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30.
Franzls Jagdabenteuer

Am andern Morgen hatte sich sowohl Steinbergs wie Grills Wundfieber bedenklich gesteigert. Rommel erklärte, unter diesen Umständen könne er die Weiterreise der Patienten nicht verantworten, und es sei dringend geboten, einen Rasttag zu halten, den auch die Kamele wohl brauchen könnten.

Zwar wollten die beiden Verwundeten von solcher Rücksicht nichts wissen und meinten, im bequemen Tachtirwan mache ihnen die Reise keinerlei Beschwerden; doch wurden sie überstimmt, und der Ruhetag war beschlossene Sache.

Angesichts dieser Tatsache, sagte Franzi zu seinem Herrn: »Herr Professa, mir hamm sozusagen an hoaligen Eid tun, in da nächsten Oasen no ganz ondre Viecha zu derlegen, wie an lumpeten Löwen, was dö Frauenzümma schun b'surgt hamm. Dö nächste Oasen is hernach dö Oase Kufra g'west, und mir hamm unsan Schwur nit g'holten, daweil da Herr Baron und da Peta a Mordsantilopen und no an Prochtslöwen dazu derschossen ham.«

»Ja, lieber Freund!« erwiderte der Vater des Sandes: »In der Oase Kufra gab es eben leider keine gefährlichen Raubtiere, und so konnten wir rein nichts machen: es trifft uns keinerlei Schuld, denn der gute Wille war da. Wir sind also unseres Eides ledig, der übrigens gar kein Eid, sondern nur ein löblicher Vorsatz war.«

»Wos sö oana vurg'nummen hot, dös soll a aa holten. Drum moan i, ma sollten heut auf dö Jagd außi reiten, wir zwoa boad.«

»Ich glaube nicht, daß wir etwas andres treffen würden, als den ewigen Sand. Jedenfalls kann ich heute unmöglich fort, denn ich habe die beiden Fiebernden zu pflegen und darf sie vorerst nicht aus den Augen lassen. Willst du durchaus auf die Jagd, so mußt du eben allein gehen. Übrigens hast du so tapfer mit den Schakalen gekämpft, daß dein Jägerruhm unanfechtbar feststeht: von den einunddreißig Tieren, die wir am andern Morgen staunend zählten, hast du mindestens zwei Dutzend zur Strecke gebracht.«

»Is nix, Herr Professa: Schakala san nit mehr, wie Hunderln. Ganz ondre Viecha müssen's san, und dobei bleibt's!«

»Gut! So magst du dein Heil versuchen, und ich wünsche dir viel Glück zur Jagd, obgleich man das nicht soll. Ich bin jedoch der Überzeugung, daß du dich umsonst der Wüstensonnenglut aussetzen wirst, statt vergnüglich im Schatten zu rasten, wie wir es tun; kein lebendes Wesen wird dir begegnen.«

»Oh, da Franzl hot Glück, wann a koan Pech hot!« versicherte der Bayer, und das konnte ihm selbst ein Professor nicht bestreiten.

Allein mochte der Vater der Mauleselin nicht gehen: das war ihm zu langweilig. Der Baron und Peter, die Hauptjäger der Karawane, lagen im Fieber, die Weibsleut zur Teilnahme aufzufordern, hatte ihm sein männlicher Stolz nicht erlaubt, – blieb also nur sein Freund Mahmud übrig, und der paßte ihm vorzüglich: da hatte er einen treuen und zuverlässigen, unterhaltenden und oft erheiternden Kameraden, und dann war er der unbestrittene Herr des Unternehmens, was ihm auch zusagte.

Mahmud war mit Freuden bereit, wie es Franz im voraus gewußt hatte, ja, es war ihm eine Ehre, zur Begleitung eingeladen zu werden.

Da Abu Barlahs Mauleselin, von der er seinen arabischen Spitznamen hatte, wie Peters Eselin, infolge der letzten Entbehrungen, wie wir wissen, nachträglich eingegangen war, – zu seinem höchsten Bedauern, – so bestieg er sein schnellfüßiges Teni, das ausdauerndste Dromedar der Karawane, das die Rast füglich nicht nötig hatte. Mahmud erhielt zu seiner großen Freude die Erlaubnis, das nicht minder ausdauernde und noch schnellere Sedassi des Barons zu reiten, damit die beiden auch bei gesteigerten Leistungen Schritt halten könnten.

So ritten sie vergnügt in die Wüste hinaus, in südwestlicher Richtung.

Billinger wählte diesen Weg mit Absicht: der Fakir hatte nämlich von seinem Vorhaben gehört, und ihn eindringlichst gewarnt, sich nur ja nicht südwestwärts zu wenden, da er sonst in eine furchtbar gefährliche Gegend geraten werde.

