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10.
Die Geisterburg

Es versteht sich von selbst, daß Hussein Pascha nunmehr den Fakir ernstlich zur Rede stellte.

Abd ul Hagg beteuerte und beschwor, er habe von dem Vorhandensein des mörderischen Sandsees an dieser Stelle keine Ahnung gehabt. Heute morgen habe er allerdings mit Hamed und Mohamed über derartige heimtückische Plätze in der Sahara geredet, aber nur ganz im allgemeinen, weil die beiden noch nichts davon gewußt hätten und durchaus nicht daran glauben wollten. Peter Grill habe auf die weite Entfernung höchstens einzelne Worte verstehen können, und habe sich daraus selber einen Bericht zusammengereimt, der den Tatsachen durchaus nicht entspreche.

Es fiel dem Schurken nicht schwer, den gutgläubigen Abu el Futha derart zu überzeugen, daß er jeden Verdacht gegen ihn und seine Mitverschworenen fallen ließ und froh war, sie so gerechtfertigt zu sehen, wie er sich einbildete. Bei reiflicher Überlegung hätte er sich freilich sagen müssen, daß die Umstände für die drei Kumpane äußerst belastend waren und daß es doch gar zu schwer sei, zu glauben, es handle sich bloß um ein zufälliges, höchst merkwürdiges Zusammentreffen, wenn die tatsächlichen Ereignisse so auffallend mit dem übereinstimmten, was der Kammerdiener erlauscht haben wollte und der unverfrorene Indier in Abrede stellte.

Des Kapitäns gutmütige Seele war jedoch allezeit so geneigt, das Beste von seinen Mitmenschen vorauszusetzen, daß er weitere Überlegungen gar nicht anstellte, sondern sich mit der vermeintlichen »Aufklärung« zufrieden gab, mit der ihn der tückische Fakir wiederum hinters Licht führte.

Auch Franz Billinger neigte sich vorerst der Ansicht des Paschas zu; doch sollte er bald etwas erleben, das ihm keinen Zweifel mehr an der Gesinnung der drei Verschwörer gestattete.

Was Rommel und Peter Grill anbelangte, so ließen sie sich schon jetzt nicht mehr durch des Fakirs heuchlerische Ausflüchte täuschen und beschlossen, auf der Hut zu sein. Aber schließlich waren nicht sie die Leiter des Unternehmens und konnten daher nicht viel ausrichten. Hussein Paschas Überzeugung war leider maßgebend, und das sollte noch verhängnisvolle Folgen haben, nicht zum wenigsten für den arglosen Kapitän selber.

Erich von Steinberg und seine scharfblickende Schwester Hulda hielten es nach dem heutigen Erlebnis, das so leicht einen tödlichen Ausgang für Abu Haschisch und auch die Harmonika hätte nehmen können, mit dem Professor. Monika Rommel im Gegenteil stand auf Münchhausens Seite, gemäß ihrem harmlos gutmütigen Charakter: so waren die Ansichten geteilt!

Gegen Mittag dieses ereignisreichen Tages gelangte die Karawane in eine Gegend, die mit merkwürdigen Felsbildungen übersät war: da vermeinte man, riesige Kriegsschiffe zu schauen, prächtige Dome, gotische Kirchtürme mit durchbrochenen Mauern, Pyramiden, Sphinxe und vollkommene Würfel. Es war ein Gewirr von schneeweißen »Zeugen«, Kreideblöcken, die im grellen Sonnenschein das Auge blendeten.

Stellenweise wähnte man sich in einem Gipsfigurenkabinett mit menschlichen Figuren, Riesenbüsten, Tiergestalten und dergleichen zu befinden. Dann entdeckte man wieder Moscheen mit schlanken Minaretten, Tore, Triumphbogen und Tafelaufsätze. In der klaren Luft der Wüste erschienen die sonderbaren Gebilde bis zu den höchsten Höhen scharf gezeichnet.

Es war schwierig, sich durch dieses Felslabyrinth zu winden und stets einen Durchgang zu finden, der breit genug war, die bepackten Kamele hindurch zu bringen. Endlich trat die Karawane durch ein großartiges Felsentor wieder hinaus in die Ebene.

Nun aber gebot die Erschöpfung von Menschen und Tieren gebieterisch halt.

Aber was war das für eine märchenhafte Erscheinung, die im Südwesten auftauchte? In einer Entfernung von einigen Stunden erhob sich ein düsteres, schwarzes Felsengebirge mit Festungsmauern und gewaltigen, zinnengekrönten Türmen. Burgen und Schlösser ragten dort anscheinend aneinandergereiht empor und bildeten zusammen eine Felsenstadt von unerhörter Ausdehnung.

Professor Rommel sah mit sehnsüchtigen Blicken nach diesen geheimnisvollen Gebilden hinüber, und trotz seiner Ermattung faßte er den Entschluß, sich dorthin zu begeben. Vielleicht entdeckte er die Ruinen einer alten großartigen Befestigung, die ihm die interessantesten archäologischen Funde verhieß.

Hussein Pascha befand sich in größter Sorge. Weit und breit sah man nichts als die wasserlose Wüste. Menschen und Tiere waren am Ende ihrer Kräfte, auch das Futter für die Kamele war ausgegangen; der kommende Tag mußte unter allen Umständen ein schreckliches Ende herbeiführen.

Er berief den Indier zu sich. »Du weißt, wie es um uns steht,« sagte er. »Ist keine Aussicht auf Rettung?«

»O Herr,« erwiderte Abd ul Hagg, »Licht meiner Augen, wir sind alle verloren, wenn Allah kein Wunder tut. Die Dschinns, die bösen Geister der Wüste, wollen unser Verderben, und Iblis, ihr Oberhaupt, der Vater alles Bösen, hat Gewalt über uns. El Gharrar, der Irreführer, der Dämon, der die Reisenden vom rechten Wege abbringt, hat uns getäuscht.«

»Ich will nichts von deinen Dschinns wissen; ist kein Wasser in der Nähe? Das ist die einzige Frage.«

»Herr, keines! Drei Tagereisen sind es bis zum nächsten Brunnen.«

»Das bedeutet unser aller Tod,« rief Münchhausen. »Aber hast du uns nicht heilig versprochen, daß wir noch heute einen Brunnen erreichen würden? Soll ich wirklich glauben, daß du ein Lügner und Verräter bist, wie viele der anderen es tun?«

»Sidi!« erwiderte der Indier, was soviel wie »Herr« bedeutet. »Bedenke, daß ich mit allen Gläubigen der Karawane euer Schicksal teilen muß; wie könnte ich so wahnsinnig sein, uns alle absichtlich einem entsetzlichen Tode preiszugeben? Ich befinde mich zum ersten Male in dieser schrecklichen Wüste. Wohl besitze ich so genaue Aufzeichnungen über den einzuschlagenden Weg und jeden daran befindlichen Brunnen, daß ich glaubte, nicht fehl gehen zu können. Aber ich erkenne jetzt, daß entweder meine Nachrichten nicht ganz zuverlässig sind oder daß ich es nicht vermochte, in dieser endlosen, gleichförmigen Sandwildnis ihnen so genau zu folgen, wie es unerläßlich ist. Schon daß wir heute morgen auf den schauerlichen Sandsee trafen, war für mich ein Beweis, daß ich leider von der rechten Richtung abgekommen sein mußte; denn er steht nicht auf meiner Karte verzeichnet. Wir sahen uns gezwungen, die gefährliche Stelle zu umgehen, und dadurch kam ich vollends aus der Richtung.«

