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Dreizehntes Kapitel.

Der erste Leutnant verschreibt für einen seiner Patienten. – Seine Recepte bestehen nur in »Zügen«. – O'Brien endigt seine Lebensgeschichte, in welcher das Sprichwort: »Je mehr, desto lustiger« gänzlich widerlegt wird. – Das Einschiffen von einem neuen Paar Stiefel verursacht das Ausschiffen ihres Besitzers. – Heimkehr nach einem Balle. – O'Brien trifft ein Unfall.

—————

 

Den andern Morgen stand ich um sieben Uhr auf dem Verdeck, um nachzusehen, daß die Hängematten weggestaut wurden, wobei ich Zeuge war, wie der erste Leutnant, Herr Falkon, zu einem seiner Mittel Zuflucht nahm, um einen Bramstengenjungen vom Rauchen zu kurieren, eine Gewohnheit, welche er nicht leiden konnte. Wenn Matrosen in der Galeere Tabak rauchten oder kauten, legte er sich nie dazwischen; er wollte bloß die Jungen, d. h. Burschen von zwanzig Jahren oder darunter verhindern, daß sie sich nicht zu früh dieser Gewohnheit hingaben. Der erste Leutnant roch Tabak, als der Junge auf dem Hinterdeck an ihm vorüberging.

»Wie, Neill, Du hast geraucht«, sagte der erste Leutnant, »ich dachte, Du wüßtest, daß solchen Jungen wie Dir der Gebrauch des Tabaks untersagt ist.«

»Sie erlauben, Sir«, versetzte der Bramstengenjunge, indem er an seinen Hut langte. »Ich habe Würmer, und man sagt, Rauchen sei gut für sie.«

»Gut für sie!« sagte der erste Leutnant, »ja, sehr gut für sie, aber sehr schlimm für Dich. Mein guter Junge, sie wachsen vom Tabak, so lange, bis sie so groß werden, wie Meeraale. Hitze lieben die Würmer, aber Kälte, Kälte tötet sie. Nun, ich will Dich kurieren. Quartiermeister, kommen Sie her. Gehen Sie mit diesem Jungen den Gang an der Wetterseite auf und ab, und jedesmal, wenn Sie vorne an den großen Halsblock kommen, halten Sie sein Gesicht gegen den Wind, drücken ihn scharf im Nacken, bis er seinen Mund weit aufsperrt, und dann lassen Sie die kalte Luft durch seinen Schlund ziehen, so lange, bis Sie zehn zählen; dann gehen Sie zurück, und wenn Sie wieder vorne sind, tritt dasselbe Verfahren ein, wie zuvor. – Kälte tötet die Würmer, mein armer Junge, nicht Tabak, – ich wundere mich, daß Du nicht schon gestorben bist.«

Der Quartiermeister, der, wie alle Seeleute, den Spaß gern hatte, packte den Burschen, und sobald sie vorne ankamen, gab er ihm einen solchen Druck in den Nacken, daß er seinen Mund aufsperren mußte, wenn es auch nur gewesen wäre, um vor Schmerz zu schreien. Der Wind ging sehr frisch und blies ihm so stark in den Rachen, daß er eigentlich pfiff, und so mußte er, um sein Inwendiges abzukühlen, fast zwei Stunden auf und ab gehen, bis der erste Leutnant nach ihm schickte und ihm sagte, er glaube, daß alle Würmer nun tot sein müßten; wenn dies aber nicht der Fall wäre, so solle der Bursche nicht seine eigenen Mittel anwenden, sondern um eine andere Dosis zu ihm kommen. Der Junge jedoch war derselben Ansicht, wie der erste Leutnant, und beklagte sich nie mehr über Würmer.

Einige Nächte darauf, als wir die Mittelwache hatten, fuhr O'Brien in seiner Geschichte fort.

