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24.
Franzls Entdeckung

Es wurde Rat gehalten.

»Es hilft nichts,« sagte der Pascha nach längerer fruchtloser Beratung: »Wir müssen Streifen, oder mit dem militärischen Fremdwort ausgedrückt, Patrouillen, nach allen Richtungen aussenden. Einen Anhaltspunkt haben wir ja: wir sahen am ersten Morgen die Spur in die Wüste führen, in westlicher oder südwestlicher Richtung. Von diesem Ausgangspunkt lassen wir also unsere Abteilungen ausstrahlen. Die Hauptrichtungen müssen der Westen, der Nordwesten und Südwesten sein, und, da letztere Richtung die größte Wahrscheinlichkeit für sich hat, bin ich dafür, daß auch noch südsüdwestlich gesucht wird. Es müßte schon besonderes Pech sein, wenn keine dieser Abteilungen schließlich auf die Spuren stoßen würde, die von den Vermißten auf ihrer Weiterwanderung nach dem Regen hinterlassen wurden, die also unverwischt sind.

»Jede Streife besteht aus zum mindesten einem Deutschen und einem Araber und nimmt drei Kamele mit, um die nötigen Lebensmittel und vor allem reiche Wasservorräte bei sich zu führen, so daß sie nötigenfalls acht bis zehn Tage unterwegs sein kann, wobei das Wasser zu sparen ist. Keine Abteilung darf von der eingeschlagenen Richtung um ein Haar breit abweichen, es sei denn, daß sie auf die Spur der Verlorenen trifft. In diesem Falle folgt sie selbstverständlich dieser Fährte und muß genau darauf achten, wie weit und in welcher Richtung sie von dem ursprünglichen Wege ablenkt, um die Lage der Oase jeden Augenblick feststellen zu können. Wer einer solchen Berechnung nicht fähig ist, wird gut daran tun, wenn er das Glück hat, die Vermißten aufzufinden, einfach auf seinen eigenen Spuren wieder zurückzukehren, falls es ihm seine noch übrigen Lebensmittel- und Wasservorräte irgend erlauben. Dann kann er die Oase unmöglich verfehlen, wenn er auch etwas länger zur Heimkehr benötigt; und, da er bloß seiner eigenen Fährte zu folgen braucht, hat er es nicht einmal nötig, sich nach der Sonne zu richten, wie er es auf dem Hinweg, in Ermangelung eines Kompasses, tun muß.«

»Ich werde mich nach Nordwesten wenden,« schlug Rommel vor: »Dies ist zwar der Weg, der am wenigsten Aussicht bietet, allein ich rechne, daß wer sich verirrt, gerade da zu finden sein kann, wo man ihn am wenigsten vermutet.«

»Echte Professorenweisheit!« lachte der Kapitän. »Ich meinesteils wende mich nach Westen. Billinger mag nach Südwesten ziehen, und da die Damen sich die Beteiligung nicht verwehren lassen, sollen sie beisammen bleiben und die südsüdwestliche Richtung verfolgen. Sie bekommen dann, entsprechend der größeren Personenzahl, fünf Kamele mit, statt deren drei, wie wir andern.«

Diese Anordnungen des Hauptes der Karawane wurden widerspruchslos befolgt.

Franz Billinger war besonders froh über die ihm zugeteilte Strecke; denn sie entsprach ja gerade dem Weg, den die Jäger vermutlich eingeschlagen hatten, und so hoffte er am ehesten Erfolg: an ihm sollte es nicht fehlen. Als Begleiter wurde ihm der Kamelführer Mahmud mitgegeben, ein junger Mann, mit dem er besondere Freundschaft geschlossen hatte, weil er zutraulich, offenherzig, gutmütig und heiteren Sinnes war. Mahmud ben Abdullah war überdies ein sehr begabter Jüngling, dem das Erlernen fremder Sprachen ein Kinderspiel schien. Er hatte öfters deutschen Reisenden als Führer gedient und verstand das Deutsche gut, sprach es auch ganz geläufig, und, wenn man sich an seine eigentümliche Aussprache gewöhnt hatte, recht verständlich. Im vertrauten Umgang mit Franz, an dem auch er eine besondere Freude hatte, erlernte er rasch auch die bayrische Mundart, die ihm ausnehmend gefiel: »Das is das schänste Daitsch!« pflegte er zu sagen, worin ihm der Bayer selbstverständlich beistimmte.

Die beiden ritten je auf einem Kamele, das dritte an der Leine führend, und da sie die Tiere zu höchster Eile antrieben, legten sie in einem Tage die Strecke zurück, zu der Steinberg und Peter bei ihrem überaus gemächlichen Ritt deren zwei gebraucht hatten.

