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12.
Abu Haschischs Abenteuer

Etliche Tage darauf zog Abu Haschisch, der Baron, Pflanzenkundige und Jäger, auf die Jagd aus; denn er hatte gehört, es gebe hier gute Jagdgelegenheit auf wilde Hühner, Erdschweine und vor allem auf den Fenek, den Wüstenfuchs. Wer besonderes Glück oder Pech habe, könne gar einem Löwen begegnen.

Schon im voraus prahlte der kühne junge Mann mit seiner großen Jagdbeute, ohne die er nicht heimkehren werde. Außer seinem Diener Peter nahm er zwei Eingeborene der Oase als Wegweiser und Treiber mit.

Nun waren aber die Eingeborenen auf den Baron nicht gut zu sprechen; denn er behandelte sie mit überlegenem Hochmut und grenzenloser Verachtung. Darum beschlossen seine Begleiter heimlich, sich an dem Prahlhans zu rächen.

Unterwegs schürte Steinberg noch ihren Groll, da er in seinem mangelhaften Arabisch gewaltig über die Beduinen schimpfte. Sein Arabisch hielt er übrigens für vollkommen, und wenn ihn die Araber oft nicht verstanden, schrieb er dies der mangelhaften Kenntnis ihrer eigenen Sprache zu.

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Die Eingeborenen kannten eine Stelle, deren Tücken dem Unkundigen ebenso verborgen bleiben mußten, wie diejenigen des verhängnisvollen Sandsees, bis er aus eigener unliebsamer Erfahrung ihre schlimme Bekanntschaft machte. Dorthin führten sie voll tadelnswerter Arglist den Rumih, der es wagte, sie so schwer zu beleidigen.

Niemals hätte Steinberg geglaubt, nachdem er einmal in so gefährlicher Weise mit dem Sandmorast hintergangen worden war, daß er ein zweites Mal sich ganz arglos in eine ähnliche Falle verlocken lassen könnte. Er hielt sich für gewitzigt und hütete sich fortan, in der Wüste voran zu reiten und einen Sandboden zu betreten, ehe er gesehen, daß andere sich darauf wagten, ohne einzusinken.

Aber hier war keine Wüste, es war fruchtbares grünes Land, und er dachte an keine Gefahr.

Der Sumpf, an den er geführt wurde, zeigte auch keines der Merkmale, die in Europa gewöhnlich jedem, dem ein Moorboden nichts durchaus Unbekanntes ist, sofort die Beschaffenheit des Grundes verraten. Wuchs da Schilf? Nein! Zeigte sich eine verdächtige Moosdecke? Mitnichten! Hörte man Unken oder Frösche quaken? Keineswegs! Stieg da ein fauliger Modergeruch aus? Keine Rede davon.

Üppiges frisches Gras, dem es freilich an Feuchtigkeit nicht zu fehlen schien, verbarg so vollkommen den schwammigen Brei, daß selbst Peter keinerlei Verdacht schöpfte. Übrigens handelte es sich nur um einen schmalen, höchstens fünf Meter breiten Wiesenstreifen, der sich allerdings nach Osten zu stark verbreiterte, hier jedoch im Süden durch dichtes Buschwerk begrenzt wurde, das mit wenigen Schritten erreichbar schien.

Die Führer wiesen auf dieses Gebüsch und sagten: »Dort drinnen hausen die Erdschweine!«

Sofort eilte Steinberg dem Gebüsche zu, aber schon beim zweiten Schritt versank er bis an die Knie im Schlamm. Hier ging es nicht so langsam wie dort im Sandsee!

Abu Haschisch stieß einen Schreckensruf aus: was war doch er für ein Unglücksmensch, ein Verfolgter des Schicksals, daß ihm binnen so kurzer Zeit zweimal das gleiche schreckliche Ende drohte!

Sein Schrei scheuchte eine Schar wilder Hühner auf, die mit knatterndem Flügelschlag sich aus dem Röhricht erhoben, das zur Linken an Stelle des Buschwerks das andere Ufer der vermeintlichen Wiese säumte und Steinbergs Verdacht hätte erwecken können, wenn er es früher bemerkt hätte und dabei nicht so völlig ahnungslos gewesen wäre.

Über dem plötzlichen Geräusch, das durch das Auffliegen des Geflügels verursacht wurde, verlor der Baron vollends die Fassung und ließ sein Gewehr fallen, das sofort im Schlamme verschwand.

Weg war es, und er konnte es nicht wieder erobern, wenn er auch gewagt hätte, danach zu greifen. Aber auch die heimtückischen Führer waren weg: sie nahmen schleunigst Reißaus, da sie die Rache des Betrogenen fürchteten.

Glücklicherweise konnte Peter die ausgestreckten Hände seines Herrn erfassen, nachdem es diesem gelungen war, sich umzudrehen. Er war schon bis an den Bauch eingesunken, doch Grill besaß Kraft genug, ihn herauszuziehen.

