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34.
Der verschwundene Pascha

Als die Deutschen nach der Abendmahlzeit gemütlich plaudernd im Grünen lagerten, warf Baron Steinberg die Frage auf: »Wie mag es wohl kommen, daß eine so große und prächtige Stadt verödet liegt, zumal sie keinerlei Zerstörung aufweist, also nicht wohl von Feinden erobert wurde, die einen Teil der Einwohner wegschleppten und die übrigen töteten?«

Der Professor erwiderte: »Es ist klar, daß die kleine Oase, die kaum genügt, unsere Karawane zu unterhalten, für solch eine Riesenstadt nicht ausreichte. Niemals wäre eine solche Stadt überhaupt hier in dieser abgelegenen Wildnis entstanden, wenn nicht ausgedehntes fruchtbares Land rings umher gewesen wäre.

»Daß die Oase vor Zeiten eine große Ausdehnung hatte, beweisen die vielen versiegten und verschütteten Brunnen, an denen nur noch dürftige Ssantakazien wachsen.

»Wir dürfen also annehmen, daß im Laufe der Zeit eine ganze Anzahl von Quellen versandete und die Wüste die Oase derart auffraß, um ein drastisches Bild zu gebrauchen, daß sie den Einwohnern nicht mehr genügend Wasser, Früchte, Getreide und Viehweiden bot. Ähnliches dürfte sich bei anderen Oasen wiederholt haben, die früher an den Karawanenstraßen dieser Stadt lagen und sie mit der Außenwelt verbanden. Manche Oasen sind wohl ganz verschwunden. So ihrer Existenzmittel beraubt und immer größere Schwierigkeiten findend, sich von außen her mit Lebensmitteln zu versehen, werden die meisten Einwohner die Stadt verlassen haben. Dann aber muß ein furchtbares Verhängnis über die Zurückgebliebenen hereingebrochen sein, wie die zahlreichen Gebeine, die umherliegen, beweisen.

»Feinde waren es nicht. Die hätten die Stadt geplündert. Vielleicht war es ein viele Tage lang währender Samum, der auch die letzten Quellen vorübergehend austrocknete; vielleicht auch war es eine schreckliche Seuche, die alles Lebendige vernichtete; denn wären auch nur wenige am Leben geblieben und ausgewandert, sie hätten zweifellos die meisten Kostbarkeiten mitgenommen. Nun aber macht alles den Eindruck, als ob der Tod die Leute ganz plötzlich überfallen und gleich ganze Arbeit gemacht habe, so daß die Wohnungen aussehen, als hätten ihre Inhaber sie nur für kurze Zeit verlassen.«

»Ich, meinesteils,« sagte der Pascha, »bin der Meinung, daß wir auch hierin dem sogenannten Märchen Glauben schenken dürfen, das sich in den meisten seiner Angaben als so durchaus zuverlässig erwiesen hat: die Leute sahen sich dem Hungertode rettungslos preisgegeben und ergaben sich in ihr unvermeidliches Schicksal: als sie das Ende herannahen fühlten, begaben sich einige auf die Straße, andere legten sich zu Bett, wieder andere schmückten sich und setzten sich in einen Sessel, die Königin aber auf ihren Thron, und so erwarteten sie den Tod, der nicht mehr lange säumte, ihren Leiden ein Ende zu machen.«

»Es muß etwas Gräßliches sein,« bemerkte Isolde, »so verhungern zu müssen und keine Aussicht und Hoffnung auf Rettung zu haben! Ich glaube, ich wäre in der Verzweiflung fortgelaufen, so weit mich meine Füße trugen.«

»Vielleicht haben einige auch das getan,« meinte die Harmonika: »Die sind dann eben in der Wüste verschmachtet und der Sand wurde ihr Bahrtuch.«