Bis dahin war der Baron strengstens dem Kompaß nach Südwesten gefolgt, und da Billinger dies, seiner Weisung gemäß, gleichfalls tat, schlug er das Nachtlager gar nicht fern von der Stelle auf, wo die Jäger übernachtet hatten. Er hatte dabei ganz besonderes Glück; doch das sollte er erst am andern Morgen erfahren, denn heute war es schon stockfinster als das Zelt aufgerichtet wurde.

Als das Tageslicht die Schläfer weckte, spähte Franz zum Zelt hinaus.

»Hallo! Wos is dann dös?« rief er: »Do bloacht a leibhoftigs Gerippen in da Sunnen!«

Er eilte auf die Stelle zu, wo die Gebeine zwischen verwesenden Eingeweiden blinkten, und Mahmud war ihm bald zur Seite.

»Däs is oan Gasellen!« sagte dieser: »Und durt liegen ihrer ihr Fell und faulen allberoats, aba erst seiter gersten.«

»Dös is amol a Mordsg'stonk!« bruddelte der Bayer und schüttelte sich: »Puh! – Aba dö Hürna hamm s' obg'sägt. Da Herr Baron hat jo a Sägen an soam Toschenmessa. Also, dös is a richtige Antilopenjogd g'wesen. Aba woher dö Gasellen mitten in dö Wüsten herin kummen is, dös is ma a Rätsel.«

»Däs is vunwegen das Regen,« belehrte ihn der gewiegte Araber: »Wanns in dö Wüste tut regern, all poar Johr oanenmal, wachsen der Gras ganz hoch und kummen Antilopen, woaß koan Mensch woher, bloß sö selber wissen, und hernach wieder verschwinden mit der Gras.«

»Also hier san s' g'west, dös steht fest! Nachher gilt 's aufmirken. Denn wann dös Oas erst seit gestan fault, wi du moanst, – stinken tut 's aba schun mordsmäßig, ols ob's a ganze Wochen doliegen taat, – alsdann hamm s' dös Viecherl vurgestan noch am Regen hing'mocht und san hernach vun hier aufbrochen, und ma müssen eahna ihre Spuren auffinden.«

So rasch war die Fährte freilich nicht entdeckt; denn das verdorrte und zu Staub zerfallene Gras hatte sie hier größtenteils zugedeckt. Immerhin ließen sich stellenweise noch einige Eindrücke feststellen, die nach Süden wiesen.

Eifrig wurde nun die Spur verfolgt, als Mahmud plötzlich ausrief: »Oan Löwe, oan leibhaftiges Löwe! Oan Löwen hamm sö derlegt, die gewaltsamen Jäger: hier liegen das tote Leib, nackigt und der Fell hoben s' ihr abzugen.«

»An Löwen hamm s' g'schossen?« wiederholte Franz und betrachtete das abgehäutete Tier: »Dös fuchst mi schun g'walti, daß da Preiß a so an Jogdglück g'hobt hot und i ollweil Pech hob und koan so Viecherl derwisch. Aba nur stad! Oanes schönen Tags, do werdet ös schun mirken, wos da Franzl vur a Jaga is. A so a Löb is ma schun z'gring: dös is Weibawild. Aba loß an Elefanten kimmen oder gor a Mammut, und da Billinger schiest an üba'n Haufen.«

»Was sagst?« fragte der Araber vorwurfsvoll: »Mir, der Mahmud, du wöllen derschießen, wo doan Freund san?«

»Wos redst daher, Freunderl?« beruhigte ihn der Vater der Mauleselin: »Di moan i nit: a Mammut, dös is a Mordsvieh, größa wie an Elefonterl. Da Professa sogt, sö san ausg'storben; aba dös hob i schun long g'mirkt: moan Professa woaß aa nit alles, und in da Wüsten, wo a no nit hinkummen is, konn a so a Mammut no z'finden soan: dös derfst fein glaaben. Und mir waar's recht, wann ma oans vakimmen taat, daß i dö ondern zoagn kunnt, wos da Franzl vur a Kerl is. Jetz aba vuran! daß ma dö Löwenjaga ball finden.«

Die Spuren wiesen durchs Flußbett und nordöstlich weiter. Bald wurden sie im Sande so deutlich, daß sie nicht mehr zu verkennen waren.

Von Zeit zu Zeit zog Franz das Fernglas hervor, mit dem er sich vorsorglich bewaffnet hatte, und suchte den Horizont ab, jedoch ohne jemals etwas zu erspähen.

