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17.
Ein Überfall

Während Baron Erich mit Rommels Diener im Schatten eines Felsens sein bescheidenes Mahl verzehrte, tauchten zwei Beduinen auf den Felsen auf, die das Tal im Süden abschlossen. Als sie die Kamele erblickten, verbargen sie sich rasch hinter einem überragenden Block und erkundeten die Lage, ohne selber gesehen werden zu können.

»Allah bewahre uns!« flüsterte der eine: »Der Scheitan, der Teufel, hat unser Geheimnis verraten. Keiner Seele außer unserm Stamm, war der Brunnen bekannt, den wir hier anlegten und so gut verbargen, nachdem uns die Witterung unseres feinnasigsten Kamels die Quelle verraten, die kein Mensch hier unter dem Sande vermuten konnte. Wenn dieser Brunnen bekannt, und gar auf den fluchwürdigen Karten verzeichnet wird, die den Karawanen so gute Dienste leisten, so ist das der größte Schaden für uns; denn verschmachtende Leute sind leichter zu überwältigen, als solche, die keinen Mangel leiden. Wir müssen es sofort dem Scheich melden. Schau! dort kommen die Besitzer der beiden Kamele hinter dem Felsen vor: es soll ihnen übel bekommen, daß sie unser Geheimnis enthüllten!«

»Es sind Rumih!« erwiderte der andere: »Allah möge sie verdammen, die Ungläubigen! Gewiß gehören sie zu der Karawane, die wir von ferne erblickten, und die gerade hieherzieht. Wahrscheinlich wurden sie als Kundschafter vorausgesandt, und wenn die andern von der Quelle noch nichts wissen, wird sie ihnen von den beiden verraten.«

»Wie aber die Kundschafter oder der Herr der Karawane auf den Gedanken kamen, sich gerade hieher zu wenden, abseits von allen Karawanenstraßen?« begann der erste wieder: »Der Scheitan muß seine Hand im Spiele haben. Wenn die Späher erst einmal hier waren, wurde ihnen das Wasser natürlich durch ihre Tiere verraten. Komm zurück zum Scheich: jedenfalls übernachten die Leute hier, denn die Sonne steht schon tief. Und ich zweifle nicht, daß der Scheich beschließt, sie heute nacht zu überfallen und unschädlich zu machen, schon um des entdeckten Geheimnisses willen, aber auch wegen der Beute.«

Damit entfernten sich die Beduinen über die Felsen nach Süden, während Steinberg und Billinger, die inzwischen die Kamele wieder bestiegen hatten, nordwärts, dem Ausgange des Tales zu ritten. Sie wollten, was sie als ihre dringendste Pflicht ansahen, den Gefährten Kunde von ihrer Entdeckung bringen, die allen das Leben retten konnte.

Sobald die freie Wüste sich wieder vor ihren Blicken dehnte, sahen sie zu ihrer Freude, daß sie nicht weit zu reiten haben würden, denn in der Ferne erblickten sie die ihnen entgegenziehende Karawane, die allerdings nur langsam und mehr schleichend sich vorwärts bewegte.

Nach einem dreiviertelstündigen Ritt erreichten sie die Kameraden und verkündigten ihnen die freudige Botschaft, die wie ein Lauffeuer die Reihen durcheilte und allgemeinen lauten Jubel hervorrief. Nur die drei Verschworenen, wenn sie auch scheinbar mit einstimmten, waren nichts weniger als erfreut über die Kunde, die ihren tückischen Anschlag wieder zuschanden machte.