»Wo bin ich denn stehen geblieben?«

»Damals, wo Sie aus dem Arrest entlassen wurden.«

»Richtig und ich ging nicht gern an meinen Dienst. Doch da es nicht anders sein konnte, so spazierte ich wie zuvor das Verdeck auf und ab, meine Hände in der Tasche und dachte an Alt-Irland und meinen großen Ahnherrn Brien Borru. So ging es fort; ich führte mich als ein echter Gentleman auf und kam in keine Verlegenheit mehr, bis die Flotte in den Hafen von Cork einlief, und ich nur einige Meilen von meines Vaters Hause entfernt war. Du kannst Dir denken, kaum hatte der Anker den Grund berührt, so begab ich mich zum ersten Leutnant und bat um Urlaub, um ans Land zu gehen. Der erste Leutnant war gerade nicht in der besten Laune, da ihn der Kapitän scharf vorgenommen hatte, weil er seinen Dienst nicht zu seiner Zufriedenheit erfüllte. Er antwortete mir daher sehr mürrisch, ich dürfe das Schiff nicht verlassen. ›Beim Blitz‹, sagte ich bei mir selbst, ›das darf nicht geschehen.‹ Ich begab mich daher zum Kapitän und erinnerte ihn, während ich an meinen Hut langte, daß ich Vater und Mutter habe und einen hübschen Haufen Brüder und Schwestern, welche sich sterblich sehnten, mich zu sehen, und daß ich hoffe, er werde mir Urlaub geben.

»›Fragen Sie den ersten Leutnant‹, sagte er und ging weg.

»›Ich habe es gethan, Sir‹, erwiderte ich, ›er sagte: ich solle um des Teufels nicht meinen Fuß an das Land setzen.‹

»›Dann haben Sie sich nicht gut aufgeführt‹, sagte der Kapitän.

»›Keineswegs, Kapitän Willis‹, erwiderte ich, ›der erste Leutnant hat sich nicht gut aufgeführt.‹

»›Wie, Sir?‹ antwortete er in zornigem Tone.

»›Nun, Sir, hat er sich nicht gerade dadurch vergangen, daß er seinen Dienst nicht nach Ihrem Wunsch und Willen gethan, und bedienten Sie ihn nicht gerade, wie er es verdiente, und ist er nicht deshalb aufgebracht, und ist dies nicht der Grund, warum ich nicht ans Land darf? Euer Ehren, es ist alles wahr, was ich sagte, der erste Leutnant hat sich vergangen, nicht ich. Ich hoffe, Sie werden mir die Erlaubnis geben, ans Land zu gehen, Kapitän. Gott segne Sie, nehmen Sie einige Rücksicht auf meine kindlichen Gefühle gegen den Urheber meiner Existenz.‹

»›Haben Sie etwas gegen Herrn O'Brien auszustellen‹, sagte der Kapitän zu dem ersten Leutnant, als er heraufkam.

»›Nicht mehr, als an den Seekadetten im allgemeinen; allein ich glaube, es schickt sich nicht für einen Offizier, um Urlaub ans Land anzuhalten, bevor die Segel eingezogen und die Raaen ins Kreuz gebraßt sind.‹

»›Sehr wahr‹, versetzte der Kapitän, ›deshalb, Herr O'Brien, müssen Sie warten, bis die Wache gerufen wird, und wenn Sie dann den ersten Leutnant bitten, so zweifle ich nicht, daß Ihnen Erlaubnis erteilt wird, zu gehen und Ihre Freunde zu besuchen.‹

»›Dank Ihnen herzlich, Sir‹, erwiderte ich, und hoffte, die Raaen und Segel würden so bald als möglich in Ordnung sein, denn das Herz saß mir auf der Zunge und ich fühlte, daß es vor mir ans Land geflogen sein würde, wenn ich noch länger aufgehalten worden wäre.

