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Während des Vormittags hatten Peter und Franz einigemal aus ihrer Höhle vorsichtig Ausschau gehalten. Vor dem Eingang der Höhle lagerten mehrere Felsblöcke, die ihn vollständig verbargen. Zwischen zweien dieser Blöcke, die sich in ihrem unteren Teile bis zu einer Höhe von anderthalb Meter berührten, befand sich oben ein schmaler Spalt, durch den sich das Tal in seiner ganzen Breite überblicken ließ, ohne daß der dahinter Stehende von außen her bemerkt werden konnte. Es hätte einer schon dicht an die Ritze herantreten müssen, um durch sie den Kopf des Spähers entdecken zu können.
Etwa zweihundert Schritte links, talaufwärts, erblickte man von hier aus die Gefangenen und ihre drei Wächter. Selbst das Zelt war zu sehen, da der Spalt sich südwärts öffnete und die Felsen einen Vorsprung ins Tal hinein bildeten. Eine zweite, ganz ähnliche Öffnung, nach der andern Seite, gestattete, das Lager der Kamele, etwa dreihundert Schritte talabwärs, zu überblicken.
Die beiden Diener kannten bald die Lage auswendig, und es hatte keinen Zweck immer wieder hinauszuspähen. Sie waren auch müde von der halb durchwachten Nacht und die Langeweile plagte sie. Daher zogen sie sich in das Innere der Höhle zurück. Zunächst lüstete es sie, zu schauen, ob die Höhle sich weiter in den Berg hineinziehe. Sie drangen also, vorsichtig tastend, in der Finsternis vor. Nach etwa zehn Minuten dämmerte ihnen ein Lichtschimmer entgegen und bald wurde es taghell. Sie traten in einen Spalt hinaus, der mit wild aufeinandergetürmten Felsblöcken angefüllt war. Hier ließ es sich mühelos emporklettern, und man befand sich auf dem Felsrücken, der das Tal im Osten säumte. Vom Tale aus konnte man hier nicht gesehen werden, da die Hochfläche tiefer lag als der fast einen Kilometer entfernte Talrand. Allein die Sonne brannte so heiß auf die Felsen, daß die Freunde sich bald wieder in die Kühle ihrer schattigen Höhle zurückzogen. Sehr lieb war es ihnen, daß sie nun ihre Pfeifen in Brand setzen konnten, ohne befürchten zu müssen, daß der Rauch sie verrate, da er hier an einer vom Lager aus unsichtbaren Stelle ans Licht stieg und sich in der Luft rasch verflüchtigte.
So brachten sie den Nachmittag rauchend und schlummernd zu, und erst kurz vor Sonnenuntergang begaben sie sich wieder an den Talausgang der Höhle, um sich durch nochmaliges Ausspähen zu überzeugen, daß die Anordnung des Lagers noch die gleiche war, wie am Vormittage.
Nun brach die Nacht bald herein, und die beiden besprachen ihren Plan zur Befreiung der Kameraden, den sie ausführen wollten, sobald sie mit Sicherheit annehmen durften, daß alles, bis auf die Wächter, in tiefem Schlafe liege.
Daß die Ablösung der Wachen alle zwei Stunden erfolgte, hatten sie wohl beobachtet: dies war ja auch das Übliche. Sie wollten daher um halb elf Uhr aufbrechen, eine halbe Stunde nach einer Ablösung. Es war ihr Plan, die drei Wächter der Gefangenen zu überrumpeln. Den Wächter vor dem Zelt hatten sie nicht sehen können, weil er ihnen durch das Zelt verborgen wurde. Sie zogen ihn daher nicht in ihre Berechnung, was ihnen leicht zum Verhängnis geraten konnte. Eigentlich hätten sie sich bei einigem Nachdenken sagen müssen, daß das Zelt nicht unbewacht sein könne. Denn, daß es die Behausung der drei Damen war, wußten sie, und daß diese ungefesselt waren, hatten sie gesehen, da sie gerade auf ihrem Beobachtungsposten standen, als es versetzt wurde und die Fräulein sich mit den Gefangenen unterhielten.
Was ihnen große Sorge machte, war der Umstand, daß es sich um drei Wächter handelte und es doch äußerst unwahrscheinlich war, daß sie zwei von ihnen überwältigen könnten, ohne daß der dritte, ganz in der Nähe befindliche, es merken und Lärm schlagen würde.
Doch der Versuch mußte gewagt werden, und sie getrösteten sich der Dunkelheit, die das Gelingen begünstigen würde. In Wirklichkeit jedoch war der Glücksfall, auf den sie sich verlassen mußten, so gut wie ausgeschlossen: auch wenn die Überwältigung der beiden ersten Wachen ohne das leiseste Geräusch gelang, was äußerst zweifelhaft erscheinen mußte, hätte doch der dritte Wächter den Vorgang bemerken müssen: denn so undurchdringlich war die Finsternis denn doch nicht, daß er nicht auf sechs Schritt Entfernung die schattenhaften Umrisse seines nächsten Genossen gesehen hätte.
Franzi wollte sich noch einmal versichern, ob sein Kamerad seiner Aufgabe auch gewachsen sei.