»Dös is grod, wie bei deane G'spenstaberg,« sagte Franzl zu Mahmud: »Do hot uns dös spitzbübisch Fakirl aa 's Gruseln oanreden wolln, wie i vun moam Professa hernach erfohrn hob: do taaten Scheitans, Dschinns und Guhls Hausen, hot a g'schwündelt, dö selbigen, wo dö Menschen 's Blut aussaugen taaten und Leichenfloasch fressen. Und nachher hob i durten dö herrschst Quellen entdeckt, wo uns olle 's Leben g'rettet hot, und er selbsten hot sö mit soane sauban Spießg'sölln hoamlich durthin g'schlichen. Geb Obacht, ob nit aa dösmal a so a Spitzbüberei, a hoamtückische, hinta soane valogene Wornungen stecken tut. Wann a aba oanmol in soam Sündaleben nit g'logen hot, und es is richti a g'fährliche Umgegend, alsdann is ma dös grod recht, vun wegen, daß i heut a g'fohrvulls Obenteua b'stehn möcht'!«

Der tapfere Mahmud, der sich am lichten Tage, wo keine Geister umzugehen pflegen, vor nichts fürchtete, war ganz mit seinem Freunde einverstanden, dem er sich sowieso in allem unterordnete.

Beinahe drei Stunden waren sie in mäßigem Trabe geritten, und es mochte etwa zehn Uhr morgens sein, als Mahmuds scharfes Auge einen grünen Streifen am Horizont entdeckte.

»Oan Oasen!« rief er aus: »Richtig hast du verraten, daß die indische Halunk uns will verirren führen, wie Mahmud schon lange merken.«

Jetzt schlugen sie einen Galopp an, der sie in einer halben Stunde zu der prächtigen, unabsehbaren Oase brachte, die sie jubelnd betraten.

Münchhausen hatte ganz richtig geschlossen, als er aus der Anwesenheit von Schakalen die Nähe pflanzenbewachsenen Landes folgerte. Abd ul Hagg kannte diese unbewohnte und unbekannte Oase wohl aus seiner Karte.

Hätte er die gerade Richtung nach ihr eingeschlagen, die gleichzeitig der nächste Weg zur Messingstadt gewesen wäre, so hätten diese saftigen Fluren schon gestern um die Mittagszeit erreicht werden können, da sie nur einen halben Tagesritt von der Stelle entfernt waren, wo der Kampf mit den Schakalen stattgefunden hatte.

Aber er wollte den nochmaligen Versuch machen, die Karawane in der wasserlosen Wüste verdursten zu lassen, und zog deshalb absichtlich weit nördlich daran vorbei. So sollte auch an der Messingstadt vorübergezogen werden, in deren Nähe dann die wiederum aller Vorräte Entblößten nach seiner Berechnung ihr Schicksal ereilen mußte, während er mit seinen Gefährten auf ihrer hoffentlich endlich gelingenden nächtlichen Flucht noch rechtzeitig die wasserreiche Märchenstadt erreichen würde.

Er hielt also noch immer hartnäckig an seinem ersten Plane fest; denn vorerst sah er keinen andern Weg, um die unbequemen Mitbewerber um die Schätze der Messingstadt zu beseitigen.

Franz Billinger zweifelte nun nicht mehr daran, daß der Fakir ihn eben hatte verhindern wollen, die Oase zu entdecken, als er ihn so lebhaft vor der südwestlichen Richtung warnte. Welche Gründe ihn treiben mochten, die Karawane absichtlich vom rechten Wege abzulenken, darüber zerbrach sich der Bayer nicht weiter den Kopf; doch freute er sich seiner Entdeckung, die jedenfalls eine dringende Gefahr beseitigte, die den Wüstenreisenden wiederum gedroht hätte.

Zunächst wollte er das Gelände so weit als möglich erforschen, da er ja noch übrige Zeit vor sich hatte, und es völlig genügte, wenn der Pascha heute abend die frohe Nachricht erhielt.

Zugleich hoffte er in diesem Paradiese das ersehnte Wild aufzustöbern, nämlich noch ganz andere Viecher, als »an lumpeten Löwen«. Auch hierin sollte er Glück haben.

Nicht lange waren Franz und Mahmud zwischen den lichten Dattelpalmen auf dem grünen Grasteppich dahingeritten, als sie an ein plätscherndes Bächlein gelangten. Das war bei der Hitze und dem Durst, den sie empfanden, zu verlockend, als daß sie nicht sofort abgestiegen wären, um sich aus der kühlen Flut recht satt zu trinken.

