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11.
Weihnacht in der Wüste

Nach zwei Tagen wurden die Zelte in der ausgedehnten Oase Kufra aufgeschlagen.

Dieses fruchtbare Land besteht eigentlich aus mehreren Oasen, die durch mehr oder weniger breite Wüstenstreifen voneinander getrennt sind.

Der Pascha beschloß, hier eine längere Rast zu halten; denn einmal hatten es alle, Tiere wie Menschen, nötig, sich von den bisherigen Reisestrapazen und Leiden zu erholen durch ausgiebige Ruhe und reichliche Nahrung; sodann waren die Vorräte an Lebensmitteln und Futter zu erneuern, ehe man die Weiterreise durch die Wüste antreten konnte. Auch mußten mehrere weitere Kamele angeschafft werden, weil noch einige infolge der Anstrengungen und Entbehrungen eingegangen waren.

Da nur noch vierzehn Tage bis Jahresschluß waren, sollte die Festzeit, einschließlich Neujahr, hier zugebracht werden; denn ohne Not wollte Münchhausen an den Festtagen nicht reisen, und eine würdige Weihnachtsfeier wollte er nicht versäumen.

Am vierundzwanzigsten Dezember waren die Einkäufe schon so weit gediehen, daß nicht mehr viel zu tun übrig blieb und man sich ausgiebig der wohltätigen Rast hingeben konnte.

Die Deutschen saßen gemütlich rauchend in dem großen Zelt, das dem Pascha und dem Professor gemeinschaftlich diente. Nachts wurde durch eine Zwischenleinwand eine zweite Abteilung für Franz und Peter hergestellt, während Steinberg es vorzog, sein kleines Zelt allein zu bewohnen.

Auch die Harmonika und die Zitrone waren heute, wie öfters, zu Gast im Männerzelt; denn keine von ihnen war so zimperlich und abgeschmackt, sich aus dem dichten Tabaksqualm etwas zu machen, der wie ein Nebel den Raum erfüllte und sich langsam einen Ausgang durch die Türöffnung suchte, die zu diesem Zweck etwas offen gelassen wurde. Die Damen rauchten allerdings selber nicht, obgleich die Herren nichts dagegen gehabt hätten: sie fanden es höchst unnötig, sich diese immerhin etwas unweibliche Unterhaltung anzugewöhnen.

Nur die Kammerzofe Isolde glaubte, ihre zartbesaitete Weiblichkeit und vornehme Feinfühligkeit durch einige Seufzer und Klagen bekunden zu müssen.

»Ach!« meinte sie: »Es ist doch entsetzlich, die vorher schon so stickige Luft durch solche Dampfwolken zu malträtieren: ich glaube, ich bekomme eine Rauchvergiftung!«

Die Zofe, die in Gesellschaft ihrer Herrinnen auch zu dem gemütlichen Plauderstündchen zugelassen wurde, liebte, wie die meisten Deutschen, die Fremdwörter, durch die man in der Lage ist, seine hohe Bildung jedermann unter die Nase zu reiben. Sie hatte begriffen, daß »mal« soviel wie »schlecht« bedeute, folglich glaubte sie, »malträtieren« müsse »verschlechtern« heißen.

»Ach so!« sagte der qualmende Kapitän, der die ziemlich laute Bemerkung aufgeschnappt hatte: »Ich vergaß, wie es die Höflichkeit erfordert, die Damen erst zu fragen, ob sie uns das Rauchen gütigst gestatten?«

»Machen Sie keine schlechten Witze,« erwiderte die Zitrone: »Erstens haben Sie nie gefragt, was überhaupt unter Ihrer Würde als Pascha wäre; zweitens haben wir uns nie beklagt; drittens verbessert der angenehme Duft des türkischen Tabaks bloß die Luft, nach meiner Ansicht; viertens, wenn wir so empfindlich wären, taugten wir schlecht zu einer Reise durch die Sahara.«

»Ganz meine Meinung!« bestätigte die Harmonika lachend.

»Vernünftig, edel und schön!« lobte Münchhausen: »Dennoch vermeinte ich auch eine gegenteilige Ansicht erlauscht zu haben: Sie, Fräulein Isolde, vertragen wohl den Rauch nicht?«

»Ach, leider ganz und gar nicht. Ich war immer ganz feine Kreise gewöhnt, woher die vornehme Empfindlichkeit meiner Riechorgane stammt.«

»Dann kann ich Ihnen nur raten, sich schleunigst aus dieser unfeinen Gesellschaft zu entfernen,« sagte der Vater des Schnupftuchs boshaft. »Denn es wird immer schlimmer: soeben zünde ich mir eine frische Pfeife an, und ich würde es lebhaft bedauern, wenn Sie Ihre zartbesaitete Seele infolge von Rauchvergiftung in diese Stickluft aushauchen müßten.«

»O, es ist nicht so schlimm, ich gewöhne mich bereits daran, und was meine gnädigste Baronesse vertragen, vertrage ich selbstverständlich auch,« rief die Kammerjungfer nun eifrig: es wäre ihr doch das ärgste gewesen, aus dieser unterhaltenden Gesellschaft sich ausschließen zu müssen.

