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3.
Die Hauptperson

Der Eintretende war ein blutjunger Mensch von etwa zwanzig Jahren. Ein spärlicher, blonder Flaum umrahmte seine Lippen und sein Kinn, während aus den halbgeschlossenen Lidern ein paar wasserblaue, nicht besonders geistreiche Augen blickten. In das linke Auge hielt er ein Einglas geklemmt, dieses lächerliche Prunkstück des Gecken und Stutzers, das der gebildete Deutsche mit dem französischen Namen »Monocle« zu bezeichnen pflegt, weil er Französisch stets für gebildeter hält, als Deutsch.

Der Jüngling trat mit einer überlegenen Sicherheit auf, die beinahe als Anmaßung bezeichnet werden konnte, und ein nicht geringes Selbstbewußtsein sprach aus der Haltung des hochgetragenen, etwas nach hinten zurückgeworfenen Hauptes, das schon den Ansatz zu einer frühzeitigen Glatze zeigte.

Übrigens war diese Haltung des Kopfes schon durch den hohen Stutzerkragen bedingt, den der junge Baron trug.

Ein vornehmer Jagdanzug umschloß die hagere, hochaufgeschossene Gestalt, zu dem die durchaus nicht jägermäßigen feinen Lackstiefelchen an den Füßen einen sonderbaren Gegensatz bildeten. Edelsteinbesetzte Ringe blitzten an den wohlgepflegten Händen. Alles in allem erschien das feine Herrchen eher ein Salonlöwe und Kaffeehausheld zu sein, als ein kühner Nimrod. Münchhausen wußte nicht recht, was er aus ihm machen sollte, jedenfalls machte der erste Augenschein keinerlei günstigen Eindruck auf ihn.

»Was ist Ihr Begehr?« fragte er zunächst auf Arabisch, obwohl er wußte, daß er einen Deutschen vor sich hatte.

Der junge Mann erwiderte in einer Sprache, die Arabisch sein sollte, in Wirklichkeit aber ein schauderhaftes Gemisch von französischen und stark verunstalteten arabischen Brocken aufwies. Immerhin konnten sowohl der Kapitän, wie der Professor, etwa Folgendes daraus entnehmen:

»Ich habe gehört, daß Euer Durchlaucht eine Forschungsreise nach Westen zu unternehmen gedenken. Auch ich beabsichtige eine solche und mache Ihnen das Anerbieten, sich meiner Expedition anzuschließen, was Ihnen zweifellos angenehm sein dürfte.«

Der Pascha konnte sich bei diesem naiven Angebot eines Lächelns nicht enthalten. Doch gewann er rasch seine ernste Würde zurück, wie sie einem hohen königlichen Beamten geziemend war, und erwiderte:

»Reden wir vor allem einmal Deutsch, mein werter Herr Baron: ich vermute, es wird so besser gehen.«

»Wie?« rief der Geck erstaunt: »Sie sprechen Deutsch, Exzellenz?«

»Gewiß! Ich bin sogar ein Deutscher: Kapitän Hugo Münchhausen ist mein ehrlicher Christenname.« Geflissentlich ließ er sein adliges »von« weg, auf das er wenig Wert legte.

»Was? Ein simpler Kapitän?« rief der andere sichtlich enttäuscht. »Na! Das tut nichts. Sie dürfen sich mir trotzdem anschließen.«

Jetzt lachte Münchhausen hellauf, und auch der Professor stimmte in die Heiterkeit ein. – Dieser junge Fant zeigte sich ja äußerst gnädig!

»Ja, simpler Kapitän und Pascha seiner Hoheit des Khediven, wie Sie wissen,« lautete die Antwort.

»Na, so ein Pascha hat ja wohl nicht viel zu bedeuten,« meinte von Steinberg absprechend. »Ich bin Baron, geborener Baron.«

»Na, das tut nichts, junger Mann,« spöttelte nun seinerseits der Kapitän. »Wenn Sie Baron von Geburt sind, so können Sie ja nichts dafür, und wenn ich Pascha durch Verdienst wurde, so bin ich nicht so töricht, mir viel darauf einzubilden. Das ist ja alles Nebensache. Aber von einem Anschluß an Ihr Unternehmen kann natürlich bei mir keine Rede sein. Ich reise im Auftrag Seiner Hoheit des Khediven, der die Karawane selbst ausgerüstet hat. Sie haben also ebenfalls eine Expedition unternommen und sind wohl deren Leiter?«

»Selbstverständlich!« entgegnete der Baron hochmütig.

