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35.
Wieder in Feindesgewalt

Nie kann ein Schurke sich auf die Genossen seiner Schandtaten verlassen: Gewissenlosigkeit kennt keine Treue. Spitzbuben halten solange zusammen, als es ihr selbstsüchtiges Interesse gebietet und als sie Furcht voreinander haben. Im Grunde aber ist jeder des anderen Feind, und wenn einer den anderen im Wege steht, so ist sein Schicksal so gut wie besiegelt.

Das sollte auch der Fakir erfahren; denn schon verschworen sich Sidi Hamed und Hadschi Mohamed gegen denjenigen, dem sie die Beseitigung aller Hindernisse, die Befreiung vom Pascha, die Unschädlichmachung seiner deutschen Gefährten und den Besitz unermeßlicher Reichtümer verdankten. Sie waren wütend, daß er mit ihnen nicht gleich geteilt hatte, sondern den Löwenanteil für sich beanspruchte und in Beschlag nahm.

Da gab es keine billigen Erwägungen: sie erkannten nicht an, daß er es eigentlich war, der allein den Weg zu der kupfernen Stadt gekannt hatte und dem sie überhaupt die Kenntnis von ihr und ihren Schätzen verdankten; sie überlegten nicht, daß ursprünglich nur er vom fernen Indien ausgezogen war, um die Schätze für sich zu heben, von denen er durch seine uralten Bücher Kunde erhalten hatte, daß er sie zu Vertrauten seines Geheimnisses gemacht und ihnen einen Teil der Beute zugesagt hatte, nur weil er ihrer zu bedürfen glaubte, um den Pascha und seine Gefährten unschädlich zu machen; sie berücksichtigten nicht, daß er schließlich auch ohne sie sein Ziel hätte erreichen können und ihre Hilfe, so wie sich die Umstände gestaltet hatten, kaum nötig gehabt hätte: im Notfall hätte er die Dienste jedes anderen Arabers der Karawane leicht erkaufen können. Sie aber hätten ohne ihn überhaupt nichts erreicht noch gewonnen. Endlich: entstammten nicht alle Pläne und Listen zur Erreichung des Zieles lediglich seinem klugen Kopfe? War nicht alles sein eigenstes Werk? Demnach mußte es nur gerecht erscheinen, wenn er, dem allein der Erfolg zu verdanken war, auch größeren Gewinn daraus zog als die Helfershelfer.

Allein, was kümmert sich der Neid um Gerechtigkeit und Billigkeit? So reich sie durch ihn geworden waren, die unersättliche Gier nach noch mehr machte sie zu seinen Todfeinden. Gerade das, was er für sich behalten hatte, erschien ihnen als das Wertvollste und Begehrenswerteste, und darin hatten sie auch recht; denn der Fakir war ein Kenner und wäre töricht gewesen, wenn er seine führende Stellung nicht benutzt hätte, um sich das Kostbarste zu sichern.

Die beiden Verschwörer beschlossen also kurzerhand, den Indier zu ermorden; denn ihm gegenüber band sie kein Eid, und er galt ihnen auch nicht als ein richtiger Gläubiger.

Als die Karawane abends, eine schwache Tagereise von der Messingstadt entfernt, lagerte, erhielten die gebundenen Deutschen kaum einen Bissen zu essen und einen Schluck zu trinken: sie sollten schon durch Hunger und Durst geschwächt sein, wenn man sie in der Wüste aussetzte, damit sie keinesfalls imstande seien, eine rettende Oase zu erreichen. Andererseits durften sie nicht Hungers sterben, solange sie bei ihren Feinden waren: das wäre Mord gewesen und daher ein Eidbruch. Daß die Aussetzung in der Einöde auf das gleiche herauskam, kümmerte die Schurken nicht im geringsten, da sie sich nur an den Buchstaben ihres geleisteten Schwures gebunden hielten.

Gegen Morgen schlichen sich Hamed und Mohamed zum Indier, welcher fest schlief. Während der Hadschi dem Schlummernden ein Tuch in den Mund stopfte, damit er keinen Laut von sich geben könne, stieß ihm Sidi Hamed ein Messer in die Brust. Den zum Tode Verwundeten hielt Mohamed nieder, während sein Mordgeselle ihn gründlich ausplünderte, unter schadenfrohen Hohnreden: »O edler Abd ul Hagg, du strahlende Leuchte Indiens, du Perle des Islams! Da Allahs Güte dich jetzt schon ins Paradies beruft, bedarfst du der nichtigen irdischen Schätze nicht länger, die ein Frommer und Weiser, wie du, überhaupt für nichts achten sollte. Deine unendliche Großmut wird sich freuen, uns, deine getreuen Gefährten, zu deinen Erben einsetzen zu dürfen. Es schmerzt uns tief, von dir scheiden zu müssen, mit dem uns die innigste Freundschaft verbindet. Wenn aber Allah, der Allgütige, bei dem kein Ding unmöglich ist, in seinem unerforschlichen Ratschluß beschlossen haben sollte, daß die Wunde in deinem Herzen heile und du wiedergenesest, um noch länger in dieser elenden Welt der Vergänglichkeit zu wandeln, und deinen Mitmenschen das Vorbild der Tugend und Entsagung zu geben, so mögest du ein Liebling des Glückes werden: mögen tausend und ein Kamel aus deinem Landgute werden, mögen die Wohlgerüche der Rosen und des Jasmins in deinen Gärten niemals zu duften aufhören, und der Gesang Bülbüls in deinen Wäldern nie verstummen!«

Des Indiers wutverzerrte Züge und grimmig rollende Augen bewiesen, daß er den Spott so qualvoll empfand wie die Todeswunde. Dann aber verloren seine Blicke rasch ihren Glanz und erstarrten.