Gegen Abend endlich entdeckte er in der Ferne ein Kamel, auf dem ein Mann ritt, während ein zweiter nebenher ging.

»Hurra!« rief er: »Dös san dö Herrn Vamißten! Jo, da Franzl entdeckt alles. I sog da, Freunderl, da Klumbumbus wann i g'wesen waar, nachher hätt' i nit bloß Amerika entdeckt, sundan no an Welttoal dozu: dös derfst fein glaaben.«

Mahmud gewahrte die Gruppe gleichzeitig, ohne Glas, mit seinen scharfen Augen.

»Wohr is, dö sans!« bestätigte er: »Drei Persunen sans: an Kamel und zwoa Nemsi; jo, Mahmud Ben Abdullah, wenn die Klumbumbus g'wesen soan, drei Welttoal würden hoben entdeckt mit soaner scharfen Aagen, ohne die Horn von oaner Schneck!«

Der Araber sah nämlich das Fernrohr für ein künstliches Riesenschneckenhorn an und meinte, an seiner Spitze sei, wie bei einer Schnecke, ein Aug' befestigt, durch das die Europäer ihr eigenes Auge verlängerten, um in die Ferne sehen zu können: er bedurfte solcher Hilfsmittel nicht, denn er sah weiter, als die größte Schnecke.

Nun wurde Galopp geritten, da auf keine Fährte mehr zu achten war. Nach einer Weile sah Franz die Erspähten anhalten. Sie kamen überhaupt langsam vorwärts, da Grill zu Fuß wanderte und auch ermüdet sein mochte. Außerdem schienen sie im Zweifel, ob sie den richtigen Weg verfolgten, denn der Baron hielt mit seinem Glas nach Norden und Nordosten Ausschau.

»Er sucht dö Oasen,« bemerkte Billinger: »Jo dö konnst fein nit derschauen, Barönderl! Do bist gor z'weit dovun obkimmen.«

Jetzt hörte Steinberg die Kamele nahen und erblickte, sich nach der Richtung wendend, die Ankömmlinge. Der Bayer rief ihm schon von ferne zu:

»Sö san aba a saubas Enderl vun Eahna Ihrn Weg obkimmen: dös is nit nur a so in da Wüsten, wo 's koan Wegzoaga nit gibt. Do hoaßt 's fein aufmirken und nit da Nosen noch gehn, sunst kimmst ball nimma außi aus da G'legenhoat.«

»Habe mir's in der Tat gedacht, daß wir vom Weg abgekommen sind,« erwiderte der Baron: »Das Eklige aber war, daß wir überhaupt keinen Weg hatten, nicht einmal einen Fußweg, geschweige denn eine richtige Landstraße.«

»Do hamm S' recht!« pflichtete Billinger bei: »Dös stimmt! In dösa Wüsten Sara sans übahaapt koane Weg nit: dös is bei uns dohoam in Boaern anders, denn mir sans an gebüldets Volk und koane so unzieferisierten Orober. In Boaern san Weg in dö wildesten Felsen herinnen, und Wegzoaga aa: do konnst di fein nit vairren. Und an jeda Stroßen hockt a Stoanklopfa, daß sö in Stond g'holten wurd. Aba in dösa ganzen Sara hob i no koan Stoanklopfa g'sehn. Dö san hier no ganz z'ruck in da Koltur. Übrigens nimmt mi's ollweil Wunda, worum sö dö Wüsten grod noch am Abraham soaner Sara tauft hamm: dö Sara muß doch a saubas Weibsbüld g'west soan noch am büblischen B'richt, und koan wüsts Frauenzimma. Aba freili, olt is s' worrn, stoanolt, und do loßt sö's denken, daß sö auf d'letzten a richtige wüste Sara worrn is.«

Peter Grill fühlte sich gedrungen, sein Licht leuchten zu lassen, und bemerkte in belehrendem Ton: »Ik meene, diese Wüstenjejend hat mit die Patriarchin nichts zu schaffen, indem det diese bloß Sara jeheeßen hat, die Wüste aber Sahara.

