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In der Morgenfrühe war, in Anbetracht des langen Nachtmarsches, eine kurze Rast gehalten worden. Während dieser Ruhepause erlauschte Peter Grill etwas, das ihm äußerst unheimlich und hochwichtig vorkam.
Er besaß nämlich ein Gehör von so außerordentlicher Schärfe, daß er schon oftmals, ohne lauschen zu wollen, obgleich er auch dies gelegentlich nicht verschmähte, Dinge vernommen hatte, die keinesfalls für seine Ohren bestimmt waren, und die er nur deshalb zu hören bekam, weil die Redenden sich vollkommen versichert hielten, er könne auf solche Entfernung unmöglich ein Wort verstehen.
Dies war auch diesmal der Fall: Abd ul Hagg ruhte mit Hamed und Mohamed etwas abseits und besprach sich mit ihnen mit gedämpfter Stimme. Peter und Franz lagerten ihnen zunächst, doch so entfernt, daß die Araber mit keinem Gedanken daran dachten, sie könnten von ihnen verstanden werden.
Die Diener unterhielten sich miteinander, als der Preuße plötzlich sagte: »Du, Franz, schließe eenmal deene Speisekammer janz luftdicht: ik meene, die drei Halunken dort drüben verhandeln Jeheemnisse, die uns anjehen. Det möchte ik jerne unjestört mit anhören.«
Billinger lachte: »Dös glaab i, daß du deana ihre G'hoamnis derlauschen möchtst, wann s' würklich G'hoamnis mitoanand tuscheln. Aba doana Ohrwoscheln san z'kloan: dö moanigen sans a guts Toal größa, aba koan Wörterl versteh i vun ihr'm G'flüsta. Ma san z'weit weg und sö reden z'loas.«
»Still, still! Ik saje dich, ik besitze een Jehörorjan, det uf eene Meile det Jras wachsen hört. Ik verstehe beinahe jedet Wort von ihren Jelispel!«
Franz schwieg, wenn auch ungläubig, und Peter lauschte, während sich beide den Anschein gaben, emsig beschäftigt zu sein.
Unmöglich konnte der Horcher jedes Wort erfassen, doch erlauschte er immerhin so viel, daß er das Nötige ergänzen konnte.
Die drei Mohamedaner führten inzwischen folgendes Gespräch:
»Wenn sie aber den Brunnen entdecken?« fragte Mohamed et Talib.
»Unmöglich!« erwiderte der Fakir: »Das Tal liegt so zwischen den Felsen verborgen, daß es von außen gar nicht zu sehen ist, und kein grüner Grashalm sein Vorhandensein verrät: erst wer am Eingange selber steht, erschaut die saftigen Weiden, die ihm künden, daß hier ein Brunnen sprudelt. Zur Vorsicht aber werde ich die Karawane warnen, sich den Felsen zu nähern: man nennt sie ja ›Die Geisterburg‹, und ich werde ihnen von den Dschinns und Ghuls erzählen, die dort hausen und jeden Menschen töten, daß kein einziger es wagen wird, dem unheimlichen Gebirge nahe zu kommen. Wir aber schleichen uns im Dunkel mit unsern Kamelen hin, und ziehen dann mit gefüllten Wasserschläuchen weiter nach der Oasa Kufra, während die Christenhunde in der Wüste liegen bleiben und verschmachten.«
»Und so viele Gläubige mit ihnen?« fragte wieder Hamed bedenklich.
