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Siebzehntes Kapitel.

Nicht sehr erfreuliche Nachrichten von Hause, obgleich der Leser lachen mag. – Wir kommen in Portsmouth an, wo ich eine alte Bekannte, die Frau Trotter, wiedertreffe. – Wir segeln mit einem Convoy in die Ostsee.

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Ich hatte meiner Schwester Ellen geschrieben, ihr über alles Vorgefallene berichtet, und auch den Charakter des Kapitäns, sowie dessen augenscheinliche Vertraulichkeit mit meinem Oheim erwähnt. Sie antwortete mir, von einer alten und sehr gesprächigen Dame habe sie erfahren, Kapitän Hawkins wäre der natürliche Sohn meines Oheims aus einer Verbindung mit einer Dame, zur Zeit da er noch in der Armee diente. Ich sah nun sogleich ein, daß mein Onkel mich ihm als Gegenstand seiner Rache bezeichnet habe, und daß Kapitän Hawkins ein zu pflichtgetreuer und zu gehorsamer Sohn war, um nicht zu gehorchen.

Der Zustand meines Vaters war betrübender als je; doch lag etwas äußerst Komisches in seinen Vorstellungen; er bildete sich ein, er sei ein Esel, und ahmte eine ganze Woche lang das Geschrei dieses Tieres nach; dabei stieß er die alte Wartefrau oft so mit dem Fuße auf den Magen, daß sie sich zusammenkauerte wie ein Igel. Dann hatte er sich wieder in den Kopf gesetzt, er sei eine Pumpe, streckte den Arm aus wie eine Röhre, und nötigte die alte arme Wärterin, denselben stundenlang herauf und hinunter zu ziehen. Es hatten sich in der That die Fälle von sonderbaren Vorstellungen der Art so sehr gehäuft, daß meine gute Schwester beinahe selbst von Verstand kam, und bisweilen waren auch seine Ideen mit einem sehr großen Kostenaufwande verknüpft, denn er bildete sich oft ein, den Titel und die Besitzungen seines Bruders geerbt zu haben, ließ Baumeister kommen und schloß Verträge mit ihnen ab wegen Aufführung von Gebäuden u. s. w. Dies kam, da es seine eigentliche Krankheit war, häufig vor. Ich schrieb der armen Ellen und gab ihr einige Ratschläge nach bestem Ermessen, denn um diese Zeit war die Brigg schon wieder bereit, in die See abzugehen, und wir erwarteten unser Auslaufen täglich. Auch vergaß ich nicht, O'Brien zu schreiben, aber die Entfernung zwischen uns war so groß, daß ich wohl wußte, ich könne vor einem Jahre wahrscheinlich keine Antwort erhalten, und ich fühlte eine wehmütige Ahnung, wie sehr ich seines Rates bedürfe.

Wir erhielten Befehl nach Portsmouth zu segeln und uns einem Convoy anzuschließen, das sich dort versammelte, um unter Führung der Fregatte »Akaste« und zwei anderer Fahrzeuge in die Ostsee hinauf zu fahren. Wir segelten ohne das mindeste Vergnügen, sowie ohne Hoffnung, diesmal viel Beutegeld zu gewinnen. Unser Kapitän war Mann genug, jedes Schiff zu einer Hölle zu machen, und unsere Schiffsmannschaft bestand, natürlich mit einigen Ausnahmen, aus einer Bande meuterischer und unverbesserlicher Bösewichte. Wie ganz anders erschien den Offizieren die Brigg, nach dem Verlust eines solchen Kapitäns, wie O'Brien, und einer so tüchtigen Schiffsmannschaft! Aber das war nicht zu ändern und alles, was wir thun konnten, war, die Dinge so viel als möglich zum Guten zu leiten und auf bessere Zeiten hoffen. Die Peitsche wurde beinahe jeden Tag in Anwendung gebracht, und ich muß gestehen, daß es im allgemeinen verdient war, obgleich bisweilen auf den heimlichen Bericht des Marinesergeanten über irgend einen tüchtigen Mann, dem ich gewogen war, unfehlbar diese Strafe verhängt wurde. Diese Art, Berichte von einem untergeordneten Offizier unmittelbar, anstatt durch mich, den ersten Leutnant, zu empfangen, wurde so lästig, daß ich auf alle Gefahr hin beschloß, Vorstellungen dagegen zu machen. Ich fand auch bald Gelegenheit, denn eines Morgens sagte der Kapitän zu mir: »Herr Simpel, ich höre, Sie haben gestern Nacht nach der gesetzlichen Stunde Feuer anmachen lassen.«