»Und wer sind Ihre Begleiter, wenn man fragen darf?«

»Begleiter? Bis jetzt habe ich mich noch nach keinen solchen umgesehen; deshalb eben machte ich Ihnen meinen Vorschlag.«

»Sie haben keine europäischen Begleiter? Ich muß sagen, Ihr Unternehmen ist kühn für einen Neuling in Afrika! Haben Sie wenigstens erprobte, zuverlässige Leute in Ihrer Karawane?«

»Karawane? Nein! Eine Karawane habe ich überhaupt nicht. Ich bin erst seit vierzehn Tagen in Kairo und habe mir alle Sehenswürdigkeiten angesehen, so viele im Reisehandbuch stehen.«

»Aha! jetzt verstehe ich,« rief Münchhausen lachend. »Sie haben sich offenbar verkehrt ausgedrückt, als Sie mich zum Anschluß an Ihre nicht vorhandene Expedition einluden. Sie wollten mich wohl um die Erlaubnis bitten, sich uns anschließen zu dürfen?«

»Bitten ...? Erlaubnis ...?« stotterte Erich von Steinberg. »Aber ich bitte Sie, ich bin Baron, und Sie sind ein Kapitän!«

»Was soll uns das? Ich habe die Erfahrung, und ich habe die Leitung einer großen Karawane. Wir brauchen Sie nicht, wohl aber könnten Sie uns brauchen, falls es Ihnen mit Ihren kühnen Forschungsplänen wirklich Ernst ist.«

Jetzt wurde der junge Mann doch etwas unsicher. Es dämmerte ihm, daß sein Titel bei solch einem Unternehmen keine Rolle spielte; darum schlug er einen anderen Weg ein und fragte: »Haben Sie einen Botaniker?«

»Nein! Nur einen Archäologen: hier, Herrn Professor Gerhard Rommel.«

»Angenehm!« schnarrte der junge Mann mit seiner näselnden Stimme und verbeugte sich gegen den Vorgestellten. Dann wandte er sich wieder dem Pascha zu: »Nun also! Einen Botaniker brauchen Sie doch notwendig, sonst fehlt Ihrer Expedition der wissenschaftliche Charakter.«

»Sie sind also Botaniker? Das wäre doch immerhin etwas!«

»Ja, Herr Kapitän, ich habe mich ziemlich mit Botanik beschäftigt. Man muß doch irgend ein Steckenpferd haben, um die viele Zeit totzuschlagen! Ich bin aber auch Jäger.«

»Ausgezeichnet! Doch fürchte ich nur, in der Wüste wird sich wenig Ausbeute für einen Botaniker finden und auch geringe Gelegenheit, dem Jagdsport zu frönen.«

»Wieso? Reisen Sie in die Wüste?« fragte der Baron, die Augen weit aufreißend.

Wieder lachte Münchhausen herzlich. »Na, junger Mann, was vermuten Sie denn sonst im Westen von Ägypten? Es dürfte Ihnen doch nicht unbekannt sein, daß die Sahara eine Wüste ist.«

»Die Sahara, selbstverständlich! Aber ich denke, die Sahara ist in Algerien, und hier befinden wir uns doch ein ganzes Ende davon entfernt.«

»Nein, so etwas!« rief jetzt Professor Rommel entsetzt. »Die Sahara umfaßt den Süden von Marokko, Algerien, Tunis, Tripolis und grenzt an Ägypten, wo sie allerdings auch ›Libysche Wüste‹ genannt wird. Hören Sie einmal, junger Herr: Sie wollen Afrika erforschen? Haben Sie nicht wenigstens zuvor einen Blick aus die Karte dieses Erdteils geworfen? Sie haben wohl gar am Ende nicht einmal eine Karte bei sich?«

Nun wurde der Baron denn doch kleinlaut. »O, ich habe Baedekers ›Ägypten‹ bei mir,« entgegnete er; »das ist ja doch wohl das bekannteste Reisehandbuch. Ich meinte, das genüge vollkommen.«

»Für den Vergnügungsreisenden; aber nicht für den Forscher. Ich sehe, mit Ihnen ist nicht viel los!« rief der Professor, ganz entrüstet über solche naive Keckheit.

»Na! Trösten Sie sich,« sagte nun Münchhausen gutmütig, da er sah, daß der arme Baron wirklich zerknirscht und beschämt dastand. »In den unbekannten Gegenden, die unser Ziel sind, nützen Landkarten wenig, vielmehr müssen wir erst selber solche entwerfen. Im übrigen habe ich nichts dagegen, wenn Sie sich uns anschließen wollen; nur müssen Sie sich selbstverständlich allen meinen Anordnungen fügen, denn ich bin der Herr der Expedition, somit auch der Ihrige, falls Sie mitziehen.«

Nun loderte wieder die Eitelkeit des Barons hoch empor. »Was?« rief er. »Ich bitte Sie, ich, ein Baron, sollte mich Ihnen, einem Kapitän, unterordnen?«

Damit fiel ihm vor Erstaunen und Entrüstung sein Einglas aus dem weitaufgerissenen Auge. Rasch zog er es an der Schnur empor und klemmte es wieder ein, da es ihm unentbehrlich schien, um einen recht vornehmen, überlegenen Eindruck zu erwecken.

