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Die Reise ging nun abermals durch öde Wüstenei; doch Abd ul Hagg, der die Führung wieder übernommen hatte, versicherte, man werde in keine Gefahr mehr geraten, denn es lägen noch mehrere Oasen aus dem Wege zur Messingstadt, und sie seien nicht so weit voneinander entfernt, daß von der einen zur andern ernstlicher Wassermangel zu befürchten wäre.
Freilich hatten die meisten alles Vertrauen auf des Indiers Beteuerungen verloren; selbst Franz und Monika waren nicht sehr zuversichtlich gestimmt: nur Hussein Pascha zeigte sich geneigt, ihm wieder vollen Glauben zu schenken.
Die nächste der erhofften Oasen schien jedoch weit nicht so nahe, wie es nach den Angaben des Fakirs hätte sein sollen: es trat schon wieder ein bedenkliches Schwinden des Wasservorrats ein, und der sehnsüchtige Ruf, die bange Frage: »Fen el Bir?« »Wo ist der Brunnen?« erscholl immer häufiger von den ausgedörrten, durstigen Lippen der Araber.
»Dö hamm recht!« seufzte Billinger: »Fen el Bir? Ja, wo is a Bier? Wann i jetz a Moaßerl Hofbräu oda Aagustina hoben kunnt, nachher taat i mit unsan Prinzregenten nit tauschen.«
»Aber Franz!« warf Peter ein: »Bir heeßt dich doch uf arabisch Brunnen: det weeßte doch! Von Bier is da keene Rede nich, und die Mahommedianer haben jar keene Ahnunk nich von eener bayrischen Maß oder eener echten Berliner Weeßen, die mich jetzt ooch munden täte, wenn ik ihr man nur kriejen könnte.«
»Laß ma moan Ruh, Preiß!« brummte Abu Barlah unwirsch: »A Bier is a Bier, und wann dö Orober, dö talketen, a lopprigs Wossa a Bier hoaßen, nachher san s' eben nit recht bei Trost. Für mi hoaßt: »Fen el Bir?« – »Wo is a Bier?« Und do konn i eahna nur beistimmen, denn dös is aa moan Herzenswunsch: wann i nur wieda a Bier hätt!«
»Ja, ja, ihr Bayern!« meinte Abu Homrah: »Bier is euch ›Daitschland, Daitschland, über alles!‹ Is dich die Jeschichte bekannt, die bei uns erzählt wird, von den Bayern, der drei Wünsche frei jehabt hat?«
»Loß dös G'schichterl nur los: i hob's no nit g'hört. Aba i wüßt schun, wos i ma wünschen taat, ha!«
»Vermutlich ooch nichs andres, wie deen biedrer Landsmann!« lachte der Vater der Eselin: »Also, spitze jefälligst deen Jehörorjan un vernimm det wahrhaftige Bejebnis. Een braver Bayer, just solch een patenter Kerl, wie du eener bist, hatte sich durch eene wackere Tat die Jnade des Königs verdient, un et wurde ihn eröffnet, det Seene Majestät ihn erloobe drei Wünsche auszusprechen, un sie ihn ooch erfüllen werde, wenn det möjlich sein sollte. Der jute Bayer war natürlich überjlücklich: der erste von die Wünsche machte ihn jar keen Kopfzerbrechen nich: er besann sich jar nich, sondern rief: ›Fürs erste wünsch ik mich Bier jenuch!‹ Ooch der zweete Wunsch jing ihn jlatt von die Zunge: ›Zum zweeten,‹ rief er: ›Würstel jenuch!‹ Dann aber jeriet er in die jrößte Verlejenheet von wejen den dritten Wunsch: er besann sich, kratzte sich hinter die Ohren un et wollte ihn nichs infallen. Uf eenmal, da kommt et ihn, wie eene Erleuchtunk, un er ruft mit verklärten Anjesichte: ›Un zum dritten: noch mehr Bier!‹«
»Bravo!« rief Franz lachend: »Hot's brav g'mocht, und recht hot a g'hobt! Hätt's nit ondas g'mocht an soana Stellen: z'ersten, Bier g'nug, und hernach – noch mehr Bier! Dös is da richtig Boaer g'wesen, der hot g'wißt, wos 's best ist. Jo, jo: Fen el Bir, sog i: wo is a Bier?«
Bald sollte jedoch auch für den bierdurstigen Bayern die Zeit kommen, wo ihm ein Trunk »lopprigs Wossa« genügt hätte, um alle seine Wünsche zu befriedigen; denn der Durst begann, ihm so unerträglich zu werden, wie den andern. Und da half es ihm nichts, daß er diesen Zustand schon einmal durchgemacht hatte: an das Dürsten gewöhnt man sich nie recht, und noch viel weniger an's Verdursten.