»Es ist ganz richtig, Sir, daß ich einen Ofen zu heizen befahl; aber ich möchte fragen, ob der erste Leutnant in dieser Beziehung nicht ein Recht hat, nach seinem Ermessen zu handeln? Und dann, wie kommt es, daß andere über mich Meldungen machen? Die Mannszucht auf diesem Schiffe wird durch mich unter Ihrer Leitung geführt, und alle Berichte müssen durch mich an Sie gelangen; ich kann nicht einsehen, warum Sie solche durch einen andern Kanal gehen lassen.«

»Ich führe den Befehl auf meinem Schiffe, Sir, und werde in dieser Beziehung thun, was mir gefällt. Wenn ich Offiziere habe, denen ich vertrauen kann, werde ich ihnen höchst wahrscheinlich auch erlauben, mir Meldungen zu machen.«

»Falls irgend etwas in meinem Benehmen Ihnen den Beweis gegeben hat, daß ich untüchtig oder des Zutrauens nicht würdig bin, so würde ich mich Ihnen verpflichtet fühlen, Sir, wenn Sie mir dies zuerst andeuten – dann aber, wenn ich es nicht besser machte, mich vor ein Kriegsgericht bringen wollten.«

»Ich bin nicht der Mann für Kriegsgerichte, Sir«, antwortete er, »aber ich lasse mir auch von einem untergebenen Offizier nichts vorschreiben, und Sie werden mich also durch Ihr Schweigen verbinden. Der Marinesergeant ist als Waffenmeister verpflichtet, mir jede Abweichung von den Regeln, die ich für den Dienst des Schiffes entworfen habe, zu melden.«

»Zugestanden, Sir; aber diese Meldung sollte nach der Üblichkeit unseres Dienstes durch Vermittlung des ersten Leutnants geschehen.«

»Ich ziehe den unmittelbaren Weg vor; – sie ist so weniger der Verfälschung ausgesetzt.«

»Vielen Dank für diese Artigkeit, Kapitän Hawkins.«

Ohne mir weiter zu antworten, lief er von mir weg und ging bald darauf in die Kajütte hinab. Nun trat Swinburne zu mir heran mit den Worten:

»Wie ich höre, Herr Simpel, müssen wir nach der Ostsee. Warum konnte man uns denn nicht das Convoy von Jarmouth herholen lassen, statt daß wir jetzt den ganzen Weg nach Portsmouth machen müssen? Mit diesem schiefen Wind werden wir erst bis morgen dort sein.«

»Ich denke, das Convoy ist noch nicht völlig versammelt, Swinburne! und bedenken Sie doch, daß es im Kanal an französischen Kaperschiffen nicht fehlt.«

»Das ist allerdings ganz richtig. Sir.«

»Waren Sie schon einmal in der Ostsee, Swinburne?«

»Ja, auf dem alten St. George, so 'nem alten echten Achtundneunziger: segelte gerade wie 'n Heuschober eine Meile vorwärts und drei Meilen leewärts. Gott segne Sie, Herr Simpel, das Kattegat war ihm nicht breit genug; aber 's war bei all' dem eine behagliche Art von Fahrzeug, nur daß wir uns, wenn wir die Küste zur Leeseite hatten, immer ziemlich weit vom Lande weg halten mußten, wie ich mich eben entsinne. Da fällt mir auch gerade ein, erinnern Sie sich noch, wie ärgerlich Sie wurden, weil ich's Ihnen in Barbadoes nicht steckte, als die Leute den Affen säugten

»Gewiß, ich weiß es noch recht gut.«

»Nun ja, damals hielt ich's nicht für hübsch, denn ich war einer von ihnen. Jetzt aber, da ich 'n Stück von einem Offizier bin, will ich Ihnen doch sagen, daß es, wenn wir nach Karlskrona kommen, da 'ne Art von Affensäugen giebt, die Sie als erster Leutnant, bei so 'nem überzwerchen Kapitän, wohl kennen müssen. Auf dem alten St. George hatten wir eines Nachmittags siebenzig Betrunkene und der erste Leutnant konnt's auf keine Weise auffinden, wie's zuging.«

»In der That, Swinburne, Sie müssen mich in dieses Geheimnis einweihen.«

»Gerne, Herr Simpel. Wissen Sie nicht, daß es so 'n berühmtes Zeug für Ziel- und Stichwunden giebt, Balsam genannt?«

