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Während die Tuareg mit ihren Gefangenen noch am Nachmittage in der Wüste lagerten, kamen sieben Kamelreiter durch die Wüste gezogen, und zwar von Westen nach Osten, geradeswegs auf die Messingstadt zu, von der sie freilich bis heute morgen keine Ahnung gehabt hatten.
Die Männer waren Flüchtlinge aus der französischen Fremdenlegion in Algier. Die Umstände hatten sie veranlaßt, diesen gefahrvollen Weg einzuschlagen, auf dem sie wenigstens vor ihren Verfolgern sicher waren, die sie mehr fürchteten als die Schrecken der Wüste.
Ihr Anführer war Leutnant Otto von Helling. Vier seiner Begleiter waren Deutsche: Heinrich Müller, ein Preuße, Paul Stängle, ein Schwabe, Max Staibacher, ein Bayer, und Louis Bader, ein Elsäßer. Der sechste in der Gesellschaft stammte aus Oberitalien und nannte sich Carlo Boretti, und der siebente war ein Pole, Nepomuk Leczinski.
Die Flüchtlinge befanden sich zur Zeit in höchster Not. Schon über zwei Wochen hatten sie ihre Kamele nicht mehr tränken können und sich selber mit einem höchst ungenügenden täglichen Trunk begnügen müssen. Jetzt war jedoch ihr letzter Wasservorrat erschöpft, und sie waren dem Verdursten nahe.
Nun hatten sie heute morgen von ferne die Messingstadt entdeckt und ritten auf sie zu, in der Hoffnung, hier endlich eine rettende Quelle zu finden.
Diese ausgedehnte Stadt mitten in einer öden, unbekannten Wüste war ihnen freilich ein Rätsel: nie hatten sie von einer menschlichen Ansiedelung gehört, die sich in diesen weltverlassenen Gegenden befinde. Was man durch das Fernrohr hatte erkennen können, machte durchaus nicht den Eindruck des Verfalls, so daß sie annehmen mußten, es handle sich um eine bewohnte Anlage. Wer aber konnte hier wohnen? Doch wohl nur Tuareg oder sonstige Wüstenräuber, obgleich diese nicht in wohlgebauten Städten zu Hausen pflegen. Etwas Märchenhaftes, sogar Unheimliches hatte dieses Wunder der Wüste jedenfalls für die Ankömmlinge. Aber Wasser mußten sie haben, wenn sie nicht binnen kurzem zugrunde gehen sollten: darum galt es, auf dies Ziel loszusteuern.
Leutnant Helling war ein gewiegter und vorsichtiger Mann: er rechnete damit, daß sie in den vermutlichen Bewohnern der Stadt Feinde finden könnten, und ehe er hierüber Gewißheit hatte, wollte er seine kleine Schar keiner Gefahr aussetzen.
Als daher der bisher ebene Sandboden in der Nähe der geheimnisvollen Stadt einen hügeligen Charakter annahm, sandte er stets den gewandten Schwaben Paul Stängle voraus, der abstieg und kriechend den nächsten Dünenkamm erkletterte, um über dessen Scheitel unbemerkt das dahinterliegende Dünental überblicken zu können.
So entdeckte Stängle in einem dieser Einschnitte die lagernden Tuareg mit ihren Gefangenen.
Helling beschloß sofort, einen Befreiungsversuch zu unternehmen, wollte jedoch, um des Gelingens sicherer zu sein, das Dunkel der Nacht abwarten, ehe er den Überfall wagte.
Gegen Abend brachen die Tuareg auf und näherten sich der Stadt, vor deren Mauern sie lagerten. Das konnte der Leutnant, vorsichtig ausspähend, durch sein Fernglas beobachten.