Abd ul Hagg hatte seinen teuflischen Plan nicht ausgegeben. Einmal war er mißglückt, aber glücklicherweise nicht durchschaut worden, wenigstens nicht vom Pascha, auf den schließlich alles ankam.
Der Indier beschloß daher, sein Ziel auf die schon einmal versuchte Weise zu erreichen: ein so merkwürdiger Zufall, der im letzten Augenblick einen Fehlschlag herbeiführte, war doch nicht zweimal hintereinander zu befürchten. Er führte daher die Karawane wieder absichtlich irre, was ihm durch Münchhausens Vertrauensseligkeit ermöglicht wurde.
Die Zeit der Ausführung des Planes war gekommen. Das Wasser war bereits gestern ausgegangen, die Kamele hatten schon über eine Woche keines mehr erhalten können: der Zustand von Menschen und Tieren glich genau demjenigen vor der Geisterburg. Diesmal sollte aber der Anschlag besser gelingen.
Der Fakir hatte eine streng westliche Richtung eingeschlagen und erklärt, daß man so am bäldesten die nächste Oase erreiche, die in dieser Richtung liege. In Wirklichkeit lag sie etwa zwei Tagereisen nordwestlich, und auf dem Wege zu ihr, vier Reitstunden von der Stelle entfernt, an der heute nacht gelagert werden sollte, befand sich einer jener zahlreichen geheimen Brunnen, die nur den Eingeweihten bekannt sind. Solche unbekannte Trinkgelegenheiten, von denen die gebräuchlichen Karten nichts wissen, werden von den Kundigen sorgfältig geheim gehalten, und, wenn sie nicht von Natur schon genügend versteckt liegen, mit allen Mitteln verborgen. Dies geschieht aus verschiedenen Gründen: einmal handelt es sich oft um unterirdische Brunnen, in denen sich das Wasser nur langsam und spärlich ansammelt, so daß die wenigen, denen ihre Lage bekannt ist, das größte Interesse daran haben, daß nicht auch andere sie entdecken und sie ihnen womöglich vor der Nase leer schöpfen. Sodann gestattet die Kenntnis solcher Geheimquellen den räuberischen Beduinen weite Züge durch die Wüste zu unternehmen, ohne Gefahr zu laufen, an Wassermangel zu leiden.
Wenn die überfallene Karawane ihrerseits vom Durst geschwächt ist, eben weil ihr die verborgenen Brunnen unbekannt waren, ist sie umso leichter zu überwältigen.
Nun besaß ja Abd ul Hagg Geheimkarten, auf denen die Lage solcher unterirdischer Wasserbehälter genau eingetragen war; freilich durchaus nicht aller, weil jeder Stamm, der versteckte Quellen kennt, sein Geheimnis ängstlich für sich behält, und keinem Fremden einen Einblick in seine Geheimkarten gewährt.
Nachdem nun die Quelle bei der Geisterburg der Karawane bekannt geworden war und ihr das Leben gerettet hatte, strebte der Fakir dem nächsten dieser Brunnen zu, der in seinen Karten eingetragen stand. Genau wie damals wollte er nun heute nacht mit seinen Spießgesellen aus dem Lager entweichen, an der Quelle sich stärken und Wasser fassen, um dann die Oase zu erreichen, an deren Weg sie lag. Da es sich diesmal um einen unterirdischen Wasserlauf handelte, dessen Vorhandensein durch keinerlei äußeres Anzeichen im trockenen Sande verraten wurde, so war eine Entdeckung durch Unberufene so gut wie ausgeschlossen.
Gelang die heimliche Entfernung, und das bot keinerlei Schwierigkeiten, da die Spitzbuben nicht überwacht wurden, wie es die Vorsicht geboten hätte, so konnte auch der Anschlag für gelungen gelten: Vor Tag konnten die Spuren der Entwichenen nicht erkannt werden, wenn je ihre Flucht bemerkt wurde. Ihnen aber genügten zwei Stunden, um den Brunnen bloßzulegen, sich und ihre Kamele zu tränken, und das mit Steinplatten überdachte Loch wieder derart zu verschütten und die Oberfläche einzuebnen, daß niemand hier ein Anzeichen des Quells oder ihres Aufenthaltes daselbst vermuten konnte.