»Du, Preiß!« fragte er: »Hast koane Indionag'schichterln g'lesen?«
»Det will ik meenen! Als Knabe habe ik eene janze Menge solcher Schmöker verschlungen: det war jeradezu meene Leidenschaft.«
»Dös is recht! Nachher wurst schun wissen, wie sö oaner an den Feind onschleichen muß: aus am Bauch müssa ma kraxeln, daß uns koaner derschaut, und fein langsam vuran, wia da Krähwinkla Londsturm, daß koan Laut nit z'hören is!«
»Nur keene Sorje nich: werde ik schon bewerkstelligen! Ik leje mir bereits platt mit meenem Leibesjewölbe uf den Sandboden – un nu voran!«
»Aba, daß d' fein Obacht gibst, Preiß! Is jo finsta g'nug: aba stad mußt soan, mäuserlstad! Nur ollweil mir noch! I kraxl vuran, weil i schun an Übung hob im Onschleichen, aus em Korl May, wo i g'lesen hob. Mit oana Hand hebst di an moana Haxen, daß ma uns nit valiern bei dö Kuhdunkelhoat. Hinta am ersten vun deana Hallodri bleibst liegen, und ball mi siehst aufspringen, nachher mit oan Sotz auf, und mit boade Händ soan Hols umklommat! Und daß d' fei glei fest zupockst und soan Gurgel würgst, daß a koan Luft nit kriegt zum Stöhnen: oan Laut, und ma san hin! Dös kannst da oanbülden. Dös is fein koan Kirtatanz nit und koan Raafen, wie unta ehrliche Burschen, wo's an Mordsspektakel gibt. Hier hoaßt's: stad, stad, und nomol stad! Wann d's nachher mirkst, daß da Kerl schlapp werrn tut und z'sommenknackst, alsdann loßt an mit oana Hond los und stopfst am doan Fazinetterl ins Maul: aufsperrn tut a 's eh, dös geb i da schriftlich. Daweilen bin i mit am moanen längst ferti und moch an dritten stumm. Alsdann aba topfa! Dö G'fongnen dö Strick durchschnitten, ritsch, ratsch! und mit dö Soala dö Wächta binden, bevur s' wieda zu eahna kimmen: dös muß gehn, wie mit an Automobüll! Und noch oans! daß d' fein nit vergißt, dö G'fongne zuzuflüstern, daß sö eahna ihr werts Maulwerk holten, bei Todesstrof. Aba dös sogst an fein auf Orobisch, indem daß koana doan Berlinerisch Gewelsch kapiert, wurd jo ollweil mir schwer g'nug, z'kapieren, was d' so schnurrig doherredst.«
»Nanu!« sagte Peter gekränkt: »Ik rede jebildetes Daitsch. Jlaubst denn du, det die Beduinen deen bayrisch Jetratsche besser verstehn? Aber ik werde unsre Kamelstreiber schon in feinsten Arabisch anreden: ›Bei Allah un seenen Propheten, seid man so jut un haltet jefälligst eure Schnute, indem det ihr sonst Kinder des leibhaftigen Todes seid, un euer famoser Iblis mit allen seenen Scheitans euch stückweise in seene eklige Dschehennah befördern wird!‹«
»A so a lange Reden derfst fein nit holten! A Schwatzbasen bist, dös woaß i eh aus Erfohrung. Aba dösmal nimm die fein z'sommen mit doana Mauldiarrhöe, wann d's nit olles vaderben willst. I sog da bloß zwoa Wörterln: stad und flink! Und jetz mir noch, Preiß!«
Damit begann Abu Barlah seine mühsame Kriechwanderung auf dem Bauch. Abu Homrah hielt sich vorschriftsmäßig an seinem Stiefelabsatz und folgte ihm: so ging es langsam und lautlos durch die Nacht in den Rücken der Wächter.
Schon um halb neun Uhr hatte die Zitrone das Zelt verlassen, natürlich auf der Rückseite, sich unter dem Zelttuch durchzwängend. Die beiden andern folgten ihr. Anfangs hatte sie das nicht zugeben wollen, wenigstens nicht der Kammerzofe; aber sie hatten so lange gebeten und versichert, wie leise und behutsam sie zu Werke gehen würden, daß sie schließlich nachgab, zumal sie sich sagte, daß viel Zeit gespart würde, wenn sie gleichzeitig zu dritt handelten.
Isolde, die Unke, hatte in der ersten Reihe Münchhausens Bande zu lösen; die Harmonika entfesselte den ersten Mann der zweiten, die Zitrone den ersten der dritten Reihe. Da kein Messer zur Hand war, die Stricke also aufgeknüpft werden mußten, ging die Arbeit nicht so rasch vonstatten, zumal man sich bei der Dunkelheit ganz auf das Tastgefühl verlassen mußte. Es war aber auch besser, wenn die Stricke unversehrt blieben, da sie dazu dienen sollten, die Beduinen zu fesseln: freilich brauchte man zu diesem Zweck nicht viel mehr als die Hälfte.
Als die drei Mädchen mit der Befreiung der drei Männer zustande gekommen waren, zogen sie sich wieder bis zum Zelt zurück, blieben jedoch im Freien. Unterdessen ging das weitere Befreiungswerk planmäßig vonstatten: sobald einer die Hände frei hatte, machte er sich an die Arbeit bei seinem Nebenmann zur Rechten, während sein Nachbar zur Linken ihm die Füße entfesselte.
Die Araber entwickelten eine solche Gewandtheit im Aufknüpfen der Bande, daß schon um zehn Uhr das Werk beinahe vollendet war. Da nun die Ablösung der Wächter erfolgte, mußte eine Pause eintreten, und die Pause wurde so lange ausgedehnt, bis die frischen Wächter ihren Posten bezogen und die abgelösten sich an ihrer Ruhestätte niedergelegt hatten. Über diese Zeit lagen alle so regungslos, daß man sie im tiefsten Schlafe wähnen mußte.
Dann aber währte es kaum mehr eine Viertelstunde, bis die drei Reihen ihrer Fesseln ledig waren und nun unbeweglich harrten, bis das Zeichen zum Beginn ihrer Tätigkeit gegeben wurde.