So wie es dunkelte, schlug er mit seinen Leuten den gleichen Weg ein und erreichte die Oase, wo die Kamele festgebunden wurden, worauf die sieben Männer kriechend vordrangen, bis sie das Lager zu überblicken vermochten. Zu ihrer grenzenlosen Überraschung sahen sie, daß die Gefangenen, Weiße und Araber, sich bereits selber befreit hatten, und sich im Kampf mit den wenigen Tuareg befanden, von denen sie gefangen gehalten worden waren.
Flüsternd gab Helling seinen Kameraden rasch die nötigen Anweisungen. Gleich darauf blitzten ihre Gewehre auf und fünf der Tuareg fielen, schwer getroffen, zu Boden.
Was war inzwischen mit unseren Freunden vorgegangen, und wie hatten sie sich entfesseln können, um den Kampf aufzunehmen?
Das war folgendermaßen zugegangen:
Die Harmonika hatte im Lager ihre Hände befreit, auf die Art, die wir schon kennen. Dann wartete sie noch geduldig bis alle, außer den Wächtern, in tiefen Schlaf versunken waren. Als sie glaubte, dessen versichert sein zu dürfen, löste sie mit äußerster Vorsicht Franzls und Rommels Bande, da diese beiden ihr zur Rechten und Linken lagen.
Die Befreiten leisteten dann den gleichen Dienst ihren Nachbarn, und alles geschah so geräuschlos und anscheinend unbeweglich, daß die Wächter, die sich von derartigen Vorgängen nichts träumen ließen, völlig arglos blieben.
Jetzt galt es, die Wachmänner möglichst plötzlich zu überrumpeln und am Lautgeben zu verhindern. Peter und Franzl waren zu dieser Aufgabe ausersehen, da die beiden Tuareg zu beiden Enden der Gefangenenreihe ihnen zunächst hockten, wobei es noch besonders vorteilhaft war, daß eben sie schon Übung in solchen Überfällen hatten von dem ersten Beduinenüberfalle her.
Äußerst ungünstig jedoch war der leidige Umstand, daß sie die Männer in ihrem Rücken hatten, und dann sind Tuareg eben durchaus keine Beduinen: das sollten sie bald zu ihrem Schaden erfahren.
Der Preuße und der Bayer sprangen gleichzeitig auf, wandten sich und stürzten auf die Verblüfften zu, die aber ihre Geistesgegenwart durchaus nicht verloren. Sie sprangen ebenfalls sofort auf mit einem hellen Schrei, der die Schläfer augenblicklich weckte. Zugleich schwangen sie ihre furchtbaren Lanzen, um die waffenlosen Angreifer zu durchbohren.
Billinger war der Lage gewachsen: blitzschnell hatte er die ihm entgegengezückte Lanze ergriffen, und, ungeachtet, daß ihm die Widerhaken die Hände verwundeten, riß er sie mit gewaltigem Rucke an sich. Der Targi hatte ein solch kühnes Wagnis so wenig erwartet, daß ihm der Schaft wirklich entglitt. Aber auch diese überraschende Entwaffnung konnte den Mann nicht aus der Fassung bringen: in der nächsten Sekunde schon hatte er sein Gewehr angelegt.
Hier galt es kein Besinnen: Abu Barlah mußte seinen Gegner sofort mit der erbeuteten Lanze durchbohren, wenn er nicht selber im nächsten Augenblick eine Leiche sein sollte. Sein Stoß war so wohlgezielt und kräftig, daß der Wächter leblos zu Boden fiel.
Ohne Zögern entriß ihm Franz das Gewehr und wandte sich dem Lager zu: es war die höchste Zeit; denn schon stürmte der Scheich auf ihn ein und sandte ihm zunächst seinen Wurfspeer, dem der Bedrohte gerade noch durch einen Seitensprung ausweichen konnte. Inzwischen war der Feind so nahe gekommen, daß er seine Lanze auf Abu Barlah zücken konnte: da aber traf ihn dessen Kugel und machte auch seinem Leben ein rasches Ende.