»Wie reimt sich aber solches Verschmachten mit der herrlichen Oase hier vor der Stadt?« fragte Baronesse Hulda: »Reichte sie auch nicht zur Ernährung aller Einwohner aus, so mußte sie doch einem Teil derselben genügen, um ihr Leben zu fristen, und man sollte meinen, es hätten sich schreckliche Kämpfe entspinnen müssen um die Lebensmittel, die sie bot. Dann wären die überzähligen Esser erschlagen worden und die Sieger hätten ihr Leben erhalten.«

»Wir müssen eben annehmen, daß auch diese Oase zeitweilig verschwunden war,« erklärte Rommel: »Infolge außergewöhnlich anhaltender Dürre versiegte ihr Quell, und alles Pflanzenleben in ihr erstarb, bis der nächste Regen es wieder weckte. Offenbar hat sich damals das Klima verändert: die Messingstadt war reich an Quellen gewesen, und wir sehen heute noch die Spuren der Bachläufe, die sie durchzogen. Damals war hier kein Mangel an Niederschlägen. Dann wurde dies anders: die Regengüsse wurden immer seltener, blieben zuletzt lange Zeit ganz aus, und das Land weit umher wurde zur Wüste.«

Die nächsten Tage wurden einer eingehenderen Erforschung der Stadt gewidmet.

In der Abwesenheit der Europäer aber entfalteten der Indier und seine beiden Mitverschworenen eine rege Tätigkeit, die nichts anderes bezweckte, als die Araber alle zur Empörung gegen die Christenhunde zu bewegen. Es fiel ihnen nicht schwer, den religiösen Fanatismus anzufachen, nur fürchteten die Leute den Pascha als einflußreichen Freund des Vizekönigs. Auch hielten sie fest an ihrem Eid, keine Hand an die Europäer zu legen.

Der Fakir aber versprach, Hussein Pascha unschädlich zu machen.

Eines Tages trat Abd ul Hagg mit geheimnisvoller Miene auf den Kapitän zu. »Ich habe eine wichtige Entdeckung gemacht, o Pascha!« sagte er.

»Und was ist es?« fragte dieser.

»Ich fand ein geheimes Grabgewölbe, dessen Zugang schwer zu entdecken ist, und das Schätze birgt, kostbarer als alles andere in der Stadt, auch Kunstwerke von außergewöhnlicher Schönheit.«

»So zeige mir den Ort!« befahl Münchhausen.

»Das will ich; doch laß uns allein dahin gehen und sorge dafür, daß über die Zeit niemand die Stadt betritt, damit keiner dem Geheimnis auf die Spur kommt. Schon jetzt murren die Leute, daß sie die Paläste nicht plündern dürfen; erschauen sie aber die Kleinodien in jener Gruft, so kannst du sicher sein, daß die Versuchung über alle Bedenken siegt, und sie dir den Gehorsam kündigen. Ich fürchte, es würde eine Meuterei ausbrechen, die für euch Ungläubige lebensgefährlich werden könnte.«

»Nenne uns nicht Ungläubige!« zürnte Abu el Futha: »Wir haben unsern heiligen Glauben und wissen, daß er göttliche Wahrheit ist, besser als der eurige. Doch sehe ich das Vernünftige der von dir empfohlenen Vorsicht ein und werde danach handeln.«

Demgemäß traf der Pascha, der von dem Indier nichts befürchtete, seine Anordnungen und begab sich mit Abd ul Hagg allein in die Stadt.

Nach Verlauf von zwei Stunden erschien der Fakir ohne den Kapitän an einem abgelegenen Tore, in dessen Nähe Hamed Ben Abd er Rahman und Mohamed et Talib bereits seiner harrten.