Münchhausen hatte es übernommen, den Zeltwächter von hinten zu umschleichen und unschädlich zu machen. Rommel fiel die schwierigere Aufgabe zu, den Wächter zu überrumpeln, der westlich am Ende der vierten Reihe der Gefangenen aufgestellt war, da wo sich das Lager der schlummernden Beduinen fast unmittelbar an die Lagerstätte seiner Leidensgenossen anschloß.
Den Arabern wurde ein Anschleichen in den Rücken der Wächter mit Recht nicht zugetraut, ebensowenig dem Baron. Es waren daher zwei besonders behende junge Kameltreiber ausersehen, die beiden andern Wächter von vorn anzufallen, und es kam alles darauf an, ob ihnen dieses so überraschend und blitzschnell gelang, daß den Überrumpelten keine Zeit zu einem Aufschrei blieb, der ihre schlafenden Gefährten geweckt hätte: es war dies eine höchst unwahrscheinliche, verzweifelte Sache.
Die beiden, auf die so gut wie alles ankam, lagen in der dritten Reihe auf dem Bauch und spähten scharf aus, ob des Professors Gestalt hinter dem dritten Wächter auftauche: sie mußten dann seinen Kopf vom hellen Sternhimmel sich abheben sehen. Im gleichen Augenblick galt es für sie, aufzuspringen und über ihre noch gefesselten Kameraden der vierten Reihe wegzusetzen. Ein zweiter Sprung mußte sie dann unverzüglich an die Kehlen ihrer Opfer bringen.
Diese zwei Sätze waren das Gefährliche und Bedenkliche: was mit einem hätte gelingen können, schien bei zweien kaum in der erforderlichen Sekundenfrist möglich. Es war fast als sicher anzunehmen, daß die Überfallenen, sobald sie die Anspringenden sahen, Lärm schlugen, und dann stand ein blutiger Kampf der zwar an Zahl überlegenen, aber waffenlosen Schar gegen die bewaffneten Beduinen bevor. Dabei konnte man die Aussicht auf Gelingen nur noch darauf setzen, daß die aus dem Schlummer Geschreckten so schlaftrunken und verwirrt sein würden, daß ihnen zum Teil die Waffen entrissen werden konnten, ehe sie sich ernstlich zur Wehr zu setzen vermochten. Zu hoffen, daß die Wächter beim Überfall durch die Araber vor Überraschung derart erstarren würden, daß sie keinen Laut hervorbrächten, wäre doch gar zu kühn gewesen!
Als die Mädchen vor der Rückwand ihres Zeltes im Dunkeln klopfenden Herzens die weitere Entwicklung der Dinge abwarteten, und es kaum aushielten, vorerst zur Untätigkeit verdammt zu sein, überlegte die Harmonika nochmals diese bedenklichen Umstände, und es kam ihr ein Gedanke, der ihr so naheliegend und selbstverständlich schien, daß es ihr unbegreiflich war, daß weder sie noch ein anderer bisher darauf gekommen waren. Sie teilte ihn flüsternd der Zitrone mit, die gleich Feuer und Flamme dafür war, und sagte: »Nein! Daß ich auch daran nicht dachte! Das erst gibt meinem ganzen Anschlag Aussicht auf Gelingen!«
Mit der Ausführung mußte jedoch noch abgewartet werden, bis der Pascha seine Aufgabe vollendet hatte.
Münchhausen hatte Glück: er gelangte unbemerkt in den Rücken des Postens vor dem Mädchenzelt, der in tiefe Träumerei versunken schien. Ohne sich vom Boden zu erheben, was bei seiner Körperfülle nicht so einfach gewesen wäre und leicht ein verräterisches Geräusch hätte verursachen können, umklammerte er mit einem raschen Griff beider Hände den Hals des Ahnungslosen von hinten her. Ein dumpfes Aufstöhnen war alles: der Unglückliche fuchtelte wie wahnsinnig mit den Armen in der Luft, verlor aber augenblicklich alle Kraft, wie es jedem geht, der sich die Luft völlig abgeschnitten fühlt. Die Kinnladen schnappten krampfhaft, doch nur kurze Zeit: dann hörte jede Bewegung auf, und der Mann verlor die Sinne, was an dem schlaffen Herabsinken des Kopfes und der Arme erkenntlich war.
Schnell stopfte der Pascha ein Tuch in den weit offenstehenden Mund und band es mit einem Zeugstreifen fest, den er straff anzog und am Hinterkopf zusammenknotete. Dann fesselte er dem Ohnmächtigen kunstgerecht Arme und Füße, und ließ ihn liegen. Er würde nun, da er wieder atmen konnte, nach kurzer Zeit aus der Ohnmacht erwachen, aber weder ein Glied regen, noch einen Laut von sich geben können.
Der Kapitän, zufrieden mit seinem Werk, kroch wieder zurück, um so viel als möglich den weiteren Verlauf der Dinge zu beobachten. Gerne wäre er noch Rommel nachgeschlichen: vielleicht hätte es ihnen gelingen können, auch noch die beiden andern Wächter auf die gleiche Weise unschädlich zu machen. Aber das war jetzt unmöglich, da die Rollen schon verteilt waren und die beiden Kameltreiber losbrechen würden, sobald sie den Professor hinter dem ersten Wächter auftauchen sahen. So mußte Münchhausen auf diesen Gedanken verzichten. Schade! nachdem er nun seine Gewandtheit in solcher Überrumpelung erprobt hatte!