Allerdings vermochten die Kamele, das Wasser zu wittern; allein der Indier hatte sich überzeugt, daß in der Karawane, auch unter den arabischen Kameltreibern niemand war, der von dieser Eigenschaft genauere Kenntnis besaß oder es verstanden hätte, das Verhalten der Tiere bei solcher Gelegenheit richtig zu deuten. Handelte es sich doch nur um Treiber, die stets auf den gewöhnlichen Karawanenstraßen hin und her gezogen waren, welche ihre bekannten, unverhüllten Wasserstellen besaßen.
Abd ul Hagg glaubte also diesmal seinen mörderischen Zweck sicher zu erreichen.
Es war ein ganz böser Marsch heute, und der rasende Durst schien unerträglicher als er jemals gewesen. Dumpfe Verzweiflung brütete über der Karawane.
Schwerfällig und träge schleppten sich die erschöpften Kamele durch den glühenden Sand, und mehr als eines war am Zusammenbrechen. Menschen und Tiere ließen den Kopf hangen, und kein Laut war vernehmbar in der drückenden Hitze, als das mühsame Stapfen der Dromedare.
Nur zwei dieser ausdauernden Tiere zeigten eine ganz außergewöhnliche Fähigkeit im Ertragen aller Strapazen und Entbehrungen: es waren diejenigen Abu Haschischs und Abu Barlahs, des Bayern, dessen Mauleselin gestern verendet war, und der daher ein Dschemel hatte besteigen müssen: der Name »Vater der Mauleselin« blieb ihm nichtsdestoweniger.
Es war ein Zufall, daß Baron Steinberg das beste Reittier besaß, jedenfalls das ausdauerndste. Er ritt jetzt an der Spitze des Zuges, nicht etwa freiwillig, sondern weil sein Sedassi, wie es als sechsjähriges Kamel genannt wurde, immer wieder die andern hinter sich ließ. Das war dem Baron äußerst unsympathisch, weil er sich gar zu lebhaft an seine Todesnot im Sandsee erinnerte, und durchaus keine Lust hatte, vielleicht wieder als Erster in einen solchen unsichtbaren Sumpf zu geraten. Er bat daher Franz Billinger, dessen Tier nächst dem seinen das munterste und schnellfüßigste war, ihm voran zu reiten, was dieser gerne tat und was ihm mit einiger Mühe auch gelang. Freilich mußte er sein fünfjähriges Teni immer wieder antreiben, während Steinberg sein Sedassi krampfhaft zurückzuhalten suchte.
Die beiden waren der schleichenden Karawane beinahe einen Kilometer vorangekommen, als Abu Haschischs Kamel plötzlich den Kopf hob, nach links drehte und lebhaft zu schnuppern begann. Dann wendete es sich halb links und setzte sich in Trab. Vergeblich suchte der Reiter, es zu zügeln: es schien von keiner Ermattung mehr etwas zu spüren und sich um die Lenkversuche seines Herrn überhaupt nicht zu kümmern: immer schneller wurde sein Gang, und nun flog es dahin wie eine Windsbraut, so daß der Baron nur noch zusehen mußte, sich im Sattel zu halten.