»Iblis, der oberste der Scheitans, hilft diesen Ungläubigen,« knirschte Abd ul Hagg: »Meine Ahnung täuschte mich nicht, als mir das Abweichen von der Richtung, die ich einhalten wollte, bedenklich erschien! Aber Allah, der Erhabene, ist die Quelle der Allmacht und kein Scheitan kann ihm auf die Dauer widerstehen: er wird zuletzt die Christenhunde in unsere Hände liefern: der Abend aller Tage ist noch nicht gekommen, und der beste und entscheidende Sieg ist immer der letzte.«

Mit neuem Mut und neuer Spannkraft ging es jetzt dem rettenden Tale zu. Es war, als ob nun auch die Kamele das nahe Wasser witterten, und das war jedenfalls auch der Fall. Wenn auch kein anderes die außerordentlich scharfe Witterung besaß, die Steinbergs Sedassi und nächst ihm Billingers Teni bewiesen hatten und welcher die Entdeckung der Quelle zu verdanken war, so merkt doch jedes Kamel auf ziemlich große Entfernungen an einem geringen Feuchtigkeitsgehalt der Luft das Vorhandensein eines Brunnens, mag er noch so gut verborgen sein. Die beschleunigte Gangart, in welche die erschöpften Tiere verfielen, bewies zur Genüge, daß dies auch jetzt zutraf, und wenn sie auch nicht mit den frischen Kräften der beiden getränkten Kameraden auszuschreiten vermochten, so konnten sie doch in einer starken Stunde zur Stelle sein.

Die beiden Beduinen, die, wie wir wissen, die Entdeckung des verheimlichten Brunnens und das Nahen der Hauptkarawane erkundet hatten, waren inzwischen schon längst mit ihrem auf einem Raubzug begriffenen Stamme zusammengetroffen.

Das Brunnental war von einem Einschnitt, der sich auf der Südseite in die Felsen zog, nur durch einen schmalen, kaum zweihundert Meter breiten Felsrücken getrennt. In diesen Einschnitt war der Scheich Habibi mit seinen Kriegern bereits eingedrungen, als seine Späher zurückkehrten und ihm von ihrer unliebsamen Beobachtung Nachricht brachten.

Sofort traf der erboste Scheich seine Anordnungen. Er verbarg seine Leute auf dem mit Blöcken übersäten Zwischenwall und auf den Felsenmauern, die sich zu beiden Seiten des Tales hinzogen, und die ebenfalls sichere Deckung zur Genüge boten. Die äußersten Vorposten schob er auf den niedrigen Wällen bis an den Eingang der Schlucht vor, so daß sie die Wüste gegen Norden bis zum Horizont überblicken konnten.

Auf diese Weise war das Tal von drei Seiten umzingelt, und der Ausgang nach der Wüste konnte jederzeit besetzt und abgesperrt werden.

Alle befanden sich schon eine Weile auf ihrem Posten, unsichtbar für jeden Ankömmling, als die Karawane anlangte.

Bald war der Brunnen von durstigen Seelen belagert, die sich des bevorstehenden Genusses freuten und es kaum erwarten konnten, bis sie an die Reihe kamen. Doch herrschte die vom Pascha streng aufrecht erhaltene Zucht, und keiner drängte sich ungebührlich vor, wußte doch jeder, daß er bald seine Gier nach dem lebenspendenden Trunke befriedigen dürfe.

Wie immer, kamen die weiblichen Mitglieder der Gesellschaft zuerst daran, dann die übrigen Europäer, hernach die Araber nach Rang und Würde, der Pascha jedoch zuletzt. Gleichzeitig wurden die Kamele getränkt, die weniger Zurückhaltung beobachteten und kaum abzuhalten waren, sich regellos auf den Trog zu stürzen. Doch mußte keines gar zu lange warten, da auf jeder Seite des Behälters drei nebeneinander Platz fanden, so daß immer sechs zugleich getränkt werden konnten.

Die Nacht brach herein, als der Durst von Menschen und Tieren endlich seine völlige Befriedigung gefunden hatte, und nun sehnten sich, nach einem kargen Imbiß, alle nur noch nach Ruhe. Die Zelte wurden aufgeschlagen und jeder lagerte sich, so gut es ging.