Die Harmonika war, sobald sie mit der Zitrone über die Ausführung ihres neuen Planes einig geworden war, lautlos ins Zelt zurückgekrochen und hatte von dort aus Abu el Futhas erfolgreichen Überfall feststellen können. Rasch glitt sie zurück, und nun ging es ans Werk.
Isolde mußte, trotz ihrer Bitten zurückbleiben: die Sache erforderte eine Umsicht und Vorsicht, die ihr doch nicht zugetraut wurde.
An den befreiten, noch immer regungslos harrenden Gefangenen vorbei, wanden sich die Mädchen in das Lager der Schläfer, und nun sammelten sie alle Waffen, vor allem die Flinten, die zu fassen waren, ohne Gefahr, einen Beduinen zu wecken. Das ging bei den meisten: denn nur selten hielt einer sein Gewehr oder seine Lanze selbst im Schlummer fest im Arm; gewöhnlich hatte er sie neben sich niedergelegt, und die Hauptschwierigkeit bestand darin, sich zwischen den oft eng gelagerten Reihen hindurchzuschlängeln, ohne einen der Schläfer zu streifen.
Mehrmals kroch die Harmonika die wenigen Schritte zurück, um die von der Zitrone gesammelten Waffen ihren eigenen Leuten zu überbringen, die sie staunend und erfreut in Empfang nahmen, und zum Teil weitergaben. Da die Baronesse bedeutend schlanker war, als Monika, konnte sie sich eher zwischen die Ruhenden wagen, und besorgte daher die Entwaffnung.
Unterdessen hatte auch der Professor seine Aufgabe erfüllt: aber da ging es durchaus nicht so glatt!
Eine gute Weile, ehe die Zitrone und die Harmonika sich zwischen die Schlafenden gewagt hatten, war er durch ihre Reihen gekrochen. Als er sah, wie fest hier alles in Schlummer lag, kam auch ihm der Gedanke, wie leicht die Beduinen zu entwaffnen, ja, zu knebeln und zu binden wären. Aber allein hätte er das nicht fertig bringen können, und wenn ein einziger vorzeitig erwachte, so wäre das ganze Rettungswerk gefährdet worden. Es war jetzt zu spät für ihn, andere Pläne zu entwerfen: der Pascha war bereits an der Arbeit und die Kameltreiber lagen auf der Lauer, – er mußte also unverzüglich das Werk vollenden, das er übernommen hatte.
So schob er sich sachte und vorsichtig immer weiter vor, bis er das Lager hinter sich hatte, und nun etwas rascher im weiten Bogen in den Rücken des ihm zugeteilten Wächters kommen konnte.
Niemand hatte seine Annäherung bemerkt, und er erhob sich jetzt in seiner ganzen Größe. Im gleichen Augenblick schnellten auch die beiden Araber auf, die auf dies Zeichen gewartet hatten, und setzten über ihre Kameraden weg, um die ihnen zugewiesenen Opfer stumm zu machen.
Abu Ramleh hatte schon den Hals seines Gegners umklammert, und war des Erfolges sicher, als er den ihm zunächst hockenden mittleren Wächter mit einem Satze aufspringen sah. Unseligerweise hatte der Kerl gerade herüberschauen müssen, als der Professor sich emporreckte. Im gleichen Augenblick gewahrte der dritte Wächter die heranfliegenden Gestalten der Kameltreiber und öffnete den Mund zum Schrei.
Jenen Mann konnte Rommel der Dunkelheit und Entfernung wegen zwar nicht sehen, aber es genügte ihm, von dem zweiten entdeckt worden zu sein, um zu erkennen, daß alles verloren sei; die Sekunde, um die es sich handelte, bis die Araber die Beduinen an der Gurgel packen konnten, mußte diesen genügen, durch ihr Geschrei ihre Kameraden aufzuschrecken.
Beinahe hätte der Vater des Sandes im Schrecken und in der Verzweiflung über das Mißlingen des Anschlags die Hände sinken lassen. Blitzschnell war ihm der Gedanke gekommen, er könnte sich an die ein paar hundert Schritt hinter ihm lagernden Kamele machen, eines erhaschen und sich hinaufschwingen, ehe die Wache ihn hindern könne, und dann, durch alle Posten hindurchjagend, die freie Wüste gewinnen. Aber das war ein gewagtes, eigentlich aussichtsloses Unterfangen, – und dann, was konnte er, als einzelner, unbewaffneter Mann zur Rettung der andern unternehmen? Ja, was nützte ihm selber die Freiheit, wenn er keine andere Aussicht hatte, als in der Wüste zu verhungern oder zu verdursten?
Während dieser aufblitzenden Gedanken hielt er glücklicherweise die umklammerte Kehle noch krampfhaft fest, und wunderte sich unsäglich, daß der erwartete Aufschrei nicht erfolgte, vielmehr alles totenstill blieb.
Er starrte nach dem Manne hinüber, der soeben aufgesprungen war: was sollte denn das bedeuten? Da waren ja zwei Männer, einer hinter dem andern, und der Hintere würgte den vorderen, so daß sein Hilferuf erstickt war!
Der Kameltreiber war inzwischen mit seinem zweiten Sprung auch herbeigekommen und der überrumpelte Wächter befand sich nun zwischen zwei Feinden. Der zweite tat aber nichts mehr zur Sache: wäre nicht gerade im rechten Augenblick der rätselhafte Angreifer im Rücken des Beduinen aufgetaucht, so wäre schon jetzt der ganze schöne Überraschungsplan gescheitert.
Jetzt brach der Gewürgte zusammen und die beiden andern Gestalten beugten sich über ihn. Die eine stopfte ihm ein Tuch in den Mund, die andere fesselte ihn an Armen und Beinen.