Münchhausen bildete mit Rommel, Grill und den drei Mädchen die Vorhut der Hauptkarawane. Als er just nach den beiden Voranreitenden Ausschau hielt, gewahrte er nach einigem Umherblicken den Ausreißer und rief verwundert: »Was ficht unsern Botaniker an: er jagt ja davon, als habe er ein Getreidefeld entdeckt, das ihm die reichste Ausbeute an seltenen Pflanzen verspricht! Dazu hält er eine ganz falsche Richtung ein.«
»Der Mann muß einen Sonnenstich erlitten haben, der seine klare Überlegung verwirrt,« meinte der Professor bedenklich: »Wir müssen ihm zu Hilfe eilen. Er reitet sein armes Tier zu schanden; es ist nur ein Wunder, daß es sich trotz seiner Erschöpfung zu solcher Eile antreiben läßt. Übrigens hätte ich dem Baron ein derartiges Reiten nie zugetraut: das geht ja wie der Wind!«
»Da ist irgend etwas nicht in Ordnung,« behauptete die Zitrone: »Mein Bruder ist nichts weniger als ein tollkühner Reiter, und ich wette, ihm ist himmelangst und bange bei diesem tollen Ritt. Das Kamel muß scheu geworden sein und geht mit ihm durch. Lassen Sie ihm doch sofort Hilfe bringen.«
»Ausgeschlossen!« entgegnete der Pascha: »Er verschwindet bereits am Horizont und von unsern Tieren ist kein einziges imstande, sich zu einem solchen Trab aufzuraffen. Scheu kann das Kamel nicht geworden sein: sagen Sie selbst, vor was sollte es scheuen in dieser öden und ausgestorbenen, eintönigen Fläche?«
»Aber er ist verloren, wenn ihm niemand Hilfe bringt,« sagte nun die Harmonika ängstlich. »Können wir nicht wenigstens die gleiche Richtung einschlagen, wie er? Sein Tier muß doch schließlich ermatten, und dann erreichen wir ihn doch noch, wenn auch erst nach Stunden.«
»Beruhige dich!« tröstete sie ihr Bruder: »Franz Billinger, die treue Seele, läßt ihn nicht im Stich: er ist ihm gleich gefolgt, und es scheint, als ob sein Kamel bereits eine ähnliche Geschwindigkeit entwickelt, wie dasjenige des Barons. Er dürfte schon in der nächsten Minute unsern Blicken entschwinden. Gewiß holt er ihn ein. Übrigens, wenn auch wir ihm zu Hilfe eilen, bedeutet dies für ihn keine Rettung: es kann sich nur darum handeln, ob er einsam verdurstet oder in unserer Gesellschaft; denn daß dieses traurige Schicksal uns allen bevorsteht, wird mir immer mehr zur Gewißheit. Abd ul Hagg ist ein Schurke, das lasse ich mir nicht ausreden.«
»Ach was!« brummte der Kapitän ärgerlich: »Immer dieselbe unbewiesene Behauptung: freiwillig verdurstet der Fakir nicht, bloß um uns zugleich dem Untergang zu weihen. Das ist meine Überzeugung!«
»Immer die gleiche unbewiesene und haltlose Überzeugung!« äffte der Professor den Pascha nach.
»Weder die eine noch die andere Überzeugung rettet uns und meinen Bruder,« bemerkte Baronesse Hulda sehr richtig. »Wenn uns übrigens das gleiche Geschick hier wie dort droht, verschlägt es uns gar nichts, die Richtung zu ändern und meinem Bruder nachzuziehen.«
»Was mir betrifft,« ließ sich Grill jetzt vernehmen, »so werde ik unbedingt den Herrn Baron nachreiten, indem daß ik seen Kammerdiener bin und mir verpflichtet fühle, ihn nich im Stiche zu lassen.«
»Brav!« lobte die Zitrone: »Und ich schlage die gleiche Richtung ein; denn als seine Schwester bin ich die Nächste dazu.«
»Woraus sich ergibt,« flötete Isolde, »daß auch ich meinen pflichtgetreuen Anschluß an die abzweigende Gruppe vollziehe.«
»Ich schließe mich an, unbedingt!« versicherte die Harmonika bestimmt.
»Dann bleibt natürlich mir, als deinem Bruder, nichts andres übrig, als auch mitzugehen,« äußerte Rommel.
Der Pascha lachte: »Der Herr der Karawane wird scheint's gar nicht befragt: Meine gesamte europäische Begleitung ist zu selbständigem Handeln entschlossen. Das ist sozusagen Gehorsamsverweigerung und Meuterei! Glücklicherweise habe ich meine Meinung noch gar nicht ausgesprochen, nach der niemand sich bewogen fühlte, zu fragen. Ich kann also der fatalen Sache ein ganz anderes Gesicht geben, indem ich hiemit den Befehl erteile: Die Karawane reitet dem Baron nach! Damit zwinge ich die Empörer zum Gehorsam, den sie mir schuldig sind.«
Als des Paschas Entschluß den Leuten bekannt gegeben wurde, erhob der Fakir einen so heftigen Einspruch, daß sein Eifer selbst Münchhausen auffiel. Der Indier erklärte:
»Erhabener Pascha, Allah erhalte dein Leben und deine Gesundheit! Dir ist die Macht über uns gegeben durch den Willen Seiner Königlichen Hoheit des Khediven, den der Spender aller Wohltaten segnen möge zum Heile seiner Untertanen. Ich aber bin der Führer der Karawane, der Wegekundige, der die Verantwortung trägt für euer aller Leben. Ich darf es nicht dulden, daß ihr zugrunde geht, durch Abweichen von dem einzigen Wege, der uns in kürzester Frist zur Oase führt, die uns Rettung bringt. Zur Linken grinst der Tod, vor uns ist das Leben: ich darf euch nicht den Weg des Todes ziehen lassen, ich muß euch den Weg des Lebens führen, daß ich vor Allah Rechenschaft geben kann über die mir anvertrauten Seelen.«
Münchhausen wurde auf diese Rede hin wieder schwankend. Der Professor aber erklärte: »Genau wie das letztemal, da wir alle verdurstet wären, wenn nicht Billinger die Quelle in den Geisterbergen entdeckt hätte, hält dieser braune Schuft uns wieder von Tag zu Tag hin mit der Verheißung der nahen Oase. Ich meinesteils beharre bei meinem Entschluß!«
»Ich auch! Ich auch!« scholl es aus dem Munde der übrigen Deutschen.