»Ich hielt mich in dieser Angelegenheit für sehr klug, aber nie in meinem Leben war ich ein größerer Thor, denn ich hätte keine solche Eile gebraucht, um ans Land zu kommen, und der erste Leutnant vergaß es mir nie, daß ich mich an den Kapitän wandte; doch davon gelegentlich und alles zu seiner Zeit. Endlich erhielt ich mürrisch die Zustimmung, ans Land gehen zu dürfen und schoß wie eine Rakete davon. Da ich verzweifelte Eile hatte, so mietete ich eine Kalesche, um nach meines Vaters Hause zu gelangen.

»›Meinen Sie den O'Brien von Ballihinch‹, fragte der Kerl, welchem das Gefährt gehörte.

»›Allerdings‹, versetzte ich, ›wie geht es ihm und der ganzen edlen Familie der O'Brien?‹

»›Alles ziemlich wohl, außer dem jungen Tim, welcher gestern Nacht auf dem Jahrmarkte eine kleine Kontusion an dem Kopf bekam und nun ganz gleichgültig gegen Essen und Trinken im Bette zu Hause liegt, aber die Doktoren geben Hoffnung zu seiner Wiederherstellung, da bekanntlich alle O'Brien dicke Schädel haben.‹

»›Was meinst Du damit, grober Kerl?‹ sagte ich, ›aber der arme Tim – wie ging es denn zu? gab es Händel?‹

»›Gerade keine Händel, nur so ein bischen Balgerei, – drei Totenschauen, nicht mehr.‹

»›Aber Du fährst ja nicht gerade aus, Du Schlingel‹, sagte ich, da ich bemerkte, daß er links abbog.

»›Ich habe meine Gründe dazu, Eure Ehren‹, erwiderte er; ›ich vermeide stets das Schloß, und zwar aus Grundsatz. – Ich verlor hier einen Freund, das macht mich melancholisch.‹

»›Wie ging das zu?‹

»›Ganz zufällig, Euer Ehren; sie henkten hier meinen armen Bruder Patriz, weil er ein ungeschickter Rechner war.‹

»›Er hätte in eine bessere Schule gehen sollen‹, sagte ich.

»›Ich denke, es war eine böse Schule, in welche er gebracht wurde‹, erwiderte er mit einem Seufzer. ›Er war ein Viehhändler, Euer Ehren; und eines Tages hatte er, ich weiß nicht wie es kam, eine Kuh zu viel, alles, weil er nicht rechnen konnte, Euer Ehren. – Der Teufel soll seinen Schulmeister holen.‹

»›Dies mag alles wahr sein‹, sagte ich, ›und Gott gebe ihm die ewige Ruhe, allein ich sehe nicht ein, warum Du mich zwei Meilen von meinem Wege abführst, und zwar aus Grundsatz.‹

»›Hat Euer Ehren so große Eile nach Hause? denn mich will bedünken, sie werden keine so große Eile haben, Sie zu sehen.‹

»›Und wer sagt dir, daß ich O'Brien heiße, Du Bestie? wie kannst Du sagen, daß meine Freunde nicht erfreut sind, mich zu sehen?'

»›Euer Ehren erlauben, 's ist nur so ein Gedanke von mir, wir wollen nichts mehr davon sprechen. Nur so viel weiß ich, Pater M'Grath, welcher mir Absolution giebt, sagte mir vor ein paar Tagen, daß ich ihn bezahlen solle, und keine Schulden machen und davon laufen, wie Terenz O'Brien, welcher zur See ging, ohne seine Hemden, Schuhe, Strümpfe oder sonst etwas zu bezahlen, und welcher so gewiß gehenkt würde, als St. Patriz mit seinem Kopf unter dem Arm über den Liffey schwamm.‹

»›Zum Henker mit dem Pater M'Grath‹, rief ich aus, ›der Teufel soll mich holen, wenn ich mich nicht an ihm rächen will.‹