»Es ist wahr, daß du selber mit allen deinen Kumpanen mit uns verdursten mußt, aber das ist für uns ein schlechter Trost. Ich will zwar glauben, daß du uns nicht absichtlich irre führtest, weil das dein eigenes Verderben bedeutete, aber woher willst du nun wissen, daß drei Tagereisen von hier ein Brunnen zu finden sei, wenn du dich so gründlich verirrt hast?«

»O Pascha, Allah erhalte dein kostbares Leben und das deiner Gefährten, wenn wir Gläubige auch hier den Tod finden müßten nach seinem unabänderlichen Ratschluß! Den Brunnen, den ich heute zu schauen hoffte, haben wir verfehlt; er muß jetzt weit südlich von uns liegen. Nun sind wir in eine Gegend geraten, die außerhalb des Gebietes liegt, das die Karte umfaßt, nach der ich mich bisher gerichtet habe, und so ist es mir unmöglich geworden, seine Lage wieder aufzufinden. Aber siehe, hier habe ich eine zweite Karte, die ebenfalls den Weg nach der Messingstadt weist, allerdings einen etwas weiteren, weshalb ich vorzog, der ersten zu folgen. Betrachte diese Karte genau: ich habe auf ihr die Stelle entdeckt, an der wir uns jetzt befinden; da siehst du die Felsenberge dort drüben deutlich eingetragen, sie sind die Burg der Geister, der sich kein Mensch nahen darf, weil er ein schreckliches Ende dort fände. Und nun siehe hier her: drei Tagereisen von diesem Gebirge findest du die Oase Kufra eingetragen, bis dorthin aber keinen einzigen Brunnen. Daher kommt meine Kenntnis, die ich dir vorhin mitteilte.«

Abu el Futha, der Vater des Schnupftuchs, wischte sich den perlenden Schweiß von der Stirne und studierte aufmerksam das Pergament, das Abd ul Hagg ihm vorhielt. Es war ein Kartenausschnitt in grober Zeichnung, aber doch sorgfältig ausgeführt und den Eindruck der Zuverlässigkeit machend. Auch die Lage der Messingstadt war genau darauf angegeben.

Münchhausen berechnete im stillen den bisher zurückgelegten Weg an Hand dieser Kartenskizze und fand, daß allerdings das auf derselben als »Geisterburg« bezeichnete Gebirge den Felsbergen entsprechen mußte, die hier in der Ferne zu sehen waren. Danach hatte der Fakir recht: die Oase Kufra war von hier noch stark zwei Tagereisen entfernt, und bis dorthin gab es weit und breit kein Wasser; wenigstens war kein Brunnen auf der Karte vermerkt, also auch keine Aussicht, einen solchen zu finden. Daß eine Stelle auf der Karte, gerade mitten in der Geisterburg, Spuren sorgfältig verwischter Radierung aufwies, entging dem arglosen Auge des Pascha.

»Nach dieser Karte wäre allerdings kein Zweifel mehr, daß wir dem Untergange verfallen sind. Hätten wir die Gewißheit, morgen an einen Brunnen zu gelangen, so möchte ich hoffen, daß diese Aussicht die Kräfte unserer Leute nochmals so aufrütteln würde, daß wenigstens einige von ihnen den rettenden Quell erreichen könnten. Aber über zwei Tage weiterwandern in dieser Verfassung, das ist völlig ausgeschlossen, sowohl für uns wie für die Tiere.«

»Allah ist groß! Er allein kann Wunder tun; vielleicht tut er auch an uns ein Wunder, um uns zu retten; denn sonst sind wir verloren!« sagte der heilige Mann in frommer Ergebung.

Jetzt trat Professor Rommel hinzu: »Kapitän,« sagte er, »es läßt mir keine Ruhe; ich muß noch einen Ausflug nach den Felsenbergen dort drüben unternehmen, die so geheimnisvoll herüberdrohen. Mir ist, als müßten sie irgend ein Geheimnis bergen, und als könnte ich dort wertvolle Altertumsfunde machen. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich in solcher Nähe daran vorübergezogen wäre, ohne wenigstens einen Versuch zu machen, sie zu erforschen.«

»Hm!« machte Münchhausen, indem er einen Blick nach dem Gebirge hinüber warf. »In schwach zwei Stunden mögen die Felsen zu erreichen sein, ohne daß man sich überanstrengt. Zeit dazu haben Sie, denn heute können wir unmöglich weiter, und morgen werden wir auch keine großen Sprünge mehr machen; unser Schicksal scheint besiegelt, nach dem, was ich jetzt weiß. Interessant dürften die Felsen auch sein, denn die Araber haben ihnen den unheimlichen Namen ›Geisterburg‹ gegeben und scheuen sich, wie der Fakir mir sagte, sich ihnen zu nähern. Jedenfalls soll es dort spuken. Mich selbst könnte das reizen, ihnen einen Erkundungsbesuch abzustatten, allein der rasende Durst hat mich bereits derart entkräftet, daß ich sie unmöglich erreichen könnte. Und aus diesem Grunde rate ich auch Ihnen dringend ab, Ihrer Neugier Folge zu leisten; denn Ihre Kräfte können unmöglich dazu ausreichen, den Weg hin und zurück zu bewältigen und gar noch in den Felsen herumzuforschen, in denen Sie überdies die Nacht überraschen würde. Sie bleiben erschöpft und hilflos irgendwo liegen. Das steht uns freilich allen bevor, aber derart unangenehme Ereignisse soll man sich stets hüten, unnötigerweise zu beschleunigen.«

Abd ul Hagg hatte zwar dieses deutsch geführte Gespräch nicht verstehen können, aber er sah, wie der Professor auf die Berge deutete, wie der Pascha seine Blicke dorthin wandte, und ihm offenbar ohne Erfolg abmahnte, kurz, des Indiers Scharfsinn erriet Rommels Absicht, sich nach der Geisterburg zu begeben. Eine ganz auffallende Aufregung bemächtigte sich seiner bei dieser Erkenntnis, und er schien die größte Sorge für den deutschen Gelehrten zu empfinden.