Abu el Futha sah sich dieser Entschiedenheit gegenüber machtlos und zog es daher vor, seinen Befehl aufrecht zu erhalten, so daß Abd ul Hagg sich zähneknirschend fügen mußte.
»Warum sträubst du dich so sehr gegen die Änderung der Richtung?« fragte Mohamed den Fakir, als dieser zu ihm trat. »Ist dort etwa die Oase?«
»Das nicht! Aber ich besorge, daß Abu Haschischs verwünschtes Kamel uns einen Streich spielen könnte. Einem guten Kamel ist so etwas zuzutrauen. Doch hoffe ich, daß ich mich täusche. Meine Karte ist sehr ausführlich und zuverlässig, und sie gibt glücklicherweise keinerlei Anhaltspunkt für meine Befürchtung. Schlimmer wäre es, wenn der Pascha mehr zur Rechten, nach Nordwesten ausböge; denn dort liegt der verborgene Brunnen, den wir heute Nacht aufsuchen wollen. Das Unangenehme aber für uns ist, daß wir uns nun von ihm entfernen, und unsere Nachtwanderung um mehrere Stunden verlängert wird, was uns Halbverdursteten sauer ankommen dürfte.«
»Wenn es weiter nichts ist,« beruhigte ihn der Hadschi, »so darf uns dies keine Sorge machen: die Kühle der Nacht erquickt unsre Dschemels und uns, und die Gewißheit, frisches Wasser zu finden, wird uns aufrecht erhalten. Ich sage dir, die Aussicht auf den Quell stärkt mich schon jetzt so wunderbar, daß mich die Mattigkeit und die Qualen des Durstes weniger unerträglich dünken.«
Als Steinbergs Kamel durchging, hatte Franz das seinige sofort gewendet, um ihm zu folgen. Anfangs hatte er gegen die Unlust seines Tieres zu kämpfen, das sich durchaus zu keiner rascheren Gangart antreiben lassen wollte; nach einem Ritt von zwei Kilometer jedoch wurde dies plötzlich anders: das Teni streckte den Hals vor und sog schnuppernd die Luft ein, die ihm auf der eingeschlagenen südwestlichen Richtung entgegenwehte. Und bald schlug es einen Galopp an, der dem des Sedassis Steinbergs nichts nachgab.
Franz begriff nichts von diesem Gebaren: »Dö Viecha sans verhext!« bruddelte er vor sich hin: »Z'ersten sans dö roanen Schneckenposten und hernach werdens Automobüller. He! du Automobüllskamelviech, daß d' di fein onstrengst! Woast, jetzt gilt's an Wettlaaf, ob am Baron soan Viech schnella laaft oda du: geh her, laß di nit lumpen!«
Lumpen lassen wollte sich das Teni offenbar nicht; denn es schoß nur so dahin, daß der starke Luftzug ordentlich kühlend wirkte, so glühend er im Grunde war.
Bald erschien am Horizont eine Erhebung, kaum merklich, gleich den Randsteinen eines Bürgersteigs oder Randwegs, den der Deutsche »Trottoir« zu nennen pflegt, und den man am treffendsten »Trittweg« heißen könnte. Allmählich erkannte Billinger, daß es sich um eine niedrige Felskette handelte, die sich auf etwa zwei Kilometer in der Breite durch den Sand zog. Sie bestand aus ziemlich regelmäßigen Blöcken von fünfzehn bis zwanzig Meter Höhe, war also nur haushoch und durfte kaum den Namen Hügel beanspruchen. Mehr oder weniger breite Taleinschnitte zogen sich in die Felsmauer hinein, die durch ihre Länge ersetzen zu wollen schienen, was ihnen an Höhe und Breite abging; denn sie bildeten Sackgassen von drei bis vier Kilometer Ausdehnung, so daß offenbar war, daß sich die Felsen in südlicher Richtung viel länger hinzogen, als in der west-östlichen, deren Stirnrand sie Abu Barlah zukehrten.