»Mittlerweile waren wir an meines Vaters Hause angekommen. Ich bezahlte den Kerl und stürzte hinein. Da waren mein Vater und meine Mutter mit allen meinen Brüdern und Schwestern (außer Tim, welcher im Bette lag und den andern Tag starb) und die Bestie Pater M'Grath obendrein. Als mich meine Mutter erblickte, eilte sie auf mich zu und hing weinend an meinem Halse; dann trocknete sie sich die Augen und setzte sich wieder nieder, aber niemand sprach: »wie geht's?« oder öffnete den Mund, um mich anzureden. Ich sagte zu mir selbst, »da muß ein kleines Mißverständnis sein«, aber ich schwieg. Endlich öffneten sie mit Heftigkeit ihren Mund. Mein Vater fing an:

»›Schämst Du Dich nicht vor Dir selbst, Terenz O'Brien?‹

»›Schämst Du Dich nicht vor Dir selbst, Terenz O'Brien?‹ schrie Pater M'Grath.

»›Schämst Du Dich nicht vor Dir selbst?‹ schrieen alle meine Brüder und Schwestern im vollen Chore, während meine Mutter die Schürze vor die Augen hielt und nichts sagte.

»›Nicht im geringsten vor mir selbst, sondern recht sehr für euch alle schäme ich mich, daß man mich so behandelt. Was soll dies bedeuten?‹

»›Haben sie mir nicht meine zwei Kühe genommen, um Deine Ausrüstung zu bezahlen, Du Schlingel?‹ schrie mein Vater.

»›Haben sie nicht das Heu genommen, um Deine Schuhe und Strümpfe zu bezahlen‹, schrie Pater M'Grath.

»›Haben sie nicht das Schwein genommen, um Deinen garstigen Hut da zu bezahlen‹, rief meine älteste Schwester.

»›Und haben sie mir nicht meine Hühner genommen, um Deinen Degen da zu bezahlen‹, kreischte eine andere.

»›Und alles unser bestes Hausgerät, um Deine weißen Hemden und schwarzen Kravatten zu bezahlen‹, rief Murdock, mein Bruder.

»›Und sind wir seitdem nicht fast Hungers gestorben‹, schrieen alle zugleich.

»›Ach‹, seufzte meine Mutter.

»›Den Teufel haben sie‹, sagte ich, als alles vorbei war, ›es thut mir gewiß leid, aber es ist nicht meine Schuld, Vater. Habt Ihr mich nicht zur See geschickt?‹

»›Ja, Du Landstreicher, aber hast Du nicht versprochen, oder ich für Dich, was Ein Ding ist, Du wollest alles von Deinem Prisengeld zurückbezahlen, und wo ist es? antworte darauf, Terenz O'Brien.‹

»›Wo es ist, Vater? Es ist, wo die nächsten Weihnachten sind; es kommt, ist aber noch nicht da.‹

»›Sprecht mit ihm, Pater M'Grath‹, sagte mein Vater.

»›Ist das keine Lüge von Dir, Terenz O'Brien, was Du da sagst?‹ sagte Pater M'Grath, ›gieb mir das Geld.‹

»›'s ist keine Lüge, Pater M'Grath. Wenn es Euch gefiele, morgen zu sterben, so hätte ich nicht einen Schilling, um ihn zum guten Glück auf Eurem Grabstein klingeln zu lassen, ausgenommen diese drei oder vier, welche ihr unter euch teilen könnt‹, und damit warf ich sie auf den Boden.