»Abu Ramleh!« rief er mit einer Heftigkeit, die in seltsamem Gegensatz zu seiner gewöhnlichen gemessenen Würde stand: »Ich weiß es wohl, die Europäer sammeln ganze Kamelladungen von Steinen, Unkraut, Mäusen und Eidechsen, lauter Dinge, die völlig wertlos sind, aber an denen sie eine kindische Freude haben. Wir lassen sie machen und lächeln im stillen: es handelt eben ein jeder nach dem Maß von Verstand und Einsicht, das ihm der Schöpfer verliehen hat. Vergebens aber würdest du dort drüben nach solchen Dingen suchen. Der Ort ist verflucht, und wer dorthin geht, kehrt nie wieder zurück: ein gräßliches Ende ist ihm in jenen Bergen gewiß, und seine Seele wird von Allah verdammt, ohne Gnade und Barmherzigkeit. Wisse, dieses unheimliche Gebirge ist die verrufene Geisterburg, die Behausung der Scheitane und Marids, der mächtigsten und schlimmsten aller Dschinns, und am Fuße der Burg treiben die abscheulichen Ghuls ihr mörderisches Wesen, die Vampyre, die den Menschen das Blut aussaugen und Leichenfleisch verzehren.«

Abd ul Hagg täuschte sich gewaltig, wenn er vermeinte, durch diese grauenhafte Schilderung dem deutschen Professor einen heilsamen Schrecken einzujagen und ihn bestimmen zu können, von seinem kühnen Vorhaben abzustehen.

Er lächelte nur, dieser Ungläubige, ja, er lächelte, wo jedem anderen die Haare zu Berge stehen mußten!

»Die armen Ghuls sind ja übel daran,« sagte er spöttisch, »wenn sie sich von Menschenfleisch nähren und an menschlichem Blute ihren Durst stillen, und sich doch niemals ein Menschenkind in ihre Nähe wagt: sie müssen gewiß schon längst verhungert und verdurstet sein!«

Der Fakir war sprachlos über solche Kaltblütigkeit oder Gleichgültigkeit den entsetzlichsten Schrecken orientalischer Phantasie gegenüber. Rommel aber unternahm alsbald den geplanten Ausflug und zwar zu Fuß, da er seinem entkräfteten Esel nicht zumuten konnte, seine Last zu tragen.

Freilich ging es langsam voran, und volle drei Stunden brauchte Abu Ramleh, um die zehn Kilometer bis zum Fuße des Gebirges zurückzulegen. Er erkannte bald, daß es sich um keine menschlichen Bauwerke handelte, sondern um seltsame Felsgebilde, die zum Teil auch noch in der Nähe zinnengekrönte Burgen, Mauern und Türme vortäuschen konnten.

Dennoch erklomm er die schroffen Wände und kletterte in den interessanten Gesteinen umher, bis die sinkende Sonne ihn zur Rückkehr mahnte.

Nun aber merkte er, daß er die Richtung verloren hatte: er fand sich verirrt, und es dunkelte schon. Zugleich überfiel ihn eine völlige Erschöpfung: er hatte sich zu viel zugemutet, als halb verdursteter Mann, und nur der wissenschaftliche Eifer hatte ihn so lange die leibliche Schwäche überwinden lassen. Er suchte daher nur noch den nächsten Abstieg, um aus den Felsen herauszukommen, ehe die völlige Dunkelheit das halsbrecherische Unternehmen unmöglich machte: vielleicht konnte er dann nach einiger Ruhe zum Lager zurückkehren.

Mit knapper Not gelang es ihm, herabzugelangen; doch wußte er durchaus nicht, auf welcher Seite des Höhenzuges er sich nun befand, also auch nicht, in welcher Richtung er das Lager zu suchen hatte. Dies war freilich belanglos, denn die Qualen des eine Weile fast vergessenen Durstes machten sich jetzt in so gesteigertem Maße bemerkbar, daß er vollständig entkräftet zu Boden sank.

Als der Professor bei Einbruch der Nacht noch nicht zurückgekehrt war, machte sich Franz Billinger, sein treuer Diener, daran, ihn aufzusuchen.

Der Vollmond glänzte jetzt über die Wüste, und das Gebirge war vom Lager aus sichtbar.

Als Franz am Fuße der »Geisterburg« angelangt war, beschloß er, zunächst an den Felsen entlang zu gehen, bis er eine Stelle fände, wo sich ein Aufstieg ermöglichen ließe. Denn im Mondlicht erschienen hier die Wände so jäh abfallend, daß sie den Eindruck der Unersteiglichkeit machten: jedenfalls wäre bei der ungewissen Beleuchtung ein Versuch, sie zu erklettern, lebensgefährlich gewesen.

Der Ort erschien dem guten Abu Barlah überhaupt gar nicht geheuer, und wäre er dabei gewesen, wie Abd ul Hagg von den Teufeln, Geistern und Gespenstern redete, die hier ihr Unwesen treiben sollten, gewiß wäre ihm schwül zumute geworden; denn wirklich gespenstisch nahm sich die unheimliche Geisterburg in der Mitternachtsstunde aus.

Der Bayer war ja gewiß kein Hasenfuß, das hatte er schon des öfteren bewiesen und sollte noch manche Gelegenheit finden, es zu zeigen; aber, wer von Aberglauben nicht frei ist, muß ein Gruseln spüren, wenn er glaubt, in den Machtbereich böser Geister und höllischer Mächte geraten zu sein, gegen die das stärkste und tapferste Menschenkind nicht aufzukommen vermag.

Indessen wanderte Billinger rüstig voran. Plötzlich jedoch hielt er den Schritt an: er glaubte, zu träumen!

Bei einer Biegung um die Felsen war er in einen Taleinschnitt gelangt, aus dem ihm üppiges, saftiges Gras entgegenlachte, die herrlichste Kamelweide! Dort, weiter taleinwärts, stand sogar dichtes Buschwerk, überragt von zierlichen Palmwipfeln!

Franz hätte aufjubeln mögen: was war das für eine überraschende und unschätzbare Entdeckung! Das bedeutete ja nichts weniger, als die Errettung der ganzen Karawane aus der drohenden Todesnot! Dort lagen sie verschmachtend und verzweifelnd in der trostlosen Wüste und ahnten nicht, welch herrliche Oase sich hier in ihrer nächsten Nähe befand!

Ja, morgen wären sie mühsam weitergezogen durch die schreckliche Sandöde, und bald hätten ihnen die Kräfte versagt, den Menschen und den Tieren. Dann wären sie hilflos liegen geblieben, dem unabwendbaren Tode des Verdurstens verfallen. Und wenn je einmal wieder Menschen dieses Weges zogen, hätten gebleichte Gerippe und zerstreute Gebeine ihnen Kunde davon gegeben, welch gräßliches Schicksal einst hier so viele ihrer Mitmenschen dahinraffte.

Vielleicht auch würde ein Wüstensturm die Leichen in Sandmassen begraben und jede Spur der Karawane verwischen, die in dieser Abgelegenheit verschmachtete, bis späterhin wieder ein Sturm daherbrauste und die Gebeine bloßlegte. Und diesem jammervollen Geschick wäre die Karawane nur verfallen, weil sie nicht wußte, wie nahe ihr der rettende Quell war!

Solche Gedanken jagten Franz durch den Kopf beim Anblick des frischen Grüns, das so zweifellos die Nähe des Wassers verriet. Und welch köstliche frische Luft, gesättigt mit erquickender Feuchtigkeit, wehte dem Schmachtenden aus diesem paradiesischen Talgrund entgegen! Wahrhaftig, er fühlte schon die Qualen seines brennenden Durstes gelindert!