Münchhausen aber erwiderte mit edler Ruhe: »Scheint Ihnen ein Kapitän zu gering, um sich ihm unterzuordnen, so betrachten Sie mich eben in meiner Eigenschaft als Pascha: so fällt es Ihnen vielleicht leichter. Falls Sie jedoch meine Oberhoheit nicht anerkennen wollen, wie jedes andere Mitglied meiner Karawane, so müßten wir bedauern, auf die hohe Ehre, den großen Vorteil und die außerordentliche Annehmlichkeit Ihrer geschätzten Begleitung verzichten zu müssen.«

Diese ironischen Worte, die der Baron für ernst nahm, klangen so schmeichelhaft, daß sich sein im Grunde gutmütiges Herz versöhnt fühlte. Er lenkte daher ein, indem er sprach:

»Nun ja denn! Der Form wegen will ich mich in diese Bedingungen fügen. Übrigens möchte ich noch erwähnen, daß ich natürlich meinen Diener mitnehme, den Peter Grill.«

»Auch dies sei Ihnen gestattet,« erwiderte Münchhausen: »Seine Begleitung wird uns sogar angenehm sein, da wir nur wenige Europäer sind, und unseres verehrten Professors Diener, Franz Billinger, ein biederer Bayer, wird sich besonders freuen, einen hoffentlich angenehmen Kameraden und Reisegefährten in Ihrem Peter zu finden.«

»Daß ich es nicht vergesse,« schnarrte Steinberg wieder: »Ich habe nämlich auch meine Schwester bei mir, Baronesse Hulda von Steinberg, die sich selbstverständlich der Entdeckungsreise anschließt.«

»Oho!« rief der Pascha: »Selbstverständlich, sagen Sie? Das ist im Gegenteil nichts weniger als selbstverständlich, das ist vielmehr völlig ausgeschlossen. Eine zarte Dame auf diese beschwerliche und nicht gefahrlose Wüstenfahrt mitzunehmen, wäre eine Verantwortung, die ich nicht übernehmen möchte. Professor Rommel hier nimmt zwar auch seine Schwester mit, das ist aber ein bewährtes, mutiges Frauenzimmer, und die Verantwortung für sie übernimmt er selber.«

»Nun wohl! So übernehme ich ebenfalls die Verantwortung für meine Schwester: so zart, wie Sie sich vorstellen, ist sie durchaus nicht. Sie ist zwei Jahre älter als ich und hat einen scharf ausgeprägten Willen. Unter keinen Umständen würde sie es dulden, daß sie von der Reise ausgeschlossen werden sollte: eher würde sie mir die Erlaubnis verweigern, mitzugehen.«

»Aha!« lachte Münchhausen. »Das scheint ja eine ganz entschlossene und selbständige Frauensperson zu sein, und Sie stehen sozusagen unter dem schwesterlichen Pantoffel. Da wird es sich am Ende noch fragen, ob Fräulein Hulda uns gütigst gestattet, sie zu begleiten?«

»O, was das betrifft, so wird sie keinerlei Schwierigkeiten machen: sie brennt auf Abenteuer und ist viel zu vernünftig, sie ohne sachkundige Führung aufsuchen zu wollen.«

»Also vernünftiger als Sie!« meinte der Kapitän beifällig: »Das wäre ja immerhin eine Empfehlung.«

»Gestatten Sie doch, daß sich die Baronesse uns anschließt,« bat jetzt Professor Rommel den Pascha: »So tüchtig und furchtlos meine Schwester auch ist, war es mir doch immer eine geheime Sorge, sie als einzige weibliche Person auf diese gefährliche Wüstenfahrt mitzunehmen. Auch für Monika selber wäre es äußerst angenehm, nicht die einzige Dame der Gesellschaft zu sein, und mir wäre es, wie gesagt, eine Beruhigung, wenn sie bei ihrem Wagnis eine ebenso kühne Gefährtin fände.«

»Gut also! Ich genehmige den Anschluß der Baronesse Hulda: der Baron übernimmt ja die Verantwortung für sie.«

»Es versteht sich wohl von selbst,« hub dieser wieder an, »daß meine Schwester auch ihre Zofe Isolde mitnimmt.«