Das war ja ausgezeichnet, – aber wer war der unbekannte und unerwartete Helfer, der sich von hinten angeschlichen hatte und so gerade zur rechten Zeit die Lage rettete? Sollte es Steinberg sein? Kaum glaublich! Und was war dann mit dem dritten Wächter? Warum ließ auch er keinen Laut vernehmen? War es dem Kameltreiber, der ihn zu überfallen hatte, wirklich gelungen, ihn zum Schweigen zu bringen, ehe er einen Schrei hervorstoßen konnte?
Die ganze Sache erschien dem Professor höchst rätselhaft und wunderbar. Die Lösung des Rätsels sollte ihm erst werden, nachdem das ganze Werk vollbracht war.
Vollständig mit der Beobachtung der seltsamen Vorgänge zu seiner Linken beschäftigt, und sich vergeblich den Kopf darüber zerbrechend, wie er sie sich erklären sollte, hielt der Altertumsforscher noch immer die Gurgel seines Mannes krampfhaft umschlossen, als ihm plötzlich zum Bewußtsein kam, daß er ja den Ärmsten erwürge, der schlaff und schwer in seinen Händen hing.
Das war nicht seine Absicht! Unverzüglich ließ er los, und das Opfer seiner Zerstreutheit sank leblos zu Boden.
Verzweifelt beugte sich Rommel über den Mann und stellte fieberhafte Wiederbelebungsversuche an: denn es wäre ihm ein geradezu entsetzlicher Gedanke gewesen, einen Mord auf sein Gewissen geladen zu haben. Da hätte er ja sein Leben lang keine Ruhe mehr gehabt. Die Entschuldigung, daß es sich um einen Feind handelte und daß er doch sozusagen in der Notwehr gewesen sei, hätte sein zartes Gewissen nicht gelten lassen, noch weniger den Einwand, er habe den Mord durchaus nicht beabsichtigt, sondern lediglich aus Gedankenlosigkeit verübt: so leichtfertig springt doch ein ehrlicher Christenmensch nicht mit dem Leben seiner Mitmenschen um!
Über eine Viertelstunde lang bemühte er sich um den Bewußtlosen, immer in der Angst, er sei schon tot.
Da endlich hörte er ihn, zu seiner unaussprechlichen Erleichterung, wieder Atem holen, und sah ihn zugleich die Augen aufschlagen. Hätte der Professor seinen besten Freund vom Tode zum Leben zurückkehren sehen, so hätte seine Freude nicht größer sein können: um den Hals hätte er ihm fallen mögen, aus Dankbarkeit, daß der edle Mensch ihm die Wohltat erwies, wieder lebendig zu werden, und so sein Gewissen vom Fluche befreite, zum Mörder geworden zu sein!
Allein, während Wonne und Erkenntlichkeit ihn durchfluteten, fiel es dem Vater des Sandes plötzlich ein, daß er ja den guten Mann knebeln und fesseln mußte, wenn er nicht das ganze Befreiungswerk aufs Spiel setzen wollte. Das war ihm furchtbar peinlich, doch mußte es eben sein. Unsäglich schämte er sich, als er diesem braven Menschen, diesem großmütigen Freund das Tuch in die Mundhöhle zwängte und festband: ach! welch schnöder Undank, den Biedern so zu quälen! Und doch durfte er nicht seinen sanften Regungen folgen, um nicht die anderen Freunde in Lebensgefahr zu bringen.
Er versäumte es jedoch nicht, dem Manne tausend Entschuldigungen in das Ohr zu flüstern: »Guter Freund!« sagte er: »Ich flehe dich an, mich nicht für herzlos und undankbar zu halten. Ich bin mir wohl bewußt, wie viel Dank ich dir schulde, und werde es mein Leben lang nicht vergessen. Allah schenke mir Gelegenheit, dir deine Wohltat zu vergelten, und dir zu beweisen, daß mein Gemüt nicht verhärtet und ungerecht ist, wie es jetzt den Anschein haben könnte. Der Allwissende weiß, wie herzlich leid es mir tut, so barbarisch mit dir verfahren zu müssen. Das hast du wirklich nicht um mich verdient! Allein es geschieht nach Allahs unabänderlichem Ratschluß und ist ein Kismet, ein unabwendbares Schicksal. Füge dich darein in christlicher Geduld, oder vielmehr in muselmännischer Ergebenheit: es ist nur von kurzer Dauer. Ich flehe dich aber an, mir diese Notwendigkeit nicht zu verübeln, noch nachzutragen, sintemal ich aufrichtige Freundschaft für dich empfinde!«
Der Beduine war inzwischen wieder zum vollen Bewußtsein zurückgekehrt. Sprechen konnte er nicht, vonwegen des Knebels; doch schossen seine Augen Blitze. Er mußte ja diese sonderbaren Reden für die herzloseste und niederträchtigste Verhöhnung eines wehrlosen Feindes halten: anders konnte sie sich sein Beduinenverstand unmöglich deuten. Daß er diesem Christenhund eine Wohltat erwiesen habe, für die der Giaur Dankbarkeit empfinde, war ja Wahnsinn, und Knebelung und Fesselung waren gewiß keine Beweise aufrichtiger Erkenntlichkeit und Freundschaft! Wie sollte ein Wüstensohn und Räuber Verständnis haben für die feinfühligen Gewissensregungen Professor Gerhard Rommels?
Inzwischen war viel geschehen; doch wollen wir zunächst zu Peter Grill und Franz Billinger zurückkehren.