Wer in einer solchen unvermuteten, durch einige scheinbar zufällig zusammentreffende Umstände herbeigeführten Entdeckung im Augenblicke höchster Not und Gefahr nichts anderes erblickt hätte als einen blinden Zufall, für dessen geistigen Tiefstand hätte der gescheite Bayer nur ein mitleidiges Kopfschütteln haben können. Er selber erkannte es klar, daß es sich hier um Hilfe von oben handelte, um eine Fügung des allwissenden und barmherzigen Gottes, der die Geschicke der Menschen lenkt, auch derer, die wie das unvernünftige Vieh ihn nicht erkennen, oder in kindischem Trotz und bemitleidenswerter Torheit ihn leugnen, im Wahne, sie könnten sich selber und andern weismachen, sie glaubten an keinen vernünftigen Schöpfer der Welt.

Es läßt sich denken, welches Glück Billingers Herz durchflutete, kündete ihm doch das frische Grün, daß er im nächsten Augenblick seine rasende Gier nach einem belebenden, kühlenden Trunke stillen könne. Mehr noch als diese herrliche Aussicht beglückte ihn der Gedanke, welchen Jubel die unverhoffte Kunde, die er bringen würde, bei den verzweifelnden Gefährten, Deutschen wie Arabern, erregen werde.

Schon wollte er seinen Gefühlen freien Lauf lassen und einen hellen Jauchzer hinaussenden in die monddurchflimmerte Nachtluft, als er plötzlich den Ton in der Kehle zurückhielt, noch ehe er hatte laut werden können. Was sollte denn das bedeuten? Deutlich klangen Stimmen an sein Ohr, und sie kamen aus dem nahen Gebüsch: sollte er dort seinen vermißten Herrn finden? Aber mit wem unterhielt er sich dann?

Das Gespräch, von dem der Diener vorerst nur wenige Worte verstehen konnte, da die Entfernung zu groß war und das dichte Buschwerk die Stimmen dämpfte, wurde auf Arabisch geführt, und das erschien dem klugen Franzl verdächtig.

Wie? Wenn der Professor von räuberischen Beduinen überfallen und ausgeplündert, vielleicht gar totgeschlagen worden wäre?

Da galt es, vorsichtig zu sein, scharf aufzupassen und sich zunächst verborgen zu halten, bis die Sache geklärt war.

Es war freilich eine fast übermenschliche Zumutung für einen Verdurstenden, der einen Quell in nächster Nähe wußte, nicht alle andern Rücksichten beiseite zu schieben und sich nur auf den Lebenstrank zu stürzen. Allein Billinger bedachte, daß ihn eine Übereilung das Leben kosten und vor allem die Rettung seines Herrn unmöglich machen könnte, wenn sich dieser in Gefahr befinden sollte, vielleicht in Gefangenschaft. Die Quelle würde ja nicht davonlaufen; es galt nur, sich noch eine Weile zu gedulden und in der Selbstbeherrschung zu üben.

So schlich sich Billinger vorsichtig und unhörbar bis zum Gebüsch, durch dessen Lücken er, am Boden liegend, bequem blicken konnte, während er für die auf der andern Seite befindlichen Personen völlig unsichtbar blieb, zumal er im Schatten der Hecke lag, der Platz aber, auf den er hinausspähte, vom hellsten Vollmondlicht überflutet war.

Was Franz hier zunächst erschaute, war das Entzückendste, was sich einem Dürstenden darbieten kann: eine klare, munter plätschernde Quelle, sauber in Stein gefaßt und von hohem Mauerwerk überwölbt, zum Schutze gegen den Flugsand der Wüste.

Am Rande des Brunnens lagerten drei Männer, die der Lauscher sofort erkannte: es waren Abd ul Hagg, der indische Fakir, und die beiden Araber Hamed und Mohamed.

Das waren ja alte Bekannte, und Billinger fühlte sich bei ihrem Anblick ganz beruhigt. Er erklärte sich auch in Gedanken sofort ihre Anwesenheit. Gewiß hatten auch sie eine Entdeckungsreise unternommen, wahrscheinlich um zu untersuchen, ob das Gebirge keinen Wasserlauf enthalte. Oder hatten sie sich auch um das Ausbleiben des Professors gesorgt und waren ausgezogen, um nach ihm zu suchen. Dabei hatten sie das Glück gehabt, diesen köstlichen Quell aufzufinden, genau wie es ihm selber gegangen war.

Von den Dschinns und Ghuls, mit denen der Fakir Rommel hatte schrecken wollen, wußte Franzl ja nichts, sonst wäre es ihm doch höchst auffallend und verdächtig erschienen, daß die Mohammedaner sich an diesen verrufenen Ort gewagt hatten, von dem sie behaupteten, daß keiner lebend von ihm zurückkehre.

Eben wollte sich Abu Barlah, der Vater der Mauleselin, wie er von diesen Leuten geheißen wurde, erheben, um die drei erfreut zu begrüßen und nicht länger zu zögern, seinen rasenden Durst zu löschen, – da schlugen Worte an sein Ohr, die ihn jäh zurückhielten. So viel Arabisch hatte er ja inne, um alles zu verstehen.

»Tod den Kafirs!« rief Hamed Ben Abd er Rahman. »Sie sind alle der Hölle verfallen! Ha! wenn sie ahnten, wie nahe ihnen die Rettung wäre; aber sie wissen nichts davon.«

»El hamd li'llah!« ließ sich Mohamed et Talib vernehmen. »Allah sei Dank! Ich war am Verschmachten. Gottlob, daß wir gerettet sind! Mögen die anderen verderben! Wann sagtest du, daß wir die Oase Kufra erreichen können, Abd ul Hagg?«

»In weniger als zwei Tagen. Lassen wir unsere Kamele noch einige Stunden werden und ausruhen; dann füllen wir die Behälter mit Wasser und brechen vor Tagesanbruch auf. Der Pascha wird meinen, wir liegen irgendwo verschmachtend in der Wüste; ein Schicksal, das ihn und die ganze Karawane morgen treffen wird. Wahjat e'Näbbi! Beim Leben des Propheten! Ich fürchtete schon, Abu Ramleh, dieser Kelb ibn Kelb, dieser Hund und Sohn eines Hundes, möchte die Quelle entdecken und so unsern Anschlag zunichte machen.«

»Dieser Tor!« rief Hamed lachend. »Er sucht nur nach Steinen, statt nach Wasser. Läge er nicht hilflos verschmachtend auf der anderen Seite des Berges, ich hätte ihn getötet, damit er uns das Spiel nicht noch verderbe. Aber ich habe mich mit eigenen Augen überzeugt, daß es mit ihm zu Ende geht.«

»Du hättest ihn dennoch erstechen sollen,« sagte der Fakir mißbilligend: »Sicher ist sicher!«

»Ich sah doch, daß er in den letzten Zügen lag, und da dachte ich an meinen Eid, den ich doch nicht brechen mochte, da es völlig überflüssig erschien.«