Feuer konnten keine unterhalten werden, das war man in der Wüste schon gewohnt: denn es mangelte völlig an irgendwelchem Brennmaterial. Zwar wurde der rasch trocknende Kamelmist sorgfältig gesammelt; allein er reichte zur Unterhaltung nächtlicher Feuer bei weitem nicht aus und wurde nur benutzt, um sich zwischenhinein eine warme Mahlzeit bereiten zu können.

Übrigens schienen Wachtfeuer hier auch ziemlich überflüssig: reißende Tiere gab es keine, und das einzige, das zu besorgen war, konnte ein räuberischer Überfall durch Beduinen sein. Ein Feuer, das doch nur einen äußerst beschränkten Umkreis schwach zu erleuchten vermochte, konnte gegen einen solchen wenig nützen, im Gegenteil, die Anwesenheit der Karawane auf weite Entfernung verraten. Ohne ein blendendes Feuer konnten die Wächter bei den nicht sehr dunklen Nächten weiter sehen, ohne selber so leicht gesehen zu werden.

Münchhausen begnügte sich damit, drei Wachtposten am Eingang des Tales aufzustellen; denn daß von einer anderen Seite Gefahr drohen könne, daran dachte niemand.

Bei der geringen Breite der Talmündung konnten die drei Posten einander bequem sehen und lagerten sich sorglos an den bestimmten Plätzen zu beiden Seiten und in der Mitte. Weniger der Vorsicht, als der Abwechslung halber, schritt zuweilen der eine oder der andere auf und ab, oder kamen sie zusammen, um sich ein wenig miteinander zu unterhalten: dadurch konnten sie sich auch am leichtesten des Schlafes erwehren, bis die Ablösung kam. Die Erschöpfung machte sich auch bei ihnen geltend.

Wenn die zwei Stunden abgelaufen waren, die jede Wächtergruppe zu wachen hatte, begab sich einer der drei ins Lager, um die Kameraden zu wecken, denen die nächste Wache zukam: denn bei der Tiefe des Schlafes, in den alle versunken waren, war nicht darauf zu rechnen, daß sie von selber erwachen und zur Ablösung kommen würden.

Der Brunnen und somit das Lager lag einen starken Kilometer weit in der Felsschlucht drinnen, auch machte diese bis dahin mehrere Biegungen, so daß die Posten weder sehen noch hören konnten, was im Lager vorging. Dies sollte sich als verhängnisvolle Unvorsichtigkeit erweisen.

Morgens gegen zwei Uhr gab der Beduinenscheich Habibi das Zeichen zum Überfall. Dieser wurde in aller Stille ausgeführt: die Angreifer kletterten lautlos ins Tal hinab und warfen sich auf die Schläfer, um sie zu entwaffnen und zu fesseln.

Da sie an Zahl den Überfallenen nur wenig nachstanden, gelang der Anschlag beinahe kampflos und fast ohne Blutvergießen.

Die Wachen am Talausgang wurden alsdann durch eine solche Übermacht überrascht, daß sie an eine Gegenwehr gar nicht dachten. Sie hielten auch die Gestalten, die sich absichtlich mit aller Gemächlichkeit ihnen näherten, bis zum letzten Augenblick für Kameraden. Zwar konnten sie sich nicht denken, warum sie schon auf seien und was sie wollten? Noch weniger jedoch konnten sie auf den Gedanken kommen, daß Feinde von dieser Seite anrücken könnten.

Durch eine merkwürdige Fügung waren Franz Billinger und Peter Grill dem Überfall und der Gefangennahme entgangen. Das ging so zu:

Als die andern sich zur Ruhe gelegt hatten, ging der Bayer noch eine Weile vor den Zelten auf und ab, um seine Pfeife auszurauchen; denn es wäre ihm unmöglich gewesen, sie halbgeraucht auszuklopfen oder gar ausgehen zu lassen. Da kam Peter auf ihn zu, der auch noch wach war.