Das war ein Schrecken! Abu Haschisch war froh, wieder auf festem Boden zu stehen, wenn auch mit Verlust zweier Stiefel und eines Strumpfes, wie weiland der römische Feldherr Quinctilius Varus im Teutoburger Walde, ganz ungerechnet das Gewehr!

Zerknirscht sah der beschämte Jäger an sich hinab: wie sah er aus! Eine schwarze, triefende Schlammbrühe überzog ihn bis zum Bauch. Rechts war er strümpfig, links barfüßig, ein Mißverhältnis, das seinem trauernden Auge ganz besonders wehe tat.

Er ließ sich auf den Boden niederplumpen und riß den geretteten Strumpf mit edler Wut vom Fuße, schleuderte ihn in den Morast und rief: »Fahre hin zu deinem verräterischen Kameraden, der seinen Herrn zusamt den feinen Lackstiefeln schnöde im Stiche ließ! Was fange ich an mit der armseligen Hälfte eines Strümpfepaars? Ich brauche euch nicht, ich habe der Paare noch genug. Aber Lackstiefel besitze ich kein zweites Paar! Ich muß verzichten auf diese äußeren Zeichen meines Adels und fortan grobe Schaftstiefel tragen, gleich den andern Sterblichen deutschen Geblüts, die diese Länder der Bosheit durchziehen.«

Peter Grill riß Mund und Augen auf bei diesem Helden- und Schwanengesang, den sein Herr seiner Fußbekleidung nachsandte: derartige schwungvolle Worte war er von ihm nicht gewöhnt; aber die tiefe Empörung über einen so blamierenden Hereinfall hatte den Baron in eine Stimmung versetzt, die ihn vorübergehend zum tragischen Dichter machte. An sein Gewehr aber dachte er nicht bei diesem Nachruf: und das wollte ein Jäger sein!

Der Diener schritt voran, der Herr folgte, kleinlaut und niedergeschlagen in seiner überaus traurigen Verfassung: ohne die verheißene ruhmvolle Jagdbeute, ja, ohne Gewehr, ohne Stiefel und Strümpfe, mit Kot überzogen.

Münchhausen erblickte den also heim Wankenden zuerst: »Oho!« rief er: »Was ist mit Ihnen, Baron? Haben Sie wieder in einem Getreidefeld nach seltenen Pflanzen botanisiert, daß Sie barfuß zurückkehren, wie damals in der Oase Dachel? Aber diesmal scheinen Sie ja Ihre Fußbekleidung gar nicht mehr bei sich zu führen: haben die Wüstenfüchse, die Sie erlegen wollten, Ihnen aus Rache Stiefel und Strümpfe ausgezogen und geraubt? Aber einen ganz prächtigen Anstrich haben Sie dafür Ihren Stelzen gegeben, schwarz, lehmig und dauerhaft! Sollten Sie gar wieder die Tragfähigkeit eines Moorbodens geprüft haben? Ich meine, Sie sollten vom letztenmal her genug haben.«

Auch die andern empfingen den Zerknirschten mit großem Hallo und Gelächter. Peter jedoch, die treue Dienerseele, sorgte für eine Wanne voll frischen Wassers und säuberte den so schnöde Verunstalteten, während die Zitrone schwesterlich frische Wäsche und Kleidungsstücke aus dem Gepäck hervorsuchte, damit ihr Bruder sich wieder in einen menschenwürdigen Zustand versetzen könne.

Am andern Morgen in aller Frühe weckte Steinberg seinen Diener. Er hatte die zweite Büchse geschultert, die er als Jäger vorsorglich mit auf die Reise genommen hatte.

»Ich muß meine Ehre als Jagdkundiger wiederherstellen,« sagte er stolz. »Peter, folge mir. Wir werden jagen, was es nur in dieser Oase zu jagen gibt, diesmal ohne arabische Führer, die doch sämtlich Schurken, Verräter und Spitzbuben sind, und denen ich allein alles Pech zu verdanken habe, das mich bisher verfolgte. Diesmal kehren wir nicht ohne Beute zurück: man soll staunen! Nimm deine beiden Gewehre mit, für den Fall, daß wieder eines verloren gehen sollte.«

Abu Homrah folgte diesem Befehl, obgleich er es nicht für ein gutes Zeichen jägerlichen Selbstvertrauens ansehen konnte, daß sein Herr von vornherein mit der Möglichkeit des nochmaligen Verlustes einer Flinte rechnete. So wanderten sie hinaus in das Dunkel, das sich eben zu lichten begann.

Selbstverständlich hütete sich Steinberg, den gestrigen Weg einzuschlagen, er ging vielmehr in entgegengesetzter Richtung.

