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Zweites Kapitel.

Wir segeln nach Westindien. Ein Freiwilliger wird zurückwiesen und ans Land gesetzt, aus Gründen, welche dieses Kapitel dem Leser zur Genüge auseinandersetzen wird.

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Wir freuten uns sehr, als der Hafenmeister an Bord kam, um uns in den Sund zu bringen, noch mehr aber, als wir bemerkten, daß die Brigg, welche unmittelbar vor O'Briens Anstellung vom Stapel gelassen worden, sich beim Auslaufen als ein schneller Segler erwies. Auch auf hoher See behauptete sie diesen Ruf, denn sie segelte wunderbar gut, stach jedes Fahrzeug aus und überholte in sehr kurzer Frist jeden jagdbaren Gegenstand; dabei ließ sie sich wie von Zaubergewalt gegen den Wind drehen und im Nu zu einem Gang umholen. Nachdem wir drei Tage im Sund gelegen, wurde die Mannschaft ausbezahlt, und wir erhielten Ordre, sobald die nächste Abendpost angelangt sei, mit Depeschen nach Jamaika zu segeln. Wir brachen mit schönem Winde auf und hatten den Kanal bald im Rücken. Unsere ganze Zeit wurde nun durch Einübung unserer neuen Matrosen in Anspruch genommen, die den Dienst am Geschütze lernen und strenge Ordnung im Geschäfte gewöhnt werden mußten. Auch herrschte, als wir den Wendekreis erreichten, bereits die schönste Zucht auf dem Schiffe. Der erste Leutnant war ein etwas eigener Charakter; sein Bruder war ein reicher Fuchsjäger, und dem Beispiele desselben zufolge hegte er eine große Vorliebe für die Belustigungen derartiger Herren. Er kannte die gewinnenden Rennpferde zu Derby und Oaks von zwanzig Jahren her, war in alle Boxergeheimnisse eingeweiht, führte eine gute Büchse und hatte seinen Hühnerhund mit an Bord. In anderem Betracht war er ein großer Stutzer, trug sogar im Dienste Handschuhe, hatte eine schöne gentlemanische Haltung und galt für einen gar nicht üblen Seemann: das heißt, er kannte den Dienst hinreichend, um seine Obliegenheiten gut zu verrichten, auch schoß er sich mit jedem Tage besser ein, da er als erster Leutnant thätig sein mußte und auch seiner Stellung keine Unehre machen wollte. Nie traf ich einen angenehmeren Tischgefährten oder einen ehrenhafteren Mann.

Einer Brigg stehen nur zwei Leutnants zu. Der Meister war zwar ein etwas rauher junger Mann, dabei aber wohlwollend, einsichtsvoll und stets guter Laune. Der Wundarzt und der Zahlmeister vervollständigten unsere Tischgesellschaft. Von diesen läßt sich nicht viel sagen – höchstens, daß der erste zu viel Hofmann, der andere zu sehr Geizhals war. Indes sind Zahlmeister in der Regel Personen, gegen die mehr gesündigt wird als sie selbst sündigen.

Während ich übrigens von der Brigg und ihren Offizieren spreche, habe ich fast vergessen, eines Umstandes zu erwähnen, der sich zwei Tage vor unserer Abfahrt zutrug. Ich war mit O'Brien in der Kajütte, als Herr Osbaldistone, der erste Leutnant, hereinkam und die Meldung machte, daß ein junger Mensch an Bord gekommen sei, um als Freiwilliger einzutreten.

»Was ist's für ein Schlag?« fragte O'Brien.

»Ein recht hübscher Bursche, sehr schmächtig, Sir«, versetzte der erste Leutnant; »wir haben zwei freie Stellen.«

»Gut; sehen Sie, was Sie aus ihm machen können, und wenn Sie glauben, er lasse sich an, so können Sie ihn in die Bücher eintragen.«

»Ich habe ihn probiert, Sir. Er sagt, er sei eine kurze Zeit zur See gewesen. Ich hieß ihn das Haupttakelwerk hinaufsteigen, aber das schien ihm nicht sehr zu behagen.«

»Nun, thun Sie, wie Ihnen gutdünkt, Osbaldistone«, versetzte der Kapitän. Darauf verließ der erste Leutnant die Kajütte und kehrte nach ungefähr einer Viertelstunde wieder zurück.