»›Terenz O'Brien‹, sagte Pater M'Grath, ›Du wirst morgen für alle Deine Sünden und Gottlosigkeiten Absolution nötig haben, und den Teufel sollst Du haben, – nimm dies hin.‹

»›Pater M'Grath‹, versetzte ich sehr zornig, ›ich will keine Absolution von Euch – nehmt das hin.‹

»›Dann hast Du Deinen Teil am Himmel gehabt; denn ich will Dich davon ferne halten, Du gottloses Ungeheuer – nimm dies hin.‹

»›Wenn er nicht besser ist, als die Kajütte der Seekadetten, so bleibe ich gerne draußen‹, erwiderte ich, ›doch ich will Euch zum Trotz mich hineinschleichen – nehmt das, Pater M'Grath.‹

»›Und wer soll Deine Seele retten und Dich zum Himmel schicken, wenn nicht ich, Du elender Wicht; aber ich will Dich lieber verdammt sehen – nimm dies, Terenz O'Brien.‹

»›Dann will ich Protestant werden und den Papst verdammen – nehmt dies, Pater M'Grath.‹

»Bei dieser besten vollen Lage von meiner Seite erhoben mein Vater und alle meine Brüder und Schwestern einen Schrei des Entsetzens, und meine Mutter brach in Thränen aus. Pater M'Grath ergriff den Weihwasserkessel, tauchte den kleinen Weihwedel hinein, und fing an, das Zimmer zu besprengen, wobei er ein lateinisches Gebet hersagte und alle auf mich hineinschrieen. Endlich faßte mein Vater den Stuhl, auf welchem er bisher gesessen hatte, und schleuderte ihn nach meinem Kopf. Ich duckte mich und er traf Pater M'Grath, der gerade in vollem Gange hinter mir ging. Da ich einsah, daß nun alles vorbei sei, sprang ich über seinen Leib weg und gewann die Thür.

»›Guten Morgen euch allen, und bessere Aufführung, wenn wir das nächste Mal zusammen kommen‹, rief ich, und eilte so schnell als möglich nach dem Schiffe.

»Ich war ziemlich melancholisch, als ich zurückging und den Vorfall überdachte. Ich hätte keine so verwünschte Eile nötig gehabt, sagte ich zu mir selbst, um Urlaub zu verlangen, und noch obendrein den ersten Leutnant zu beleidigen; auch that es mir sehr leid, was ich dem Priester gesagt hatte, denn das Gewissen schlug mir sehr, daß ich nur vorgegeben hatte, Protestant werden zu wollen, was ich nie beabsichtigte, noch thun werde, sondern ich will als guter Katholik leben und sterben, wie alle meine Vorfahren vor mir gethan und hoffentlich alle meine Nachkommen in den folgenden Geschlechtern thun werden. Ich kam glücklich an Bord und fand den Leutnant sehr böse. Ich hoffte, es werde vorüber gehen, aber es war nicht der Fall; er fuhr fort, mich so schlecht zu behandeln, daß ich beschloß, das Schiff zu verlassen, was ich auch, sobald wir in Cawsandbai ankamen, ausführte. Der Kapitän erlaubte mir zu gehen, denn ich erzählte ihm getreulich den ganzen Hergang der Sache, und er sah die Wahrheit ein; daher empfahl er mich dem Kapitän einer Eselfregatte, welcher Seekadetten brauchte.«

»Was verstehen Sie unter einer Eselfregatte?« fragte ich.

»Ich meine eines von unsern Schiffen mit achtundzwanzig Kanonen, welche so heißen, weil zwischen ihnen und einer wirklichen Fregatte, wie diejenige, auf welcher wir segeln, ein so großer Unterschied ist, wie zwischen einem Esel und einem Rennpferde.«