Abd ul Hagg zuckte die Achseln: »Wenn es Allah so beschlossen hat, was vermögen wir dawider zu tun? Übrigens, wenn wir hernach die Messingstadt erreichen, ist es nur vorteilhaft für uns, wenn wir uns allein in ihre Schätze teilen können. Darum nimmt auch jeder von uns zwei unbeladene Tiere mit, die seine Beute tragen sollen. Die Kamele tränken wir am geheimen Brunnen: für die anderen haben sie doch keinen Wert mehr, da alle ihre Tiere mit ihnen verdursten müssen.«
»Wenn es aber Allahs Wille ist, daß sie das Tal des Lebens entdecken?« wandte Mohamed hartnäckig ein, und Hamed fügte hinzu:
»Du weißt, die Dschemels wittern Wasser auf große Entfernung: schon oft haben sie hiedurch Wüstenreisende vom Dursttode errettet. Das könnte auch diesmal der Fall sein.«
»Wir nähern uns den Felsen gar nicht so sehr, daß es selbst dem feinnasigsten Dromedar möglich wäre, die Quelle zu wittern. Übrigens hoffe ich, daß wenigstens die Rumihs schon zuvor das Ende finden werden, das sie verdienen: ihr wißt, es gibt in diesen Wüsten verborgene Sandseen, von unermeßlicher Tiefe, die jedes lebende Wesen unfehlbar verschlingen und ersticken, das sich nur einige Schritte weit hineinwagt. Wer die Stelle nicht genau kennt, oder nicht zu merken weiß auf gewisse Anzeichen, die dem Unkundigen verborgen bleiben, ahnt nichts von der schrecklichen Gefahr: der Unwissende rennt ihr rettungslos in die Arme.
»Die Rumihs pflegen ja jetzt immer voranzureiten, da sie so begierig sind, die ersten Anzeichen einer Quelle von ferne zu entdecken. Ich, als der Führer, befinde mich bei ihnen an der Spitze. Sobald wir die verhängnisvolle Stelle erreichen, reite ich ein paar Schritte zurück: das ist für euch das Zeichen. Dann haltet an, und wenn ihr wollt, mögt ihr meinetwegen die andern warnen, doch nur mit leisen Worten. Sicherlich haben inzwischen die Europäer alle den trügerischen Grund beschritten, ohne zu merken, wie heimtückisch er ist. Das Einsinken erfolgt nämlich so langsam, daß es anfangs keinem auffällt, sinken doch die Kamele auch sonst im losen Sande oft etwas ein, manchmal fast bis an die Knie. Bis der Vorderste zu ahnen beginnt, welch entsetzliches Schicksal ihm droht, sind die Nachfolgenden sicher schon so weit vorgedrungen, daß es für sie keine Rettung mehr gibt.«
»Sollen die schönen Mädchen mit versinken?« fragte Hamed mit einigem Bedauern.
»Auch sie sind Christinnen, Töchter von Hunden. Doch ihr könnt sie zurückhalten, wenn sie euch leid tun. Sie reiten ja in der Mitte des Zuges, so daß es überhaupt Schwierigkeiten böte, sie ins Verderben zu locken. Wir werden sie dann als Sklavinnen verkaufen und eine hübsche Summe für sie erlösen: so trifft auch sie das Los, das sie als Ungläubige verdienen.«
Den Anfang dieses Gesprächs hatte Grill nicht belauscht. Er hatte daher nichts vernommen von dem geheimen Brunnen, den der Fakir kannte, und den er allein mit seinen beiden Spießgesellen aufsuchen wollte, um sich von dort aus heimlich aus dem Staube zu machen und die Karawane dem Verderben zu überlassen. Als Peter zu lauschen begann, war schon die Rede von dem mörderischen Sandsee: da hatte er aber so viel verstanden, daß er sich daraus den letzten schurkischen Plan wohl zusammenreimen konnte.
»Nun, wos host derlauscht?« fragte Franz etwas spöttisch; denn, so sehr er seine eigenen großen Ohren angestrengt hatte, war es ihm doch kaum gelungen, einige zusammenhangslose und ihm daher ganz unverständliche Worte aufzuschnappen.
»Jerade jenuch habe ik ausjekundschaftet!« erwiderte Peter zu des Bayern Erstaunen: »Der indische Tropf will uns sämtlik in eenen Sandsee verlocken. Ik weeß nich wat det vor een Jewässer is, aber et muß janz heimtückisch sin, det man et jar nich merkt, bis man darin versinkt un versäuft. Er will mit di Herren un uns voranreiten, un wenn er dann kehrt macht, is et so weit, un een Schritt weiter is unser Verderben. Aber nu wissen wir's, un werden uns wohl hüten. Die Damen wollen sie hernach in die Sklaverei verkoofen.«
»Wann du dös wirklich und wohrhoftig derlauscht host, nachher is dös dö größt Büberei, wo i moaner Lebtog g'hört hob. Allah soll dö Hallodrih in ihr'm vertrackten Sandsee dersaufen lossen! Aba kimm: dös müssa ma unsan Herrn derzählen!«
So ängstlicher Natur Steinberg auch war, so leichtsinnig und unbesonnen konnte er sich Gefahren gegenüber zeigen, die er nicht kannte, oder an die er nicht glaubte. Als ihm sein »Kammerdiener«, wie er ihn mit Vorliebe nannte, von dem schrecklichen Schicksal berichtete, das der Fakir ihnen zugedacht habe, brach er in ein helles Gelächter aus.