»Mit Erlaubnis, Sir«, sagte er lachend, »ich sandte den Jungen zu dem Wundarzte hinunter, der ihn untersuchen sollte, und da weigerte er sich, seine Kleider auszuziehen; der Wundarzt sagt, er meine, es sei eine Weibsperson. Ich nahm sie dann auf das Halbdeck, aber sie wollte auf keine meiner Fragen antworten und verlangte mit Ihnen zu sprechen.«

»Mit mir?« rief O'Brien überrascht. »O, vermutlich die Frau eines der Matrosen, die es versucht, ob sie nicht verstohlenerweise die Fahrt mitmachen kann. Wohlan, schicken Sie sie herunter, Osbaldistone, und ich will ihr beweisen, wie moralisch unmöglich es ist, daß sie auf Seiner Majestät Brigg, der Klapperschlange, mitsegelt.«

Nach einigen Minuten schickte sie der erste Leutnant nach der Kajütte herunter. Bei ihrem Eintritt wollte ich mich entfernen, aber O'Brien hieß mich bleiben.

»Du darfst nicht fort, Peter«, sagte er lachend; »meine Reputation steht auf dem Spiele, wenn ich allein bleibe.«

Die Schildwache öffnete die Thür. Mochte es nun ein Mädchen oder ein Knabe sein, ein ansprechenderes Gesicht habe ich nie gesehen. Das Haar war dicht abgeschnitten, wie bei einem Jungen, und ich konnte nicht sagen, ob der Argwohn des Wundarztes richtig war.

»Ihr wünscht mich zu sprechen? – heiliger Patrik!« rief O'Brien, ihr betroffen ins Gesicht sehend. Dann bedeckte er sein Gesicht, beugte sich über den Tisch und rief aus: »Mein Gott, mein Gott!«

Inzwischen wurde die junge Person abwechselnd totenblaß und glühend rot. Ich sah, daß sie am ganzen Leibe zitterte und ihre Kniee zusammenschlugen; hätte ich nicht geeilt, so wäre sie auf das Deck niedergesunken – es war wirklich ein Frauenzimmer.

Ich bemerkte, daß sie ohnmächtig geworden war, und legte sie auf den Boden, um etwas Wasser zu holen. O'Brien trat auf sie zu.

»Mein armes, armes Mädchen«, sagte er bekümmert. »O Peter, das ist ganz Deine Schuld.«

»Meine Schuld? Wie mag sie hierher gekommen sein?«

»Bei allen Heiligen, die für uns bitten – so lieb mir auch mein Schiff und meine Bestallung ist, so wollte ich doch mit Freuden alles aufgeben, wenn ich dies ungeschehen machen könnte.«

Da O'Brien über sie niedergebeugt war, so rannen die Thränen seiner Augen auf ihr Gesicht nieder, während ich sie zu gleicher Zeit mit Wasser besprengte. Ich dachte mir wohl, wer sie sein mochte, obschon ich sie nie gesehen hatte. Es war das Mädchen, welcher O'Brien Liebe geheuchelt hatte, um ihr das Geheimnis von der Unterschiebung des Kindes meines Onkels zu entlocken, und als ich die Scene mit ansah, konnte ich nicht umhin, mir zu sagen: »wer will nun behaupten, daß der Zweck die Mittel heiligt?« Das arme Mädchen gab wieder einige Lebenszeichen von sich, und O'Brien winkte mir mit der Hand zu, indem er sagte:

»Verlaß uns, Peter, und sieh zu, daß niemand hereinkommt.«

Ich blieb beinahe eine Stunde neben der Schildwache vor der Kajüttenthür stehen und wies viele zurück, welche eintreten wollten. Endlich öffnete O'Brien die Thür und bat mich, sein Beischiff bemannen zu lassen und dann hereinzukommen. Das arme Mädchen hatte augenscheinlich bitterlich geweint, und O'Brien war sehr ergriffen.