»Ich finde, das Rauchen erleichtert das Ertragen der großen Hitze ungemein,« ließ sich nun der Professor vernehmen: »Außerdem ist es eine angenehme Unterhaltung, die keine Langeweile aufkommen läßt, vielmehr gute Gedanken anregt.«

Dann kam das Gespräch auf die bevorstehende Reise, die durch eine noch ausgedehntere und gefährlichere Sandöde führen würde, als die bisherige, die doch schon schlimm genug war.

»Ließen sich denn diese schrecklichen Wüsten nicht in fruchtbares Land umwandeln?« Diese kühne Frage warf Baron Steinberg auf. »Die Oasen sind ja überaus reich an Getreide und üppigem Pflanzenwuchs.«

»Wenn Sie Regen machen können!« erwiderte Professor Rommel lachend. »Übrigens hat man auch schon durch das Graben artesischer Brunnen manche Oase hervorgezaubert; denn überall befindet sich in der Tiefe unter dem Sandboden Wasser; freilich ist es meist stark salzhaltiges, brackiges Wasser. In grauer Vorzeit hat hier ein Meer gewogt. Das vernehmen wir auch aus alten Arabersagen; die Sahara, sagen sie, war früher ein Meer voll blühender, fruchtbarer Inseln. Die drei Könige dieser Inselreiche ließen sich jedoch durch einen Dschinn verleiten, an Stelle des wahren mohammedanischen Glaubens den Götzendienst, die Anbetung der Dschinns, einzuführen, worauf zur Strafe das Meer im Sande versickerte.«

»Übrigens wäre es leicht,« fuhr Rommel fort, »wenigstens einen Teil der Wüste in ein Meer zu verwandeln. Man brauchte nur durch einige Kanäle die schmalen Landstreifen zwischen den Seen, dem Schott Melghir und Aschischina in Algerien, dem Schott Gharsa und Ed Dscherid in Tunis zu durchstechen und letzteren mit dem Golf von Gabes zu verbinden, so würde wenigstens der Teil der nordwestlichen Sahara, der tiefer liegt, als der Meeresspiegel, überflutet.«

»Gehen Sie mir weg!« rief Münchhausen lachend. »Die Sache ist viel einfacher. Nehmen wir eine große Menge Badeschwämme, mit denen wir die Pontinischen Sümpfe und all die anderen so ungesunden Moräste, namentlich auch in Nordafrika, austrocknen. So oft die Schwämme vollgesogen sind, werden sie in die Sahara befördert und dort ausgedrückt, bis alle Sümpfe trocken gelegt sind. So fangen wir zwei Mücken auf einen Schlag: die Fiebergegenden bekommen ein gesundes Klima, und die angefeuchtete Wüste wird ein fruchtbares Land, was weit vorteilhafter ist als ein ödes Meer.«

Der Professor lachte; der Baron aber und die beiden Diener lauschten andächtig auf Kapitän Münchhausens genialen Vorschlag.

»Gehe einmal hinaus und schau, wieviel Uhr es ist,« sagte nun Rommel zu seinem Diener. Da nämlich sämtliche Taschenuhren seit dem Wüstensturm stillstanden, war man auf des Professors handliche Sonnenuhr angewiesen, die er vor dem Zelt in der Sonne aufgestellt hatte.

Nach einer Weile kam Franz herein und brachte die Sonnenuhr mit. »Do schaun's selba noch, Herr Professa,« sagte er. »Bei dösen Instrument kenn' i mi nit aus.«

»Dummkopf! Stell' sie erst wieder in die Sonne, hier im Zeltschatten kann kein Professor die Zeit von einer Sonnenuhr ablesen,« rief Rommel lachend.

Franz schüttelte den Kopf. »Is dös Ding nit lang g'nug in der Sunnen g'standen?« brummte er. »Steht jo schun sechs Stunden im hoaßen Sunnenschoan. Wann's do no nit geht, nachher geht's übahaapt nimma!« Damit stellte er das sonderbare Instrument, das seine Begriffe überstieg, wieder hinaus.

Als die Europäer abends Weihnachtslieder anstimmten, glaubten die Araber, die Herren hätten den Verstand verloren und sie müßten sie fortan als Heilige hoch verehren. Denn der Irrsinnige gilt dem Orientalen als ein Heiliger, dessen Geist von Allah selber dem Irdischen entrückt worden ist, so daß sie solchen armen Menschen die höchste Ehrfurcht erweisen und es als schweres Verbrechen ansehen würden, ihnen etwas zuleide zu tun.

Nach den frommen Gesängen wurden Gaben verteilt, und der Professor öffnete ein Paket, das ihm seine Gattin mit auf die Reise gegeben hatte, mit der Weisung, es erst am Heiligen Abend aufzumachen.