»Jetz schauts den g'scheiten Preißen on!« spöttelte Abu Barlah: »Woast denn du nit, daß der Sara ihr Monn z'ersten Abram g'hoaßn hot, hernach aba hat er sö Abraham g'schrieben. Wann aus Abram Abraham worrn is, nachher is klor, daß aus Sara Sahara worrn is: dös is oan Hondel, und Sara und Sahara is dös nämlich Weibsbüld, dös is so klor wie a Wurstbrühen.«

Dagegen ließ sich freilich nichts einwenden, und Abu Haschisch entschied die Streitfrage, indem er erklärte: »Ich glaube, Billinger hat recht: denn von wem sollte die Wüste sonst ihren Namen herleiten? Mir ist keine andere Sara oder Sahara bekannt, als die Stammutter des Volkes Israel. Und da ihre Nachkommen lange Zeit in Ägypten lebten und die Pyramiden in der Wüste erbauten, liegt nichts näher, als daß sie dieser jenen Namen beilegten, zu Ehren ihrer Ahnfrau.«

»A saubere Ehren!« brummte Franzl: »I moanestoals taat mi schön bedonken, wann 's oanen oanfollen taat, a so a Wüsten, a so a lumpete, Franzl Billinger z'hoaßen, mir z' Ehren!«

»Ik ließe mich det schonst jefallen,« meinte der Preuße dagegen: »Meen Name würde dadurch doch weltbekannt und weltberühmt. Denke dich, wenn et heeßen täte: den janzen Norden det afrikanischen Weltteels nimmt die unjeheure Wüste Jrill in!«

»Jawoll, Preiß, du host holta doane Grillen.«

Da die Sonne bereits sank, wurden die Zelte an Ort und Stelle aufgeschlagen, und nach einem bescheidenen Nachtmahl begab sich die kleine Gesellschaft zur Ruhe.

Sie sollte sie jedoch nicht lange genießen.

Kaum eine Stunde mochten sie geschlafen haben, als sie unsanft geweckt wurden: weiße Gestalten beugten sich über sie und legten ihnen Fesseln an, so daß sie keinen Augenblick über ihr Schicksal im Zweifel sein konnten.

Offenbar waren es wieder einmal räuberische Beduinen, in deren Gewalt sie geraten waren.

Bald erkannten sie auch, daß es die nämlichen seien, in deren Gefangenschaft sie sich erst vor kurzem befunden hatten; denn sie vernahmen die triumphierende Stimme des Scheichs, der ihnen höhnend zurief: »Allah ist groß! Sein Name sei gepriesen! Er hat eure Listen zuschanden gemacht und seinen Gläubigen den Sieg verliehen über die Hunde, die uns beraubt und betrogen haben. Und sind es auch nicht alle, die wir hier fanden, so wird er uns doch auch bald ihre Kameraden in die Hände liefern, – sie sind gewiß nicht weit!«

Franz Billinger wehrte sich mit Bärenkraft, während die andern zu überrascht waren, um an ernstlichen Widerstand zu denken. Doch auch der Bayer richtete nichts aus gegen die Übermacht der muskelstarken Wüstensöhne.

»Dös is jo da saubre Räuberhauptmonn!« rief er aus, als er den Scheich an der Stimme erkannte: »Dös glaab i woi, daß d' a Freud host, du schurkischa Schlankl, daß du an Franzl Billinger derwischt host. Aba is dös aa christlich, oan im Schlof z'übarumpeln?«

»Det sin ja jar keene Christen nich,« belehrte ihn Peter: »Det sin Jötzendiener von Allah un Mohammed, von die du keene christliche Aufführunk erwarten darfst.«

»Is ma ganz oans! Onständig hat so jeda onständige Mensch aufz'führen, und dös is amol koan Onstand, und koan Büldung. In Boaern, wamma wärn, nachher taaten s' dingfest g'mocht werrn, und ins Zuchthäuserl müßten s' morschiern, dö ganz Pakasch. Aba hier herunten in da Wüsten Sara sans koane ehrlichen Schutzmänna nit, und a Zuchthaus hob i aa no nit derschaut: dös san ganz miserablige Zuständ. Und da Franzl lost sö dös nit g'folln: i aheb Oanspruch, und i sog da, du Spitzbüberl vun an Beduwinenscheich, bei da nächsten G'legenhoat derwischt di da Billinger bei doam Bernuß, doam drecketen, und schüttelt di, daß d' vur Schrecken zu doam Propheten und zu Allah und olle soane Hoal'gen schreist, aba helfen werden s' da fein nit, weil d' a so a Tropf bis, an erbärmlicha!«

Vorderhand mußte sich jedoch auch der tapfere Bayer in sein klägliches Schicksal ergeben.

Übrigens war seine Entrüstung übel angebracht; denn er hätte sich erinnern sollen, daß er vor kurzem selber mitgeholfen hatte, eben diese Beduinen im Schlafe zu überrumpeln, ohne dies unchristlich, unanständig und ungebildet zu finden.


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