Plötzlich horchten die beiden Araber hoch auf.

War das nicht Pferdegetrappel? Offenbar! Und die Reiter mußten ganz nahe sein; denn im Sande der Wüste hört man den Huf der Rosse nicht weit.

Und da jagten sie schon daher, die Reiter, teils auf Kamelen, teils auf Gäulen.

Es waren ganz unheimliche Gestalten, seltsame Ritter mit geschlossenen Visieren. Die einen waren in Lederpanzer gekleidet, die andern ganz in weiße Tücher gehüllt, die im Mondschein gespenstisch leuchteten. Die Angesichter waren durch einen Gesichtslappen, der unmittelbar unter den Augen begann und aus schwarzem Wollstoff bestand, und durch einen ebensolchen Stirnlappen, der bis zu den Augen herabfiel, vollständig verschleiert, bis auf den schmalen Schlitz zwischen beiden, der nur die Augen frei ließ.

Der Anführer ritt einen schwarzen Hengst, von dessen Rücken ein schwarzer Teppich herabhing, mit einem großen weißen Kreuz in der Mitte; auch seinen Sattel schmückte ein geschnitztes Kreuz.

»Die Christen der Wüste!« stammelte Hamed entsetzt.

»Bei Allah! Die Tuareg!« rief Mohamed erbleichend aus.

Es waren in der Tat Tuareg oder Amoscharh, wie sie sich selber nennen, Wüstenräuber, die weit tapferer und gefürchteter sind als die Beduinen. Jeder hatte an seinem Reittier neben dem Sack mit Lebensmitteln einen leeren Ledersack hängen, bestimmt, die Beute aufzunehmen, auf die er auszog.

Dieses interessanteste, aber auch gefährlichste Volk der Wüste stammt von den alten Libyern und Numidiern ab, und unmittelbar von christlichen Berbern. Es hat jedoch den Islam angenommen, wenn es auch heute noch mit dem Zeichen des Kreuzes prahlt, seinen Gott »Mesiah« und seinen Engel »Anyelus« heißt, und von den Arabern »Die Christen der Wüste« genannt wird.

Schwer bewaffnet waren sie alle: sie trugen Gewehre und drei Meter lange Lanzen mit furchtbaren Widerhaken. Am Sattel hing noch ein kürzerer Wurfspeer.

Hatte der Schrecken den Hadschi und den Scherif aller Überlegung beraubt, oder lagen ihnen die Schätze, die sie durch die Ermordung des Fakirs soeben in ihren alleinigen Besitz gebracht hatten, so sehr am Herzen, daß sie lieber ihr Leben als diese verloren? Kurz, sie waren so wahnsinnig, sich gegen die anstürmenden Tuareg zur Wehr zu setzen: so ereilte sie beide das unvermeidliche Schicksal, durch zwei Lanzenstiche durchbohrt zu werden und ihr Leben aushauchen zu müssen, ehe sie die Früchte ihres Bubenstücks genießen konnten. Die aus dem Schlafe geschreckte Karawane leistete wenig Gegenwehr; wer es tat, wurde niedergemacht, die übrigen wurden gebunden.

Mit Erstaunen entdeckte der Scheich der Tuareg die gefesselten Europäer und Mahmud. Der Professor redete ihn sofort an:

»O großmütiger Scheich, ich bin ein Nemza, ein Deutscher, und meine Begleiter stammen ebenfalls aus Germanistan, bis auf diesen treuen Araber, Mahmud. Man nennt euch die Christen der Wüste, und das Licht des Nachtgestirns enthüllt mir das Zeichen des heiligen Kreuzes auf deiner Satteldecke. Auch wir sind Christen! Beweise deinen Edelmut und gib uns frei, die wir die Opfer eines Bubenstücks sind.«

Der Scheich lächelte nur über dieses naive Ansinnen und entfernte sich, zur Verteilung der Beute.

Wie staunte er, als er die reichen Schätze an Gold und Edelsteinen entdeckte, die bei den Toten und Gefangenen gefunden wurden: solche Beute hätte er wahrhaftig nie erträumt.

Als er erfuhr, daß diese Kleinodien aus der Messingstadt stammten, beschloß er, sich dorthin zu begeben.