Selbstverständlich durften auch die Dromedare ihren Durst nach Herzenslust löschen. Dann wurde für alle Fälle das laue Wasser aus den Aluminiumbehältern ausgegossen und durch frisches ersetzt.

Die Jäger stiegen nicht wieder auf, sondern banden ihre Tiere an zwei Palmbäumen fest; denn vor ihnen zeigte sich ein so dichter Pflanzenwuchs, daß die Kamele schwerlich hätten durchdringen können.

Zu Fuß ließ sich schon durchkommen, wenn auch manchmal einige Messerhiebe Bahn schaffen mußten, wenn das Gewirr gar zu dicht wurde.

»A Schlangen!« rief Abu Barlah plötzlich aus.

»Dös san oan gehörnte Viper,« erklärte Mahmud und beeilte sich, das giftige Reptil mit dem Flintenkolben totzuschlagen: »Der wann dir beißen hätte, Franzl tot san: dös derfst fein glaaben. Dös san der böse Schlangen von der wüsten Sara, und koan giftigeres geben es nit.«

»I hob schun g'moant 's waar a Noshörndl,« scherzte der Bayer, »weil s' a Hörndl auf da Nosen hot: also a Hurnviperl is dös? Is aa recht, wanns s' nur tot is.«

Bald lichtete sich das Unterholz und die Landschaft nahm den Charakter eines richtigen Urwalds an.

Hätten Billinger oder der Araber mehr geographische Kenntnisse besessen, so wäre ihnen der Schluß nahe gelegen, daß hier die südliche Grenze der Wüste erreicht sei, und der Wald mit Bornu zusammenhänge, vielleicht bis gegen den Tsadsee sich ausdehne. Freilich hätte er in diesem Falle einen ungeheuren Raum einnehmen müssen, was aber durchaus nicht ausgeschlossen war.

Es gab jedoch auch noch eine andere Möglichkeit: der Urwald konnte gleichsam eine Insel mitten in der Wüste sein, eine Oase von einer Ausdehnung, wie es sonst keine mehr in der Sahara gab; denn die andern, so umfangreich sie auch sein mochten, brachten es doch nirgends zu einem nennenswerten Waldwuchs.

Ein zweiter Beweis dafür, daß der Wüsten- oder der gewöhnliche Oasencharakter hier aufhörte, war der Umstand, daß sich einzelne Kokospalmen zwischen den Baumriesen fanden, während sonst in der Sahara nur die Dattelpalme und höchstens noch einige Fächerpalmenarten vorkommen.

Franzl und Mahmud ließen sich die reichlich am Boden verstreuten Kokosnüsse mit ihrem erfrischenden Milchsaft trefflich munden, ohne sich Gedanken darüber zu machen, welche Schlüsse aus dem Vorkommen dieser herrlichen Bäume zu ziehen seien.

Plötzlich hörten sie ein fernes Stampfen und Krachen, aus dem sie nun doch ihre Schlüsse zogen: da mußte ein ganz außerordentliches Wild daherkommen; denn die Laute näherten sich, und bald war dazwischen ein dumpfes Schnauben zu vernehmen.

»Hob i 's nit g'sogt?« rief der Vater der Mauleselin erfreut: »Ganz ondre Viecha san hier, und jetz is unsa Zeit und Stunden kimmen zu unsere Heldentoten! Geb Obacht, Mahmud: dös is nix g'ringas, wie a Bison, a so a mordsmächtiga Bullen: dös hör i an soam schweren Tritt und an soam fürchtigen Schnaufen.«

Daß Büffel nicht so mitten drin im Urwald zu hausen pflegen, sondern in den Prärien und höchstens am Waldrand, konnte der Bayer nicht wissen, und daß insbesondere der Bison in Afrika nicht zu suchen ist, überstieg ebenfalls seine Kenntnisse. Der Araber vollends wußte überhaupt nichts von solchen Geschöpfen.

In freudiger Erwartung einer außerordentlichen Jagd stürmten die beiden ohne jede Vorsicht vorwärts, so schnell es das Unterholz gestattete.

Jetzt erreichten sie eine Lichtung und blieben an deren Rande sprachlos stehen: das war in der Tat ein gewaltiges Tier, das sich hundert Schritte von ihnen tummelte, mächtiger, als sie je eines gesehen. Dagegen war ja selbst ein Bison bescheiden!

Das Ungeheuer stampfte den Boden und zerwühlte ihn mit dem mächtigen Horn, das seine nicht gerade schöne Nase zierte, und hinter dem sich noch ein zweites, etwas kleineres befand.