»O, ihr Söhne einer Hyäne!« rief der Indier: »Daß euch ein Schwur so feige macht, der doch nur aus leeren Worten besteht! Glaubet ihr, Allah höre auf alle menschlichen Eide und kümmere sich darum? Wenn er Meineide strafte, müßte Abd ul Hagg längst in der Hölle schmachten. Nun aber seht ihr, wie mir der Allmächtige beisteht und mir alles gelingen läßt. Übermorgen sind wir in der fruchtbaren Oase Kufra, während von der ganzen übrigen Karawane keine Seele mehr lebt. Dann sind wir aus aller Not und Gefahr heraus, und der Weg zu den Schätzen der Messingstadt steht uns offen.«

»Wenn aber Hussein Pascha die Oase erreicht?« fragte der bedenkliche Hadschi. »Du sagst, sie sei weniger als zwei Tage entfernt: wer kann wissen, ob nicht wenigstens einer oder der andere der Rumih nach Allahs unerforschlichem Willen so lange aushält? Sie sind oft zäher, als man glauben sollte.«

Der Indier zuckte die Achseln mit einem bösen, hämischen Lächeln: »Allahs Ratschluß liegt hier offen zutage,« erwiderte er: »Sie sind alle am Ende ihrer Kräfte. Ich sagte dem Pascha, Kufra sei noch drei Tagereisen entfernt, um ihm alle Hoffnung zu nehmen. Aber der Giaur versteht es, die Entfernungen auf der Karte zu lesen, darum glaubt er, in zwei Tagereisen hingelangen zu können. Er weiß jedoch genau, daß diese Berechnung nur für den Fall stimmen würde, daß die Kamele und die Leute zuvor genügend zu trinken bekämen, und hiezu hat er keinerlei Aussicht. Der Pascha ist daher mit Recht überzeugt, daß er die rettende Oase überhaupt nicht mehr zu erreichen vermag. Das hat er selber gesagt, und es ist so: eine verschmachtende Karawane, wie die seinige, wird nicht in drei Tagen die Strecke zurücklegen, auch nicht in drei Wochen, sondern überhaupt nicht. Denn sie mag sich wohl noch einige Stunden mühsam dahinschleppen; doch lange, ehe die Sonne des kommenden Tages zum Wüstenrande sich neigt, wird keines der Dschemels mehr imstande sein, ein Glied zu rühren, – die Menschen noch viel weniger. Sie bleiben hilflos liegen und werden verdorren wie welkende Blätter, aber in viel kürzerer Zeit.

»Ihr sehet also: Allah hat das Verderben dieser Leute beschlossen, das ist gewiß: sein ewiger Ratschluß sei gepriesen! Wir dagegen, mit frischen Kräften und wohlgetränkten und sattgeweideten Tieren, mit gefüllten Wasserschläuchen und Futtersäcken, vermögen Kufra in einem und einem halben Tage zu erreichen. Doch unsere Zeit ist jetzt kurz bemessen, denn in aller Frühe, solange es noch dunkel ist, müssen wir aufbrechen: beim Aufgange der Sonne müssen wir soweit entfernt sein, daß sie uns mit ihren Fernrohren nicht mehr gewahren können. Darum wollen wir uns gleich zur Ruhe legen, um des Schlafes zu genießen in den wenigen Stunden, die uns für ihn noch bleiben; denn er ist uns unentbehrlich zur Erneuerung unserer Kräfte für den morgigen anstrengenden Ritt.«

Es war keine geringe Geduldsprobe für den Bayern, angesichts der rinnenden Quelle, mit verschmachtenden Gebeinen und ausgedörrter Kehle auszuharren, bis es den Schurken gefiel, sich zu entfernen. Mehrmals drohte ihn die Gier nach dem frischen Trunke derart zu überwältigen, daß er alle andern Rücksichten beiseite werfen wollte, um durch die Hecke zu brechen und sich auf den Brunnen zu stürzen. Doch gewann er immer wieder die nötige Selbstbeherrschung, um auf die Stimme der Klugheit und Vorsicht zu hören.

Jetzt endlich sollte seine Zurückhaltung, die ihm eine Ewigkeit zu währen schien, ihren Lohn finden: die drei zogen sich hinter die hohe, langgestreckte Schutzmauer des Brunnens zurück und begaben sich durch das Gebüsch auf den einige hundert Schritte entfernten Weideplatz ihrer Kamele, um sich dort zur Ruhe niederzulegen.

Als ihre Schritte verhallten und das Krachen und Rauschen der Zweige verscholl, konnte sich Franz ungefährdet zum Wasser schleichen und in langen Zügen das schmerzlich entbehrte, erquickende Naß schlürfen.

O, welch himmlischer Genuß, so langgestreckt am Boden liegend, die kühlenden Fluten durch die lechzende Kehle in den ausgetrockneten Magen hinabströmen zu lassen! Sofort schien das eingedickte Blut wieder flüssig zu werden, und Billinger spürte ordentlich, wie neues Leben durch seine Adern sich ergoß. Nie hätte er es zuvor für möglich gehalten, daß ein Mensch in so kurzer Zeit solch fabelhafte Wassermassen vertilgen könne: im Magen konnten sie unmöglich Platz finden, das stand fest! Sowie sie hineingelangten, saugte sie offenbar der Leib wie ein trockener Schwamm auf, so daß immer neue Mengen des köstlichen Nasses dort unten Raum fanden.

Endlich empfand Billinger eine vorläufige, wirkliche Stillung seines Durstes; rasch füllte er seine Feldflasche und ging wieder auf die Suche nach seinem Herrn. Hamed hatte gesagt, er liege auf der andern Seite des Berges, und hatte dabei durch eine unwillkürliche Handbewegung die Richtung angegeben: das war nun ein schätzenswerter Wink für den Diener: er suchte jetzt doch nicht mehr so ganz ins Blaue hinein. In der bezeichneten Richtung bog er um die Felsmassen nach Westen und hielt scharf Ausschau. Zu rufen wagte er vorerst noch nicht, um nicht etwa von den Verrätern gehört zu werden. Die mondbeschienenen Wände stiegen hier auch so jäh empor, daß Rommel jedenfalls nicht hier in der Nähe herabgeklettert sein konnte.

Nach einer halben Stunde hatte Abu Barlah das Ende der Nordseite des Gebirges erreicht und bog zur Linken ein, wo es einen südwestlichen Verlauf nahm. Hier erschien es auch weniger steil und stark zerklüftet.

Der Bayer befand sich jetzt von den Mohammedanern soweit entfernt, daß er getrost die Stimme erheben konnte, und so begann er aus Leibeskräften zu rufen: denn alle die Täler und Schluchten abzusuchen, die es hier gab, war ein Ding der Unmöglichkeit.

Zwischen die Rufe hinein machte er längere Pausen, um angestrengt auf eine etwaige Antwort zu lauschen. So stand er auch horchend am Eingange einer tiefeingeschnittenen Klinge still, nachdem er hineingebrüllt hatte, als wolle er das Echo der zwei Kilometer entfernten Felswand wecken, die das Tal abschloß, und die er gar nicht sehen konnte.

Da war es ihm, als vernehme er menschliche Laute aus der Kluft an sein Ohr dringen. Sofort bog er ein und rannte über Geröll und Blöcke hinweg in das Dunkel, das kein Mondstrahl erreichte.

