Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

14.
Des Professors Wunderkuren

Der Pascha hatte immer noch mit dem Abschluß der Verträge zu tun, durch welche die Oase Kufra unter die Oberhoheit des ägyptischen Vizekönigs gebracht werden sollte. Die Leute waren einsichtig, und Münchhausen wußte ihnen die Vorteile eines mächtigen Schutzes so einleuchtend zu machen, daß sie sich gerne zum Anschluß an Ägypten bereit finden ließen. Eine Belebung des Handels, vorteilhafterer Absatz ihrer Erzeugnisse, wirksamer Schutz gegen räuberische Überfälle, – das schien ihnen wohl wert, eine mäßige Abgabe zu entrichten und eine Besatzung des Khediven zu dulden und zu unterhalten.

Da die Oase jedoch von vielen selbständigen, weit zerstreuten Stämmen bewohnt wurde, brauchte es Zeit, bis die Abgesandten überall hin gelangten und die Bevollmächtigten im Lager Hussein Paschas eintrafen, um den Vertrag zu unterschreiben.

Professor Rommel benutzte die Zeit, um seinen Altertumsforschungen nachzugehen, die selbst in diesen abgelegenen Gegenden inmitten der Wüste nicht umsonst waren, vielmehr recht befriedigende Ergebnisse für Abu Ramleh zeitigten. Besonders interessant erschienen dem Professor die zahlreichen alten Topfbauten der Oase, aus denen er schloß, daß Kufra schon im Altertum unter ägyptischer Herrschaft gestanden habe. Die Wände dieser Bauten waren aus gewöhnlichen Wasserkrügen und Topfscherben aufgeführt, deren Zwischenräume mit Ton verstrichen waren.

Aber eine noch ganz andere Tätigkeit entwickelte der Gelehrte, die ihn lebhaft in Anspruch nahm. Als vorsichtiger Mann hatte er sich für etwaige Krankheitsfälle mit allerlei Arzneimitteln vorgesehen, die er in einer Reiseapotheke mit sich führte.

Die Eingeborenen leben der Überzeugung, daß jeder Europäer, namentlich aber die Gelehrten, die geborenen Hakims, das heißt Ärzte oder Heilkundigen, seien, und so konnte es nicht wundernehmen, daß hier, wie schon anderwärts, die Araber ins Lager kamen, die mit irgend einem Leiden behaftet waren, das nicht von selbst besser werden wollte und ihrer hergebrachten Hausmittel, sowie der Kunst ihrer einheimischen Ärzte oder vielmehr Kurpfuscher spottete. Diese Heilung Begehrenden wurden stets zu Abu Ramleh gewiesen, da jedermann in der Karawane wußte, daß er allein Arzneien besaß, und sich, wie alle glaubten, auf die Heilkunde verstand.

Da kam ein junges Mädchen, das sich über beständige Kopfschmerzen beklagte. »Heute ist Montag,« sagte Rommel und gab ihr Chinin. Als sie am Freitag wieder kam und sagte, das Mittel habe gewirkt und die Schmerzen hätten wesentlich nachgelassen, seien jedoch noch nicht ganz geschwunden, er möge ihr das gute Mittel nochmals verabreichen, sagte der Professor: »Halt! Das geht nicht: da mußt du in drei Tagen wiederkommen. Heute ist Freitag: mache kalte, nasse Umschläge um den Kopf und um den Bauch, das wird dir helfen!«

Am nächsten Montag kam die Patientin wieder und erklärte, die Umschläge hätten Wunder gewirkt, sie habe sie diese drei Tage lang fortgesetzt, triefend naß, und der Kopfschmerz sei völlig gewichen, doch möchte sie zur Vorsicht, und damit die Wirkung anhalte, nochmals das erste Mittel nehmen.

»Wohl!« sagte der Wunderdoktor: »Du sollst es haben, denn heute ist wieder Montag.« Und er gab ihr das gewünschte Chinin.

Am Donnerstag kam ein alter Araber und beschwerte sich über ein Magenleiden. Rommel gab ihm ein starkes Brechmittel, das sofort derart wirkte, daß der Greis vermeinte, der Magen sei ihm umgestülpt worden. Ganz glücklich über eine so hervorragende Arznei, verkündete er alsbald im ganzen Dorf, er sei ein langwieriges Leiden mit einem Schlage los geworden: der Rumih sei wahrhaftig der geschickteste und gelehrteste Arzt der Welt und verfüge über wahre Zaubermittel.

