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8.
Der Wüstensturm

In der Morgenfrühe, als es ringsum noch dunkel war, erhob sich ein großer Lärm im Lager. Alles schreckte jäh aus dem Schlafe empor und es entstand eine unbeschreibliche Verwirrung.

Flintenschüsse knallten, und die Araber riefen: »Die Beduinen! Wir sind überfallen, wir sind verloren!«

Allerdings wäre bei der allgemeinen Kopflosigkeit die Karawane verloren gewesen, wenn es sich wirklich um einen Angriff von Wüstenräubern gehandelt hätte. Glücklicherweise zeigten sich jedoch keine Feinde, und als bald darauf der Osten sich purpurn färbte und der Himmel sich hellte, klärte sich die Sache auf: des Professors Esel hatte sich losgerissen und war unter die Kamele geraten. Diese waren brüllend aufgesprungen, und einige aus dem Schlafe geschreckte Treiber hatten, in der Meinung, das Lager sei überfallen worden, noch ganz schlaftrunken ihre Büchsen aufs Geratewohl in die nächtliche Wüste hinaus abgefeuert.

»Na! Ich bin begierig,« sagte Münchhausen zum Professor, »wie sich diese Angsthasen im Ernstfall beweisen werden.«

»Es gibt doch wohl keine Räuber in diesen Wüsten?« erkundigte sich der Baron ängstlich.

»O doch!« erklärte Abu Ramleh: »Vor zwei Jahren bin ich selber in der Sahara, südlich der Provinz Oran, von Tuareg überfallen und ausgeplündert worden.«

»Oran? Das ist ja wohl noch weit weg von hier? Tuareg gibt's doch hier herum nicht?«

»Tuareg allerdings nicht, dafür jedoch Beduinen genug, die von der Plünderung der Karawanen leben. Zweifellos werden Sie bald genug die Bekanntschaft dieser Wüstenräuber machen, denn es wäre ein Wunder, wenn eine verhältnismäßig so kleine Schar wie die unsrige nicht von ihnen überfallen würde.«

»Das ist ja geradezu unheimlich!« klagte Abu Haschisch: »Ist es nicht genug, daß uns hier der Tod des Verdurstens droht, müssen wir auch noch auf Mord und Totschlag gefaßt sein?«

Der Pascha suchte den erschreckten jungen Helden zu beruhigen, indem er versicherte: »Seien Sie nur getrost: falls uns solches Raubgesindel angreifen sollte, werden wir schon mit ihm fertig werden. Überhaupt ist es den Beduinen nicht darum zu tun, die hervorragenderen Mitglieder eines Reisezugs, namentlich wenn es Weiße sind, zu töten, sondern sie gefangen zu nehmen, um ein möglichst hohes Lösegeld aus ihnen zu erpressen.«

Dem Baron war jedoch nicht ganz wohl bei dem Gedanken an diese ihm neue Gefahr.

Jetzt erschien Franz Billinger auf der Bildfläche und meldete: »Herr Pascha, do is an batales Kamöl, dös kimmt nimma weita.«

Wie es den Europäern, zumal den fremdwörtergierigen Deutschen, die im Orient reisen, meistens geht, hatten sich Franz und Peter schon angewöhnt, arabische Ausdrücke in ihre Sprache zu mischen. Das »batale« Kamel bedeutet ein krankes, unbrauchbar gewordenes Lasttier.

»So schlachte man es, dann haben wir wenigstens frisches, saftiges Fleisch, wenn wir es auch roh verzehren müssen,« entschied der Vater des Schnupftuchs. »Aufhalten können wir uns nicht wegen des hinfälligen Tieres, und es in der Wüste verenden zu lassen, wäre roh und grausam.«

Als dieser Befehl ausgeführt und das Fleisch zerlegt und verteilt worden war, wurde aufgebrochen.

Es war ein furchtbar schwüler Tag, wie bisher noch keiner gewesen, und schon am frühen Morgen herrschte eine drückende Hitze. Die heiße Luft flimmerte über dem glühenden Boden, der hier eine ganz eigentümliche, dunkle und stahlblaue Farbe aufwies und einem erstarrten Strome geschmolzenen Eisens glich, dessen dunkler Glanz sich von dem Weiß der Dünen wundersam abhob. Der Professor erklärte diese Erscheinung als von dem Schwefelkies herrührend, der hier den Boden bedecke.

Auf einmal erscholl ein Jauchzen in der Karawane; denn ganz unvermittelt bot sich ein überraschendes und wundervolles Schauspiel allen Blicken: da leuchtete in der Ferne ein tiefblauer See, an dessen Ufern, gebettet in einem Wald von Palmen, Orangen- und Zitronenbäumen, eine herrliche Stadt schimmerte mit funkelnden Kuppeln, weißglänzenden Moscheen und ragenden Minaretten.

So deutlich erschien die ganze Pracht, daß selbst erfahrene Wüstenreisende, wie die Araber, sich im ersten Augenblick täuschen ließen, bis sie bald erkannten, daß es eine Fata Morgana, eine Luftspieglung war, die nach kurzer Zeit spurlos zerrinnen würde.