Nach kurzer Zeit schon hörte er den schwachen, ersterbenden Ruf: »Aman, aman! Wasser, Wasser!«

Noch einige Schritte, und er gewahrte eine dunkle Gestalt am Boden. Jetzt erkannte er auch die Stimme seines Herrn, der ganz entkräftet dalag.

Der Professor hatte wohl anfangs seinen Kräften zuviel zugetraut und sich zu tief in die Felsenwildnis vorgewagt. Als er dann seine Energie erlahmen fühlte, die sein Forschungseifer übermäßig gesteigert hatte, kam der Rückschlag so plötzlich und gründlich, daß er sich nur noch kurze Zeit mühsam dahinschleppen konnte, und dann zusammenbrach. Er hatte um Hilfe gerufen, obgleich er sich sagen mußte, daß weit und breit keine Menschenseele sei, die ihn hören konnte. Aber was tut man nicht in der Verzweiflung?

Es war aber dennoch einer in der Nähe, der seine zurzeit noch kräftige und weitschallende Stimme vernahm. Das war jedoch kein Helfer, sondern Hamed, der nach dem Vater des Sandes im Auftrage des Fakirs suchte, um zu verhindern, daß er durch einen Zufall die Quelle entdecke.

Der Scherif folgte der Richtung, aus der die Hilferufe erschollen, und hatte Rommel auch bald aufgefunden.

Abd ul Hagg hatte dem Araber eingeschärft, den Deutschen niederzustechen und sich ja nicht durch seinen Schwur hievon abhalten zu lassen: einem Ungläubigen brauche man keinen Eid zu halten, und die Entdeckung des Brunnens und ihrer Verräterei müsse unter allen Umständen verhindert werden, da sonst auch ihre Hoffnung auf die Reichtümer der Messingstadt leicht zu schanden werden könnte.

Hamed hatte auch schon sein Messer gezückt; allein sein Schwur machte ihm doch noch Bedenken, und da er sah, daß es mit dem Professor sowieso zu Ende ging, glaubte er, ihn ohne Sorge seinem Schicksal überlassen zu können.

Die lange Rast und die Frische der Nacht hatten Rommel noch einmal soweit gestärkt, daß er sich, wenn auch nur kriechend, ein gutes Stück dem Ausgange der Schlucht zu fortbewegen konnte; dann aber war es aus, und er mußte endgültig liegen bleiben.

So fand ihn nun Franz, der ihm gleich zurief: »I bin's, Herr Professa, der Franzl! Und horchen S', wos i hob: Wossa hob i, a gonze Feldfloschen vull; is freilich weng g'nug, aba dö Not hot an End, und verdursten tun S' nit, dös geb i Eahna schriftlich: saufen S' vordahand dös Bisserl, dös wurd Eahna wohl tun!«

Solchen Zuspruchs bedurfte es übrigens nicht; denn ehe der gute Diener noch mit seiner wohlgemeinten Rede zu Ende war, hatte der Verschmachtende die ihm an die ausgedörrten Lippen gehaltene Flasche schon leer getrunken

Bedauernd merkte Billinger, daß das Glucksen aufhörte: »Dös is a G'lump!« sagte er: »Gar is's, rattekahl aus! Faßt holt bloß a Moaßerl, moan Feldfloschen. Wann i nur a Stücka zehn so Fingerhüterl hätt'! Wann i denk, was i g'suffen hob an da Quellen, grod oamerweis, und da Herr Professa muß mitten drin aufhörn im Durstlöschen, vun wegen, daß's gar is! Moan ganzen Schnauzbort kunnt i ma außiraafen vur Ärger!«

»Laß gut sein!« seufzte Rommel befriedigt: »Ah! das hat wohlgetan, das hat geschmeckt, wie noch nichts in meinem Leben! Franz, treue Seele, ohne dich wäre es bald mit mir zu Ende gewesen. Ich fühle mich wirklich ganz neu belebt, obwohl ich noch viel trinken könnte, sehr viel! Aber schwach bin ich noch: ich muß schlafen: vorher bin ich unfähig, ins Lager zurückzugehen.«

»Is aa gor nit vun Nöten, Herr Professa! Do hoben S' a poar Dotteln, wo i vun der Oasen mitg'nummen hob zu Eahna ihra Stärkung, und alsdann tun S' an guten Schlaf. Auf da andan Seiten vum Berg is a Brunnen, koan so miserabels Loch, wo glei ausg'suffen is, sundern a richtige Quellen, woher i dös Wossa g'holt hob. Aba do derfen S' fein nit hin, vun wegen, daß a poar schurkische Tropfen durt san. In da Nocht aba vazieht sö dös G'sindel, wann's da Pascha nit vahoften tut. Dann können S' trinken noch Belieben, und zum Laga brauchen S' gor nimma z'ruck. Denn dös is klar wie Wurstbrühen, daß dö ganz Karawanen zu da Quellen rennt, so wie i dö Botschaft vun moaner Entdeckung ins Laga bring. Aba hier derfen S' nit so muttaseelenalloan liegen bleiben, vun wegen, daß dö Schurken wissen, wo Sö sich b'finden. Und deana trau i's zu, daß sö, bevur sö sich aus am Staub mochen, nochschaun noch Eahna, und wann s' mirken, daß Sö noch am Leben san, nachher taaten s' Eahna am End abmurksen, und dös müssa ma vahindern. Denn Mordbuben san s': dös hob i derlauscht. Koan hundert Schritt vun hier is a Klingen, wo Sö koan Mensch nit finden tut: durt trog i Eahna hin, mit Verlaab.«

Der edle Diener richtete seinen Herrn auf und schickte sich an, ihn auf den Rücken zu nehmen; der Professor wehrte jedoch lächelnd ab, indem er sagte: »So weit werde ich jetzt schon gehen können!« und, gestützt auf den kräftigen Bayern, erreichte er auch bald das Versteck, wo er sich auf den harten Grund bettete und alsbald einschlief.

Franz eilte nun, so rasch er konnte, zum Lager zurück: er hatte es an sich selbst erfahren, wie ein einziger Tag ohne Wasser und hinreichende Nahrung genügt, um den Europäer in der Wüste völlig zu entkräften; aber auch, wie dann ein ausgiebiger Trunk die Kräfte überraschend schnell wieder herstellt. Nun sollte all den Verschmachtenden die köstliche Wohltat zuteil werden, sich satt zu trinken; und auch die seit vielen Tagen hungernden und dürstenden Kamele sollten sich gründlich laben und sättigen in dem kleinen Paradies, das die verrufenen Felshügel bargen.