»Das Schiff war nicht sobald auf die Werft gebracht, als unser Kapitän zu ihm herabkam – ein kleiner, dürrer, unansehnlicher Mann, aber dessenungeachtet ein Mann von Gewicht, denn er führte eine große Wage bei sich und wog alles, was an Bord gebracht wurde. Ich vergaß seinen eigentlichen Namen, aber die Matrosen tauften ihn Avoirdupoids Handelsgewicht, das Pfund zu 16 Unzen.. Er hatte ein großes Buch, in welches er das Gewicht des Ballastes, der Munition, des Wassers, der Lebensmittel, der Kohlen, des stehenden und laufenden Takelwerks, der Taue und dergleichen, eintrug. Ferner wog er alle Matrosen, alle Seekadetten und alle Kisten derselben, auch alle Offiziere mit allem, was ihnen gehörte. Zuletzt wog er sich selbst, was übrigens die Hauptsumme nicht sehr vermehrte. Ich weiß nicht genau, wozu dies geschah, allein er sprach immer von dem Mittelpunkt der Schwere, vom Verrücken flüssiger Körper, und Gott weiß was! Ich glaube, er wollte die Länge oder so etwas ausfindig machen: allein ich blieb nicht lange genug auf dem Schiffe, um die wahre Absicht zu erfahren; denn eines Tages brachte ich ein paar neue Stiefel an Bord und vergaß sie anzumelden, damit sie in die Wage gelegt würden, welche im Gange hing; ob nun der Kapitän dachte, sein Schiff würde dadurch sinken, oder was sonst kann ich nicht sagen – kurz, ich erhielt den Befehl, sogleich das Schiff zu verlassen.

»Jetzt war ich wieder ohne Bestimmung. Ich packte meine Siebensachen zusammen, ging ans Land, zog zum Trotz meine neuen Stiefel an, trat in alle Pfützen und Lachen, welche ich nur finden konnte, um sie zu strafen, und ging von Plymouth bis zum Dock so lange auf und ab, bis ich müde war; in vierzehn Tagen waren die Schlingel abgetragen.

»Einmal war ich auf der Schiffswerft und betrachtete einen Zweidecker in dem Bassin, welcher gerade zum Dienste hergebracht worden war. Ich fragte nach dem Kapitän. Man sagte mir, er heiße O'Connor. ›Dann ist es ein Landsmann von mir‹, dachte ich, ›und ich will mein Glück versuchen.‹ Ich ging also nach Gouds Hotel, wo er logierte, und verlangte mit ihm zu sprechen. Ich wurde vorgelassen und erzählte ihm unter meiner bestmöglichen Verbeugung, ich sei als Freiwilliger auf sein Schiff gekommen und hieße O'Brien. Da zufällig einige Stellen leer waren und er meinen Dialekt liebte, fragte er mich, auf welchen Schiffen ich gedient hätte. Ich nannte sie ihm und ebenso meinen Grund, warum ich das letzte verließ, nämlich, weil man mich verabschiedet hatte. Ich erzählte die Geschichte von den Stiefeln; er stellte Untersuchungen an und fand alles wahr; dann gab er mir eine Stelle als Schiffmanns-Gehilfe. Wir waren nach Südamerika bestimmt und die Passatwinde trieben uns sehr schnell vorwärts. Ich liebte meinen Kapitän und die Offiziere sehr, und was noch besser war, wir machten einige gute Prisen. Aber ich weiß nicht, wie es kam, ich hatte nie das Glück, lange auf einem Schiffe zu bleiben, und zwar nicht aus eigener Schuld, wenigstens diesmal nicht. Alles ging so gut als möglich von statten, bis uns eines Tages der Kapitän auf einer unserer ruhigen Strecken zu einem Balle ans Land nahm. Wir verlebten eine sehr lustige Nacht, aber wie es das Schicksal wollte, ich hatte die Morgenwache und mußte die Schiffe reinigen lassen, und da ich nie meine Pflicht vernachlässigte, so brach ich ungefähr morgens um drei Uhr, gerade bei Tagesanbruch, auf, um an Bord des Schiffes zurückzukehren. Ich ging den Strand entlang, dachte an das hübsche Mädchen, mit welchem ich soeben getanzt, und hatte ungefähr den halben Weg bis zum Schiffe zurückgelegt, als drei spanische Marodeure hinter einem Felsen hervorkamen und mich mit ihren Säbeln und Bajonetten angriffen. Ich hatte nur meinen Degen, aber ich wollte mich auch nicht umsonst durchbohren lassen, daher focht ich mit ihnen, so gut ich konnte. Ich machte einem Kerl den Garaus, aber zuletzt überwältigten sie mich, denn ein Bajonett fuhr mir durch den Leib und das Bewußtsein schwand mir. Es wollte mir scheinen, daß sie, nachdem sie mich getötet hatten, mich nackt auszogen und in den Sand vergruben; den Leichnam ihres Kameraden schleppten sie mit sich fort. So war ich nun tot und begraben.«

»Aber O'Brien«, sagte ich.