Den beiden war es ohne große Schwierigkeit gelungen, in den Rücken des ersten Wächters zu gelangen, das heißt, desjenigen, der im Osten, der Felswand zunächst aufgestellt war, in der sich ihre Höhle befand. Hier blieb der Preuße lautlos und regungslos liegen, während der Bayer sich weiter schlich, hinter den zweiten, mittleren Posten, den er auch bald erreichte.
In diesem Augenblick erhob sich eine Gestalt in den Reihen der Gefangenen und stürzte heran. Der Wächter war aufgesprungen und drohte, Lärm zu schlagen; aber schon erstickten Billingers Riesenfäuste den Schrei, der sich aus seiner Kehle ringen wollte, so daß nur noch ein schwaches Pfeifen vernehmbar wurde.
Franz war allerdings verblüfft gewesen, als er so unerwartet die Gestalt von drüben durch das Dunkel herbeisetzen sah: doch ließ er sich nicht irre machen, denn es war keine Sekunde zu verlieren, und er wollte nun auch ausführen, was er sich vorgenommen hatte, auf jede Gefahr hin: mehr als mißlingen konnte der Plan nicht, und ihn jetzt noch ändern zu wollen, wäre zwecklos gewesen.
Ähnlich war es Grill gegangen: auch er sah von drüben eine Gestalt auf sich zuspringen, als er sich eben erhoben hatte, um seine Aufgabe zu erfüllen. Glücklicherweise blieb ihm keine Zeit zu Überlegungen: er sah, daß Billinger seinen Mann würgte, und er hatte dies gleichzeitig bei dem seinigen zu besorgen, tat dies also auch, der Verabredung gemäß. Schon preßte er die Hände um den Hals des Wächters, als die schon erblickte Gestalt mit einem zweiten gewaltigen Satz vor ihm landete.
Nun wollte er sich diesem neuen vermeintlichen Feinde entgegenwerfen, wobei er freilich hätte loslassen müssen, ehe sein Opfer betäubt war, so daß der Lärm, der vermieden werden sollte, unzweifelhaft laut geworden wäre. Da zischte ihm der Kameltreiber, der ihn sofort erkannt hatte, zu: »Still, still! Und halte fest, Vater der Eselin: Allah hat dich mir zu Hilfe gesandt, sonst wäre ich trotz aller Eile zu spät gekommen, um den Schrei des Hundesohnes zu verhindern.«
Der Araber band den nun zu Boden sinkenden Beduinen, während Peter ihn knebelte.
Der Kameltreiber, der sich Billinger gegenüber befand, war dessen besonderer Freund, Mahmud. Die beiden steckten viel beieinander, und da Franz es liebte, die Araber zwischenhinein mit gut bayrischen Kraftworten anzureden, und dieser Mahmud sehr lernbegierig war und sich die ihm gefallende Sprache fleißig erklären ließ, hatte er schon ziemlich Deutsch inne, freilich, weniger »jebildetes Daitsch«, als kräftiges Bayrisch.
Auch der Vater der Mauleselin wurde sofort von dem herbeieilenden Freunde erkannt, und das Erkennen war gegenseitig. Franz flüsterte denn dem braven Mahmud zu: »Dös loß da gut soan, daß d' oana vun dö Unsrigen bist, sunst hättst doan letzts Schnauferl tun: da Franzl loßt fein nit mit sö spossen! Geh her und helf ma: so is recht! Mordsföst mußt dön Kerl einischnürn, hast jo Spagat g'nug. – Holt! dös Wörtl host no nit g'lernt: mir Boaern sogen ›Spagat‹; dö, wo koan so guts Deutsch reden, sogen: Bindfoden, Schnur, Strick, Soal, Tau oda Leinen. Gute Varichtung! I geh, um dö ondan zu befrein.«
Als sich jedoch Abu Barlah dieser Aufgabe zuwandte, fand er wenig mehr zu helfen, und so ging es auch Peter, der gleich darauf zur Stelle war.
Noch herrschte die tiefste Stille, – kaum ein leises Geflüster war da und dort zu vernehmen; denn noch blieb eine Arbeit zu tun, die größte Behutsamkeit erforderte, wenn Handgemenge und Blutvergießen vermieden werden wollten. Immerhin war das Schwierigste über Erwarten geglückt und die Feinde waren fast alle waffenlos.
Mit unhörbaren Tritten begaben sich die Befreiten zu den schlummernden Beduinen. Bei jedem pflanzten sich zwei auf, mit Stricken wohl versehen; bei etlichen wenigen auch bloß einer, weil die Überzahl nicht ganz das Doppelte betrug.
Als alles bereit stand, gab der Pascha das verabredete Zeichen durch einen schrillen Pfiff, da jetzt das Stillverhalten nicht mehr notwendig war, und nur durch einen allgemein hörbaren Ton das rasche, gleichzeitige Handeln ermöglicht werden konnte, auf das es jetzt besonders ankam.
Im Augenblick stürzten sich alle auf die aufschreckenden Feinde, die sich überwältigt und gefesselt fanden, ehe sie nur recht zum wachen Bewußtsein gelangten.
Jetzt erst kam auch Rommel herbei, dem der Pascha mit seiner ungedämpften Bärenstimme freudig zurief: »Das hat geklappt! Großartig! Ein Hurra auf die Zitrone, der wir den prächtig gelungenen Befreiungsplan verdanken!«
»Die Harmonika verdient es weit eher, als ich,« wehrte Baroneß Hulda die laut erschallenden Huldigungsrufe ab: »Sie kam auf den Gedanken, unsere Leute mit den Waffen der Schlafenden zu versehen, sonst wäre es wohl doch noch zum blutigen Kampfe gekommen, wenn der Sieg auch nicht mehr zweifelhaft sein konnte.«
»Wunder über Wunder!« rief der Kapitän: »Und Sie beide haben das gefährliche Wagnis unternommen und glücklich durchgeführt? Also, ein nochmaliges und dreifaches Hurra auf unsere beiden Retterinnen und Heldinnen!«
Brausend erschollen drei Hurras in die Nachtluft, so daß Beduinen und Araber Augen und Ohren aufrissen über dieses donnernde Siegesgeheul.
