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5.
In der Oase Dachel

Der Dampfer landete in El-Hamra, dem Hafenort von Siut. Diese Stadt von etwa dreißigtausend Seelen bot mit ihrem üppigen Grün, das sich von den zerklüfteten Felswänden im Hintergrund leuchtend abhob, einen prächtigen Anblick.

Hier wurden die notwendigsten Vorräte eingehandelt, soweit sie sich nicht an Bord befanden, namentlich das Futter für die Kamele zu der fünfzehntägigen Reise nach der Oase Dachel, nämlich fünfzig Zentner Bohnen, die allein fünfzehn Kamellasten bildeten.

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Dann setzte sich die Karawane mit mehr als hundert Kamelen in Bewegung, nach Südwesten zu.

Professor Rommel ritt auf einem Esel, da er den schwankenden Sitz auf dem Kamelrücken fürchtete.

So ging es zwischen Orangen- und Zitronenhainen, Dattelpalmen, Feigen-, Maulbeer- und Granatbäumen, zwischen Gemüsegärten mit Bohnen, Tomaten, Zwiebeln, Pfeffer, Auberginen, Durra-, Gerste- und Mohnfeldern hindurch in die Wüste, wo nur noch vereinzelte Dumpalmen die Öde belebten. Baron Erich von Steinberg ritt hoch zu Kamel neben des Professors Esel einher.

»Wann kommen wir denn in die berühmte Wüste?« fragte er.

»Wieso? Wir sind ja bereits mitten darin!« lautete die Antwort.

»Sie scherzen! Ich meine, die Wüste ist Sand, nichts als Sand, ein endloses Sandmeer. Hier aber sind Felsen, der Boden ist meist steinig, überall wuchern Kräuter und Büsche; das ist doch keine richtige Sandwüste?«

»Na, denn eine Steinwüste! Hören Sie, Herr Baron, die Wüste ist nicht überall gleich; sie hat ihre Berge und Täler, ihre Pflanzen und Gesträuche und trägt oft einen steppenähnlichen Charakter; doch werden Sie bald genug auch die sandige Öde kennen lernen und wahrscheinlich rasch satt bekommen.«

Der Baron wurde von seinem Wüstenschiff tüchtig hin und her geworfen und hatte Mühe, sich im Sattel zu halten. Bald überfiel ihn denn auch die Kamelkrankheit, die der Seekrankheit nichts nachgibt, und er wurde ganz still. Einige Tage hatte er dieses abscheuliche Leiden, und ganz genesen fühlte er sich erst, als die Oase Dachel erreicht wurde.

Obgleich die Reise durch die teilweise noch wenig wüstenartige Wüste erst vierzehn Tage gewährt hatte, war es doch für alle eine unbeschreibliche Freude, als von ferne das fruchtbare Land erschaut wurde, und als man ihm näher und näher kam. Auch die Reit- und Lasttiere schritten munterer aus.

Getreidefelder und grüne Palmengärten grüßten hier die freudig aufatmende Karawane. Stachelige Opuntienhecken oder Feigenkaktus hegten die Gärten ein; Sykomoren und andere Feigenbäume, Tamarinden und Tamarisken, Ssantakazien, Ulmen, Eschen, Kastanien, Korkeichen, andalusische Eichen, Pfefferbäume, Karuben oder Johannisbrotbäume, Ölbäume, Mandeln, Orangen, Zitronen, das heißt wilde, bittere Orangen, Limonen, die wir, wie schon erwähnt, fälschlich als Zitronen zu bezeichnen pflegen, während wir doch ihren mit Zucker und Wasser gemischten Saft ganz richtig Limonade und nicht etwa Zitronade heißen, Granatäpfel, Pfirsiche, Aprikosen, Pistazien, Äpfel, Maulbeeren und andere herrliche Bäume und Sträucher kündeten von der Fruchtbarkeit des gesegneten Landstrichs.