»Es ist alles in Ordnung, Peter. Du mußt mit ihr ans Land gehen und darfst sie nicht verlassen, bis Du sie wohlbehalten auf der Abendpostkutsche untergebracht hast. Erweise mir diesen Gefallen – ja, Du hast sogar die Verpflichtung dazu, denn Du bist teilweise die Veranlassung.«

Ich drückte O'Brien's Hand und gab keine Antwort. Das Boot wurde als fertig gemeldet, und das Mädchen folgte mir mit festem Schritte. Ohne eine Frage an sie zu stellen, brachte ich sie ans Ufer, sorgte für ihr Unterkommen auf der Postkutsche und kehrte dann an Bord zurück.

»Komme an Bord, Sir«, sagte ich, mit dem Hute in der Hand eintretend, und mich nach dem Dienstreglement meldend.

»Danke Dir«, versetzte O'Brien; »schließe die Thür, Peter. Sage mir, wie sie sich benahm – was sie gesprochen.«

»Sie sprach nichts; auch stellte ich keine Frage an sie. Sie schien sich willig in Deine Vorschriften zu fügen.«

»Setze Dich, Peter. In meinem ganzen Leben fühlte ich mich nie so unglücklich, und ich habe einen eigentlichen Abscheu vor mir selber. Es ist mir, als könnte ich nie wieder froh werden. Den Seemann bringt seine Lebensweise nur mit dem schlechtesten Teile des weiblichen Geschlechts in Berührung, und der wahre Wert des besseren bleibt uns unbekannt. Ich ließ mir nicht träumen, als ich diesem armen Mädchen Unsinn vorschwatzte, daß ich eines der liebevollsten Herzen brach – daß ich das Glück eines Wesens zum Opfer brachte, welches mit Freuden sein Leben für mich dahingegeben hätte. Seit Du fort gewesen bist, habe ich wohl zwanzigmal in den Spiegel geblickt, nur um mich zu überzeugen, ob ich nicht wie ein Spitzbube aussehe. Aber bei dem Blute des heiligen Patrik, ich meinte, Weiberliebe sei just wie die unsrige, und ein dreimonatlicher Kreuzzug könne alles wieder zurechtsetzen.«

»Ich glaubte, sie sei nach Frankreich gegangen.«

»Ich gleichfalls; aber nun hat sie mir die ganze Geschichte erzählt. Pater O'Toole und ihre Mutter brachten sie in der Nähe von hier an die Küste, um sie in einem Schmugglerboote nach Dieppe zu schaffen. Als das Boot des nachts ans Land kam, um sie einzunehmen, gingen die Mutter und der schurkische Pfaffe an Bord; sie meinte die ganze Welt zu verlieren, wenn sie dem Lande den Rücken kehrte, in welchem ich weilte, und dies hielt sie festgebannt. Die Zollwächter kamen herunter; es wurden einige Pistolen abgefeuert und das Boot fuhr ohne sie ab, so daß sie mit dem gemeinschaftlichen Gepäcke am Ufer blieb. Die Zollwächter führten sie nach der nächsten Stadt, wo sie ein Verhör bestehen mußte und dann wieder entlassen wurde. In Pater O'Tooles Gepäck fanden sie Briefe, welche sie las und daraus entnahm, daß sie und ihre Mutter zu Dieppe in einem Kloster hatten untergebracht werden sollen. Das Kloster war in den Briefen genannt – sie sollen wichtig sein, sagte sie, aber ich habe noch nicht den Mut gehabt, sie zu lesen. Sie ging sodann zu den Leuten, von deren Hause aus sie sich eingeschifft hatte, und bat dieselben, das Gepäck und einen Brief an ihre Mutter zu besorgen; sie schickte alles ab, nur die Briefe nicht, die sie für mich behielt. Sie hat seither ein Schreiben von ihrer Mutter erhalten, worin ihr diese meldet, sie sei wohlbehalten im Kloster angekommen, und die Aufforderung beifügt, sie solle möglichst bald nachkommen. Die Mutter legte eine Woche nach ihrer Ankunft das Gelübde ab, und wir wissen also, wo wir sie zu finden haben, Peter.«