»Wie, Rigabalsam?«

»Ja, das ist's; diesen also werden Sie auf allen Booten zum Verkauf herbringen, wie 's auch uns auf dem alten St. George ging. Teuflisch gutes Zeug ist das für die Wunden, ich glaub's; aber 's ist auch nicht übel zu trinken und sehr stark. Wir gebrauchten's immer innerlich, Herr Simpel, und der erste Leutnant hatte nicht die geringste Ahnung davon.«

»Was! Sie betranken sich also alle in Rigabalsam?«

»So viele eben konnten; ich geb' Ihnen also nur einen Wink.«

»Ich bin Ihnen sehr verbunden, Swinburne; auf den Verdacht wäre ich gewiß nie geraten. Ich glaube, Matrosen können sich in jeglichem Dinge betrinken.«

Am andern Morgen ankerten wir bei Spithead, wo wir das Convoy schon segelfertig trafen. Der Kapitän ging ans Land, um sich beim Admiral zu melden, und wie gewöhnlich wurde die Brigg von Proviantbooten und Nachen voller Leute umringt, die an Bord zu kommen wünschten. Da wir auf der Portsmouth-Station nicht bekannt waren und mit niemand in bestimmter Verbindung standen, so waren die Inhaber sämtlicher Proviantboote um unsere Kundschaft äußerst bemüht; und da die Wahl dem ersten Leutnant zusteht, so wird dieser so lange im höchsten Grade belästigt, bis er seine Entscheidung getroffen hat. Zeugnisse des Wohlverhaltens, von den Offizieren anderer Schiffe ausgestellt, wurden von allen Seiten herauf geboten, und ich durchlas diese Bücher auf dem Kapstan stehend. Der Name »Trotter« im zweiten Buche fiel mir auf; ich ging auf die Laufplanke aus Neugierde, um mir Gewißheit darüber zu verschaffen, ob es dieselbe Person wäre, die, als ich zum erstenmal an Bord kam, so viel Sorgfalt für mein Weißzeug an den Tag gelegt hatte. Während ich nach den Booten hinblickte, rief eine Stimme: »Ah, Herr Simpel, haben Sie Ihre alte Freundin vergessen? Können Sie sich der Frau Trotter nicht mehr entsinnen?« Ich hatte sie allerdings nicht erkannt; sie war so dick geworden und sah, obgleich nun an Jahren vorgerückt, viel besser aus, wie damals, als ich sie zuerst getroffen hatte; sie schien gesünder und frischer.

»In der That, ich hätte Sie kaum wieder erkannt, Frau Trotter.«

»Ich hab' Ihnen so viel zu sagen, Herr Simpel«, antwortete sie und ließ ihr Boot heranrudern; dann kam sie auf unser Verdeck herauf und befahl ihre Sachen herbeizubringen, gerade, als ob eine Erlaubnis ganz und gar unnötig wäre. Ich gab keinen Gegenbefehl, weil ich keinen von den andern Bootsinhabern kannte und, was die Ehrlichkeit anbelangt, sie alle für so ziemlich gleich hielt. Kraft alter Bekanntschaft also wurde Frau Trotter zugelassen.

»Ach, Herr Simpel«, rief sie, ganz außer Atem von der Anstrengung des Heraufkletterns, »das ist 'nmal wahr, was für 'n Mann Sie geworden sind, und noch dazu so 'n schöner Mann! Liebster, Teuerster, ich fühle mich ganz alt, wenn ich Sie ansehe und mir dann wieder das junge Herrchen vorstelle, das ich im Cockpit unter meinen Schutz nahm. Glauben Sie nicht, Herr Simpel, daß ich alt und häßlich aussehe?« fuhr sie lächelnd und schmunzelnd fort.

»Fürwahr, Frau Trotter, ich glaube, daß Sie sehr gut aussehen. Bitte, wie geht es Ihrem Manne?«

»Ach, Herr Simpel, der liebe arme Herr Trotter, – der ist fort. Der arme Tropf, 's ist aber kein Wunder, seine Neigung zum Trunk, seine Liebe zu mir – und seine Eifersucht – (erinnern Sie sich noch, wie eifersüchtig er war?). Und noch 'nmal, 's ist nicht zu verwundern, wenn man ferner bedenkt, an was für ein Leben er gewöhnt war, und daß er, nachdem er eigene Equipage und Hunde von allen Rassen gehalten hatte, so weit zurückkam und mit ansehen mußte, wie seine Frau ein Proviantboot führte. Das brach ihm 's Herz, dem guten Mann! Und seit der Zeit, Herr Simpel, habe ich mich viel glücklicher gefühlt. Denn ich könnt' es nicht ertragen, wenn ich sah, daß er sich so abgrämte. Gott im Himmel! wie eifersüchtig er war und ohne alle Ursache. Brauchen Sie kein frisches Fleisch für die Konstabelkammer? Ich hab' 'ne hübsche Hammelskeule im Boot und auch etwas Milch zum Thee.«

