieb auf dem Deck, da die Nachmittagswache an mir war, und ich nicht wieder hinuntergehen wollte, obschon O'Farrell den Auftrag hatte, meine Stelle zu versehen. Wir hatten nun die Bay vom Fort Royal offen vor uns, und genossen einen wunderschönen Anblick. Swinburne war noch auf der Karronade, und weil ich wußte, daß er früher schon in dieser Gegend gewesen, so ließ ich mir von ihm Auskunft über die Örtlichkeiten erteilen. Er nannte mir die Namen der Batterien über der Stadt und zeigte mir Fort Edward, die Negerspitze und namentlich die Taubeninsel mit ihrer Batterie, die sich auf der Bergspitze wie eine Mauerkrone ausnahm.

»Diesen Platz will ich nicht sogleich vergessen, Herr Simpel«, sagte er. »Das letzte Mal war ich anno vierundneunzig hier. Die Soldaten haben ihn einen ganzen Monat lang belagert und waren schon im Begriffe abzuziehen, weil sie kein Geschütz auf jenen Hügel dort bringen konnten. Da sagte der selige Kapitän Faulkner: ›'s giebt manchen hellen Kopf unter einem Hut von Teertuch, und jeder soll fünf Dublonen haben, der einen Zwanzigpfünder auf die Spitze des Berges bringt.‹ Das war keine so gar leichte Sache, wie Sie von hier aus bemerken können.«

»In der That, es scheint mir fast eine Unmöglichkeit zu sein, Swinburne«, versetzte ich.

»So ging's auch den meisten von uns, Herr Simpel; aber da war ein gewisser Dick Smith, der Maat eines Transportschiffes, der ans Ufer gekommen war, und der trat heraus und sagte: ›ich habe zugesehen, wie Ihre Leute dieses Geschütz behandeln, und meine Meinung ist, wenn man ein Faß nimmt, eine gutbewuhlte Karronade hineinsteckt und die Lücken mit alten Binsen und Werg ausstopft, so wird sich's bis auf die Spitze hinaufschroten lassen.‹ Da zieht denn Kapitän Faulkner fünf Dublonen heraus, giebt sie ihm und sagt: ›Ihr verdient das Geld für den Wink, selbst wenn es nicht gelingt.‹ Aber es machte sich, Herr Simpel, und am anderen Tag eröffneten wir, sehr zu ihrer Überraschung, ein Feuer auf die bettelhaften Franzosen, und legten ihnen für ihr Bramarbasieren bald das Handwerk. Einer der französischen Offiziere, der nachher in unsere Gefangenschaft geriet, fragte mich, wie wir das Geschütz da hinaufgebracht hätten, aber ich wollte ihm den Pfiff nicht mitteilen, und so sagte ich ihm als großes Geheimnis, es sei vermittelst eines papiernen Drachens geschehen; darüber riß er Mund und Augen auf, rief ein › Sacre bleu!‹ und ging hinweg, festen Glaubens, ich habe ihm die Wahrheit gesagt. Doch ist das nicht ein Segel da droben an der Spitze, Herr Simpel?«

Es war so, und ich erstattete O'Brien Bericht, worauf dieser heraufkam und wir die Jagd begannen. Eine halbe Stunde brachte uns an die Seite des fremden Schiffes, das jetzt die amerikanische Flagge aufhisste und sich als eine bis ans Schanddeck beladene Brigantine auswies, die kaum einen Fuß über Wasser ging. Ihre Ladung bestand in sogenannten Notions, was soviel als gemischte und assortierte Güter bedeutet. Von dem Verdecke an hingen bis zu halber Masthöhe Körbe mit Äpfeln, Kartoffeln, Zwiebeln und den verschiedenartigsten Nüssen. Auf dem Verdecke wimmelte es von Hornvieh, Schafen, Schweinen und Eseln. Der Raum war mit Schindeln, Stabholz und unterschiedlichen anderen Artikeln, zu zahlreich, um hier erwähnt werden zu können, angefüllt. Ich begab mich an Bord des Amerikaners und fragte den Schiffsmeister, wohin er gehe.

