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33.
Die Messingstadt

Es war um die Mittagszeit, als das Mahl beendet war.

Münchhausen war der erste, der sich erhob und seinen deutschen Gefährten vorschlug, nunmehr die Stadt zu besichtigen. Als Begleiter wählte er den Indier Abd ul Hagg, der das nächste Recht dazu hatte, ferner Sidi Hamed Ben Abd er Rahman und noch einige Araber. Hadschi Mohamed et Talib sollte inzwischen das Lager beaufsichtigen und das Einsammeln von Brennholz sowie die anderen notwendigen Arbeiten leiten. Morgen würde dann er mit der übrigen Mannschaft an die Reihe kommen, und den ganzen Vormittag in der Messingstadt umherstreifen können.

Unsre Freunde schritten auf ein hohes Tor zu, das aus gediegener Bronze, einer Mischung von Kupfer, Zinn und Blei, bestand. Später erwies sich, daß die Riesenstadt nicht weniger als fünfundzwanzig solcher Tore besaß.

»Nehmts a Loatern mit, und loßt den Fakir, dön Halunken, z'ersten aufikraxeln!« rief Franz Billinger: »Nachher, wann a heroben is, wurd a rufen: ›O, schön!‹ und auf da andan Seiten abispringen: hernach samma an los. Denn daß der no a Schurkerei im Sinn hot, schaut am da Franzl an soane unhoamlich funkelnde Glotzaagen on.«

Das Tor erwies sich jedoch unverschlossen und ließ sich von außen leicht öffnen. Das wurmte den Bayern gewaltig, und er bemerkte mißmutig: »Dös is jetz nit in da Ordnung: olles stimmt auf an Tupfen, wie da Herr Pascha 's uns vurg'lesen hot aus am Märchen vun Tausend und oana Nocht. Und jetz is dös Tor offen, stott daß sö da Abd ul Hagg z'ersten vun da Maua stürzen taat, und hernach da kupfane Wächta an da Brust krotzt werrn muß, wos i schun richti b'surgt hätt'. Der Musa, dösa Dollpotsch, hot vur lauta Heulen und Ohnmächten vagessen, dös Tor wieda zuzusperrn! Dös is a Mordsschlomperei!«

Erwartungsvoll durchschritten unsre Freunde das Tor und betraten die geheimnisvolle Stadt.

Breite, schön angelegte Straßen zogen sich zwischen hohen Gebäuden hin, die fast alle einen palastartigen Eindruck machten. Viele kunstvolle Bildnisse, die teils die Häuser zierten, in erhabener Arbeit aus dem Stein gemeißelt, also sogenannte Hochreliefs, teils als Standbilder die Plätze schmückten, bewiesen, daß die Einwohner dieser Stadt nicht dem Islam gehuldigt hatten, der ja die Nachbildung irgend eines Werkes des ewigen Schöpfers aufs strengste verbietet.

Die Häuser waren fast ausnahmslos sehr gut erhalten und im Innern prächtig ausgestattet, so daß besonders die Zitrone und die Harmonika sowie die Nachteule immer wieder in Ausrufe des Entzückens ausbrachen.

Selbst die Gegenstände des täglichen Gebrauchs waren meist aus Gold und Silber gefertigt und ausgiebig mit Juwelen verziert, ein Beweis, wie fabelhaft reich fast alle Bewohner der Messingstadt gewesen sein mußten. Die Schmuckstücke und Prunksachen wiesen einen ganz eigenartigen, nie gesehenen Kunststil auf, der namentlich Professor Rommel in einen wahren Wonnetaumel versetzte.

»Ich leiste Abbitte!« rief er einmal über das andere aus: »Ich war ein Schafskopf mit meinen Zweifeln: nun sehe ich ein, daß selbst die Märchen aus Tausend und einer Nacht nicht nur höchst glaubwürdig und wahrhaftig sind, sondern noch stark hinter der Wirklichkeit zurückbleiben, weit davon entfernt, zu übertreiben oder gar zu schwindeln!«

Welch unermeßliche Schätze waren hier zu heben, nicht nur für die Wissenschaft! Es war kein Drandenken, daß eine einzelne Karawane auch nur den hundertsten Teil des Kostbarsten und Wertvollsten mitnehmen konnte, obgleich man Spuren sah, daß schon manches, und gewiß nicht das Wertloseste, fortgeschafft worden war, was ja der Bericht aus Tausend und einer Nacht bestätigte.