»Beachten Sie wohl, Frau Trotter, daß ich das Einführen geistiger Getränke an Bord nicht gestatten darf.«

»Mein Gott, Herr Simpel, wie können Sie an so etwas denken? Es ist ganz richtig, daß dieses gemeine Pack es thut; aber, – die Gesellschaften, die ich gehalten, die Kreise, in denen ich gelebt habe, Herr Simpel! … Überdies wird Ihnen wohl noch erinnerlich sein, daß ich nie etwas anderes als Wasser trank.«

Ich konnte ihr zwar nicht gerade beistimmen, doch widersprach ich auch nicht.

»Wünschen Sie die Portsmouthzeitung zu lesen, Herr Simpel?« fragte sie, ein Blatt aus der Tasche ziehend. »Ich weiß, Gentlemen sind Freunde von Neuigkeiten. Der arme Trotter pflegte nie vom Frühstück aufzustehen, bevor er das Tagblatt zu Ende gelesen hatte, – das war aber damals, als wir auf einem ganz anderen Fuß lebten. Haben Sie Weißzeug zu waschen, Herr Simpel – oder sonst einer von den Gentlemen?«

»Ich befürchte, die Zeit ist zu kurz, wir werden zu bald wieder absegeln«, antwortete ich; »wir müssen das Convoy begleiten.«

»Wirklich?« schrie Frau Trotter, ging die Hauptplanke hinab und rief ihrem Gehilfen. Ich hörte, wie sie ihm, auf die Nachricht von unserer alsbaldigen Abfahrt hin, Befehl erteilte, nichts auf Borg zu verkaufen.

»Ich bitte um Entschuldigung, Herr Simpel, ich habe nur meinem Gehilfen gesagt, daß er Ihren Steward rufen soll, damit Sie von allem das Beste bekommen und etwas Milch für die Konstabelkammer zurückbehalten wird.«

»Und ich habe auch um Entschuldigung zu bitten, Frau Trotter, denn ich muß jetzt meinem Dienste nachkommen.«

Frau Trotter verneigte sich höflich und ging die Hauptleiter hinab, um gleichfalls ihrem Dienste nachzugehen, und so trennten wir uns. Ich erfuhr, daß sie eine große Kundschaft besitze, denn sie verstehe mit den Offizieren umzugehen und mache sich ihnen im allgemeinen nützlich. Sie führte nun seit sechs Jahren ein Proviantboot und hatte sich ein hübsches Geld verdient. Man sagte in der That, wenn ein erster Leutnant vierzig oder fünfzig Pfund bedürfe, so sei Frau Trotter immer bereit, sie ihm, ohne nur einen Schuldschein zu fordern, zu leihen.

Abends traf der Kapitän, der bei dem Admiral gespeist hatte, an Bord ein und befahl, alles bereit zu halten, um sofort bei Tagesanbruch die Anker zu lichten und die Segel aufzuspannen. Mit Sonnenaufgang gab die Fregatte das Signal; vor zwölf Uhr waren wir alle unter Segel und fuhren mit günstigem Winde an St. Helena vorüber. Unsere Streitmacht bestand aus der Fregatte Akaste, der Schaluppe Isis mit zwanzig und dem Renntier mit achtzehn Kanonen, sowie aus unserer eigenen Brigg. Das Convoy zählte beinahe zweihundert Schiffe. Obgleich der Wind günstig und die See ruhig war, so gebrauchten wir doch länger als eine Woche, ehe wir Anholt erreichten, denn manche von den Fahrzeugen des Convoy segelten schlecht oder waren unachtsam. Wir waren beständig damit beschäftigt, Signale zu wiederholen oder Schüsse abzufeuern, und wurden oft nach den hintersten Schiffen zurückgeschickt, um sie herauf zu bugsieren. Endlich kamen wir mit einer leichten Brise an Anholt vorbei und am nächsten Morgen sahen wir auf beiden Seiten das Land deutlich.

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