»Pst – halt den Mund, Du hast das Ende noch nicht gehört. Ich war ungefähr eine Stunde begraben, aber nicht sehr tief, wie es schien, denn sie hatten zu große Eile, als ein Schiffer mit seiner Tochter auf dem Wege nach seinem Boote den Strand herabkamen, und die Tochter, Gott segne sie! that mir den Gefallen, auf meine Nase zu treten. Es war klar, daß sie noch nie vorher auf eines Irländers Nase getreten hatte, denn es überraschte sie und sie schaute zu Boden, um zu sehen, was da wäre, und weil sie nichts sah, so versuchte sie es wieder mit ihrem Fuße, scharrte dann den Sand weg und entdeckte mein hübsches Angesicht. Ich war noch ganz warm und atmete noch, denn der Sand hatte das Blut gestillt und verhinderte, daß ich mich nicht zu Tode blutete. Der Fischer grub mich heraus, und trug mich auf seinem Rücken in das Haus, wo der Kapitän und die Offiziere noch tanzten.

»Als man mich hineinbrachte, entstand unter den Damen ein großes Geschrei, nicht weil ich ermordet, denn daran ist man in jenen Ländern gewöhnt, sondern weil ich nackt war, was ihnen als eine viel bedenklichere Sache vorkam. Ich wurde ins Bett gebracht und ein Boot an Bord abgeschickt, um unsern Doktor zu holen; in einigen Stunden war ich im stande, zu sprechen und den Vorfall zu erzählen. Allein ich war noch zu schwach, um gehen zu können, als das Schiff absegelte, was in einigen Tagen darauf geschehen mußte; daher gab der Kapitän mir meinen Abschied und ließ mich hier. Es war eine französische Familie, bei welcher ich ein halbes Jahr lang blieb, bevor ich eine Gelegenheit zur Überfahrt nach Hause erhalten konnte; während dieser Zeit lernte ich ihre Sprache und noch ziemlich viel spanisch obendrein. Als ich in England ankam, erfuhr ich, daß die Prisen verkauft waren und das Geld zur Austeilung bereit lag. Ich zeigte meine Certificate vor und empfing als meinen Anteil hundertsiebenundsechzig Pfund. ›So ist es zuletzt doch gekommen‹, dachte ich.

»Ich hatte nie in meinem Leben eine solche Hand voll Geld, allein ich hoffe, es wird bald wieder der Fall sein. Sobald ich nach Hause gekommen war, schüttete ich es auf den Tisch, betrachtete es, und sagte dann zu mir selbst: ›Nun, Terenz O'Brien, willst du das Geld für Dich behalten, oder nach Hause schicken?‹ Dann dachte ich an Pater M'Grath und den Stuhl, welcher nach meinem Kopfe geworfen worden, und war nahe daran, es alles wieder einzustreichen und in meine Tasche zu stecken. Aber dann fiel mir meine Mutter wieder ein, die Kühe, das Schwein und der Hausrat, welche fort waren, und meine Brüder und Schwestern, welche nichts zu nagen und zu beißen hatten, und ich gelobte mir, ihnen jeden Heller zu schicken; Pater M'Grath würde dann auch nicht länger Anstand nehmen, mir Absolution zu erteilen. Ich schickte ihnen das Ganze und behielt für mich bloß den Sold, den ich empfangen hatte, der sich auf dreißig Pfund belief. Nie in meinem Leben fühlte ich mich glücklicher, als damals da ich das Geld auf dem Postbüreau in Sicherheit und glücklich aus meinen Händen wußte. Ich schrieb zugleich ein Briefchen an meinen Vater, folgenden Inhalts:

 

»›Geehrter Vater!