Kein Wunder, daß sich des Professors Ruf bald über die ganze Oase verbreitete und die Kranken von weit her kamen, um sich seinen Wunderkuren zu unterziehen.

An einem Dienstag erschien ein Scheich, der sich seit Wochen krank fühlte, ohne sagen zu können, wo es ihm eigentlich fehle. Er bekam ein Abführmittel, das eine ganz gewaltige Wirkung ausübte. Sehr erleichtert verließ er das Lager und fühlte sich in der Tat seither geheilt.

Am Samstag kamen zwei Frauen. Die eine klagte über Gliederschmerzen, die andere über einen bösen Geist, der sie innerlich peinige, und zwar in der Brust. Beiden verabreichte der Professor eine Salbe.

Heute waren Münchhausen, die Harmonika und die Zitrone gerade in der Sprechstunde, die vor Rommels Zelt stattfand, zugegen.

Als sich die beiden Leidenden mit ihrer Salbe entfernt hatten, sagte Baronesse Hulda: »Herr Professor, ich bewundere Ihren ärztlichen Scharfblick, der sofort, ohne Untersuchung erkennt, was den Kranken fehlt, und Ihre hervorragenden medizinischen Kenntnisse und Erfahrungen, die es Ihnen ermöglichen, in der Wahl Ihrer Mittel nie fehl zu greifen und ohne langes Nachdenken stets das richtige und wirksamste zu treffen. Umso mehr überrascht es mich, daß Sie zwei Leidenden, die doch offenbar wesentlich verschiedene Krankheiten haben, das gleiche Mittel gaben. Verstehen Sie mich recht: nichts liegt mir ferner, als Ihre ärztliche Weisheit in Zweifel zu ziehen; Sie haben selbstverständlich Ihre wohlerwogenen und maßgebenden Gründe hiezu; aber es würde mich gar zu sehr interessieren, diese Gründe kennen zu lernen und mich von Ihnen belehren zu lassen. Wollen Sie nicht meine Neugier befriedigen?«

Die Harmonika brach bei diesen Worten in ein lustiges Gelächter aus, das ihr einen verweisenden Blick ihres Bruders und einen verwunderten Blick der Zitrone eintrug.

Münchhausen aber wandte sich ebenfalls an den Professor: »Fräulein Hulda hat recht. Man sollte ja meinen. Sie hätten Medizin studiert, und gewiß haben Sie sich mit dieser Wissenschaft eingehend beschäftigt. Ihre großartigen Erfolge sind über jeden Zweifel erhaben und beweisen unwiderleglich Ihr ärztliches Können. Aber ich hatte schon öfter Gelegenheit, Ihren Sprechstunden anzuwohnen, und da schien es mir, als ob Ihre Verordnungen etwas Eigentümliches an sich hätten, ich möchte sagen, etwas Regelmäßiges. Es ist mir aufgefallen, daß Sie für die verschiedenartigsten Leiden das gleiche Mittel anwandten und wiederum für die gleichen Krankheiten die verschiedensten Arzneien. Geholfen hat es ja meist, aber ein Rätsel bleibt es mir immerhin.«

Der Professor entgegnete mit Würde: »Sie haben ganz richtig beobachtet, werter Abu el Futha! Es liegt System in meiner Behandlungsweise, dazu bin ich ein Mann der Wissenschaft. Nur in Einem irren Sie alle beide, wenn Sie nämlich voraussetzen, ich hätte mich jemals mit der edlen Heilkunde beschäftigt. Es ist wahr, ich habe eine Hausapotheke bei mir; denn fern von jedem Arzte, muß man doch für etwaige Krankheitsfälle vorgesehen sein, das werden Sie zugeben. Leider jedoch ist mir die Arzneimittellehre ein böhmisches Dorf: ich habe keine blasse Ahnung von dem Wesen und der Wirkungsweise irgend einer meiner Arzneien, und ahne daher überhaupt nicht, gegen welche Krankheiten sie anzuwenden sind. Doch tröste ich mich damit, daß diese Kenntnis für mich durchaus wertlos wäre, denn ich verstehe auch von den Krankheiten rein gar nichts, und bin nicht in der Lage, zu beurteilen, was den Hilfesuchenden eigentlich fehlt.«

Der Pascha schüttelte verwundert den Kopf, die Zitrone aber rief: »Nein! so was! Und das sollen wir nun glauben? Aber so sagen Sie uns doch, nach welchen Gesichtspunkten Sie Ihre Mittel verordnen, und wieso ihre Wirkung eine so verblüffend heilsame ist?«