»A Noshörndl! A leibhoftigs Noshörndl!« jubelte Billinger, als er die Sprache wiederfand. So sehr ihn der unvermutete Anblick des massigen Dickhäuters überrascht hatte, fiel es ihm doch nicht ein, Furcht zu empfinden, vielmehr erfüllte es ihn nur mit Genugtuung, daß er nun endlich Gelegenheit fand, ein ganz anderes Viech zu erlegen, als bloß einen lumpeten Löwen, mit dem es sogar die Frauenzimmer aufnahmen.

Das Rhinozeros hatte sie noch nicht bemerkt, da der Wind von Süden kam und überhaupt kaum merklich wehte. Allerdings hatten sich die Jäger keines leisen Anschleichens beflissen, vielmehr waren sie ziemlich geräuschvoll dahergerannt. Allein das schwerfällige Tier verübte selber einen so starken Lärm, daß es nicht Wunder nehmen konnte, wenn es ihr Nahen überhört hatte.

»Jetz nimm di fein z'somm,« flüsterte Abu Barlah nun seinem Gefährten zu: »Dös is a mordsstorks Viecherl, wie i mir hob b'richten lossen, und is nit mit am z'spossen. Mir schießen ollboad mitoanand und zielen auf soan wüsten Schädel. Wo soan Herz sitzt in da dicken Mossen drin, konn jo koan Mensch nit wissen.«

Gesagt, getan! Die beiden Kugeln flogen und trafen auch ihr Ziel; doch schienen sie keine große Wirkung erzielt zu haben, außer der, das Tier aufmerksam zu machen und zur rasendsten Wut zu reizen. Es wandte sich den Schützen zu und stieß nie gehörte Töne aus, die nicht gerade ermutigend klangen.

»Jetz gilt's« rief Franzl, als der Koloß mit gesenktem Horn auf sie losstürmte.

Beide flüchteten sich hinter den dicken Baum, neben dem sie standen, und liefen um ihn herum, während das Nashorn in seinem raschen Lauf, den sie ihm bei seiner Plumpheit gar nicht zugetraut hätten, an ihnen vorbeischoß.

Es wendete sich aber sofort, und zwar mit einer Behendigkeit, die wiederum erstaunlich war, und jetzt hätte es die Gegner erreicht und sicher zunächst wenigstens einen von ihnen mit seinem mörderischen Horn erfaßt und in die Luft geschleudert.

Glücklicherweise schien es im Berechnen und Schätzen nicht sehr bewandert; es stand nämlich neben dem Baum, dem die Verfolgten ihre vorläufige Rettung verdankten, ein zweiter, und zwar so nahe, daß es dem Dickhäuter nicht gelingen wollte, sich zwischen beiden hindurchzuzwängen. Statt nun einen andern Weg zu wählen, machte es die wütendsten Anstrengungen, hindurchzukommen, und das gab den Gefährdeten einige Zeit, die für ihr Leben kostbar, ja, entscheidend war.

»Auf an Baam aufi kraxeln!« gab der Vater der Mauleselin die Losung aus: »A Noshörndl konn nit kraxeln, wie i mir hob b'richten lossen.«

Das schien allerdings sehr glaublich, wenn man die Gestalt des Tieres, namentlich die umfangreichen klobigen Füße ins Auge faßte: man stelle sich so ein Nashorn, einen Baum erkletternd, vor!

Der Araber wählte eine dünnstämmige Palme, der Bayer einen andern leicht zu erkletternden Baum zum Zufluchtsort.

Kaum waren sie droben, in vorläufiger Sicherheit, als es ihrem Feinde gelang, sich vollends durchzudrücken, wobei seine Dickhaut weniger Schürfungsspuren auswies, als die stark mitgenommene Rinde der Baumriesen.

»Schod is's!« rief Franz: »I hob denkt, dös Viecherl bleibt stecken zwischen dö Baam, nachher hätten ma 's derschießen kunnen in oller G'mütsruhen. Jetz woaß i nit, wie's geht, und ob 's uns wieda abikimmen loßt.«

In der Tat schien das Rhinozeros nicht gesonnen, den beiden einen ruhigen Abzug zu bewilligen; es betrachtete sich die beiden Bäumchen und wählte dann die Palme, als das schwächere, zum nächsten Angriffsziel. Ein heftiger Stoß mit dem ungeschlachten Kopfe brachte das schlanke Gewächs in derartiges Schwanken, daß Mahmud sich aus allen Kräften festklammern mußte, um nicht herunter zu fliegen.

Seine Lage war eine höchst ungemütliche; denn jetzt wühlte das Nashorn den Erdboden rings um den Stamm mit dem Horne auf, und es war vorauszusehen, daß ihm die offenbar beabsichtigte Entwurzelung bald gelingen werde: schon neigte sich das Bäumchen bedenklich.