In den Gärten wurde eine Menge Küchengewächse, Heil- und Genußpflanzen gezogen, als da sind: Malven, Kürbisse, Gurken, Wassermelonen, Tabak, Tomaten, Zwiebel, Knoblauch, Rizinus, Bohnen und Saubohnen, Lubiabohnen, Erbsen, Linsen und Gulgasknollen oder Colocasia antiquorum. An den Felsen wucherten Aloe, Wacholder, Oleanderbüsche und andere duftreiche Pflanzen; auch Reben waren in üppiger Fülle zu schauen.

Der Mudir oder Statthalter von Dachel, der Scheich-el-Beled oder Oberbürgermeister, der Hakim oder Obermedizinalrat, einfacher als Doktor und noch besser als Kurpfuscher zu bezeichnen, sowie die andern hohen Beamten des Städtchens kamen in glänzendem Aufzug, meist auf Eseln reitend, der Karawane entgegen.

Nach feierlicher Begrüßung mit wortreichen Reden hin und her, geleiteten sie den Pascha und sein Gefolge in die Stadt und wiesen ihnen ihre Herbergen an.

In dieser prächtigen Oase hielt sich die Reisegesellschaft vierzehn Tage auf, um ihre Ausrüstung zu ergänzen und sich vollends mit Lebensmitteln und anderem Bedarf für die lange Wüstenreise zu versehen. Dies ging nur langsam von statten, da die gesamte Obrigkeit des Orts es für ihre Ehrenpflicht hielt, dem Pascha des Vizekönigs mindestens zwei Besuche täglich abzustatten, was natürlich wieder Gegenbesuche notwendig machte. Nichts geht über arabische Höflichkeit, außer der noch viel umständlicheren chinesischen; aber viel Zeit geht mit solchen Förmlichkeiten verloren.

Selbstverständlich war es das erste, was der Mudir tat, daß er die Geschenke der Gastfreundschaft sandte, nämlich zwei Hammel, Truthähne, Eier, Butter, Honig und einen großen Korb voll schmackhafter Brote. Auch der Scheich-el-Beled ließ sich nicht schlecht finden und schickte Töpfe voll Datteln und andre Lebensmittel, wofür ihm Hussein Pascha Silberdraht und silberne Uhren als Gegengeschenk übersandte.

In Erwiderung eines üppigen Gastmahls, lud der Pascha die Beamten auch zu einem Abendessen ein.

Hatten die Europäer sich bei den arabischen Mahlzeiten dazu bequemen müssen, mit den Fingern zuzulangen, so war es für sie nun eine heimlich erheiternde Genugtuung und ein köstliches Schauspiel, zuzusehen, wie ihre würdigen Gäste sich abmühten, mit Messer und Gabel umzugehen. Wenn sich aber einer unbeobachtet glaubte, fuhr er mit einem raschen Griff in die Schüssel und schob sich eine gute Handvoll in den Mund, denn mit den schwierig zu handhabenden Eßbestecken war es eine gar zu langwierige Arbeit, sich in allzudürftigen Mengen nach und nach so viel Nahrung einzuverleiben, um den Hunger einigermaßen zu stillen.

Der strenggläubige Mudir hütete sich gewissenhaft, den Wein und Kognak zu kosten; er begnügte sich mit Limonade. Anders der Hakim, der Arzt, der den Gastgebern höflich und mit sichtlichem Behagen Bescheid tat, während der Scheich-el-Beled sich um die Vorschriften seiner Religion ganz und gar nicht kümmerte, vielmehr ein Glas um das andere leerte. Der Dattelschnaps, der zuletzt aufgetischt wurde, gab ihm den Rest.

Als nun das Aufblitzen von Magnesiumlichtern und einige Revolverschüsse das Fest beendigten, taumelte das würdige Stadtoberhaupt, lustige Lieder singend, nach Hause, rechts und links gestützt von zwei arabischen Polizeisoldaten, die der vorsorgliche Mann wohlweislich mitgenommen hatte.

Die Beamten aus Kairo, die im Auftrag des Khediven die Karawane begleitet hatten, verabschiedeten sich am nächsten Tage, forderten jedoch ein solch unverschämtes Bakschisch oder Trinkgeld vom Pascha, daß dieser ein Telegramm an den Vizekönig aufsetzte, mit der Anfrage, ob die Herren zu so maßlosen Forderungen berechtigt seien.