»Nee!« rief er aus: »Was faselst du da von einem Sandsee? Habe noch nie von so etwas gehört, und andere vernünftige Menschen auch nicht: entweder es ist Sand, dann versinkt man höchstens bis zu den Knöcheln darin, ist also ungefährlich. Oder es ist ein See, meinethalben ein Sumpf, dann sind wir nicht so töricht, uns hinein zu begeben.«
»Aber der Indier hat versichert, et sehe aus wie eene jewöhnliche Wüstensandfläche, und wenn man det schauerliche Jeheemnis nich kenne, merke man jar nichs von die Jefahr.«
»Ach was! Dieser Fakir und Faxenmacher hat gemerkt, daß du gelauscht hast und hat dir einen ordentlichen Bären aufbinden wollen, um uns in Angst zu jagen: er muß uns für Waisenknaben halten, die auf jeden Schwindel hereinfallen. Auslachen will er uns, wenn wir uns nicht weiter getrauen, wenn es ihm einfällt zurückzureiten, so daß wir denken, nu ist die fatale Stelle gekommen. Aber da ist er an die Unrechten geraten. Wenn ich auch glaube, daß der Kerl uns möglicherweise beiseite schaffen will, an solch kindischen Schwindel glaube ich nun doch nicht!«
Da mochte Peter einwenden, was er wollte, es gelang ihm nicht, seinen Herrn von der Gefahr zu überzeugen, vielmehr begann er selber daran zu zweifeln, daß die Sache so gefährlich sei, wie der Indier glaubte. Denn daß es diesem Ernst war mit dem geplanten Bubenstück, daran konnte er nicht zweifeln, denn er war gewiß, daß Abd ul Hagg keine Ahnung davon haben konnte, daß er seine Reden gehört habe, und seine eigenen Spießgesellen so plump anzuschwindeln, wäre für den Fakir doch völlig sinnlos gewesen.
Mehr Glück hatte Franz beim Professor: Rommel hatte von den heimtückischen Sandseen schon gehört, die zwar nur an ganz wenigen Stellen der unermeßlichen Sahara sich finden sollen, aber nach allen Berichten, die über sie verlauteten, genau die Eigenschaften besitzen mußten, die der Indier dem unsichtbaren Schlund zuschrieb, in den er heute noch die Europäer locken wollte, um sie spurlos darin verschwinden zu lassen.
Während des Aufbruchs versäumte er daher nicht, den Pascha vor dem Anschlag zu warnen; er hatte aber bei diesem genau den gleichen Mißerfolg, wie Grill beim Baron.
Münchhausen lachte in seiner herzlichen Weise, die sonst so ansteckend wirkte, diesmal jedoch den besorgten Gelehrten ernstlich ärgerte.
»Professor, Ihr unbegründeter Verdacht läßt Sie wirklich Gespenster sehen,« erklärte der Kapitän, und keine Vorstellungen vermochten ihn von dieser Meinung abzubringen.
Es sollte aber nicht lange dauern, bis sich die Richtigkeit der Enthüllungen Peter Grills in schauerlicher Weise bestätigte.
Noch stand die Sonne nicht gar hoch, als sich an Stelle des beständigen Wechsels von Dünentälern und Hügeln eine endlose Sandebene vor der Karawane ausbreitete. Nur durch das Fernglas entdeckte man in weiter Ferne wieder Höhenzüge; dem bloßen Auge dagegen erschien es, als dehne sich die wellenlose Ebene bis zum Horizonte aus, nur vom Himmel begrenzt, der sich dort mit der Erde vereinigte.
Steinberg ritt mit Münchhausen und Abd ul Hagg voran, gleich hinter ihnen folgte der Professor mit den beiden Dienern.