Unterdessen wäre es Peter beinahe übel ergangen. Auch gegen ihn schwang der unversehens überfallene Wächter die Lanze und hätte ihn unfehlbar durchbohrt. Da, im Augenblicke dringendster Gefahr, fiel ein Schuß und der Speerschwinger stürzte nieder, in den Rücken getroffen.
Die befreiten Gefangenen waren alle aufgesprungen: allein sie hatten keine Waffen. Trotzdem kam ihnen so ziemlich allen der Gedanke: sie waren über hundert gegen neun, wenn auch wohlbewaffnete Feinde. Es mußte ihnen unbedingt gelingen, diese zu überwältigen, wenn auch mancher dabei sein Leben einbüßen würde. So stürzten sie den Tuareg entgegen, die ihrerseits auf sie eindrangen.
Ehe es jedoch zum Handgemenge kam, knatterte eine richtige Salve und fünf der Amoscharh, wie sie sich selber nennen, fielen schwergetroffen zu Boden.
Inzwischen hatte auch Peter so viel Vernunft gezeigt, daß er dem toten Wächter zu seinen Füßen die Büchse abnahm, mit der er einen Mann niederstreckte, der sich ihm zugewandt hatte.
Die drei übrigen wurden von den Kameltreibern umzingelt, ihrer Waffen beraubt und mit denselben niedergestoßen. So weit kam es freilich erst, nachdem nicht weniger als fünf Araber durch Lanzenstiche getötet und drei verwundet worden waren. Von den letzteren erlag einer in der Folge seinen schweren Verletzungen, die beiden andern genasen.
Die Deutschen, außer Peter und Franz, waren gar nicht mehr zur Beteiligung am Kampfe gekommen, weil die Kameltreiber den Tuareg näher standen und die drei Mann, die bei Beginn des Handgemenges allein noch am Leben waren, unverzüglich in die Mitte genommen hatten.
So waren die Wüstenräuber bis auf den letzten Mann aufgerieben, und keiner konnte die Nachricht von der Auffindung der schätzereichen Messingstadt seinem Stamme überbringen.
Unsern Freunden tat es aufrichtig leid, daß ihre Befreiung soviel Menschenleben gekostet hatte, wenn es auch in der Hauptsache räuberische Gesellen waren, denen es unter Umständen auf Mord und auch Massenmord nicht ankam: aber da war nun nichts zu machen: ihr eigenes Leben und das ihrer Gefährten hatte, so wie sich die Dinge entwickelten, nicht anders gerettet werden können. Ihr Gewissen konnte ihnen auch bezeugen, daß keiner von ihnen ohne dringendste Not einen Gegner angegriffen hatte und daß die Haupthilfe ihnen auf ganz rätselhafte Weise von unbekannter Seite her gekommen war.
Nach diesen geheimnisvollen Helfern sahen sich alle um, nachdem binnen wenigen Minuten die ganze blutige Schlacht ihr Ende gefunden hatte.
Da tauchten sie auch auf, hinter den Bäumen im Hintergrund vortretend: sieben Mann mit Gewehren bewaffnet.
Ihr Anführer trat auf die Deutschen zu und wandte sich an Rommel, den er mit Recht für das Haupt der kleinen Gesellschaft ansah. Denn nach dem Verschwinden des Paschas erkannten die andern stillschweigend den Professor als ihren Befehlshaber an: sonst konnte ja niemand in Betracht kommen.