Jetzt nahm Abu Ramleh das Wort: »Da handelt es sich auch noch um einen unbekannten, rätselhaften Helfer, wenn es nicht mehrere sein sollten, ohne dessen zielbewußtes Eingreifen im entscheidenden Augenblick, die ganze Sache schief gegangen wäre. Ich glaubte schon alles verloren, da der mittlere Wächter und wahrscheinlich auch sein Genosse zur Linken Lunte rochen, als ich mich eben anschickte, meine Aufgabe zu erfüllen. Es ist mir noch jetzt ein Rätsel, wer sie in der Sekunde äußerster Gefahr zum Schweigen brachte.«
»Dös san mir g'west, mit Verlaab, Herr Professa!« sagte Billinger vortretend: »Da Peta und i: Mir zwoa hamm an Befreiungsplon außitüftelt, an gonz feinen: jo, do sponnen S'! Auf am Bauch samma doherkraxelt, wie zwoa indianische Rothäut, daß ma dö schurkischen Wächta stumm mochen und dö G'fongenen los binden. Aba i hob schun g'mirkt, dös waar schief gonga, ball nit da Herr Professa an dritten akkurat zur richtigen Zeit derwürgt hätt'.«
»Ja, erwürgt hätte ich ihn beinahe!« gestand Rommel zerknirscht und kleinlaut: »Aber, Gott sei Dank! Es gelang meinen ärztlichen Bemühungen, den Ärmsten wieder ins Leben zurückzurufen.«
»Aha!« lachte der Pascha: »Sie edelster Jünger Äskulaps haben sich um das Leben unserer Feinde bemüht, während wir trachteten, sie unschädlich zu machen? Darum erscheinen Sie so spät auf dem Schauplatz unserer Tätigkeit! Nun, das macht Ihrem guten Herzen alle Ehre und Sie brauchen sich dessen nicht zu schämen: wir sind auch Christen, die ein solches Verhalten zu würdigen wissen.«
»Fällt mir doch nicht ein, mich meiner Wiederbelebungsbemühungen zu schämen!« eiferte der Professor: »Vielmehr schäme ich mich meines sträflichen Leichtsinns, durch den ich beinahe ein Menschenleben ausgelöscht hätte, was mich zeitlebens die Ruhe meines Gewissens gekostet hätte.«
»Nun, so ist es ja noch glücklich für Sie abgelaufen,« meinte Abu el Futha; »aber ich sehe schon, daß unser aller Bemühungen vergeblich gewesen wären, wenn nicht beide Teile zur gleichen Sekunde zusammengewirkt hätten: wir auf der einen Seite, Franz und Peter auf der andern. Diesem ganz merkwürdigen Zufall verdanken wir unsere Befreiung, ohne jeden Kampf und ohne einen Tropfen Blutvergießen.«
»Zufall?« rief die Harmonika ernstlich empört: »Eine göttliche Fügung war das! Oder glauben Sie im Ernst, der blinde Zufall regiere die Welt und helfe den Bedrängten gnädigst aus der Not?«
»Nein, nein! Sie haben recht, Fräulein Harmonika!« bekannte Münchhausen ehrlich: »Ich bin im Grunde völlig Ihrer Überzeugung, und es tut mir leid, daß mir eine törichte Redensart entschlüpfte, die gut ist für die Dummen und Blinden, oder auch für die verstockten Schurken. Wir wollen Gott die Ehre geben; denn dieses rettende Zusammentreffen ist zweifellos das Werk seiner Gnade!«
Das war nun allen aus dem Herzen gesprochen.
Es blieb noch übrig, die Kamelwächter und die Posten am Ausgange der Schlucht aufzuheben, die von den Vorgängen im Hintergrunde des Tales jedenfalls nichts gemerkt hatten, infolge ihrer Entfernung und den Windungen der Schlucht, die sie daran hinderten, zu sehen und zu hören, was im Lager vorging.
Franz und Peter machten den Vorschlag, sie einzuschließen, damit sie nicht etwa beim Erkennen der nahenden Gefahr ihre Kamele besteigen und die Flucht ergreifen könnten. Ein Umschleichen schien zu umständlich, auch handelte es sich um fünfzehn Mann, und überdies nahte die Stunde der Ablösung, deren Ausbleiben die Wächter hätte stutzig machen müssen.
So führten die beiden Diener eine Schar durch die Höhle auf die Felsen, und auf diesen hin bis zum Talausgang. Sie gingen noch eine Strecke in der Wüste vor und wandten sich dann im Bogen nach der Schluchtmündung zurück.
Die fünf Posten, die hier aufgestellt waren, zeigten sich völlig überrascht, da sie an das Nahen einer Gefahr von der offenen Wüste her nie gedacht hätten.
Als sie erkannten, daß es sich um einen feindlichen Angriff handelte, und ihnen eine vierfache Übermacht gegenüberstand, wandten sie sich zur Flucht nach dem Talinnern, um die Kamelhüter zu warnen und das Lager auf die Beine zu bringen. Sie zweifelten gar nicht daran, daß dann die merkwürdigerweise zu Fuß und ohne Kamele aus der Wüste kommenden Angreifer rasch überwältigt sein würden.