Im Lager angelangt, teilte er dem überraschten Pascha seine Beobachtungen mit. Auch diesmal wollte Münchhausen an die Verräterei der drei Schurken nicht glauben: er war der Meinung, sie hätten den Quell zufällig entdeckt, und wären gewiß noch gekommen, ihm Mitteilung von dem rettenden Funde zu machen. Die ganze Karawane unbedenklich verschmachten zu lassen, wenn sie in der Lage waren, sie vor diesem entsetzlichen Schicksal zu bewahren, dazu konnten sie doch nicht fähig sein! Er konnte sich auch rein keinen vernünftigen Grund denken, der sie zu solch gräßlichem Massenmord hätte bewegen können. So weit konnte doch ihr Christenhaß unmöglich gehen, daß sie einige Dutzend Glaubensgenossen verdursten ließen, nur um einer Handvoll »Ungläubiger« das gleiche Schicksal zu bereiten! Er dachte deshalb bei sich, die mangelhafte Kenntnis des Arabischen hätte Franz zu einem Mißverständnis geführt, nachdem er den Dreien zuvor schon das Schlimmste zutraute, ganz so, wie auch Peter heute morgen zu falschen Schlüssen gelangt sei.

Blitzschnell verbreitete sich die Kunde von der entdeckten Oase im Lager: Jubelrufe erschollen ringsum, alle Erschöpfung war mit einem Schlage vergessen, und noch nie waren die Kamele so rasch gesattelt und bepackt worden, so daß der nächtliche Aufbruch sofort erfolgen konnte. Auch die Dromedare merkten anscheinend, um was es sich handelte: sie zeigten sich willig, und schienen neue Kräfte gewonnen zu haben. Als sie dann vollends nach kurzem Marsche das Wasser zu wittern begannen, war kein Halten mehr: sie rannten dem Felstale zu mit einer Geschwindigkeit, als hätten sie weder Anstrengungen noch Entbehrungen hinter sich. Franz brauchte die Richtung gar nicht mehr anzugeben: sie fanden sie von selber.

Es war noch dunkle Nacht; der Mond war untergegangen und der klare Sternhimmel vermochte die Finsternis nur wenig zu erhellen.

Abd ul Hagg war im Begriff, mit seinen Gefährten aufzubrechen. Die sechs Kamele, die sie bei sich hatten, waren gesattelt, bepackt und mit Wasserschläuchen beladen.

»Zur Vorsicht laßt uns im Vorbeireiten nach dem ungläubigen Gelehrten sehen,« sagte der Fakir: »Er liegt ja nicht so weit von unserem Wege ab, und wenn er noch am Leben sein sollte, so gebietet uns die Klugheit, ihm vollends in die Hölle zu verhelfen.«

»O! Der ist gewiß tot!« erklärte Hamed: »Aber mir ist es einerlei; schaden kann es nichts, wenn wir uns davon überzeugen.«

Als sie nun an den Ausgang der Schlucht gelangten, hörten sie Kamelgetrappel und hielten erschrocken an.

Da kam auch schon die Karawane dahergesprengt, voran der Pascha.

»Allah sei gepriesen!« rief der Indier, rasch besonnen: »Pascha, die Sorge um den verehrten Professor, der nicht wiederkehrte, ließ uns keine Ruhe, und wir zogen aus, ihn zu suchen. Nun denke dir, was Allahs Güte uns beschied: bei unseren Nachforschungen entdeckten wir hier ein verborgenes Tal des Lebens mit einer lebendigen Wasserquelle. Wir haben unsere Kräfte erneuert und unsere Kamele getränkt, und waren eben im Begriff, euch die frohe Kunde zu bringen; wir haben auch gleich unsere Wasserschläuche gefüllt, um euch keinen Augenblick länger dürsten zu lassen. Nun hat der Allgütige ein neues Wunder getan und euch selber den Weg zum rettenden Brunnen gewiesen. Er gebe, daß auch der Professor noch am Leben gefunden werde.«

So heuchelte er die größte Freude über das unerwartete Erscheinen der Karawane, während er und seine Kumpane doch innerlich vor Wut knirschten, und umso wütender waren, als sie sich nichts davon merken lassen durften.

Münchhausen ließ sich völlig täuschen und empfand eine große Genugtuung, daß er, wie er meinte, das Verhalten der drei so richtig beurteilt hatte.

»Ich danke euch,« sagte der Pascha: »Ich habe euch stets als treu und eifrig in meinen Diensten erkannt, und ihr habt es diesmal wieder bewiesen, wie sehr euch unser aller Wohl am Herzen liegt. Der Lohn dafür wird nicht ausbleiben.«

Inzwischen war der Zug bei der Quelle angelangt, und der Kapitän hatte Mühe, die Leute abzuhalten, daß sie sich nicht alle zugleich auf das Rinnsal stürzten. Doch konnte er, wenn es darauf ankam, auch energisch dreinfahren, und erreichte es auch jetzt, daß die Araber sich geduldeten, bis die Europäer sich gründlich gelabt hatten. Er hielt streng darauf, daß die richtige Reihenfolge eingehalten wurde, um das Ansehen der Europäer und der Führer aufrecht zu erhalten. Zuerst kamen die weiblichen Mitglieder der Gesellschaft daran, dann der Baron und die Diener, hernach die arabischen Scheichs, endlich die Kameltreiber, und zuletzt er selber. Diese edle Zurückhaltung übte er ebenfalls grundsätzlich, obgleich er, als das Oberhaupt, den Vortritt hätte beanspruchen dürfen. Wenn die Araber sahen, daß er an sich selber zuletzt dachte, und sogar sie vor sich versorgte, bekamen sie erst den bewundernden Respekt vor ihrem Herrn, der sie veranlaßte, sich unweigerlich seinen Anordnungen zu fügen; sie hätten sich vor diesem Christen geschämt, zu murren über eine Zurücksetzung, die er freiwillig sich selber in noch höherem Grade auferlegte.

Baronesse Hulda und Monika Rommel waren somit zuerst an die Quelle gekommen und hatten die herrlichste aller irdischen Wohltaten genossen, einen verzehrenden Durst zu löschen, der schon ans Verschmachten grenzte. Dann sahen sie mit Vergnügen zu, wie auch die anderen mit sichtlicher und oft in Ausrufen des Entzückens lautwerdender Wonne den Trank schlürften.

»Ich bewundere den Kapitän,« sagte die Zitrone, »daß er sich bei den Qualen, die er ganz besonders ausstehen muß, derart zu beherrschen vermag, daß er auf ein Vorrecht freiwillig verzichtet, das ihm niemand streitig machen und dessen Ausnützung ihm niemand verübeln würde. Er muß lange warten, bis er daran kommt, denn es dauert jedesmal eine geraume Weile, bis die drei oder vier, die gleichzeitig trinken, sich entschließen, aufzuhören. Jetzt erst kann ich so ganz ermessen, welches Opfer Alexander der Große brachte, als er bei seinem Zuge durch die Wüste, als alle am Verdursten waren, den Helm voll Wasser, den ihm seine Soldaten brachten, ausschüttete, weil er es verschmähte, sich zu erquicken, solange seine Krieger dürsten mußten.«

Die Harmonika erwiderte: »Vergiß nicht das ebenso große und edle Opfer, das die einfachen Soldaten brachten, die das spärliche Wasser, das sie in einer Felshöhlung fanden, nicht selber tranken, was ihnen keinen Vorwurf hätte eintragen können, da niemand von ihrer Entdeckung wußte, sondern lieber die Folter des Durstes ertrugen, nur um ihren geliebten Feldherrn davon zu befreien, übrigens scheint man ganz vergessen zu haben, daß ein anderer großer König, lange vor dem großen Alexander, genau das gleiche Beispiel edelmütiger Entsagung gab.«