»Gesichtspunkte brauche ich selbstverständlich,« erwiderte der Gelehrte. »Das sagte ich mir gleich, als die Eingeborenen begannen, meine Apotheke in Anspruch zu nehmen. Da ich nun, wie gesagt, weder von den Krankheiten noch von den Arzneien das geringste verstehe, habe ich mir ein eigenes System erfunden, das äußerst einfach und praktisch ist und jeden Mißgriff ausschließt. Statt für jedes Leiden ein besonderes Mittel zu geben, was schon deshalb seine Schwierigkeiten hätte, weil ich ja eben die Leiden nicht zu erkennen und zu beurteilen vermag, viel weniger ahne, welches Mittel bei ihnen anzuwenden ist, behandle ich meine Patienten nach dem Kalender: ich habe für jeden Wochentag ein bestimmtes Mittel angesetzt: wer am Montag kommt, erhält Chinin; wer am Dienstag meine ärztliche Tätigkeit in Anspruch nimmt, ein Abführmittel. Mittwochs verabreiche ich ausschließlich Pepsin, Donnerstags ein Brechmittel, Freitags verordne ich kalte Umschläge und Samstags bekommen meine Patienten eine Salbe zum Einreiben. Ich habe deren verschiedene, da ich jedoch ihre Eigenschaften nicht kenne, gebe ich sie wahllos her. Für den Sonntag habe ich kein Mittel; allein das schadet nichts, denn, da der Sonntag Feiertag und Ruhetag ist, halte ich an diesem Tage keine Sprechstunde.«

Münchhausen lachte, daß sein wohlgerundeter Leib wackelte: »Ausgezeichnet!« rief er. »Das ist eine ärztliche Behandlungsweise, die Doktor Eisenbarth Ehre machen würde, und wert wäre, von mir erfunden worden zu sein! Und dabei haben wir immer die medizinische Sachkenntnis und Sicherheit des Professors bewundert und den ehrfürchtigsten Respekt vor seinen hervorragenden ärztlichen Kenntnissen gehegt! Na! Sie haben uns schön hinters Licht geführt!«

»Aber die Erfolge!« rief Hulda immer noch zweifelnd: »Die großartigen Erfolge Ihrer Kuren, wie sind die zu erklären, wenn Sie wirklich Ihre Mittel nur so aufs Geratewohl abgaben.«

»Ja, ja!« brummte Rommel nachdenklich: »Die oft verblüffend heilsame Wirkung meiner Verordnungen ist mir stets selber ein Rätsel geblieben. Aber wer sagt Ihnen denn, daß nicht die ganze ärztliche Wissenschaft bisher auf einem Holzwege wandelte? Ihre Mißerfolge sind so zahlreich, daß dieser Gedanke durchaus nicht von der Hand zu weisen ist. Dann hätte eben mein Scharfsinn ohne Vorkenntnisse das einzig Richtige getroffen, nämlich, daß die einzelnen Heilmittel nicht gegen bestimmte Leiden, die man ja doch meist nicht mit Sicherheit erkennt, sondern nur an bestimmten Wochentagen wirksam sind. Und der Zufall oder mein genialer Instinkt hätte mich gleich für jeden Tag das richtige Mittel finden lassen.«

»Nein, nein!« lachte der Kapitän: »Ihr Genie in allen Ehren; als Altertumsforscher stellen Sie Ihren Mann. Allein, daß Sie nun durch Ihr Doktor-Eisenbarthsches Kalenderheilsystem eine Umwälzung der medizinischen Wissenschaft herbeiführen werden und den Stein der Weisen gefunden haben, wie ein blindes Huhn ein Korn finden kann, das werden Sie uns doch nicht aufbinden. Eher will ich glauben, daß die gewaltige Macht der Einbildung Ihnen zu Hilfe kommt. Es ist allgemein bekannt, daß das Vertrauen, das man zu einem Arzte hegt, eine ganz wesentliche Heilkraft ausübt. Nun, Sie genossen als Europäer von Anfang an das Vertrauen dieser Araber, als müßten Sie sich auf das Heilen von Krankheiten vortrefflich verstehen. Dieser Glaube tat Wunder, und infolge dieser Wunderkuren wurde das Vertrauen zu Ihrer unfehlbaren Kunst und Ihren zauberhaft wirkenden Mitteln ins Ungemessene gesteigert, so daß die Gläubigen, die sich in Ihre Behandlung begeben, schon so gut wie geheilt sind.«