»Nun«, versetzte er, »ich suche einen Markt, wo es auch sein mag, und hoffe nicht, daß Sie mich aufhalten werden.«

»Wenn alles richtig ist, nein«, versetzte ich; »aber ich muß von Ihrem Logbuch Einsicht nehmen.«

»Nun, ich hab 'n Gedanken, daß da nicht viel einzuwenden ist«, entgegnete er und brachte das Verlangte aufs Deck. Ich hatte nicht viel Zeit zur Untersuchung, fand übrigens das Wenige, was ich las, belustigend genug; es lautete folgendermaßen: Pferdebreite – sehr knapp an Wasser – den weißköpfigen Ochsen geschlachtet – einen Delphin gefangen und zum Mittagessen verspeist – Syrupfaß Nr. 1, Lit. A. angebrochen. Schöne Nacht – sah kleine, runde Dinger auf dem Wasser schwimmen – zog einen Eimer voll herauf – meinte, es wären Perlen – hab' aber unrecht geraten, denn 's waren nur kleine portugiesische Kriegsschiffe Mollusken vom Genus Argonauta. – warf sie wieder über Bord – hörte einen Schrei, meinte, es sei eine Meerjungfer – lugte aus und sah nichts. Bemerkte ein sonderbares Geplätscher vorn, vermutete, es möchte die Meerschlange sein – steuerte nach, um sie deutlicher zu sehen und rannte beinahe auf Barbuda. Legte wieder um – traf einen Engländer – wurde höflich behandelt.«

Nachdem ich sein Logbuch durchblättert, bat ich ihn, seine Mannschaft vor mir zu mustern, damit ich mich überzeugen könne, ob kein Engländer darunter sei. Dies war ihm nicht sehr genehm und er brummte viel; indes wurden sie auf dem Hinterraum versammelt. Einer darunter war meiner Überzeugung nach ein Engländer, und ich machte ihm dies bemerklich; aber sowohl der Mann als der Schiffer behaupteten das Gegenteil. Dessenungeachtet beschloß ich, ihn an Bord zu nehmen und die Entscheidung O'Brien anheimzustellen, weshalb ich ihm befahl, ins Boot zu steigen.

»Gut, wenn Sie Gewalt brauchen wollen, so kann ich's nicht ändern. Meine Decken sind, wie Sie sehen, nicht aufgeräumt, sonst – Ich will Ihnen was sagen, Herr Leutnant, ich hab' 'n Gedanken, Ihr Schiff wird eine andere Hermione werden, wenn Sie echtblutige Yankees pressen; und was noch mehr, die Staaten werden sich dreinmischen, so gewiß, als es in Virginien Schlangen giebt.«

Trotz dieser Vorstellung nahm ich sie mit an Bord, wo O'Brien sich in der Kajütte lange mit dem Amerikaner besprach. Als sie aufs Deck zurückkehrten, durfte er seinen Mann wieder mitnehmen, und wir gingen aufs neue unter Segel. Ich hatte die erste Nachtwache, und als wir an der Küste hinliefen, bemerkte ich unter dem Hochgestade ein Schiff in dem Zustande, welcher von den Matrosen mit dem Namen Doldrum belegt wird, das heißt, der leichte, wirbelnde fast stille Wind ließ die Segel nach allen Richtungen hinflattern. Wir steuerten darauf zu, und als wir ihm auf eine Viertelmeile nahe kamen, befanden wir uns ganz in derselben Lage. Das Schanzboot wurde jetzt niedergelassen und ich ruderte auf die Fremden zu, erhielt aber von O'Brien die Weisung, mich in acht zu nehmen und bei dem mindesten Anschein von Widerstand umzukehren, da das Fahrzeug groß war und ziemlich verdächtig aussah.