»Davon weiß ich in der Tat nichts,« sagte Hulda überrascht: »Ich glaubte immer, in der Weltgeschichte ganz besonders gut beschlagen zu sein, jetzt sehe ich aber, daß du mir offenbar hierin noch über bist! Wer war denn dieser König, von dem du redest?«

»O!« lachte Monika: »Ich bin überzeugt, daß du in der Geschichte, wie in allen Wissenschaften unendlich mehr weißt, als ich unwissendes Geschöpf; aber zuweilen kann selbst der Fachgelehrte vom Laien noch etwas lernen, wenn ihn kein dummer Hochmut daran hindert.«

»Ohne mich zu den Gelehrten oder gar Fachgelehrten zu rechnen, liegt mir doch jede törichte Überhebung fern; du siehst mich bereit, deine Überlegenheit anzuerkennen und von ihr eine wertvolle Erweiterung meiner Kenntnisse bescheiden und dankbar anzunehmen. Also heraus mit der Sprache! Um welchen berühmten Herrscher handelt es sich?«

»O, du hast die Geschichte sicher schon oft selber gelesen und ihr nur nicht so große Beachtung geschenkt, wie sie wohl verdiente, um sie zu behalten: ich meine den König David. Er hielt sich damals als ein Geächteter in der Felsenhöhle Adullam verborgen und äußerte den Wunsch nach einem Trunk Wasser aus dem Brunnen unter dem Tor zu Bethlehem. Es wird nicht gesagt, was diesen Wunsch veranlaßte, doch ist wohl anzunehmen, daß er mit den Seinen an Wassermangel litt und heftigen Durst auszustehen hatte. Nun war aber Bethlehem in den Händen der Philister, und der Gang zum Brunnen war mit Lebensgefahr verknüpft. Da machten sich drei Helden auf, brachen in das Lager der Philister ein, schöpften einen Krug voll Wasser aus dem Brunnen und brachten ihn ihrem König. Er aber wollte es nicht trinken, sondern goß es aus, Gott zum Opfer, indem er sprach ... Aber halt!« unterbrach sich die Harmonika: »Das muß ich dir mit seinen eigenen Worten vorlesen.«

Dabei zog sie eine Taschenbibel hervor, die sie stets bei sich trug, und schlug das erste Buch der Chronika aus, aus dessen elftem Kapitel sie den Vers las: »›Das lasse mein Gott fern von mir sein, daß ich solches tue, und trinke das Blut dieser Männer in ihres Lebens Fahr! Denn sie haben's mit ihres Lebens Fahr hergebracht.‹ Darum wollte er's nicht trinken.«

»Schau!« sagte die Zitrone: »Welche Übereinstimmung zwischen dem größten Helden des Volkes Israel und dem des Griechenvolkes!«

Inzwischen hatten Franz Billinger und Peter Grill den Professor geholt, den sie nach erquickendem Schlaf gesund und munter antrafen, wenn auch von Durst gepeinigt, denn der nächtliche Trunk war doch nur ein Tropfen auf einen heißen Stein gewesen, so belebend er auch für den Augenblick gewirkt hatte. Die Diener brachten ihm aber vorsorglich einen Aluminiumbehälter mit einigen Litern Wasser, so daß er seinen Durst gründlich stillen konnte und neugestärkt die paar Kilometer bis zur Quelle rüstig zurücklegte.

Hier war noch alles beschäftigt, teils das eigene, immer neue Verlangen nach Wasser zu befriedigen, teils die Kamele, Esel und Maultiere zu tränken. Da Esel und Maultiere nicht so lange den Wassermangel zu ertragen vermögen, wie die Kamele, hatte man, als die Vorräte zur Neige gingen, die Dromedare dürsten lassen, ihnen aber einen bescheidenen Trunk morgens und abends gewährt. Nun hatten sie aber zwei Tage nichts mehr bekommen können, und wären sicher heute noch eingegangen, wenn der Brunnen nicht gefunden worden wäre. Ihre Herren hätten freilich das Todeslos mit ihnen geteilt.

Mit großer Besorgnis sahen die Verschwörer den Professor gesund ins Lager kommen. Sie hatten sich darauf verlassen, daß man gewiß nur seine Leiche finden würde. Jetzt mußten sie befürchten, daß er Hameds Mordanschlag auf ihn berichte, und dann sahen sie sich endgültig entlarvt, wenigstens mußten sie den Scherif preisgeben und nur versichern, daß sie von seinem schändlichen Vorhaben nichts gewußt hätten und es ebenso verabscheuten wie die andern.

Doch sie hatten Glück: Rommel war bei dem Vorgang zwischen zwei Ohnmächten so wenig bei klarem Bewußtsein gewesen, daß er ihm völlig aus dem Gedächtnis ausgelöscht war und er an den Verrätern unmöglich zum Verräter werden konnte.

Der schlaue Fakir hatte dies zu seiner Beruhigung bald herausgebracht. Er war einer der ersten, die dem Geretteten Glück wünschten, und sagte dabei lauernd: »Wir drei, Hadschi Mohamed, Scherif Hamed und ich waren so besorgt über dein Ausbleiben, daß es uns keine Ruhe im Lager ließ. Trotz unserer Erschöpfung und unserer großen Scheu vor der Burg der Geister zogen wir aus, nach dir zu suchen, wobei uns Allahs Gnade diese Quelle entdecken ließ. Hast du unser Rufen nicht vernommen?«

»Gar nichts habe ich vernommen; da ich jedoch längere Zeit in Ohnmacht gelegen sein muß, ist es wohl möglich, daß ich aus diesem Grunde eure Stimmen nicht hören konnte. Jedenfalls danke ich euch herzlich für eure großherzigen Bemühungen.« Er sagte dies etwas spöttisch, denn er war nach wie vor von ihrer schurkischen Gesinnung überzeugt, nur daß er eben von dem Mordanschlag nichts mehr wußte, durch dessen Erwähnung er wohl auch den Pascha zur Einsicht hätte bringen können.

Der Indier hörte wohl den Hohn heraus, der ihm kund tat, daß seine Heuchelei von diesem Deutschen durchschaut wurde, darum forschte er mit umso größerer Besorgnis weiter: »Aber Hamed muß ganz in deine Nähe gelangt sein.«

»Möglich: aber davon konnte ich nichts wissen. Mein treuer Diener fand mich auf, und vor ihm sah ich keinen Menschen in dieser Felsenöde.«

Jetzt war Abd ul Hagg beruhigt, denn der Ton, in dem diese Worte gesprochen wurden, verriet deutlich, daß sie aus innerster Überzeugung kamen.

Einen ganzen Tag wurde in dem kleinen Paradiese gerastet, um sich von den erlittenen Entbehrungen und Leiden gründlich zu erholen und auch die Tiere sich durch ausgiebige Weide stärken zu lassen. Dann wurden die Wasserbehälter gefüllt, ein reicher Vorrat an Futterkräutern zusammengepackt und den Lastkamelen aufgeladen, und der Weitermarsch angetreten.


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