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15.
Haschisch

Es wurde Mitte Januar, bis endlich alle Geschäfte des Paschas abgewickelt waren und an den Aufbruch gedacht werden konnte.

Am Vorabend der Abreise saß der Pascha mit seinen Gefährten vor dem Zelte, im Schatten einer großen Sykomore, und alle rauchten aus ihren Tschibuks.

Abd ul Hagg, Sidi Hamed und Hadschi Mohamed hockten in nächster Nähe mit untergeschlagenen Beinen, und rauchten ebenfalls.

Münchhausen hatte keine Ahnung, daß diese drei, statt des harmlosen Tabaks, Hanf rauchten, »Haschisch« genannt, was eigentlich nur Gras oder Kraut bedeutet, womit aber besonders der zum Rauchen verwendete Hanf bezeichnet zu werden pflegt.

Dieses Haschischkraut übt auf den Raucher eine betäubende Wirkung aus, ähnlich derjenigen des Opiums. Es verursacht einen starken Rausch, in welchem man sich in einem beseligenden Zustande wähnt und die ganze Welt und die eigene Person in einem erwünschten rosigen Lichte sieht, all diese schönen Wahngebilde für lebende Wirklichkeit haltend. Diesen Zustand nennt der Araber »Kif«.

Hätte Münchhausen gewußt, daß das, was er für Tabaksblätter hielt, Hanf war, so hätte er den Rauchern diesen Genuß untersagt; denn er wollte am anderen Morgen in aller Frühe aufbrechen.

So aber sah er arglos zu, wie den anscheinend so harmlosen Gesellen das anscheinend so harmlose Kraut schmeckte, bis es zu spät war und er an der Wirkung das Haschisch erkannte.

Hamed Ben Abd er Rahman wurde zuerst von dem holden Wahnsinn ergriffen und hub an: »Willst du mir deine Tochter zum Weibe geben, o Baba el Hadschi?«

Wäre Hadschi Mohamed nüchtern gewesen, so hätte er eine solche Frage als tödliche Beleidigung aufgefaßt, und es hätte zweifellos eine blutige Szene gegeben. Denn es gilt bei den Arabern als der Gipfel der Anstandslosigkeit, wenn ein Mann um ein Mädchen anhält, noch dazu bei deren Vater. Heiratsanträge dürfen nur durch die weiblichen Anverwandten des Werbers gemacht werden, und diese müssen sie an die weiblichen Angehörigen der Begehrten richten, die allein berufen sind, dem Vater den Antrag zu übermitteln.

So aber begnügte sich Mohamed mit einem spöttischen Auslachen und der Antwort: »Dir soll ich meine Tochter geben, Kelb ibn Kelb, Hund, Sohn eines Hundes? Weißt du nicht, wer ich bin?«

»Ein armer Schlucker bist du, ich aber ein Scherif, ein Verwandter des erhabenen Propheten.«

Hadschi Mohamed brach in ein schallendes Gelächter aus: »Wärest du nicht so unverschämt gewesen, ich hätte dir ein reichliches Bakschisch gegeben, denn ich habe Mitleid mit deiner Bettelarmut, ich, der reiche Baschaga der Beni el Kramfer.«

Abd ul Hagg, der nun auch im Seligkeitsstadium war, verlor bei diesen Worten seinen würdigen Ernst gleichwie Sidi Hamed, und beide riefen, sich die Seiten haltend vor Lachen: »Saah Ja Sidi el Baschaga, Heil dir, o Herr Baschaga!«

Aber Baba el Hadschi nahm bei dieser höhnischen Huldigung eine finstere Miene an, winkte einem unsichtbaren Sklaven und schrie: »Omar, packe mir diese Hunde und wirf sie in eines meiner Silos, meiner unterirdischen Gefängnisse, damit sie ihr unverschämtes Gelächter büßen.«

»Der Kif spricht aus dir!« schrie nun Hamed Ben Abd er Rahman. »Du verträgst den Haschisch nicht wie ich, der ich stets nüchtern bleibe. Wisse, du Ausbund aller Laster, daß ich der Sohn eines wundertätigen Marabuts, eines Heiligen, bin, und dich augenblicklich in ein widerliches Schwein zu verwandeln vermag.«

Aber für Hadschi Mohamed schmachtete der Sprecher bereits im Silo; er hörte daher seine Stimme nicht und behandelte ihn als Luft. Hamed rächte sich dadurch, daß er eine gräßliche Zauberformel aussprach, durch die in seinen Augen Baba el Hadschi in ein abscheuliches Schwein verwandelt wurde. Und fortan redete er auch nicht weiter mit ihm: denn wer redet mit einem unverständigen Vierfüßler, vollends mit dem von den Mohammedanern so verabscheuten Schwein?