Auch ermahnte er seinen Diener ernstlich: »Gehe lieber du voran und achte sorgfältig auf die Bodenbeschaffenheit. Prüfe den Grund behutsam, ehe du fest daraus trittst: die Sümpfe der Sahara und ihrer Oasen verhüllen sich in ganz niederträchtiger Weise in einen heuchlerischen Schein solider Tragfähigkeit. Ich bin nicht gesonnen, ein drittes Mal auf den Leim zu krabbeln.«

Sie waren nicht weit gewandert, als Steinberg plötzlich anhielt und fragte:

»Höre einmal, Peter, hast du schon einmal einen Wüstenfuchs gesehen?«

»Det will ik meenen!« lautete die Antwort.

»Aber einen echten, richtigen Wüstenfuchs?«

»Un wat vor eenen!« prahlte der Vater der Eselin.

»Wo denn?«

»Nu, det war in Schwanebeck, nich weit von Berlin. Da bin ik vierzehn Taje in die Sommerfrische jewesen. Nu hat sich dort so een Fuchs herumjetrieben un is jede Nacht in det Dorf jeschlichen un hat sich Hühnerbraten jeholt. Det is den Bauern unanjenehm jeworden, un sie haben ihm aufjelauert in eener dunkeln, rejnerischen Nacht. Sie haben ihn ooch erwischt un totjeprügelt. Am Morjen habe ik det Biest jesehen. Nee! wie hat det ausjeschaut! Mir hat ordentlich jejruselt: det Fell janz zerzaust un mit Lehm un Blut überzojen: so eenen wüsten Fuchs habe ik meen Lebtach nich wieder erblickt.«

»Nun, so sage einmal, ob das Tier dort drüben nicht ein Wüstenfuchs ist?«

Grill schaute nach der Richtung, die der Baron ihm wies und gewahrte ein zottiges rotfelliges Tier, das allerdings wüst genug aussah, auch einem Fuchs nicht unähnlich schien. Es hatte nun auch die Anschleichenden erspäht und sprang ihnen mit wütendem Gekläff entgegen.

»Det is, wenn ik mir nich irre, een leibhaftiger Fuchs!« rief Peter: »Un wüst is er ooch. Ik halte ihn daher aus juten Jründen for eenen echten wüsten Fuchs.«

Inzwischen war das verdächtige Geschöpf ganz nahe gekommen und drohte, nach dem Baron zu schnappen. Dieser streckte ihm den Flintenlauf entgegen, und das Tier biß danach. Steinberg drückte los: ein Fehlschuß war in dieser Lage unmöglich. Die Kugel fuhr in den Rachen und zerschmetterte die Wirbelsäule der unvorsichtigen Bestie, die tot zusammenbrach.

»Mausetot!« rief der glückliche Jäger, nachdem er sich mit aller Vorsicht überzeugt hatte, daß sein Opfer kein Lebenszeichen mehr von sich gab: »Das war ein Meisterschuß! Da werden meine Gefährten staunen!«

Abu Homrah schleppte die Beute ins Lager, wo ihm Münchhausen und Rommel entgegentraten, die der Schuß ermuntert hatte.

»Wie? Schon so frühe auf die Jagd gegangen?« fragte der Pascha: »Was bringen Sie denn da für ein Wild?«

Inzwischen traten auch die Zitrone und die Harmonika heran.

»Einen Wüstenfuchs!« berichtete der Baron stolz: »Das Tier war ganz rabiat und fiel mich an, doch habe ich es durch einen Meisterschuß auf die erste Kugel erlegt.«

»Das sieht ja aus, wie ein Hund!« sagte Hulda, das erlegte Geschöpf betrachtend.

»In der Tat, ein Beduinenhund!« rief der Professor lachend aus: »Hören Sie, Baron, aus diese Jagdbeute dürfen Sie sich nichts einbilden.«

»Wenn det keen wüster Fuchs is,« widersprach der Diener, »so habe ik noch nie eenen wüsten Fuchs jesehen.«

»Nun, ja,« nahm nun Münchhausen, ebenfalls lachend, das Wort: »Man könnte ja diesen rothaarigen Hund beinahe für einen Fuchs halten, und wüst genug sieht er auch aus; aber ein Wüstenfuchs ist er deshalb noch lange nicht.«

Jetzt kam ein alter Araber angerannt und klagte in Heller Wut, der Herr habe ihm seinen Hund, seinen treuen Hauswächter, gemordet. Vergebens verteidigte sich Steinberg, das Tier habe ihn angefallen, und wenn es tatsächlich kein reißendes Tier sei, so hätte es doch an die Kette gelegt werden sollen, und man hätte es nur an der Leine führen dürfen. Er mußte schließlich eine erkleckliche Summe als Schadenersatz erlegen und brauchte zu dem Schaden für den Spott nicht zu sorgen.


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