Es enthielt ein paar kunstvoll gestickte Pantoffeln, die seine Ehehälfte ihm zur Freude eigenhändig angefertigt hatte. Der Undankbare aber rief in komischem Entsetzen: »Maschallah! Was Gott will, geschieht! Niemand kann seinem Schicksal entrinnen: bis in die tiefsten Wüsten Afrikas verfolgt mich der Pantoffel meiner Frau!«

»Ach, Sie sind verheiratet?« fragte Steinberg verwundert: »Das habe ich ja noch gar nicht gewußt!«

»Das verrät wenig Scharfblick,« sagte Rommel und wies ihm seine rechte Hand: »Ich trage doch wahrhaftig meinen Ehering nicht in der Westentasche.«

»I wo! Auf solch einen Ring kann man doch nicht gehen,« erwiderte der Baron: »Wenn es darauf ankäme, so müßte ich ja einen ganzen Harem besitzen!« Und er zeigte seinerseits dem Vater des Sandes seine Rechte, an der nicht weniger als fünf Ringe blinkten.

» Ein Ring beweist mehr als ein halbes Dutzend,« sagte seine Schwester: »Ich habe gleich am ersten Tage festgestellt, daß der Herr Professor Ehemann ist. Aber warum reden Sie nie von Ihrer Frau Gemahlin?«

»Sein bestes Kleinod hält man, wenn man klug ist, möglichst geheim und spricht nicht von ihm: übrigens, wissen Sie nicht, daß die besten Frauen eben diejenigen sind, von denen man am wenigsten redet?«

»Nun erlauben Sie mir aber noch eine Frage,« begann Abu Haschisch, der Vater des Krautes, wieder: »Warum ließen Sie Ihre Frau Gemahlin zu Hause, während doch Ihr Fräulein Schwester Sie begleitet?«

»O, meine Frau war fast ein Jahr mit mir in Ägypten. Sie vertrug aber das Klima nicht recht, und als sie zuletzt ernstlich erkrankte, geboten ihr die Ärzte die Heimkehr. Ich habe sie in die Heimat begleitet, mußte dann aber nach Ägypten zurück, weil ich mich zu dieser Reise verpflichtet hatte und auch nicht gerne darauf verzichtete, zumal es meiner lieben Frau in Deutschland wieder ganz gut geht, und sie in bester Pflege bei den Ihrigen sich befindet, so daß ich mich um sie nicht zu sorgen brauche. Sie selber wollte auch von meinem Verzicht auf die interessante Expedition nichts wissen und wäre untröstlich gewesen, wenn ich mich davon hätte abhalten lassen.«

Alle fanden sich an diesem schönen Festabend reich beschenkt: teils waren es Pakete aus der Heimat, die der Pascha, ihrer Bestimmung gemäß, bis zum heutigen Abend uneröffnet in Verwahrung genommen hatte, teils gegenseitige Geschenke, meist Kleinigkeiten, doch sinnig und brauchbar.

Jedenfalls waren alle erfreut und befriedigt, und kamen in die rechte Feststimmung hinein, wenn auch der Christbaum vermißt wurde.

Auch die Araber wurden beschenkt, und ließen sich dies gerne gefallen. Die Harmonika legte aber auch Wert darauf, daß sie über die Bedeutung dieses christlichen Festes aufgeklärt würden. Nachdem sie daher das Weihnachtsevangelium verlesen hatte, dem die Deutschen mit Andacht lauschten, übersetzte sie es ins Arabische und erklärte den Mohammedanern die Geschichte vom menschgewordenen Gottessohn, der später für unsere Sünden gestorben sei, und von dem selbst Mohammed bekenne, er sei ein größerer Prophet gewesen als er selber.

Besonders diese Bemerkung, die den hochaufhorchenden Arabern eigentlich nichts Neues sagte, machte großen Eindruck auf sie. Sie wußten, daß ihr Prophet sich ausdrücklich für geringer erklärt hatte als Isa, wie er Jesus nannte. Bisher hatten sie sich darüber keine weiteren Gedanken gemacht. Als ihnen jedoch das Christenfräulein diese Tatsache ordentlich zu Gemüte führte, sagten sie sich, die Religion der Christen könne unmöglich so schlecht sein, wie sie bisher in ihrer Unwissenheit glaubten, da die verpönten Rumih einem Propheten folgten, der höher stand, als ihr allein verehrter Mohammed.

Auch das, was sie heute von dieser Religion hörten, und was sie bisher von den Deutschen gesehen hatten, bestärkte sie in dieser neuen Meinung. Nur Hamed und Mohamed verdrängten gewaltsam solche Gedanken aus ihrem Herzen, und Abd ul Haggs tückische Seele war vollends dagegen gefeit: ihm war es überhaupt gleichgültig, welche Religion die richtige sei, ihm galt nur das eigene Ich.

Mit einer wohlzubereiteten Punschbowle wurde die Feier beschlossen, einem köstlichen, aber harmlosen Getränk: denn es bestand größtenteils aus heißem Zuckerwasser mit Orangensaft, dem nur des kräftigen Geschmackes wegen ein Schuß Arrak zugesetzt wurde: man konnte getrost so viel davon genießen, als man wollte, ohne befürchten zu müssen, es könnte einem zu Kopfe steigen.


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