Die Antwort konnte nicht zweifelhaft sein und wäre den unverfrorenen Erpressern höchst unangenehm geworden.

Der Telegraphenbeamte erklärte jedoch rundweg, das Telegramm nicht befördern zu können: er wisse nämlich bestimmt, daß den Beamten die Annahme eines Trinkgeldes überhaupt verboten sei, da sie mehr als genügend bezahlt würden. Die Anfrage würde daher dem Khedive ihren Ungehorsam verraten und ihnen eine schwere Bestrafung zuziehen, und zu solch einer Ungerechtigkeit könne er als ehrlicher und gewissenhafter Beamter die Hand nicht bieten, zumal er sich dadurch den Haß der Hereingefallenen zuzöge.

Immerhin konnte Münchhausen nun auf dem Verbot fußen und die Gauner mußten froh sein, daß er erklärte, er werde eine Anzeige an den Beherrscher, seinen Freund, unterlassen und ihnen aus Gnaden ein kleines Bakschisch gewähren.

Baron Steinberg hatte infolge seiner Unkenntnis arabischer Sitten und seiner selbstherrlichen Unvorsichtigkeit ein höchst unangenehmes Erlebnis in der gastlichen Oase.

Er spazierte viel in der Umgegend umher, aus Neugier. Er gab freilich vor, er tue es, um zu botanisieren, doch brachte er niemals eine Pflanze mit heim, die irgend welches wissenschaftliche Interesse hätte beanspruchen dürfen.

Eines Tages betrat sein rücksichtsloser Fuß mit den feinen Lackstiefelchen ein junges Saatfeld von Durragetreide oder Sorghum vulgare.

Da rief ihm ein Araber wütend und drohend zu: »Ziehe deine Schuhe aus! Es ist haram, anders als barfuß durch die Saat zu gehen.«

Des Barons arabische Kenntnisse reichten zwar nicht aus, um zu verstehen, daß haram so viel bedeute, als daß es religiös verboten sei, doch begriff er die Forderung des Mannes wohl und der wütende Ton und die drohende Haltung des Mohammedaners schüchterten ihn derart ein, daß er sich raschestens der Fußbekleidung entledigte und in seinem Schrecken ganz vergaß, daß er sie nach Verlassen des Ackers unbesorgt wieder anlegen durfte. So kam er barfuß zurück, Schuhe und Strümpfe in der Hand, und noch ganz bleich und zitternd vor Angst.

Große Heiterkeit der Genossen begrüßte ihn, als er in diesem Aufzuge erschien, und sie nahm noch zu, als er ganz kleinlaut die Ursache erzählte und schloß: »Das sind ja entsetzliche Fanatiker, diese Eingeborenen! Der Mann sah wahrhaftig so aus, als wolle er mich mit Haut und Haar verschlingen, wegen des Frevels, den ich unschuldigerweise begangen.«

»Oho! Unschuldigerweise?« wies ihn Münchhausen zurecht: »Auch in Deutschland würde Ihre Rücksichtslosigkeit mit Recht als Frevel angesehen werden; da dürften Sie nicht einmal barfuß ein Saatfeld betreten. Das ist ja überhaupt zwecklos und verderbt nur die mühsam gezogene Pflanzung, die uns zur Nahrung dienen soll. Was fiel Ihnen überhaupt ein, in junge Getreidesaat zu stapfen?«

»Konnte ich denn wissen, daß das Getreide war? Ich glaubte hier seltene Pflanzen zu entdecken.«

»O weh!« seufzte Professor Rommel bei diesem naiven Geständnis: »Und das ist nun ausgerechnet der Botaniker unserer Expedition! Ein Glück nur, daß es in der Wüste keine Pflanzen gibt, sonst würden wir mit unserer botanischen Ausbeute vor der ganzen europäischen Wissenschaft unsterblich blamiert!«


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