Jetzt brach Rommel in ein schallendes Gelächter aus und Münchhausen lachte, daß es dröhnte: »Na, na! Herr Baron,« rief er, als er wieder einigermaßen zu Atem kam: »Das wird ja nett! Zuerst erklären Sie, überhaupt keine Begleiter zu haben, dann taucht Ihr Diener auf, hernach besinnen Sie sich auf Ihr Fräulein Schwester, hinterher fällt Ihnen noch deren Zofe ein: wenn das so fortgeht, so führen Sie uns zuletzt doch noch eine ganze Karawane zu, Männlein und Weiblein!«

»Nee, nee! Nu ist es fertig!« beeilte sich Steinberg zu versichern. Er mußte nun selber lachen, wodurch sein Einglas wieder den Halt verlor. Er ließ es jetzt baumeln: es mochte ihm die Einsicht gekommen sein, daß er hier Männern gegenüberstand, denen man mit solch läppischen Äußerlichkeiten nicht zu imponieren vermag.

»So, so! Nun ist es also zu Ende?« fragte der Kapitän: »Wirklich und wahrhaftig?«

»Wirklich und wahrhaftig!«

»Nun also, Herr Baron, auch die Zofe sei zugelassen. Und jetzt gehen Sie hin und treffen Sie Ihre Vorbereitungen zur Reise und zwar etwas rasch, denn übermorgen geht es unweigerlich ab, und auf Nachzügler wird nicht gewartet. Die Kamele für Sie und Ihre Begleitung will ich selber bereitstellen, denn Sie könnten uns bei Ihrer Unerfahrenheit unbrauchbare Tiere zuführen. Für Ihre übrige Ausrüstung müssen jedoch Sie selber Sorge tragen wie es sich von selbst versteht. Hoffentlich ist Ihr Fräulein Schwester so praktisch, daß sie Ihnen hierin gute Ratschläge geben kann.«

Etwas bescheidener und höflicher, als bei seinem Kommen, empfahl sich der Wichtigtuer beiden Herren, die noch lange über seine Unverfrorenheit lachten.

»Ich fürchte,« bemerkte Münchhausen zu Rommel, »wir haben uns mit dieser ungebetenen Verstärkung eine Last aufgeladen, die uns manche Unannehmlichkeit bringen dürfte. Oder versprechen Sie sich viele Vorteile für unsere Expedition von den botanischen Kenntnissen des jungen Mannes?«

»Das nun gerade nicht,« erwiderte der Professor: »Er scheint ein rechter Windhund, dessen wissenschaftliche Bildung nicht weit her sein dürfte. Dagegen vermute ich, daß er, wenn auch unfreiwillig, viel zur Erheiterung der Gesellschaft beitragen wird, und das ist bei einer Reise durch die sandigen Einöden von unschätzbarem Wert.«

»Ich weiß nicht,« meinte der Kapitän kopfschüttelnd: »Solche monokulierte Jünglinge sind mir von jeher zuwider gewesen. Hoffen wir, daß seine Schwester sich als gediegener erweist, obgleich mir das sehr unwahrscheinlich scheint.«

Diesmal zeigte sich der sonst mehr zu Zweifeln geneigte Professor als der hoffnungsvollere und milder urteilende. »Der junge Mann,« sagte er, »scheint zwar an maßloser Selbstgefälligkeit und Selbstüberschätzung zu leiden, im Grunde jedoch ein gutes Herz zu haben. Jedenfalls läßt er sich etwas sagen und nimmt es nicht gleich übel, selbst wenn es wie eine scharfe Zurechtweisung klingt. Am besten hat mir an ihm gefallen, daß er sich von uns auslachen ließ, ohne die Spur einer beleidigten Miene aufzusetzen.«

»Darin haben Sie allerdings nicht so unrecht,« gab der Pascha zu: »Da sich der adelsstolze Jüngling doch etwas sagen läßt, ist er zum mindesten nicht unbelehrbar, noch unverbesserlich. Vielleicht verdanken wir dies seiner Schwester, die offenbar ein recht energisches Frauenzimmer ist, und vor der er allen Respekt zu haben scheint. Ich will daher gutes Muts der Begleitung unserer ungebetenen Gäste entgegensetzen und mich bemühen, aus unserm neuen Botaniker ein brauchbares Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu machen.«

»Darin werde ich Sie lebhaft unterstützen,« sagte Rommel, »und wenn ich mich in Baronesse Hulda nicht täusche, so werden wir eine tüchtige Bundesgenossin an ihr haben. Schiller sagt: ›Der Mensch hofft immer aus Besserung‹. So wollen denn auch wir auf Besserung des Barons hoffen, der sie so nötig hat, und das Unserige dazu beitragen.«

Nach dieser Aussprache begaben sich die beiden an die Arbeit; denn sie hatten noch alle Hände voll zu tun mit den letzten Vorbereitungen und Anordnungen, die der bevorstehende Aufbruch erheischte.


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