Inzwischen schoß der Bayer fleißig auf das Tier; doch war ihm unbekannt, wohin er treffen mußte, um eine tötliche Verwundung zu erzielen. Die kleinen Äuglein, durch die eine Kugel ins Gehirn hätte eindringen können, vermochte er von seinem Standpunkt aus unmöglich zu durchbohren, da das Tier sich mit zu Boden gesenktem Kopfe beständig um die Palme drehte, so daß einmal deren Stamm, dann wieder sein eigener dicker Leib dem Schützen das Gesicht verdeckten.

Der arme Mahmud hätte in seiner gefährlichen Lage überhaupt nicht schießen können, da er sich mit beiden Händen festhalten mußte, um durch die heftigen Erschütterungen nicht abgeschüttelt zu werden. Er war aber sowieso wehrlos, da er seine Büchse hatte fallen lassen, als er auch mit der Rechten einen Halt zu suchen genötigt war.

Jetzt schien er verloren, denn die Palme erlag der Wühlarbeit und krachte zu Boden. Sie stürzte dem Dickhäuter auf den Rücken, und der Araber mit ihr. Dabei ließ dieser los und kollerte hinter dem Rhinozeros zur Erde.

Schon wendete sich das Ungetüm, und es galt, sich vor allem davor zu schützen, durch die plumpen Füße zu Brei zerstampft zu werden.

In der Verzweiflung griff Mahmud nach dem kurzen Schwänzchen, und merkte alsbald, daß er verhältnismäßig gesichert sei, solange er es festhalten könnte: das Tier mochte sich drehen, so schnell es wollte, – er blieb stets hinten, unerreichbar für das schreckliche Horn. Freilich wurde er bei dem kreiselnden Schwung tüchtig hin und her geschleudert und mußte eine nicht geringe Behendigkeit entwickeln, wenn er dabei nicht unter die unförmlichen Hufe geraten wollte. Allein die Todesgefahr gab ihm die erforderliche Geistesgegenwart und Gewandtheit.

Jetzt, da das Nashorn den Kopf wieder hoch hielt, konnte Billinger nach den Augen zielen, so oft sich ihm diese zukehrten. Das waren freilich nur Augenblicke, doch benutzte er sie so gut, daß ihm schließlich ein Schuß glückte, der zwar kein Auge durchbohrte, aber in der Schläfengegend die Hirnschale durchdrang und das Hirn tödlich verletzte.

Der Todeskampf, der nun folgte, dauerte jedoch noch eine geraume Weile, und Mahmud, der noch nicht wagen durfte, das rettende Schwänzchen fahren zu lassen, mußte einen Indianertanz ausführen, dessen wilde, höchst komisch aussehende Sätze den Bayern zu herzlichstem Lachen reizten, da er merkte, daß die Gefahr so ziemlich vorüber war, und das schwerverwundete Geschöpf rasch von Kräften kam.

»A Bolettmoasta bist, a ganz famosa!« rief er anerkennend: »A so an Tonz hob i no nit derschaut, und du kunntst schuhplotteln auf an jeda Kirta, bessa wie da stinkst Boaernbursch! Dös Noshörndl tonzt freili aa nit schlecht, aba dös holtet's nimma long aus: ollberoats konn's nimma schnaufen. Schau! Jetz hot's an End: dös Viecherl vareckt: du host's richti zu Tod tonzt mit doam Moastaspringen. Jetzt kannst doan Kalopp oanstöllen: is da eh hoaß g'nug worn!«

In der Tat war Mahmud völlig erschöpft und in Schweiß gebadet. Seine Erlösung kam gerade noch zur rechten Zeit: länger hätte er unmöglich mehr festhalten und den rasenden Tanz fortsetzen können. Atemlos glitt er zu Boden.

Franz betrachtete indessen mit Staunen das erlegte Untier.

»Jetz is's g'wunnen!« frohlockte er: »Moan Schwur hob i derfüllt: denn dös is wohrhofti no a ganz ondas Viecherl, wie a Löb, so a lumpeta, wo zum Weibawüld worrn is, vun wegen, daß a sö hot derlegen lossen vun drei Diandeln. Moan Professa wurd sö hoallos fuchsen, daß a nit dobei g'wesen is bei dösan Heldenkompf, und da Peta, wo ma ollweil soan Löwen ausruckt, derf jetz g'fälligst soan werts Maulwerk holten, weil ma mehr g'loastet Hamm, wie dö ganz G'söllschaft.«

Der Araber erhob sich und sagte: »Ja, Mahmud aa stolz soan auf der große Sieg von schrecklichen Tier, wo nie gesehn und gehört haben. Mahmud ihn haben festhalten an die Schwanz, daß Franzl ihn können totschießen.«

Mit dem Festhalten hatte es zwar seltsam ausgesehen; doch gönnte Abu Barlah dem braunen Freunde neidlos einen Anteil an der Großtat, darum widersprach er ihm nicht.