»Und wo will das arme Mädchen jetzt ihren Aufenthalt nehmen, O'Brien?«

»Das ist gerade das Schlimmste an der Sache. Es scheint, sie hoffte, nicht vor unserer Abfahrt entdeckt zu werden, und dann wollte sich das arme Ding zu meinen Füßen legen und über mich wachen während der Stürme. Ich bedeutete ihr jedoch, daß dies nicht angehe, und daß man mir nicht gestatten würde, sie zu heiraten. O Peter, das ist eine sehr traurige Angelegenheit«, fuhr O'Brien fort, indem er mit der Hand über die Augen fuhr.

»Aber, O'Brien, was soll nun aus dem armen Mädchen werden?«

»Sie geht zu meinen Eltern in der Hoffnung, ich werde eines Tages zurückkehren und sie heiraten. An Pater M'Grath habe ich geschrieben, er solle sehen, was zu thun sei.«

»Du hast sie also nicht enttäuscht?«

»Pater M'Grath muß das thun – ich wäre außer stande dazu – es würde ihr den Tod gebracht haben – es wäre ein Dolchstoß für ihr Herz gewesen, und ich hätte ihn nicht zu führen vermocht. Lieber wäre ich gestorben – oder ich hätte sie geheiratet, als dies gethan, Peter. Vielleicht trägt sie's besser, wenn ich weit weg bin. Pater M'Grath wird's schon einleiten.«

»O'Brien, dieser Pater M'Grath gefällt mir gar nicht.«

»Du magst recht haben, Peter; mir gefällt auch nicht gerade alles, was er sagt, aber was kann ein Mensch thun? – Ist man Katholik, so muß man glauben als Katholik, oder man ist nichts. Soll ich meine Religion verlassen, nun sie verfolgt wird? Nie, Peter; ich hoffe nicht – wenigstens müßte ich dann eine finden, die viel besser wäre. Indes, leider muß ich gestehen, daß dieser Rat meines Beichtvaters im Widerspruch mit meinem Gewissen steht. Pater M'Grath ist zwar ein weltlicher Mann, doch beweist dies bloß sein eigenes Unrecht, und nicht das unserer Religion; – nun, ich mache mir nichts daraus, mit Dir über diesen Gegenstand zu sprechen. Niemand weiß, daß ich Katholik bin, Dich ausgenommen, und bei der Admiralität hat man mir nie jenen Eid abgenommen, den ich nie leisten würde, obgleich Pater M'Grath sagt, ich könne gegen die Ketzer jeden Eid leisten, er wolle mir Absolution dafür geben. Peter, mein lieber Freund, sprechen wir nicht mehr davon.«

Ich schwieg. Da indes die arme Ella Flannagan nicht mehr zum Vorschein kommen wird, so will ich hier ihre Geschichte zu Ende bringen. Ungefähr drei Monate nachher erhielten wir einen Brief von Pater M'Grath, worin er anmeldete, das Mädchen sei wohlbehalten angelangt und komme den alten O'Brien's sehr zu statten, welche sie bei sich zu behalten wünschen; ferner habe er ihr gesagt, wenn einer eine Kapitänsanstellung erhalte, so sei das ebensoviel, wie wenn er als Mönch in ein Kloster ginge, und könne daher nie heiraten. Das arme Mädchen schenkte ihm Glauben, und da sie O'Brien auf immer für sich verloren hielt, so ging sie auf Pater M'Graths Rat in eines der irländischen Klöster, um, wie sie sagte, Tag und Nacht für ihn beten zu können. Viele Jahre nachher hörten wir von ihr, sie sei wohl und fühle sich nicht unglücklich, aber O'Brien konnte sich sein Benehmen gegen das arme Kind nie verzeihen. Es wurde für ihn eine Quelle unablässiger Gewissensbisse, und ich glaube, es hat ihm's bis ans Ende seines Lebens angethan.

Ich muß jedoch diesen betrübenden Gegenstand verlassen und zu der Klapperschlange zurückkehren, welche nun in Westindien angelangt ist und sich bei Jamaika dem Admiral angeschlossen hat.

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