Der Pascha gab strengsten Befehl, daß vorerst nichts angerührt werden dürfe.

Wenn alles gründlich besichtigt worden sei, solle dann eine sorgfältige Auswahl getroffen werden: jedem Mitglied der Karawane werde dann ein angemessener Anteil an den Kostbarkeiten zugeteilt werden, so daß sie alle als reiche Leute heimkehren würden. Er selber wolle mit dem Professor bestimmen, was wissenschaftlichen Wert besitze, um es der Obhut der ägyptischen und europäischen Sammlungen zuzuführen. Alles andere jedoch solle unverrückt an Ort und Stelle bleiben, so daß bei der ungeheuren Fülle an Kleinodien der Abmangel kaum bemerkbar sein werde.

Über all der Pracht der Messingstadt lagerte aber ein unheimliches Grauen. Nicht nur die Grabesstille, das buchstäblich Ausgestorbene einer äußerlich so lebensvollen, einer so großen Stadt, drückte auf die Gemüter: in den Häusern und aus den Straßen lagen menschliche Skelette und Gebeine umher, hie und da in ganzen Haufen, und deuteten auf ein gräßliches Schicksal hin, das einst die reiche Stadt betroffen und ihre Bewohner, wahrscheinlich in kürzester Frist, sämtlich dahingerafft hatte.

Am wunderbarsten erschien das große Schloß in der Mitte der Stadt, umgeben von ausgedehnten, jetzt völlig verwilderten Gartenanlagen, mit Springbrunnen, Wasserfällen und Bächen: das richtige Dornröschenschloß.

Über dem offenen Tore dieses königlichen Palastes stand eine Inschrift aus Gold- und Azurbuchstaben in unbekannter Schrift und Sprache. Der Professor malte sie sorgfältig ab und hoffte, später feststellen zu können, ob ihr Inhalt mit dem im Märchen angegebenen übereinstimme. Franzl aber rief:

»Jetz gebts fein Obocht! Da Herr Professa schreibt so an Verserl ob vun da menschlichen Vagänglichkoat: hot oana so an stinketen Salmoniak in da Toschen, ball a vur Rührung in an Ohnmacht follt?«

Aber Gerhard Rommel blieb bei voller Besinnung, weshalb ihm der Bayer das Lob erteilte: »Dös loß i ma g'folln! A deitsche Professa is doch koan so olts Weibsbüld nit, wie da orobisch Stottholta.«

Münchhausen jedoch belehrte ihn: »Kunststück! Der Mann der Wissenschaft versteht ja kein Sterbenswort von dem, was er abzeichnet: wie sollte er da in Ohnmacht fallen oder in Tränenströme ausbrechen?«

Die Säle des Schlosses waren mit Silber, Gold und Edelsteinen überreich verziert, vor allem der Thronsaal. Hier standen vor dem Throne die Standbilder mit dem Schwert und der Lanze, genau wie das Märchen sie beschrieb, sowie die goldene Säule, die einen metallenen Vogel mit glänzendem Gefieder trug: auch die strahlende Perle hielt er im Schnabel.

Der Thron selber bestand aus Elfenbein, belegt mit gediegenen Goldplatten und mit Rubinen besetzt. Auf ihm saß ein nacktes Gerippe. War dies das königliche Mädchen mit dem Gewand aus Juwelen, so war das letztere trotz Tausend und eine Nacht doch geraubt worden, ohne daß die metallenen Wächter dem Frevler das Haupt abschlugen und den Leib spalteten.

Selbstverständlich war es ein Ding der Unmöglichkeit, im Laufe eines einzigen Nachmittages all die Herrlichkeiten der ungeheuren Stadt auch nur flüchtig zu besichtigen. Zu ihrer eingehenden Würdigung waren Tage, ja, Wochen nötig.

Für heute hatten unsere Freunde der Pracht genug geschaut, und erfüllt von staunender Bewunderung solch weltentrückten, nie geahnten Glanzes, verließen sie die Stadt durch ein anderes Tor. Es war dies offenbar das Haupttor, durch welches Musa die Stadt betreten hatte; denn über ihm erhob sich ein kupfernes Reiterstandbild, das im Scheine der untergehenden Sonne goldig leuchtete.


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