Jetzt war es jedoch höchste Zeit, zum Lager zurückzukehren, wenn es vor Nacht wieder erreicht werden sollte. Sie ließen daher das Nashorn liegen und eilten zu den Kamelen zurück. Unterwegs schob Franz noch zwei Kokosnüsse ein, die mit knapper Not in seinen weiten Hosentaschen Platz fanden.

»Nun, ihr habt die Wüste offenbar vergeblich nach einem Wild abgesucht, ganz wie ich voraussagte,« sprach Professor Rommel zu seinem Diener, als er bei Sonnenuntergang mit Mahmud angeritten kam: »Ich sehe wenigstens keinerlei Jagdbeute auf euren Kamelen.«

Er sagte dies mit der Genugtuung, die jeder empfindet, der seine Vorhersage bestätigt sieht, obgleich es ihn auch gefreut hätte, wenn den Jägern mehr Glück zuteil geworden wäre. Aber es war ja gar nicht daran zu denken, in diesen öden Wüsteneien auf jagdbares Wild zu treffen!

»Herr Professa,« entgegnete der Bayer: »Z'ersten möchtema afohrn, wie's am Herrn Baron und soam Peta geht?«

»Oh, denen geht es, Gott sei Dank! viel besser: der Rasttag bei sorgfältiger Pflege hat Wunder gewirkt. Gottlob sind ja auch die Verletzungen bei beiden leicht und ungefährlich. Nun sind sie fast fieberfrei und können morgen getrost mit uns Weiterreisen, – im Tachtirwan versteht sich.«

»Umso bessa! Denn morgen gibt's a schöne Roasen.«

»Wie meinst du das? Hast du gar wieder eine Quelle entdeckt, wie in der Geisterburg?« fragte Rommel etwas spöttisch, da er an eine solche Möglichkeit nicht glaubte.

»Schweigen S' ma vun dö G'spenstabergen, Herr Professa! Dö san gor nix gegen dös ... Aba i will nix sogen: mir hamm an Mordshunga, und noch am Nochtessen will i derzählen, wie's uns gongen is: dös sollen glei olle mit anhörn.«

So neugierig der Vater des Sandes durch diese Geheimniskrämerei auch gemacht wurde, er mußte sich gedulden, bis nach dem Abendimbiß alle versammelt waren, Steinberg und Grill miteingeschlossen, die auf bequemen Lagern im Kreise der Freunde ruhten.

»Nun!« begann Münchhausen, nachdem er die unvermeidliche Pfeife in Brand gesteckt hatte: »Unser Professor behauptet ja, ihr scheint irgend eine Entdeckung gemacht zu haben? Schieße nur los! Mit der Jagd war es heute offenbar nichts?«

»Holten zu Gnoden, Herr Pascha, aba do befünden Sö sich in an werten Irrtum: i hoab moanen Schwur derfüllt, wo i g'schworen hob, und ma hobn ganz ondre Viecha derlegt, wie so an jämmalichen Löwen, wo nur a Weibawüld is.«

»So? Was für Ungetüme habt ihr denn gemordet?« fragte die Zitrone neugierig, und keineswegs gekränkt durch die verächtliche Bemerkung über den von ihr miterlegten Wüstenkönig.

»Do is zum Beispiel a Hurnvipern g'wesen, wo mi Hot beißen wölln, und wo da Mahmud mit soam G'wehrkolben zaschmettat hot.«

Der Professor lachte: »Die Hornviper ist eine Giftschlange der Sahara, deren Biß tödlich wirkt. Insofern kann sie sogar noch gefährlicher sein als der Löwe, weil sie einen unbemerkt beißen kann, und man dann verloren ist. Andererseits ist es das einfachste Ding der Welt, diese Schlange zu erschlagen, wenn man sie beizeiten entdeckt; mit einer Löwenjagd ist daher eure Heldentat gar nicht zu vergleichen. Aber eine Oase müßt ihr gefunden haben, wenn ihr eine Hornviper sähet, denn im unermeßlichen Sandmeer krabbeln diese Reptilien doch nicht herum: also heraus mit der Sprache!«

»Hoben S' a bisserl Geduld, Herr Professa! Reda ma z'ersten vun dö Viecha. Also a Hurnvipern is nix rechts? Aba wann i Eahna sog, daß wir a Noshörndl derlegt hamm?«