»Ich danke Gott,« sagte Helling, »daß er uns gerade zur rechten Zeit zur Stelle kommen ließ, um Ihnen bei ihrem gefahrvollen Befreiungsversuch wirksamen Beistand leisten zu können. Wir hatten in der Wüste erkundet, daß die Tuareg Sie gefangen hielten, und erkannten Sie als Landsleute, denn auch wir sind alle Deutsche, bis aus einen italienischen Kameraden. Wir folgten Ihnen, sobald es dunkel wurde, mit der Absicht, einen Befreiungsversuch zu unternehmen, und fanden bei unserer Ankunft in der Oase zu unserem Erstaunen, daß Sie schon selber am Werke waren, sich frei zu machen. Immerhin konnten wir gerade noch mit einigen wohlgezielten Schüssen eingreifen und dadurch wohl größere Verluste auf Ihrer Seite verhindern, da Sie waffenlos waren.«
Alle sprachen den edelmütigen Rettern ihren wärmsten Dank aus. Die Harmonika fügte, zu Helling gewandt, noch hinzu: »Denken Sie sich: ich hatte eine Ahnung, daß sich eine Schar dieser Oase nahte; denn gegen Mitternacht begann der Berg im Osten ganz leise zu singen, und das soll ein sicheres Anzeichen für das Nahen einer Karawane sein.«
»Jetzt kann ich mir auch die rätselhafte Wolke erklären,« sagte Rommel, »die um die gleiche Zeit aufstieg und eine Weile den Mond verfinsterte. Wolken sind hier eine so überaus seltene Erscheinung, die oft jahrelang nicht zu beobachten ist, daß ich mich höchlichst über sie verwunderte. Nun soll es aber vorkommen, daß bei der Annäherung einer Schar von Menschen, je nach ihrer Zahl, eine größere oder kleinere Wolke einherzieht, und so wollte gewiß auch dieses Phänomen ihre Ankunft vorausverkündigen.«
Die Mitglieder der beiden Gesellschaften stellten sich jetzt einander gegenseitig vor, und Billinger war besonders erfreut, in Max Staibacher einen engeren Landsmann zu erkennen, wie sich Peter freute, daß auch ein Preuße, Heinrich Müller, sich unter den Ankömmlingen befand.
Gleich beim Betreten der Oase hatten die Fremdenlegionäre im Bache ihren rasenden Durst stillen können, was ihnen neue Kräfte für den bevorstehenden Kampf gab. Jetzt löschten sie erneut ihren Durst. Zugleich wurden einige Araber ausgesandt, ihre zurückgelassenen Kamele zu holen und zu tränken. Dann gab man sich noch einige Stunden dem Schlafe hin. Am nächsten Morgen wurden zunächst die gegenseitigen Erlebnisse ausgetauscht.
Als Helling von dem Verschwinden des Paschas vernahm, und daß seine neuen Freunde entschlossen waren, die ganze Stadt nach seinem Verbleib zu durchforschen, erklärte er, sich mit den Seinigen an diesen Nachforschungen beteiligen zu wollen. Sie bedürften ja so wie so mehrere Tage der Erholung nach ihren letzten Leiden und Mühsalen, und dazu sei eben dieser Ort mit seinem Reichtum an Wasser und Früchten vorzüglich geeignet. Sodann wäre es Torheit für beide Teile, wenn sie sich inmitten gefahrvoller Wüsteneien wieder voneinander trennen wollten: zu ihrem beiderseitigen Heil hatte Gott sie zusammengeführt, nun wollten sie auch beieinander bleiben. Endlich habe des Paschas rätselvolles Schicksal ihre ganze Teilnahme erweckt, und sie wollten tun, was in ihren Kräften liege, um es aufzuhellen.
Rommel und die Seinigen konnten sich dieses Entschlusses selbstverständlich nur freuen und die Hilfe dankbar annehmen.
Sie suchten sich nun ein geeignetes Gebäude in der Messingstadt aus, das die Weißen bezogen, während die Araber in benachbarten Häusern Unterkunft fanden.
Von hieraus sollte dann die gründlichste Suche nach dem verschwundenen Kapitän unternommen werden.
Und alle gelobten sich, nicht zu rasten, noch diese unheimliche Stätte zu verlassen, bis sie ihre Aufgabe gelöst und den Pascha gefunden hätten, – tot oder lebendig!