Als ich mich seinen Bugen näherte, rief man mir auf Französisch zu, ich solle mich fern halten, oder man werde auf mich feuern. Dies war hinreichend. Dem erhaltenen Auftrag gemäß kehrte ich nach der Brigg zurück und erstattete O'Brien Bericht. Wir ließen dann alle Boot nieder, drehten dem fremden Schiffe die Breitseite unserer Brigg zu, und feuerten ein halb Dutzend mit Kugeln und Kartätschen geladene Karronaden ab. Sobald wir zu feuern aufgehört, vernahmen wir viel Lärm und Getümmel an Bord, weshalb mich O'Brien abermals abschickte, um Erkundigungen einzuziehen, ob der Gegner sich ergeben habe. Die Antwort lautete bejahend, weshalb ich an Bord ging. Das Schiff war der Commerce von Bordeaux, der von fünfhundert an der Küste eingenommenen Sklaven noch dreihundertundvierzig an Bord hatte und nach Martinique bestimmt war. Die Mannschaft war erkrankt und lag meistens in den Hängematten. Sie hatten in der letzten Zeit Papageien getötet, um sie zur Suppe zu verwenden; einige der noch übrigen, welche der grauen Species angehörten, sprachen merkwürdig gut. Bei ihrer Abfahrt von der Küste hatten sie an tausend Papageien an Bord genommen.

Sobald O'Brien bemerkte, daß ich das feindliche Schiff in Besitz genommen hatte, schickte er ein anderes Boot ab, um zu fragen, was es für ein Schiff sei. Ich verlangte den Wundarzt, da einige der Matrosen und viele der armen Sklaven durch unsere Schüsse verwundet waren. Von allen beklagenswerten Gegenständen ist mir keiner bekannt, der sich mit den armen Teufeln von Sklaven am Bord eines Sklavenschiffes vergleichen ließe: die erstickende Luft zwischen den Decken – der abscheuliche Gestank ihres Unrats, der kaum je weggeschafft wird – das hilflose Daliegen der Kranken, auf welche die noch Stärkeren mit der größten Gleichgültigkeit herabsehen, – Männer, Weiber und Kinder, alle nackt unter einander geworfen, vor Hunger bis auf Haut und Knochen abgezehrt, und in einer Atmosphäre lebend, in der es nur ein Neger auszuhalten vermag! Wenn man überhaupt wüßte, wie es auf einem Sklavenschiffe zugeht, so glaube ich, würde man keinen Anstand nehmen, den Sklavenhandel in gleichem Grade, wie die Seeräuberei zu verpönen, da dies nur eine gerechte Wiedervergeltung und ein solcher Schritt allein im stande wäre, dem Unwesen ein Ende zu machen.

Mit Tagesanbruch war das Schiff bereit, und O'Brien beschloß, dasselbe nach Dominika mitzunehmen, wo die armen Teufel alsbald ans Land gesetzt werden konnten. Wir ankerten nach ein paar Tagen in Prinz Ruperts Bay, wo wir uns nur vierundzwanzig Stunden aufhielten, um einige Erfrischungen einzunehmen und Vorkehrungen wegen unserer Prise zu treffen, die, wie ich kaum zu sagen brauche, von einigem Werte war.

Während der kurzen Zeit, die ich mit Einkauf von Geflügel und Gemüse für O'Brien und unseren eigenen Tisch am Lande verbrachte, erbaute ich mich an dem Anblicke eines schwarzen Sergeanten, der einige Rekruten von seinem aus freien Negern und Mulatten bestehenden Regimente einübte. Er mochte sie wohl in ihrem besten Lichte erscheinen lassen wollen, denn er begann mit dem Kommando:

»Ihr hab Schuh und Strümpf, steht in Front – Ihr hab Schuh und keine Strümpf, steht im Centrum – Ihr hab keine Schuh und keine Strümpf, steht im Hinterglied. Gesicht gegen Berg – Rücken gegen Seeufer. Warum Du nicht tret aus, Sar? – Du Henker!«

Die Neugierde veranlaßt mich, diejenigen zu zählen, welche sich für das Vorderglied qualifizierten: sie bestanden nur aus zwei Mulatten. In der zweiten Reihe standen gleichfalls nur zwei. Keine Schuhe und Strümpfe schienen daher Mode zu sein. Wir wurden wie gewöhnlich von den Negern umringt, und waren kaum ein paar Stunden dort gewesen, als sie schon ein Lied auf uns gemacht hatten, das sie ohne Unterlaß wiederholten.

»Siehst Du nicht die Klapperschlange,
Kommen her in Glanz?
Siehst Du nicht die Klapperschlange,
Prisen an ihr Schwanz?
Klapperschlange, hab' all das Geld, kling, kling –
Kriege, was ihr wohlgefällt, ting, ting!«

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