»Ich neige auch zu Ihrer Ansicht,« mischte sich nun die Harmonika ins Gespräch. »Daß mein Bruder von der Heilkunde nichts versteht, war mir genau bekannt. Sein merkwürdiges System hat er mir ja nicht verraten, ich habe ihn auch nie darum befragt, doch brachte ich durch Beobachtung bald heraus, nach welchen Grundsätzen er seine spärlichen Mittel verabreichte. Ich selber habe übrigens schon mehrere Fälle miterlebt, wo die Einbildung, oder, wenn Sie das vorziehen, das Vertrauen, wahre Heilungswunder zeitigte. Ein Fall war mir besonders merkwürdig und wenn er nicht unzweifelhaft feststünde, wäre ich versucht, ihn für eine unglaubliche Fabel zu halten.«

»Laß hören!« bat die Zitrone.

»Gerne! Aber ich schicke nochmals voraus, er klingt so wunderbar, daß er leicht Zweifel erregt. Ich verbürge mich jedoch für seine Richtigkeit, denn ich kenne die Personen und könnte sie alle nennen, auch war ich zugegen, als sich das Wunder zutrug. Also: es war in einem Dorfe des württembergischen Oberamts Öhringen, im Frankenlande, da litt ein Bauer, den ich kenne, an Magenkrebs. Der Arzt mahnte ihn öfters, sich operieren zu lassen, sonst sei er verloren. Der Mann scheute jedoch die Operation. Zuletzt bekam er aber so unerträgliche Schmerzen, daß er sich dennoch entschloß, nach Tübingen zu reisen, um sich operieren zu lassen.

»Dort wurde er in der chirurgischen Klinik chloroformiert und sein Magen geöffnet. Als der Professor jedoch einen Blick hinein getan hatte, schüttelte er den Kopf. Er zeigte den Fall den anwesenden Assistenzärzten und Studenten, und erklärte, es wäre Wahnsinn, hier noch irgend einen Eingriff versuchen zu wollen: die Erkrankung sei derart fortgeschritten, daß lediglich nichts mehr zu machen sei. Der Mann sei unrettbar verloren und habe im günstigsten Fall noch einige Wochen unter gräßlichen Qualen zu leben. Wenn das erlaubt wäre, so würde die Menschlichkeit gebieten, ihn nicht mehr aus der Narkose, aus der Betäubung, erwachen zu lassen.

»Auf die Operation wurde also verzichtet; doch, um dem Mann seine letzten Lebenstage nicht durch Hoffnungslosigkeit zu erschweren, wurde ihm nach seinem Erwachen mitgeteilt, sie sei vollzogen worden und vorzüglich gelungen. Mit diesem Trost wurde der Todeskandidat heimgeschickt, sobald er reisefähig erschien.

»Etwa zwei Jahre später kam einer der Assistenzärzte, die damals bei der unterbliebenen Operation zugegen waren, in das Heimatdorf jenes Krebskranken. Da erblickte er einen Bauern, der ihm merkwürdig bekannt vorkam: war das nicht der Krebskranke, der seit zwei Jahren tot sein mußte? Er redete ihn an: ›Hören Sie einmal! Sie haben eine ganz auffallende Ähnlichkeit mit einem Manne, der an Magenkrebs litt, und vor zwei Jahren nach Tübingen kam, um sich operieren zu lassen. Sollte das ein Bruder von Ihnen gewesen sein?‹

»Der Mann lachte, und sagte: ›Nein! Das war ich selbst: die Operation ist ausgezeichnet gelungen; ich spüre seither nicht die geringsten Schmerzen mehr und bin wieder völlig gesund. Ich kann nur jedermann, der an Krebs leidet, raten, sich unverzüglich operieren zu lassen.‹

»Nun,« schloß Fräulein Rommel: »Dieser Bauer war geheilt, und blieb andauernd gesund. Kein Arzt, kein berühmter Professor der Medizin konnte ihm helfen. Aber was keine ärztliche Kunst vermochte, das brachte die Einbildung zuwege. Ich denke, sie ist es, die auch meinem Bruder seine wunderbaren Erfolge verschafft. Dabei ist es nicht ausgeschlossen, daß zuweilen auch die verordneten Mittel die heilsame Wirkung hervorbringen, ganz ohne sein Verdienst.«

Mochte dem sein, wie ihm wollte, jedenfalls hinterließ Professor Rommel bei den Eingeborenen der Oase Kufra den Ruf eines ganz hervorragenden Arztes, ja eines wahren Wunderdoktors.


 << zurück weiter >>