Abd ul Hagg aber war in seinem Rausche wie umgewandelt: dahin war die heilige Würde, mit der er sich sonst jederzeit umgab, verklärt war der finstere Ernst seiner Züge, und eine Heiterkeit ergriff ihn, die ihm in nüchternem Zustand völlig fremd war. Er gewann dadurch entschieden, so daß Franzl ihm zurief:

»Wann d's nur ollweil stockb'suffen umilaafen taatst, Fakir, nachher waarst gor koan so z'widrer Schlankl, und an ehrlicha Christenmensch kunnt a vanünftigs Wörtel mit da reden.«

Abd ul Hagg achtete dieser schmeichelhaften Worte nicht, schon aus dem Grunde, weil er sie nicht verstand, da sie auf gut Bayrisch ausgerufen wurden. Er hatte überhaupt nur Augen und Ohren für seine beiden Gefährten: für ihn waren der im Silo schmachtende Hamed und der in ein Schwein verwandelte Mohamed ein köstlicher Spaß. Vermutlich hielt er in seiner Umnebelung sogar die Einkerkerung und die Verzauberung für Tatsachen: jedenfalls tat er so, als ob er daran glaube. So rief er den Scherif an:

»Allah helfe dir, du bemitleidenswerter Gefangener! Wie behagt es dir im Schoße der Erde, tief unten in dem dunkeln, feuchten Loch? Aber wer hieß dich auch, deine unwürdigen Augen erheben zu des reichen Baschaga unvergleichlicher Tochter? Das war frevelnder Übermut, und Übermut ist der Vater des Verderbens. Gehe in dich, du Sünder, vielleicht verhelfe ich dir dann wieder an das Tageslicht, o Elendester aller Elenden! Hochzeit gedachtest du zu feiern mit der Schönsten aller Schönen, und nun schmachtest du in der widerlichen Gesellschaft ekelhafter Ratten und abscheulicher Schlangen!«

Hamed erwiderte entrüstet: »Bist auch du von Sinnen, du altes indisches Knochengerüst, das Allahs Barmherzigkeit nur dürftig mit einer ledernen Haut überkleidete, die eingeschrumpft ist, gleich einer Dattel in der Wüstenglut? Du bist wahrhaftig ein Heiliger, denn der Allmächtige hat deinen geringen Verstand entrückt in das Paradies der Huris. Sonst würdest du erkennen, daß ich mich meiner vollsten Freiheit erfreue, der freche Baschaga dagegen, der mir mit Einkerkerung drohte, durch meine Zauberkraft in ein unsauberes Schwein verwandelt wurde. Nun mag der hochmütige Narr seine Tochter behalten, zumal er gar keine hat!«

Gleichgültig gegen die Beleidigungen, die in dieser Rede enthalten waren, wandte sich Abd ul Hagg jetzt an den Hadschi: »O weh! Was muß ich sehen? Der reiche und vornehme Baschaga der Beni el Kramfer ist ein Schwein geworden, ein Tier, das jedem Gläubigen ein Greuel ist, das von Allah verfluchte und von seinem Propheten geächtete Borstentier! Was hilft dich nun dein unermeßlicher Reichtum, o Sidi? Aber du trägst selber die Schuld an deinem grausamen Schicksal: wer hieß dich auch, dem edlen Scherif, dem Abkömmling des hochgepriesenen Propheten, deine armselige Tochter zu verweigern? Was hätte es dir ausgemacht, ihm seine bescheidene Bitte zu gewähren, umsomehr, als du gar keine Tochter besitzest? War das nicht sündiger Stolz und eitle Hoffart, durch die du dich verführen ließest, wider Allahs Willen zu handeln? Siehe, Allah liebt die Demut und stürzt den Hochmut in die tiefsten Tiefen hinab. Erkennst du es nun, wie recht dir geschehen ist und wie dein Frevel es verdient, wenn jetzt die ungläubigen Hunde Schinken und Würste aus dir machen, die eklen Speisen, die kein Gläubiger anrühren mag? Wehe dir, du unreines Tier, das nur von Unreinen verzehrt wird!«

Die letzten Worte gingen dem biederen Bayern doch über den Spaß, und er begehrte gewaltig auf: »Wos sogst, du Tropf, du elendiga? An unroans Viech nennst a fette Sau? Wann nur du so sauba waarst, du drecketa Fakir! Vur so an Kerl, an elenden, is freili a Sau nit g'schoffen vun unsan Herrgott: dös brav Viecherl is vül z'gut vur an Hallodri, wi du oaner bist. Wann d's aba in doan Leben amol a G'selchts g'fressen hättst oda a Minkena Weißwürstel und a saftige Speckschworten, nachher taatst koan so olberns G'wäsch nimma vaführn: schlochten taatst den siedigen Mohamed oda Bakascha, wo in a Sau vawondelt is – zu soam großen Vurtoal –, und uns taatst zur Metzelsuppen oanloden. Wos glotzst denn mi so on mit doane Glotzaagen? Freili, an ehrliche boarische Reden kapierst nit, du Oanfaltspinserl, und noch Minka kimmst doana Lebtog nit: a so an Lumpen, an braunen, taaten d'Minkena olsbold zum Sendlinga Tor wieda außischmeißen!«