Allein Billinger hatte vorsorglich einen Teil seiner Mannschaften kurz vor der Mündung ins Tal hinabgesandt: so fanden die Flüchtlinge schon nach wenigen Schritten den Weg abgeschnitten.
Derart eingeschlossen, hielten sie eine Gegenwehr mit Recht für Wahnsinn und ergaben sich mit mohammedanischer Gelassenheit in ihr unabwendbares Schicksal.
Sie dachten bei sich, die rätselhaften Feinde hätten, als sie die Leute am Taleingang lagern sahen, einige Mann über die Felsen in ihren Rücken gesandt, wüßten aber noch nichts von der großen Beduinenkarawane, die im Hintergrunde der Schlucht lagerte. Nun freuten sie sich im stillen, wie die Angreifer die Augen aufreißen würden, wenn sie dieser Übermacht in die Hände liefen! Die Kamelwächter würden ja, sobald sie die Schar erblickten, die Kamele ins Lager zurücktreiben und die Schläfer wecken. Dann würden die Dschemels bestiegen und es gab für die etwa dreißig Mann zählenden Fußgänger kein Entrinnen. Sie selber würden natürlich nach kurzer Gefangenschaft befreit.
Daß die von Norden her aus der Wüste kommenden Leute zu der Karawane gehörten, die sie wohl gefesselt und bewacht in der Schlucht wähnten, konnte ihnen selbstverständlich gar nicht in den Sinn kommen. Es war auch nicht möglich, daß sie einzelne ihrer Besieger an den Gesichtern erkannten. Denn, selbst wenn sie sich alle Mühe gegeben hätten, sich in der kurzen Zeit die Züge der hundertundzwanzig Gefangenen einzuprägen, hätte es ihnen doch nicht gelingen können, dies so genau zu tun, daß sie jetzt einen oder den andern in der Dunkelheit erkannt hätten. Aber es war ihnen gar nicht eingefallen, die Leute so eingehend zu betrachten. Die Europäer freilich hatten sie neugierig in Augenschein genommen, und hätte sich einer von ihnen unter den Angreifern befunden, so wäre es ihnen, so unglaublich es schien, doch sofort zur Gewißheit geworden, daß die Gefangenen sich befreit und die Beduinen überwältigt haben mußten. Franz und Peter, die sich nicht bei den Überfallenen befunden hatten, erblickten sie jetzt zum erstenmal. So waren sie also völlig ahnungslos.
Fünfhundert Schritt talaufwärts lagerten die Kamele mit ihren zehn Wächtern. Als sie nach der zweiten Talbiegung sichtbar wurden, riefen ihnen ihre gebundenen Kameraden laut zu, die Kamele ins Lager zurückzutreiben, da Feinde nahten. Sie trieben auch sofort die Tiere auf, und wenn Franz auch jetzt mit seiner Schar unter lautem Gebrüll auf sie losstürmte, so konnten sie sich doch beritten machen und hatten noch über hundert Schritt Vorsprung, so daß die gefangenen Wächter schon frohlockten, daß alles nach Wunsch gehe.
Aber Franzls und seiner Leute Kriegsgeschrei war das Zeichen für den bereitstehenden Pascha, der nun seine Truppen von Süden her mit ohrenbetäubendem, echt indianischem Geheul hervorbrechen ließ. Die Kamelhüter sahen sich nun zwischen zwei Heeren von so erdrückender Überzahl, daß auch ihnen nichts anderes übrig blieb, als sich kampflos zu ergeben.
So wurde auch hier der Sieg ohne jegliches Blutvergießen errungen.
Die fünf jedoch, die einen so ganz anderen Ausgang erwartet hatten, machten auffallend lange, und nichts weniger als geistreiche Gesichter, als sie nun gar zu ihren bereits in Fesseln liegenden Gefährten geführt wurden.
»Nit wohr, do schaugts!« rief Franzl vor Vergnügen strahlend: »A gonze Karawanen hobts ös g'fongen g'nummen: aba da Boaern und da Preißen hobt ös nit derwischt! Dös is a Fehla g'west ös Lackel, ös elendige: denn jetz hob i an Stiel umdraht und nehm enk in moane G'fongenschoft. Dös hobts enk fein nit traamen lossen, ös Schlofhauben, in euan Unvastond! Jo, da Franzl, wann's drauf onkimmt, nimmt's mit an hundat Beduwinen auf, a so talketen!«
Nun wurden Wachen aufgestellt, und die Sieger pflegten im übrigen noch einige Stunden der Ruhe.
Der ganze Kampf, wenn man den unblutigen Sieg überhaupt als solchen bezeichnen durfte, hatte nicht viel mehr als zwei Stunden in Anspruch genommen, und es war jetzt kaum Mitternacht, so daß immer noch Zeit genug übrig blieb, sich bis Sonnenaufgang einem erquickenden Schlafe hinzugeben.
Peter und Franz zogen sich wieder in ihre warme Höhle zurück, diesmal aber wohlbewaffnet, und Billinger rief dem Pascha noch zu:
»Schlofen S' nur unb'surgt mitoanand. Wann dö Beduwinen sö in da Nocht wieda befrein, und enk wieda binden, nachher is ma dös schun recht und mocht gor nix aus. Mir zwoa, da Preiß und da Franzl, hamm an g'hoamen Schlupfwinkel, do kimmen s' nit eini, dö Spitzbuam. Und da Franzl befreit enk aa a zwoats mol, wann's soan muß: is am a Vergnügen und kimmt am nit drauf on! Ös derfts fein glaaben, daß i dö Wüstenraaba wieda übalisten und wehrlos machen tu. Und do feit sö nix: denn dös indianisch Onschleichen hob i fein g'lernt aus am Korl May!«