Noch nie hatte er seine Raubzüge nach dieser Richtung so weit ausgedehnt, wie diesmal. Dunkle Gerüchte über die Messingstadt gingen auch in seinem Stamme um, aber über ihre Lage war niemand etwas bekannt. Nun war er hocherfreut, von den gefangenen Arabern zu vernehmen, daß die Wunderstadt nur eine schwache Tagereise von hier entfernt sei: das konnte ja für ihn und seine Leute fortan eine Fundgrube unermeßlicher Reichtümer werden, die obendrein ohne Kampf und Gefahr zu gewinnen waren.

Er machte sich sofort auf den Weg. Die Gefangenen wurden mitgeschleppt, die Toten in der Wüste gelassen.

Der Fakir hatte gestern morgen die Richtung nach Westen eingeschlagen, da seine Karte, die er wieder an sich genommen hatte, ihm zeigte, daß er so am bäldesten bewohntes Land erreichen könne, ohne durch lange und lebensgefährliche Durststrecken hindurch zu müssen. Von Westen waren auch die Tuareg gekommen: nun ging es daher nach Osten.

Gegen Mittag kam die Messingstadt in Sicht, die noch vier Stunden entfernt sein mochte.

Nun aber bedurften die Tuareg nach langer Anstrengung und durchwachter Nacht dringend der Ruhe und des Schlafes.

Es zogen sich hier einige hohe Sanddünen durch die Wüste. Zwischen zweien derselben wurde gelagert. Zur Bewachung der Gefangenen wurden zwei Mann aufgestellt; die übrigen legten sich nach kargem Mahl zur Ruhe nieder.

Die Schar war übrigens auffallend klein: im ganzen nur zwölf Mann mit dem Führer. Aber der Targi, wie die Einzahl von Tuareg lautet, ist, wie gesagt, kühn und mutig, sowie vorzüglich bewaffnet, während auch große Karawanen meist wenig kriegerische Leute zählen: so wagte sich dieser besonders tapfere Scheich oft mit wenig Mann auf die größten Unternehmungen, zumal er seine Angriffe auf die Nacht verschob, wo die schlafenden Wüstenreisenden leicht zu überwältigen waren, wenn sie sich auch in stattlicher Übermacht befanden.

Gegen Sonnenuntergang sollte aufgebrochen werden, um noch in der Nacht die Oase vor der Stadt zu erreichen.

Die Gefangenen lagen alle beieinander, wie es sich von selber verstand, schon der leichteren Überwachung wegen. Die Kameltreiber und Aufseher bekundeten eine so lebhafte und aufrichtige Reue über ihr meuterisches Verhalten, daß der gute Professor ihnen Vergebung und Straflosigkeit zusicherte, wenn sie künftig unbedingten Gehorsam leisten und Treue halten würden. Sie waren ja schließlich nur die Verführten, Belogenen und Geschobenen. Sie berichteten nun auch, was sie von den Tuareg erfahren hatten, nämlich daß Hamed und Mohamed neben dem, jedenfalls von ihnen erstochenen Fakir getroffen worden seien, sich zur Wehr gesetzt und ihr Ende gefunden hätten.

»Dö san wohl hin!« brummte Franzl: »Da indisch Tropf hot uns kaput machen wölln: dös is jetz klar wie Wurstbrühen! Den guten Pascha hot a abg'murkst oda oang'sperrt in da Mössingstodt, daß a vahungat und vadurst. Aba frei muß i werrn, bloß daß i an suchen kann. Da Hamed und da Mohamed hamm da Fakir derstochen, vun wegen ihra Hobsucht, daß sö am nix gunnt hamm vun dö g'stohlenen Schätz: dös loßt sö eh z'sommenreimen. Wann s' jetz aa um's Leben kummen san, nachher is dös a göttlichs Strofg'richt, und da Franzl hot nix dagegen, vun wegen, daß sö aa Spitzbuam g'west san, hoallose. I hätt' eahna zwor eahnda an Orden geben vur dös, daß sö uns vun dön indischen Holunken b'freit hamm, – drum bin holt i a sündiga Mensch und nit unsa Herrgott!«

»Heute Nacht,« flüsterte die Harmonika eifrig, »wenn wir in der Oase vor der Messingstadt lagern, wo die Tuareg zweifellos Rast halten, befreie ich mich; und dann mache ich euch alle frei. Ich wollte dies schon letzte Nacht tun, da erschienen jedoch die neuen Räuber, als ich eben ans Werk gehen wollte.«

Das war doch eine Aussicht! Vielleicht ließen sich dann die Feinde ohne große Mühe überwältigen, mit Hilfe der ebenfalls entfesselten Araber.

Die Wachen wurden abgelöst, und zwei Stunden darauf erfolgte der Aufbruch, noch vor Sonnenuntergang.

Um Mitternacht wurde die Oase erreicht, und die Tuareg legten sich wieder zum Schlafe nieder, bis auf zwei Wächter für die Gefangenen.

Bald herrschte tiefste Stille im Lager, und die Harmonika machte sich mit aller Vorsicht an ihr Befreiungswerk, ohne zu ahnen, was in ihrem Rücken vorging.


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