Kaum war die letzte Sanddüne überwunden und die Karawane entfaltete sich frei in der Ebene, als der Fakir sein Tier wendete und langsam zurückritt, als wolle er nach etwaigen Nachzüglern sehen.
»Keinen Schritt weiter!« rief Rommel, sobald er dies bemerkte, mit lauter Stimme: »Hier muß die gefährliche Stelle beginnen!«
»Mumpitz!« erwiderte Steinberg lachend, und trieb sein Kamel übermütig zu rascherer Gangart an: »Keine Spur von Sumpf oder See: Sand, trockener Sand, wie überall!« Freilich schien der Sand etwas lose zu sein, und Baron Erichs Dromedar sank schon beim ersten Schritt ein: allein dies war weder auffallend, noch ungewöhnlich.
Der Pascha war im Begriff, Abu Haschisch zu folgen, und auch Franz, der sich geschämt hätte, weniger Beherztheit zu zeigen, als seine Herren, wollte mit seinem fünfjährigen Teni das Wagnis unternehmen: es würde ja wohl nicht gleich so gefährlich werden, und wenn man begann, tiefer einzusinken, wäre es, wie er dachte, immer noch Zeit, zu wenden und zurückzureiten.
Aber ein verzweifelter Ausruf Rommels hielt die beiden im letzten Augenblick noch einmal zurück.
»Um Gotteswillen!« schrie Abu Ramleh: »Halten Sie an! Sie reiten in Ihr Verderben! Sehen Sie denn nicht, wie der unselige Baron bereits zu versinken beginnt? O weh! Sein Tier vermag sich nicht mehr herauszuarbeiten: er ist verloren!«
Nun wurde Münchhausen doch stutzig; er hielt sein Kamel zurück und blickte nach Steinberg, dem die Sache nun auch bedenklich zu werden begann. So schlimm, wie der Professor sie darstellte, schien sie freilich noch nicht; denn es gelang den verzweifelten Anstrengungen des bis an die Knie eingesunkenen Kamels herauszukommen. Es machte einen wilden Sprung, leider nach vorn, und jetzt ging es mit dem Sinken rascher voran: es war, als sei unter der sandigen Decke ein zäher Brei verborgen, aus dem das Reittier seine Beine nicht mehr befreien konnte.
Für den Unkundigen sah übrigens die Sachlage noch gar nicht so gefährlich aus: nun steckte das Kamel zwar schon bis über die Knie im unsichtbaren Morast, doch hätte man glauben sollen, es müsse ihm ein leichtes sein, wieder hoch zu kommen und mit einigen Sätzen den sicheren Boden zu erreichen, auf dem die Karawane hielt, und von dem der kühne Vorreiter nun etwa zwanzig Meter entfernt sein mochte. Das zappelnde Dromedar bot eigentlich einen erheiternden Anblick dar mit seinen krampfhaften Bemühungen, sich emporzuarbeiten.
Bald aber mußte auch dem Harmlosesten die schreckliche Erkenntnis aufdämmern, in welch entsetzlicher Lage sich Steinberg befand: umsonst riß er an den Zügeln, – er bekam das Tier nicht herum. Dazu hätte es zuvor die Beine freibekommen müssen, und jeder Versuch hiezu brachte es nur umso tiefer in den nachgiebigen Untergrund hinein. Zwar bot dieser so viel Widerstand, daß es mit dem Einsinken nur Zoll um Zoll voranging, beinahe unmerklich, aber eben auch unaufhaltsam.