In eine dieser Gassen rannte das Dromedar, und nach einigen Biegungen erblickte Franz den Baron hoch auf seinem Sedassi, das eifrig mit den Hufen den Sand aufscharrte. Auch Billingers Tier hielt nun an und begann die gleiche Tätigkeit.
»Das war ein Ritt!« rief Steinberg des Professors Diener zu: »Den werde ich meiner Lebtage nicht vergessen! Mich wundert nur, daß ich nicht herabgeflogen bin: ich bin doch ein viel gewandterer Reiter, als ich dachte! Aber froh bin ich, daß du mir nachgekommen bist, Franzl: es war ein höchst unangenehmer Gedanke, so mir nichts, dir nichts, aus aller menschlichen Gesellschaft entführt zu werden in eine Einöde, wo kein lebendes Wesen zu treffen ist. Ich weiß wahrhaftig nicht, was meinem Sedassi einfiel, so Knall und Fall mit mir durchzubrennen, und was es mit dem wütenden Gescharre hier will: es scheint übergeschnappt zu sein!«
»Herr Baron!« sagte der Vater der Mauleselin: »Dö Kamöler sans begabte Viecha: i moan grod, sö hondeln mit menschlicha Übalegung oda aus übamenschlichem Instinkt, – stinken tun s' jo so wie so. Und wann s' ollboad hierher g'rennt san, nachher muß dös an bestimmten Grund und Ursachen hobn. Und mit dem vatrackten G'scharr wollen s' uns sogen: mirkts auf! Hier is was los! I moan, do herinnen muß a Schotz vagroben liegen, sunst taaten s' nit a so narrisch im Sond ummi kratzen.«
»Ein Schatz?« meinte Abu Haschisch zweifelnd: »Ich glaube kaum, daß in dieser Wüstenei große Schätze verborgen sind, und ein Kamel dürfte sich auch wohl um edle Steine und Metalle blutwenig kümmern.«
»Vazeihen S', Herr Baron,« wandte der Bayer wichtig und belehrend ein: »Wann Oana an kostboren Schotz vergroben tut, nachher vaschorrt er an nit do, wo an a jeda finden kunnt, sundan an oan recht vaborgenen, gehoamen Ort, wo koan Mensch nit hinkimmt. Und wos is do für a bessera Platz z'finden, wie dö oansam, menschenleer Wüsten? Und wos dös Intaresse vun dö Kamöla an oam Schotz betreffen tut, so woaß i nit, ob S' schun vun da Wünschelruten g'hört hamm?«
»I, selbstverständlich!« beeilte sich Steinberg, zu versichern: »Die Wünschelrute ist ja heutzutage jedem Gebildeten bekannt. Ich selber wohnte schon äußerst gelungenen Versuchen mit ihr bei, die überraschende Erfolge erzielten. Aber was hat die Wünschelrute mit den Kamelen zu tun?«
»Sehr vül hot s' mit deana Viecherl z'tun! Mirken S' auf: wann S' schun a so an Rutengänga g'sehn hobn, nachher wissen S' aa, wie soan Ruten ausschlogt, ball oan vaborgena Schotz oda a Wossa im Erdboden steckt. Jetz: glaaben S' aa, daß dö Wünschelruten sö um edle Stoana und Metolla kimmert?«
»Unsinn!« lachte der Baron: »Sie ist ein lebloses Ding, ohne Gedanken, Gefühle und Empfindungen: es handelt sich da um rein natürliche Vorgänge, bei denen zweifellos die Elektrizität eine entscheidende Rolle spielt.«
»Moanatholben soll's dö Elektrizitöt san, i hob nix dogegen. Aba wann d'Wünschelruten sö um koan Schotz nit kimmert, und doch a so gewaltig ausschlogt, wo s' an Schotz wittat, nachher seh i nit oan, worum a Kamöl, wo doch lebendiga und g'scheita is, wie a Wünschelruten, nit aa ausschlogen soll, balls an Schotz außispürt.«
»Schön! Aber wie soll es den Schatz wittern?«