»Nee!« meinte Peter Grill: »Ihr Bayern seid doch eene jrobe Jesellschaft! An der Spree is die Höflichkeet zu Hause. He! du braune Zaunlatte, Abd ul Hagg, wie du dir nennst: ik lade dir hiemit nach Berlin in. Dort wirst du mit allen Entjejenkommen und Wohljefallen ufjenommen un wirst in eener Indischen Völkerschau dem Publikum vorjezeicht mit andere Menascherietiere. Da nimmst du eenen janzen Haufen Trinkjelder in, un die Mächens werfen dich Blicke zu, – ik saje nichts, wie – Blicke!«

»Jawoi!« nahm Billinger wieder das Wort: »Zum Onglotzen in oaner Tierbuden auf da Theresienwiesen san dö drei schun recht: do hob i nix dowida. Am Oktobafest sans kuriose Viecha grod g'nug z'schaun, zwoaboanige und vierboanige: a dreiboanigs Kolbl hob i sogar schun g'sehn, ma sollt's nit glaaben. Wanns ös do paradiern wollt, ös drei Spitzbuam, nachher los i ma dös schun g'folln. Aba, daß ös fein nit ausbrechen tut aus euren Käfig, dös taat an ondre Hatz geben, bis ma enk wieda oang'fongen hätt. Is schun amol a so a wilda Off ausbrochen, a Gurilla oda a Povion, dös is oan Hondel, – dös hot an Schrecken geben, und a moncha hot soan Moaßerl in Stich g'lossen und is dovung'rennt. Und dös Viecherl is üba Tisch und Bänk g'hupft und hot's schön Bier umg'schütt, is nur schod dovur g'west! A so taatet 's ös aa mochen, wo koan Bier nit trinken kunnt, ös blödsinnige Hoaden und Mahommediana!«

Die drei Haschischraucher hörten jedoch längst nichts mehr, ganz abgesehen davon, daß sie diese deutschen Hänseleien auch nicht verstanden hätten: alle drei waren jetzt in den Zustand des Haschischrausches verfallen, der den Trunkenen aller Wirklichkeit entrückt, und ihn fern in die paradiesischen Gefilde versetzt.

Der Hadschi und der Scherif hatten schon von der letzten Rede des Fakirs nichts mehr erfaßt; nun war auch dieser seit einer Weile verstummt und man sah seine Augen in wonniger Verzückung ins Leere starren.

Alle drei schwelgten in seligen Einbildungen und schauten Bilder himmlischer Lust, wie sich eben der Mohammedaner die Lust des Paradieses vorstellt. Von dem, was um sie her vorging, vermochte nichts mehr zu ihrem Bewußtsein zu dringen.

So hockten sie steif im Sande, bis ihre Oberkörper niedersanken und sie in einen Halbschlaf verfielen, aus dem sie nicht zu erwecken waren.

Der Kapitän und der Professor hatten sich über die närrischen Reden der Benebelten halb krank gelacht, und mehr denn je war Münchhausen überzeugt, daß die von Franz als Verräter Bezeichneten und auch von Rommel so stark Verdächtigten die harmlosesten Seelen der Welt seien.

»Wir wollen sehen, wie wir sie heute nacht auf die Beine bringen!« meinte er, als sich alle zur Ruhe begaben. »Wenn ich ja geahnt hätte, daß die Schelme den von mir strengstens verbotenen Hanf rauchten, ich hätte ihnen sofort die Pfeifen leeren lassen.

Als sich die Karawane kurz nach Mitternacht zum Aufbruch rüstete, waren die Haschischtrunkenen in der Tat durch kein Rufen noch Rütteln auf die Beine zu bringen. Sie murmelten nur: »Wenn es Tag ist!« oder »Es ist noch nicht an der Zeit!« und dergleichen.

»Jetzt passen Sie auf, wie ich die Burschen nüchtern mache,« sagte der Kapitän lachend zum Professor, holte eine Flasche Wein, die er seltsamerweise in der Oase hatte auftreiben können, und goß jedem einen Schuck über das Gesicht, indem er rief: »Trinket Wein, echten Christenwein, ihr Muselmänner, da euch der Rausch solche Lust ist.«

Wie von der Tarantel gestochen, sprangen alle drei aus.

»Ja Salam! O Himmel!« rief der Indier entsetzt: »Wir sind mit Wein befleckt! Nur eine gründliche Waschung kann uns wieder rein machen!«

Und nun eilten die so schmählich Verunreinigten, um sich aufs sorgfältigste von allen Spuren des verbotenen Tranks zu reinigen, worauf sie denn auch ganz munter wurden und den Marsch mit antraten.

Hätte der Pascha geahnt, was diese drei Scheinheiligen mit ihm vorhatten, er hätte sich gewiß keine Mühe gegeben, sie zu wecken, sondern wäre ohne sie abgezogen, goldfroh, die Schurken auf gute Art los zu sein.


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