Der Baron sah sich unrettbar verloren. Allein in dem Augenblick, da er die ganze Furchtbarkeit des Geschickes erkannte, das ihm bevorstand, zeigte es sich, daß er im Grunde doch nicht die Memme war, als die ihn seine sonst so übertriebene Ängstlichkeit erscheinen lassen konnte. Freilich wagte er es nicht, den Rücken des Kamels zu verlassen, um den Rückweg zu Fuß zu versuchen; hiezu bestimmte ihn jedoch die vernünftige Überlegung, daß er hier wenigstens noch eine Zeitlang in Sicherheit war. Es würde immerhin noch eine Weile dauern, bis das Dromedar bis zum Bauche versank; dann mußte sich der verderbliche Vorgang naturgemäß bedeutend verlangsamen, einmal, weil es die Beine nicht mehr regen konnte, durch deren verzweifeltes Strampeln das Unheil nur beschleunigt wurde, sodann fand es auf der Oberfläche einen besseren Halt, wenn es einmal mit dem ganzen umfangreichen Unterleibe auf derselben ausruhte. Erst wenn auch der Höcker verschwand, würde es mit dem Reiter hineingehen in die unheimliche Tiefe. Dann war es immer noch Zeit, den letzten, verzweifelten Versuch zu wagen, ob nicht einige Sprünge über die trügerische Fläche, dem rettenden Ufer zu, es ermöglichen würden, den Gefährten so nahe zu kommen, daß sie den Ärmsten erreichen und herausziehen könnten.
Das alles hatte Steinberg überlegt, als er zurückrief: »Da bin ich in eine eklige Klemme geraten! Muß in der Tat ein bodenloser Sumpf unter dieser heuchlerischen Sanddecke sich befinden. Da komme ich wohl kaum wieder heraus: tut aber nichts, wenn ich nur das einzige Opfer des tückischen Anschlags bleibe, der bestimmt war, uns alle zu verderben. Darum bitte ich, daß mir ja keiner folgt, um einen tollkühnen Versuch zu machen, mir beizuspringen: er würde es nur mit dem Leben bezahlen müssen, und mir wäre doch nicht geholfen.«
Die Deutschen waren jedoch selbstverständlich nicht gesonnen, ihren unglücklichen Gefährten im Stiche zu lassen: jeder war bereit, auch mit eigener Lebensgefahr, einen Rettungsversuch zu unternehmen. Wie wäre es ihnen möglich gewesen, untätig zuzusehen, wie der Unvorsichtige elend versinken und ersticken mußte. Doch galt es, wohl zu überlegen, was mit einiger Aussicht auf Erfolg unternommen werden konnte; denn einfach beizuspringen und selber hilflos stecken zu bleiben, wäre Wahnsinn gewesen.
Monika war die erste, die einen brauchbaren Gedanken hatte, und auch sofort zu seiner Ausführung schritt. Sie war eine vorzügliche Turnerin und hoffte, mit einigen Stabsprüngen das sinkende Kamel erreichen zu können, vorausgesetzt, daß sie nicht unterwegs stecken bleiben würde, was eigentlich das wahrscheinlichste war.
Rasch befahl sie, den Tachtirwan auf den Boden zu setzen, und ergriff zwei der Stangen, auf welchen er ruhte. Zugleich ließ sie sich zwei lange Leinen bringen, deren eines Ende sie an den Sätteln zweier Kamele befestigte, während sie die andern Enden an ihren Schultern festband.
Verwundert sahen alle ihrem rätselhaften Treiben zu. Als jedoch klar wurde, was sie beabsichtigte, erschollen allgemeine Schreckens- und Warnungsrufe.
Das tapfere Mädchen ließ sich aber nicht irre machen: es setzte die Enden der Stangen so weit als möglich in den Sumpf vor und gab sich einen kühnen Schwung, der sie um etwa fünf Meter voran brachte. Behende zog sie die Stäbe an sich, und ehe sie noch merklich eingesunken war, schwebte sie schon wieder in der Luft, im zweiten Sprunge. Diesmal sanken die Stangen so tief ein, daß es die kühne Harmonika Mühe kostete, sie zu sich herzuziehen, und während des dadurch verursachten, wenn auch kurzen Aufenthaltes, versanken auch ihre Füße in bedrohlicher Weise.
Atemlos und mit angstvoll klopfendem Herzen sahen ihre weißen Gefährten dem beklemmenden Schauspiel zu, und auch mancher biedere arabische Kameltreiber rief, teils in der Stille, teils mit lauter Stimme, Allah um Hilfe für das edle Mädchen an. Eigentlich war es nur der herzlose Abd ul Hagg, der ihr das Mißlingen ihres Unternehmens und den Untergang wünschte; denn selbst Hamed und Mohamed konnten sich der Teilnahme für sie nicht erwehren.