»Du, Franzl,« redete Abu Homrah den Freund an: »Ik habe eene famose Entdeckunk jemacht! Die Nächte sin hier eklig frostik, so schauderhaft heeß die Taje sin. Nu habe ik eene Höhle aufjefunden, een herrliches, janz verborjenes Schlafjemach. Eng is se, aberst tief: ik habe keen Ende abjesehen, vonwejen die Finsternis. Ik saje dich aber, in diese Höhle is et so mollig warm, det ik den wohlüberlechten Beschluß jefaßt habe, ihr zu meenem Nachtquartier zu erheben. Ik lade dir hiemit in, meene Behausung zu teelen, aus Jroßmut und Freundschaft, un weil ik mir gemütlicher fühle, wenn ik det finstre Loch nich alleene bewohne.«

»Is ma glei recht!« schmunzelte der Bayer erfreut: »Is ma ollweil z'wida, dös Geschlotta in da Nocht: wann d's am Tog g'sutten wurst, wie a Kesselfloasch, nachher wurst auf d' Nocht an amerikanischs G'frierfloasch, wo i eh nit schmecken kann. Also, auf zu doaner warmen Kemenaten!«

Die beiden begaben sich zu der hinter Felsen wohl verborgenen Öffnung, durch die man anfangs nur kriechend gelangen konnte. Eine behagliche Wärme strömte ihnen aus den erhitzten Felsen entgegen, während es draußen schon empfindlich kühl war. Sie hüllten sich in ihre Mäntel, legten sich nieder, und schliefen bald ein. Gegen zwei Uhr erwachte Billinger: das wilde Geschrei, das aus dem Lager scholl, sowohl die Schreckensrufe der so unvermutet aus dem Schlaf Geschreckten, als das Siegesgebrüll der Beduinen verursachte ein so großes Getöse, daß es bis in die entfernte Höhle vernehmbar wurde.

Franzl lauschte eine Weile, dann weckte er Peter und sagte: »Preiß, do heraußen is wos los: horch a bißl!«

»In die Tat! Da scheent nich allens in Richtikkeet,« bestätigte Grill, nachdem er eine Weile gelauscht hatte: »Komm, Bayer, wir wollen mal nachschauen, was sich zujetrajen hat. Oder sollte et schonst der Aufbruch sin? Hier innen is et ja wohl ooch bei Taje dunkel.«

»I moan, ma san no mitten in da Nocht. Ausg'schlofen hob i no long nit. I will vuran, geh du hintaher, aber fein vursichtig!«

So schlichen sie aus der Höhle und drangen behutsam so weit vor, bis sie aus dem, was sie sahen und hörten, sich den Sachverhalt zusammenzureimen vermochten.

»Z'ruck in dö Höhlen!« flüsterte Abu Barlah: »Dös is nix ondas, wie an Übafoll vun Beduwinen, und dö Unsan san bereits g'fesselt, und zum Toal vülleicht schun abg'murkst: dös hör i aus ihrm G'schroa. Jetz müssa ma uns salviern, daß sö uns nit aa no derwischen. Hernach können ma übalegen, wos do z'mochen is.«

»Aber wir haben ja keene Waffen nich,« bemerkte Grill sehr richtig.

»Is dumm g'nug, daß ma unsre G'wehra z'ruckg'lossen hamm! Aba moan Messa hob i bei mir: dös is koan schlechte Woffen!«

»Eeen Messer besitze ik ooch: was helfen aber zwee Messer jejen eene so jroße Bande?«

»Dös wurd sö weisen. Nur koa Ongst nit, solong ma no frei san! Ma holten uns in unsra Höhlen versteckt, und spähn imma wieda außi, wie dö Sochen stehn: kimmt Zeit, kimmt Rot!«

Den Tag über mußten sich die zwei schon gedulden: da war nichts anzufangen; das erkannten sie jedesmal, wenn sie vorsichtig Ausschau hielten.


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