»Moanetholben durch d'Elektrizitöt! I hob vurhin denken müssen, in so an Kamöl muß an elektrische Kroft stecken, sunst kunnts nit oanhersausen wie an elektrische Stroßenbahnwogen. Und sogen S' selba: warum soll a Kamölsfuß nit akkurat so ausschlogen, wie an gabelta Hoselstecken, ball a Schotz oda a Wossa in Boden steckt?«
»Höre, Franz, dein Vergleich will mir zwar nicht recht einleuchten, und ein vergrabener Schatz wäre mir im Augenblick auch nicht des Nachgrabens wert. Da aber die Wünschelrute vor allem das Vorhandensein von Wasser anzeigt, so meine ich in der Tat, wir sollten doch für alle Fälle hier nachgraben: denn, falls die Kamele wirklich etwas von den Eigenschaften der Wünschelrute besäßen, wie du vermutest, so könnte ihr Scharren bedeuten, daß hier unter dem Sande Wasser verborgen ist. Und, so unwahrscheinlich mir die Sache vorkommt, so ist für uns das Wasser zur Zeit doch so viel kostbarer als alle Schätze von Gold und Edelstein, daß die bloße Möglichkeit seiner Auffindung uns verpflichtet, einen Versuch zu machen: ein Ertrinkender klammert sich schließlich an einen Strohhalm.«
»Ha! Dersaufen wann i jetzt kunnt, stott z'vadusten, nachher hätt' i doch Wossa g'nug!« rief Billinger: »I glaab zwor ollweil, hier is a Schotz vagroben; aba wann i aa grod jetz auf koan Silba und Gold an Wert leg, nochgroben müssa ma, dorin samma oanig.«
Jetzt erst dachten beide daran, abzusteigen.
Inzwischen hatten die Kamele schon eine tiefe Höhlung in den Sand gescharrt und ließen in ihrer Tätigkeit nicht nach.
»Wir müssen die Tiere wegführen und anbinden,« meinte der Vater des Krautes, »daß wir genau an der Stelle weitergraben können, die sie uns anzeigten.«
»Mit Verlaab, Herr Baron,« widersprach Franz: »Mir hamm koan Spoten nit und koan Schaufeln: ma müßten grod mit dö Händ schaffen. Aba schauen S', dö Viecha wuhlen mit ihra Boana vül flinka, wie ma's mit unsre Händ kunnten. Lassa ma s' dö Arboat b'surgen, nachher schaun ma zu und strengen uns nit an, und kummen eahnder zum Ziel.«
»Da hast du wirklich recht,« stimmte Abu Haschisch zu, und beide setzten sich im Sande nieder, lehnten sich an einen Felsen, und sahen den angestrengt wühlenden Dromedaren zu.
Es läßt sich denken, daß die Grube, an deren Aushebung zwei Kamele mit je vier Beinen arbeiteten, einen stattlichen Umfang aufwies, der den Tieren ermöglichte, ziemlich tief zu graben: in der Mitte war sie bald einen halben Meter tief. Dann aber trafen die Hufe auf eine Steinplatte und mühten sich vergeblich ab, tiefer einzudringen.
»Du scheinst doch recht zu haben,« sagte der Baron zum Diener: »Die Platte, die hier zutage tritt, weist auf Menschenwerk hin, und ich glaube jetzt selber an die Möglichkeit, daß hier ein Schatz vergraben liegt. Freilich wäre das eine bittere Enttäuschung: Wasser wäre mir lieber! Immerhin wollen wir den Stein heben.«
Die Kamele hatten die Köpfe in die Grube hinabgesenkt und schnupperten mit geblähten Nüstern. Billinger und Steinberg hatten die größte Mühe, die Widerstrebenden mit aller Gewalt abseits zu führen, eins nach dem andern. Sie mußten sie an einer schmalen Felsnadel festbinden, da sie immer wieder zur Grube hindrängten.
Dann wurde die Felsplatte vollends vom Sande befreit, und es fand sich, daß sie aus zwei Teilen bestand, einem kleineren, kaum einen halben Meter im Quadrat messenden, und, einen Schritt weiter unten, einem zwei Meter langen und einen Meter breiten Stück, die nun beide bloßgelegt waren.