Nur der Baron und die ebenso unkundigen deutschen Diener glaubten an die nahe Wirklichkeit des Geschauten, bis es vor ihren Augen zerfloß und nur das weite Sandmeer in unabsehbarer Öde sich ihren enttäuschten Blicken noch zeigte. Dennoch fühlte die ganze Karawane sich von neuer Hoffnung belebt durch das genossene Schauspiel; denn der See und die Stadt mußten vorhanden sein, wenn auch in weiter Ferne. Die Fata Morgana zaubert ja keine Trugbilder hervor, sondern versteht es nur, weit Entferntes in greifbare Nähe zu rücken.

Die Araber sahen in der herrschenden Schwüle aber ein schlimmes Vorzeichen. Und in der Tat erhob sich plötzlich ein rasender Orkan, der den Sand so hoch und dicht emporwirbelte, daß die ganze Karawane in eine glühende Nebelwolke gehüllt schien, in der die Sonne verschwand.

Der heiße Sand brannte schmerzhaft auf der Haut, und es war unmöglich, die Augen offen zu halten.

Die Feueratmosphäre trocknete die Körper so rasch und gründlich aus, daß der Durst sich zu unerträglicher Qual steigerte; kommt es doch vor, daß bei einem solchen Samum Fußreisende innerhalb eines halben Tages dem Durst erliegen.

Es mußte natürlich sofort angehalten werden, und alle suchten sich hinter den Kamelen zu schützen und mit Decken und Zelttüchern so gut als möglich gegen die Gluthitze des Gebli, wie die Kinder der Wüste den Sandsturm heißen, zu wahren.

Der Sturm tobte den ganzen Tag fort, und erst mit Einbruch der Nacht erlahmte seine Wut. Ein Glück für die Karawane war es, daß er so rasch vorüberging; denn oft währt der Samum mehrere Tage lang, während deren ein Vorwärtskommen unmöglich ist. Wer da nicht reichlich mit Wasser versehen ist oder nicht gerade an einem Brunnen lagert, ist unrettbar verloren.

Der karge Wasserrest, der sich in den Aluminiumbehältern noch befand, konnte nicht länger gespart werden; denn alle waren am Verdursten. Auch die Kamele keuchten und blähten die Nüstern; doch war nicht daran zu denken, sie auch nur mäßig tränken zu können, waren doch die Rationen für die Menschen nur allzu spärlich bemessen.

»Wenn wir morgen kein Wasser finden,« sagte der Pascha, »dann sei Gott uns gnädig: dann sind wir alle verloren!«

Auch die drei heimlichen Verschwörer hatten ihren Trunk abbekommen, wie jeder andere; doch zur Stillung des brennenden Durstes konnte er ihnen so wenig genügen, wie irgend einem der Verschmachtenden.

»Fen el Bir?« fragte Sidi Hamed den Indier: »Wo ist der Brunnen?«

»Erst morgen können wir ihn erreichen,« lautete die Antwort, »da wir heute überhaupt nicht vorwärts kamen. Aber Geduld! Nach Allahs Willen ist uns die Rettung so gewiß, wie allen andern der Tod.«

Da der größte Teil des Tages in unfreiwilliger Ruhe zugebracht worden war, ordnete der Pascha den Aufbruch schon bald nach Mitternacht an, galt es doch heute einen Marsch auf Tod und Leben, und in der Kühle der Nacht war ein rascheres Vorwärtskommen möglich, als in der sengenden Tagesglut.

Zu seinem nicht geringen Schrecken mußte Münchhausen entdecken, daß sein Reitkamel sich während des Sturmes losgerissen hatte und entlaufen war. An ein Suchen war nicht zu denken: man hätte den Tagesanbruch abwarten müssen, und dann doch keinen Anhaltspunkt gehabt, nach welcher Richtung sich der Ausreißer gewendet hatte: von sichtbaren Spuren konnte ja nach solch einem Orkane keine Rede sein, der wehende Sand bedeckte sie augenblicklich.

Ein Aufenthalt wäre jedoch das unfehlbare Verderben der ganzen Gesellschaft gewesen, und so mußte der Kapitän das Tier seinem Schicksal überlassen und sich in den Verlust schicken, der ihm umso peinlicher war, als das Kamel seinen Handkoffer mit fortgeschleppt hatte. Zu spät wollte sich Abu el Futha seine spärlichen Haarüberreste ausraufen, weil er es versäumt hatte, dem treuen Tiere das leichte Kofferchen abzunehmen, denkend, es könne ihm während der Ruhe nicht lästig fallen. Nun waren die sämtlichen, unersetzlichen astronomischen und meteorologischen Instrumente weg, bis auf die Sonnenuhr, die Rommel in Verwahrung genommen hatte.

Zwar führten sowohl der Pascha, wie auch der Professor, jeder einen Kompaß bei sich; allein die furchtbare Hitze des Gebli hatte die Gläser gesprengt, so daß sie unbemerkt herausgefallen und die Nadeln verloren gegangen waren. Dazu waren sämtliche vorhandenen Uhren stehen geblieben und unbrauchbar geworden, da der feine Sandstaub in ihr Räderwerk gedrungen war, wie er durch die Kleider auf die Haut und durch die Umhüllungen der Ballen in die Speisevorräte drang. Alles erschien derart von Sand durchdrungen, als hätte man es absichtlich damit gemischt.