»Er ist in die Falle gegangen!« rief der Indier triumphierend den beiden zu. »Der Pascha ist wehrlos: nun helfet mir, das Werk vollenden, zu Allahs Ehre und zum Verderben der Ungläubigen!«

»Doch bedenke unsern Eid!« wandte Hadschi Mohamed ein: »Hand an ihn legen dürfen wir keinesfalls: ist er auch ein Ungläubiger, Allah würde uns strafen, wollten wir brechen, was wir bei seinem heiligen Namen feierlich beschworen.«

»Ihr sollt auch keine Hand an sein Leben legen,« erwiderte der Fakir mit hämischem Lachen: »Ich habe ein Mittel ersonnen, ihn unschädlich zu machen, ohne daß wir unsern Schwur verletzen. Ihr sollt mir nur helfen, ihn zu begraben, und ferne sei es von euch, ihm ein tätliches Leid zuzufügen: so wird er diese Stadt der Djinns nicht mehr lebend verlassen.«

Damit führte er die beiden Araber dem Orte des Geheimnisses zu.

Nach kaum einer Stunde erschienen alle drei wieder im Lager.

Nun geberdete sich Abd ul Hagg als der Oberbefehlshaber und fand auch bei sämtlichen Arabern, außer Mahmud, unbedingten Gehorsam: so trefflich hatte er vorgearbeitet.

Sein erstes war, daß er die Deutschen, auch die drei Mädchen, fesseln ließ, die nicht wußten, wie ihnen geschah. Mahmud, der energisch für sie eintrat, wurde ebenfalls gebunden.

»Wo ist der Pascha?« rief der Professor, entrüstet über den meuchlerischen Überfall.

»Ich bin der Pascha,« erwiderte höhnisch der Indier. »Der Kelb ibn Kelb, der sich Pascha nannte, hat dauernden Aufenthalt in der Messingstadt genommen, von deren Wundern er sich nicht mehr trennen mag, und hat mich zu seinem Nachfolger ernannt.«

»Elender Lügner und Verräter,« rief Rommel zähneknirschend. »Ihr habt ihn gemordet!«

»O nein! Wir halten unseren Eid. Allah selber wird ihn richten; wir übergaben ihn dem Gericht des Allmächtigen, der kein Erbarmen haben möge mit der Seele des Ungläubigen.«

»Und was habt ihr mit uns vor?« schrie nun der Baron.

»Habe nur keine Sorge, Abu Haschisch,« sagte der Fakir spöttisch. »Wir haben geschworen, euch nichts zuleide zu tun. Wir wollen euch nur einige Tagereisen weit mitnehmen, so daß ihr sowohl der Messingstadt als der nächsten Oase fern genug seid. Dann geben wir euch frei, und ihr könnt gehen, wohin es euch beliebt, solange eure Beine euch tragen.«

»Schurke, ihr wollt uns verschmachten lassen in der Wüste?« donnerte Abu Ramleh.

»Wenn Allah es so beschlossen hat, was können wir tun gegen seinen unerforschlichen Ratschluß?«

Steinberg verlegte sich nun aufs Bitten und versprach dem Fakir ein reiches Lösegeld.

Der aber verhöhnte ihn nur und sagte: »Reichtümer habe ich genug für mein ganzes Leben; die Messingstadt muß mir ihre Schätze geben. Aber es ist ein Gott wohlgefälliges Werk, die Ungläubigen auszurotten, dadurch verdienen wir uns das Paradies.«

Auch Drohungen mit dem Zorn und der Rache des Khediven fruchteten nichts. Wer hätte Zeugnis abgelegt? Konnten die Europäer nicht den Strapazen und Entbehrungen der Reise erlegen sein, wie die Araber in Ägypten berichten würden? Und was kümmerte sich Abd ul Hagg um den Vizekönig? Er kehrte ja nach Indien zurück.

Am nächsten Tage wurde die Stadt geplündert; die größten Kostbarkeiten aber behielt der Indier für sich.

Nun führte Abd ul Hagg die Karawane wieder in die Wüste hinaus, und zwar in nördlicher Richtung, da er hier am raschesten bewohntes Land zu erreichen hoffte.


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