Der dritte Satz war gelungen, und der vierte mußte Monika ans Ziel bringen, wenn er ihr glückte.
Das aber schien jetzt ausgeschlossen, denn die Stangen steckten so tief, daß es eine gute Weile dauerte, ehe der jungen Heldin fast übermenschliche Anstrengungen sie wieder losbrachten. Sie war niedergekniet, um langsamer einzusinken; hier aber war der Untergrund schon so dünnflüssig, daß sie gehörig feststeckte, als sie endlich ihre Sprungstäbe wieder bei sich hatte.
Nun folgte ein aufregender Kampf auf Leben und Tod: Monika legte die Stangen lang auf den Boden und suchte sich an ihnen herauszuheben. Sie boten genügenden Halt, da sie nicht versinken konnten: in der Mitte, wo des Mädchens ganze Last sie niederdrückte, bogen sie sich wohl nach unten und verschwanden zum Teil unter dem Sand der Oberfläche; dafür wurden aber ihre Enden nach aufwärts getrieben.
Die Dünnflüssigkeit des geheimnisvollen Morastes, der übrigens keinerlei Feuchtigkeit aufwies, war jedoch nicht derart, daß sie ein leichtes Entkommen ermöglicht hätte: die Bezeichnung als »dünnflüssig« ist überhaupt nur ein Notbehelf, um einen Zustand des Bodens zu versinnlichen, der, ohne wirklich irgendwie flüssig zu sein, doch die Eigenschaften einer breiigen Flüssigkeit aufwies.
Die Harmonika fühlte sich so fest umklammert und gleichsam wie mit tausend Geisterarmen in die Tiefe gezogen, daß sie beinahe an ihrer Rettung verzweifelte. Umso inbrünstiger stiegen ihre Gebete zum Himmel hinauf, nicht ihretwegen, aber um des unglücklichen Mannes willen, dem sie so gerne Rettung gebracht hätte.
Und siehe da! es tat einen Ruck, und allmählich hob sich ihr Körper empor. Sie konnte sich wieder aufrichten und Fuß fassen. Nun setzte sie unverzüglich zum letzten Sprunge an, der sie auch glücklich bis hart an Steinbergs Kamel brachte. Die tief eingesunkenen Stangen mußte sie diesmal im Stiche lassen: sie brauchte sie ja auch nicht mehr. Kniend befestigte sie die Enden ihrer Stricke an den beiden Hinterschenkeln des Dromedars. Sie arbeitete mit fieberhafter Behendigkeit, wohl wissend, wie kostbar jeder Augenblick war. In wenigen Sekunden war sie fertig, noch ehe sie so tief eingesunken war, daß sie sich nicht mehr am Kamel hätte herausziehen können. Sie schwang sich zu Steinberg in den Sattel und sah alsbald, daß sie es nicht nötig hatte, den jubelnden Freunden am Ufer Weisungen zu erteilen: denn schon trieben die Kameltreiber die Tiere, an denen die andern Enden der Leinen befestigt waren, die Sanddüne empor, und andere erfaßten die nun straff gespannten Stricke und halfen aus Leibeskräften ziehen.
Es ging langsam, denn das verunglückte Kamel steckte schon bis zum Bauche fest. Aber so vielen Kräften konnte sein Gewicht und die Zähigkeit des Sandsees keinen wirksamen Widerstand entgegensetzen: Schritt für Schritt wurde es mit seinen Reitern herangezogen, bis es endlich auf dem festen Boden lag. Freilich waren ihm sämtliche Beine gebrochen, so daß es sofort erschossen werden mußte, um ihm unnötige Qualen zu ersparen, da es in diesem Zustande unmöglich mitgenommen werden konnte. Aber was wollte dieser Verlust besagen gegenüber der Freude, daß zwei schwer bedrohte Menschenleben glücklich gerettet worden waren.
Steinberg erging sich in den wärmsten Dankesbezeigungen gegen seine Lebensretterin, wie es ja selbstverständlich ist. Die andern überhäuften sie mit Glückwünschen und Lobsprüchen über ihren Mut und ihre Aufopferung. Sie hatte nur zu tun, die Flut abzuwehren und auf die göttliche Hilfe hinzuweisen, ohne die das schwierige Wagnis nicht hätte glücken können.