An Zeit- und Ortsbestimmungen war unter diesen Umständen nicht mehr zu denken: nur die Gestirne und die Sonne konnten im allgemeinen die einzuhaltende Richtung anzeigen. Aber wer wußte überhaupt, in welcher Himmelsgegend die nächste Oase, der nächste Brunnen lag, wenn Abd ul Haggs Karte unzuverlässig war?

Doch da half alles Bedauern und Jammern nichts: man mußte sich mit den Tatsachen abfinden, so schmerzlich und verhängnisvoll sie waren.

So gab denn der Pascha schweren Herzens den Befehl zum Aufbruch.

Rüstig ging es voran bis Sonnenaufgang; dann aber verlangsamte sich bald der Schritt der Reit- und Lasttiere unter dem Einfluß der sich steigernden Hitze; waren sie doch überanstrengt und dem Verschmachten nahe.

Für die Bequemlichkeit der Damen der Gesellschaft war so gut wie möglich gesorgt: sie befanden sich während des Rittes in einem sogenannten »Tachtirwan«, dem Reisezelt der arabischen Frauen. Es ist dies eine Art viereckiger Sänfte, von Zelttüchern überdeckt und umgeben. Der Tachtirwan, der unsere Freundinnen beherbergte, war besonders geräumig und wurde von zwei Kamelen getragen. Der leichte Bretterboden des Zeltes ruhte auf Querstangen, die auf dem Rücken der beiden Lasttiere haltbar befestigt waren, und er war mit weichen Teppichen belegt. Die Mädchen konnten sich hier auf ihren Kissen bequem ausstrecken und schlafen. Daher diente ihnen der Tachtirwan auch beim Lagern als Wohn- und Schlafzelt, wobei er natürlich den Dromedaren abgenommen, auf dem Sandboden aufgerichtet und mit starken Leinen an eingerammten Eisenstangen befestigt wurde.

Während des Rittes waren die Insassen durch die Bedachung und die Seitenwände vor der unmittelbaren Bestrahlung durch die sengende Sonne geschützt, so daß die Gluthitze immerhin erträglich war. Nach Belieben konnten sie die Leinwand vorn oder hinten, rechts oder links zurückschieben und die freie Aussicht genießen, wenn man von einem Genuß reden kann, wo das Auge in abwechslungsloser Eintönigkeit nur flimmernden Sand zu sehen bekommt. Doch sah man wenigstens das bunte, bewegte Bild der Karawane, die Hügel und Täler der Sanddünen und den blauen Himmel. Dazu begehrte der neugierig sehnsüchtige Blick, frei in die unendlichen Fernen schweifen zu können, in der beständigen Hoffnung, einmal eine Abwechslung zu entdecken, ein fernes Gebirge oder grüne Palmenwipfel, die das Vorhandensein des heiß begehrten Wassers verhießen.

Die Mädchen ließen daher ihr Reisezelt stets, wenigstens nach vorn, geöffnet, außer wenn sie sich, von der drückenden Schwüle erschlafft, eine Weile der Ruhe hinzugeben wünschten.

Es läßt sich denken, wie begierig, ja ängstlich, sie heute Ausschau hielten: wann endlich würden sich am Horizonte die sicheren Anzeichen zeigen, daß der vom Fakir so bestimmt verheißene Brunnen nicht mehr ferne sei?

»Es ist ein abscheuliches Gefühl,« bemerkte Baronesse Hulda, »das dieser entsetzliche Sandsturm bei mir hinterlassen hat: es ist mir, als ob nicht nur alle Poren meiner Haut durch seinen Sandstaub verstopft seien, die Augen brennen mich und bei jedem Blinzeln der Lider habe ich das Gefühl, als gingen glühende Sandkörner kratzend über den Augapfel. Meine Nase scheint mir mit Sand angefüllt, der bei jedem Atemzug prickelnd und kitzelnd die Schleimhaut reizt. Mein ganzer Schlund, bis in den Magen hinunter ist rauh und dürr, wie mit einer heißen Sandschicht bedeckt, ja, ich glaube, statt des Blutes rieselt Glutsand durch meine Adern.«

»Mir ist es nicht viel anders,« bestätigte Monika, trotz ihrer Qualen lächelnd: »Es wird viel Wassers bedürfen, um uns äußerlich und vor allem innerlich von den Sandmassen rein zu spülen, mit denen uns der Sturm überschüttet, erfüllt und durchdrungen hat.«

»O wenn ich nur einen Fingerhut voll Wasser haben könnte,« seufzte Isolde. »Gnädigste Baronesse, jetzt erst verstehe ich recht den reichen Mann in der Hölle, der flehte: ›Vater Abraham, erbarme dich mein und sende Lazarus, daß er das äußerste seines Fingers ins Wasser tauche und kühle meine Zunge, denn ich leide Pein in dieser Flamme!‹ Kann es denn wirklich in der Hölle ärger sein als hier in dieser glühenden Wüste?«


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