Seit unserm letzten angenehmen Zusammentreffen, bei welchem Ihr den Stuhl nach meinem Kopfe warfet, die Taube fehltet und die Krähe trafet, bin ich gestorben und begraben worden, aber nun befinde ich mich, Gott sei Dank, ganz wohl, und brauche keine Absolution von Pater M'Grath, den Unheil treffen möge. Was aber die Hauptsache ist, ich habe eben meinen Anteil am Prisengeld empfangen, das erste, welches mir eingehändigt wurde, seitdem ich in Seiner Majestät Diensten stehe. Ich sende Euch hiermit jeden Pfennig, damit Ihr Eure alten Kühe, das Schwein und die übrigen Gegenstände zurückerhalten könnt, welche verpfändet wurden, um meine Ausrüstung zu bezahlen. Fraget also nicht mehr, ob ich mich nicht vor mir selbst schämen wolle, schämet vielmehr Ihr Euch, daß Ihr einen gehorsamen Sohn, wie mich, mißhandelt, welcher auf Euer Geheiß zur See ging und seitdem nie eine wirklich gute Kartoffel in seinem Munde gehabt hat. Ich bin ein echter O'Brien, sagt das meiner Mutter, und gedenke nicht, Protestant zu werden, sondern die Religion meines Landes aufrecht zu erhalten, obschon der Teufel Pater M'Grath holen mag und sein Weihwasser auch dazu. Ich werde nicht zu Euch zum Besuche kommen, da Ihr vielleicht einen andern Stuhl für mich in Bereitschaft habt und das nächste Mal besser treffen könntet. So viel für jetzt von Eurem zärtlichen Sohn

Terenz O'Brien

 

»Ungefähr drei Wochen darauf erhielt ich von meinem Vater einen Brief, worin er mir schrieb, ich sei ein echter O'Brien, und wenn jemand das Gegenteil anzudeuten wage, so werde er ihm alle Knochen im Leibe zerbrechen; sie hätten das Geld empfangen, und dankten mir als einem wahren Gentleman; ich sollte, wenn ich das nächste Mal komme, den besten Stuhl im Hause haben, nicht für meinen Kopf, sondern für mein Sitzfleisch; Pater M'Grath schicke mir hier seinen Segen, und habe mir für alles, was ich gethan, oder in den nächsten zehn Jahren begehen würde, Absolution erteilt. Meine Mutter habe vor Freuden über mein pflichtgemäßes Betragen geweint, und alle meine Brüder und Schwestern (ausgenommen Tim, welcher den andern Tag, nachdem ich sie verlassen, starb) wünschten mir viel Glück, und recht viel Prisengeld, damit ich es ihnen nach Hause schicken könne.

»Dies war alles sehr angenehm, und ich hatte nun nichts im Sinne, als ein anderes Schiff zu bekommen. Ich ging daher zu dem Hafenadmiral und erzählte ihm, wie es gekommen sei, daß ich mein letztes Schiff verließ. Er erwiderte, gestorben und begraben worden sein, wäre ein ganz zureichender Grund für einen, seinen Abschied vom Schiffe zu erhalten, er wolle mir einen Platz auf einem andern verschaffen, weil ich nun wieder zum Leben gekommen sei. Ich wurde an Bord des Wachschiffes geschickt, wo ich ungefähr zehn Tage blieb, und dann für diese Fregatte bestimmt; und damit schließt meine Geschichte, auch schlägt es gerade acht, somit hat auch die Wache ein Ende; spring schnell, Peter, ruf Robinson, und sage ihm, ich lasse ihn bitten, er solle nicht wieder wie das letzte Mal einschlafen, und mich nicht gegen alle Vorschriften und Regeln des Dienstes hier herumtraben lassen.«

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