Nun lachten alle hell auf, Rommel aber runzelte unwillig die Stirn und sagte verweisend: »Franzl, bis heute hast du stets nur die Wahrheit geredet, und man durfte dir aufs Wort glauben: dieses schöne Zeugnis kann ich dir als dein langjähriger Herr ausstellen, und du darfst und sollst stolz darauf sein, denn solche unbedingte Zuverlässigkeit ist leider eine selten gewordene Tugend. Es gibt gar viele, die wohl noch begeistert von »Deutscher Treue« reden und ihre alten Sprichwörter im Munde führen, wie zum Beispiel »Ein Mann, – ein Wort!«, die dagegen im täglichen Leben es mit der Unwahrheit und dem Wortbruch oft leicht nehmen. Erhalte dir sorgfältig deinen guten Ruf, als Mann der Wahrheit: du machst damit dir, deinem Deutschtum und deinem bayrischen Vaterland Ehre. Nun begreife ich wohl, daß die launigen Erzählungen unseres Kapitäns es dir angetan haben, und daß es nicht unehrlich von Dir gemeint ist, wenn du einen Versuch machen wolltest, es ihm nachzutun. Allein beim Pascha weiß man, daß er ein Spaßvogel ist, der einem durchaus keinen Bären aufbinden, sondern einen nur angenehm unterhalten und erheitern will mit den unerschöpflichen Erfindungen seiner Phantasie. Bei dir aber klingen derartige Behauptungen, wie die mit dem Rhinozeros, wie ein Versuch, uns anzuschwindeln: darum lasse das bleiben, es steht dir nicht. Eines schickt sich nicht für alle; also überlasse dem Kapitän solche Berichte, entsprechend seiner natürlichen Begabung, und bleibe du bei deiner schlichten Geradheit, die uns an dir freut. Wenn du dich in den Sanddünen verzählst, über die der Beduinenscheich infolge deiner Ohrfeige hinwegflog, so halten wir dir eine solche Kleinigkeit gerne zugute: aber was darüber ist, ist vom Übel!«

Der Vater der Mauleselin schüttelte den Kopf: »Jetz, Herr Professa, dös is a longe und richtige Standpauken g'wesen, dö Sö do g'holten hoben, wie zu an armen Sünda. Aba vur dön Foll paßt so nit, vun wegen, daß ma's nit oanfollt, z'schwündeln. Und wann i sog, ma hamm a Noshörndl derlegt, hernach derfen S' dös fein glaaben.«

Jetzt wußte niemand mehr, wo er mit Franzl daran sei, der doch sonst die Ehrlichkeit selber war, und nun etwas behauptete, dem einfach niemand Glauben schenken konnte, außer etwa der Baron, Peter und Isolde.

»Höre,« sagte der Professor wieder, nach einer Pause allgemeinen stummen Staunens: »Du hast in deinem Leben noch kein Nashorn gesehen, und ich will gerne glauben, daß du dich in einem Irrtum befindest. Vielleicht hast du ein Gnu für ein Rhinozeros gehalten. Die Antilopen dringen oft weit in die Wüste vor, und das Gnu hat verhältnismäßig kleine Hörner, so daß es der Unkundige wohl nicht gleich als Antilope erkennt: sage einmal, hatte das Tier zwei Hörner?«

»Jawoi, Herr Professa!«

Es bedarf bescheidener Beweise, um einen Professor zu überzeugen, daß seine Meinung glänzend bestätigt sei: so genügte auch dem Altertumsforscher dieses Zugeständnis, um lachend auszurufen: »Jetzt ist das Rätsel schon gelöst! Der gute Abu Barlah hat eben ein Gnu für ein Nashorn gehalten! Nun, das dürfen wir ihm nicht übel nehmen, wenn andre schon einen Beduinenhund als Wüstenfuchs ansprachen. Aber warum habt ihr die schöne Beute nicht mitgebracht? Dann hätte es ja gar kein Mißverständnis geben können und ihr wäret über euren Irrtum gleich aufgeklärt worden.«

»Mitnehmen hamma dös Knu, wie Sö dös Viecherl mit am latoanischen Nomen hoaßen, oanfach nit können, vun wegen, daß es z'schwer g'wesen is.«

»Unsinn!« widersprach Abu Ramleh: »Zu zweit hättet ihr das stärkste Gnu mit Leichtigkeit auf euer Kamel laden können.«

»Nachher is dös Viecherl holt doch koan Knu g'west. Und wann a Knu an Ontilopen is. alsdann is dös schun gor nix mit Eahna Ihra Aklärung. Is a Knu schwer« wie a Kamöl?«

»Weit entfernt!«

»Oda hot's soane Hörndeln auf da Schnauzen, oans vurn, und 's onda, kloana dohinta?«

»Das nicht.«

»Oda hot a so a Knu a dicke graue, vahutzelte Haut, und Füß wie a Wossaloatungsröhren?«

»Ich weiß nicht,« stammelte Rommel ganz verwirrt: »Nach dieser Beschreibung könnte es sich allerdings nur um ein Rhinozeros handeln, und doch ist das völlig ausgeschlossen!«

Jetzt ergriff der Pascha Franzls Partei, denn er begann doch an das Wunder zu glauben: »Was für einen Professor ausgeschlossen erscheint, kann nichtsdestoweniger Tatsache sein, wie vergleichsweise – die Messingstadt: glauben wir also an Billingers Nashorn!«

»Niemals!« erklärte der Vater des Sandes feierlich.