Mit geringer Mühe wurde die kleinere Platte gehoben, und ein Ausruf des Entzückens erscholl gleichzeitig aus der beiden Schmachtenden Munde: nicht elendes Gold und Silber lag hier verscharrt, keine erbärmlichen Edelsteine funkelten ihnen entgegen –: Wasser, klares, durchsichtiges Wasser war es, das einen steinernen Trog bis zum Rande füllte! Spärlich und unhörbar rann es durch eine obere Öffnung und lief durch eine an der westlichen Wandung eingebuchtete Rinne ab, jedenfalls in einen zweiten Behälter, den die andere Platte deckte, und der wohl zum Tränken der Kamele bestimmt war.
Die Verdurstenden, die schon der Anblick des heißersehnten Nasses neu belebte, dachten nicht daran, Trinkgefäße aus den Satteltaschen zu holen; allein es konnte nur einer auf einmal zu dem Wasserspiegel gelangen.
»Koste du zuerst, Franz!« rief der Baron: »Dir verdanken wir diese Entdeckung.«
»Moanen S', da Franzl is a so a Tropf, an abärmlicha, daß er am gnädigen Herrn Baron 's Best wegsaufen taat? Dös kunnt so a brauna Halunk tun, aba koan ehrlicha Boaer. Und wann's auf dö Entdeckung onkimmt, hernach müßta ma dö Viecha z'ersten saufen lossen. Machen S' koane Kumpelmenta, sunst vadursten S' aus lauta Edelmut: saufen S', Herr Baron, saufen S'! Mir pressiert's nit a so!«
Steinberg verzichtete auf eine weitere Ausdehnung des edlen Wettstreits: er legte sich platt nieder und trank, was er trinken konnte. Endlich richtete er sich auf, mit einem tiefen Atemzuge höchster Befriedigung und sagte: »Franz, das ist wunderbar, das ist köstlich, das ist paradiesisch! So schmeckt kein Sekt!«
Billinger lag bereits am Quell und schlürfte in noch ausgiebigeren Zügen, als es Abu Haschisch vermocht hatte. Endlich war auch er vollgesogen und rief, indem er sich erhob: »Dö Orober hamm doch recht, wann s' frogen: ›Fen el Bir?‹ Dös is wohrhofti a Bier! I woaß zwoar nimma, wie so a Minkena Bier schmeckt, aba bessa auf koan Foll.«
Die Kamele, die wild an ihren Stricken zerrten, sollten nun auch ihren wohlverdienten Lohn finden, waren doch sie es, deren feiner Witterung die Auffindung der verborgenen Wasserstelle zu verdanken war. Die große Platte ließ sich jedoch nicht so leicht aus ihrer Lage bringen.
Zwei Zeltstangen wurden herbeigeholt, und nun gelang es den vereinten Kräften, mittels der Hebelwirkung den Trog aufzudecken.
Alsbald wurden die schmachtenden Tiere losgebunden. Mit drei Sätzen waren sie am Rande des Behälters und soffen, als wollten sie nicht wieder aufhören.
Mit wachsendem Staunen sah der Bayer zu, welche Unmengen der Flüssigkeit von den breiten Mäulern eingeschlürft wurden, und wie die Dromedare keine Miene machten, endlich einzuhalten. Schließlich schüttelte er bedenklich das Haupt und sprach:
»Herr Baron, schauen S' doch a Bißl hinten noch, ob dö Viecha no ganz beioanand san!«
»Waas – soll ich?« fragte Steinberg verwundert.
»Nochschaun sollen S' gnädigst, ob dö Kamöla no ganz san oda bloß no holben. Dös is doch nit menschenmögli, daß a Kamelsmogen so vül Wossa fost, wie dö saufen! Do is ma grod oang'follen, wie am Baron Minkhausen selig soan Gaul akrat a so unersättlich g'suffen hot, und wie da Baron hinten nochschaut, is da Kleppa richtig bloß no holben g'west, und 's ganz Hintatoal hot am g'fehlt: dös is am vun am Festungsgatta abg'schlogen worrn. Drum is dös ganz Wossa, wo er vurn g'suffen hot, hinten wieda außi g'laafen: mir schoant, dös is hier aa der Foll.«
Steinberg begab sich pflichtschuldigst auf die Rückseite der Dromedare, um die Sache zu untersuchen; doch konnte er alsbald dem biedern Bayern den Trost geben: »Nee! Die sind alle beide noch ganz beieinander: aber zusehends dicker werden sie, das unterliegt keinem Zweifel!«
Hierüber beruhigt, holten die beiden etwas Speise hervor, um den sich nun meldenden Hunger zu stillen. Auch die Kamele erhielten eine Handvoll Futter, nachdem sie endlich ihren Durst gelöscht hatten.