»Ich schenke seinem Bericht alles Vertrauen,« versicherte dagegen seine Schwester Monika.

»Det is ooch meene Überzeugunk,« stimmte Peter zu.

Die Zitrone und die Nachteule nickten beipflichtend und Baron Erich schwankte zwischen Glauben und Zweifeln.

»Herr Professa,« nahm der Bayer wieder das Wort: »Sans Eahna koane Polmen bekannt, wo statt der kloanen Datteln mordsgroße Früchterln trogen, mit pockelhorte Schalen, und inwendi san s' schneeweiß und vulla Mili?«

»Ja, gewiß! Solche gibt's; allein in diesen Gegenden kommen sie nicht vor, erst sehr viel weiter südlich: es sind das die bekannten Kokospalmen.«

»Is schun recht! Also, ma san so sehr vül weita südli g'wesen, durt, wo dö Kuckuckspolmen wachsen, in oana großen, wundaschönen Oasen mit an Wold, wo koan Kamöl nit einikimmt, bevur ma am Bohn g'hauen hot durch dös dicht Buschwerk an soam Rond. Dösa Wold hot himmelhoche Boam, höcha wie a Riesentonnen in Boaern is, und durt hausen dö Hurnvipern und Noshörndeln.«

»Nein, so etwas!« rief der Professor wirklich entsetzt: »Wenn Münchhausen uns von einem Urwald in der Sahara fabelte mit Dickhäutern und meinetwegen auch Eisbären, so wüßten wir, woran wir uns zu halten haben. Aber daß mein biederer Diener derartiges behauptet, macht mich ganz irre! Franzl, du hast zweifellos einen Sonnenstich erhalten: ich will dir kalte Umschläge machen.«

»Kolte Umschläg' waaren nit übel, aba bei Tog in da Hitzen: do ließ i ma's gern g'follen, wamma nit 's Wossa sporen müßt'. In da Nocht is's z'kuhl vur nosse Umschläg'. Aba zwoa Kuckuckspolmenfrüchterl hob i mitgnumma; hernach können der Herr Professa ausrechnen, wie weit ma in Süden g'west san.«

Damit zog er die Nüsse aus der Tasche und reichte sie seinem sprachlosen Herrn, der sie weiter gab.

»Das sind richtige Kokosnüsse,« erklärte der Pascha: »Und damit dürfte der beste Beweis dafür erbracht sein, daß Franzl die lautere Wahrheit berichtet, wie ihm übrigens nicht anders zuzutrauen ist.«

Jetzt mußte Billinger seine heutigen Erlebnisse haarklein erzählen. Er tat dies in seiner launigen Weise, ohne irgend etwas zu übertreiben oder auszuschmücken: sie klangen trotzdem fabelhaft genug. Ganz köstlich war seine Schilderung von Mahmuds Balettmeistertanz am Schwanze des Nashorns, mit der er einen schallenden Heiterkeitserfolg erzielte. Nun blieb Rommel der einzige, der noch nicht völlig von der Tatsächlichkeit dieser Ereignisse überzeugt war. Münchhausen aber erklärte:

»Morgen suchen wir selbstverständlich diese prächtige Oase auf, die uns außer Wasser auch reiche Vorräte an Fleisch, Datteln und ›Kuckucksnüssen‹ verspricht, wie Franzl so schön sagt. Dort halten wir zwei Tage Rast. Das kommt der Genesung der Verwundeten zugute, und von uns ist der bereits wieder drohende Mangel an Wasser und Nahrungsmitteln abgewendet.« Abu Barlah aber bemerkte noch:

»Herr Pascha, da Fakir, da Hallodri, hot uns g'wornt, nur nit noch Südwesten solle ma gehn: durt waara ma verlurn. Aha, hob i denkt: dös is akrat, wie bei dö G'spenstabergen! g'wiß is durt wieda an Oasen, dö ma nit finden solln, vun wegen, daß da Tropf, da spitzbübische, uns vadursten lassen möcht in da Wüsten! Und richtig, a so is g'west: dö ollaherrlichst Oasen hamma g'funden!«

Diese Bemerkung gab dem Kapitän doch zu denken.


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