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18.
In der Gefangenschaft der Beduinen

Viel schneller als sie gedacht hatten, war den Wüstenräubern eine reiche Beute in die Hände gefallen.

Vorerst hatte es keinen Zweck und war auch untunlich, den Raubzug fortzusetzen; vor allem mußte die Beute mitsamt den Gefangenen in die Oase verbracht werden, wo der Stamm zurzeit sein Lager hatte, und wo die Frauen, Greise und Kinder zurückgeblieben waren. Dann würde der Gewinn an Gütern und Kamelen verteilt. Für die Gefangenen sollte aber ein möglichst hohes Lösegeld erpreßt werden. Doch das hatte noch Zeit.

Der Pascha glaubte, den Scheich zur Rücksicht zu stimmen, indem er ihm erklärte, er reise im Auftrag des Khediven. Allein er sollte bald einsehen, daß dies auf den Beduinen nicht den geringsten Eindruck machte: was ging ihn der Vizekönig von Ägypten an? Er war ein freier Räuber, der keinen Oberherrn anerkannte und die zweifelhafte Macht des entfernten Herrschers verlachte, die keinesfalls bis in diese Einöde reichte. Ganz im Gegenteil erschien ihm nun der Fang noch viel aussichtsreicher, denn der Khedive war doch eine Persönlichkeit, die ein hohes Lösegeld zu zahlen vermochte und dies gewiß auch tun würde, um seine Leute aus der Gefangenschaft zu befreien, zumal sich eine so gewichtige Persönlichkeit unter ihnen befand.

Auf andere Art hatte Abd ul Hagg gehofft und versucht, die Freiheit für sich und seine beiden Gefährten zu erlangen. Aber auch er sah sich in seinen Erwartungen betrogen.

»Großmächtiger Scheich!« hatte er begonnen, als ihm der Anführer der Räuber die nachgesuchte Unterredung gewährte, in der er ihm wichtige Geheimnisse zu eröffnen versprach: »Allah erhalte dir Gesundheit und schenke dir langes Leben und Sieg über alle deine Feinde. Gepriesen sei er, daß er diese ungläubigen Hunde in deine Gewalt gab, die auch unsre Feinde sind, meiner und meiner Getreuen. Denn wir dienen ihnen nur zum Schein und sannen immer auf ihr Verderben, weil der Prophet befohlen hat, die Verächter unseres allein wahren Glaubens auszurotten.

»Aber nicht nur um ihres Unglaubens willen, sondern auch wegen ihrer abscheulichen und für uns schädlichen Absichten müssen sie vernichtet werden und solltest du sie ohne Gnade töten lassen. Denn wisse, daß dieser ungläubige Pascha ausgezogen ist, um die Messingstadt zu entdecken.«

»Die Messingstadt?« fragte Habibi gespannt: »Ich habe von ihr gehört: es gehen Sagen und Märchen unter uns um von dieser wunderbaren Stadt mit ihren unermeßlichen Schätzen, die in der tiefsten Wüste verborgen liegt, so daß kein Mensch ihr beikommen kann. Ich dachte, das seien alte Fabeln, wie so viele andere, und in Wirklichkeit sei die Wunderstadt gar nicht vorhanden. Glaubst du an sie?«

»Ich glaube nicht nur an sie, ich weiß gewiß, daß sie besteht, ja, ich kenne den Weg, der zu ihr führt und besitze genaue Aufzeichnungen über ihre Lage,« eiferte der Fakir unvorsichtig.

»Allah sei gepriesen!« rief der Scheich: »Da habe ich ja an dir und deinen Gefährten noch einen besseren Fang gemacht, als an dem Pascha und den Seinen! Euch hätte ich vielleicht als gläubige Moslem und arme Schlucker, von denen doch kein Lösegeld zu erwarten ist, frei gelassen. Nun ich aber weiß, daß ihr mir den Weg zu den unermeßlichen Reichtümern der Kupfernen Stadt weisen könnt, lasse ich euch um keinen Preis mehr los, auch gegen kein noch so hohes Lösegeld: ihr müßt mir zu den Schätzen verhelfen.«

»Das werden wir nicht tun!« knirschte der Indier.

»O, ich werde euch schon zu zwingen wissen!« höhnte Habibi.

Abd ul Hagg sah zu spät ein, daß er diesmal, in der Meinung, besonders schlau zu Werke zu gehen, die größte Torheit begangen hatte: vielleicht hätte ihn der Beduine tatsächlich ohne weiteres frei gegeben mit Hamed und Mohamed, da er in der Tat nicht viel von ihnen erwarten durfte. Und wenn das auch nicht der Fall gewesen wäre, so war Hussein Pascha doch ein so edler Mann, daß er gewiß dafür gesorgt hätte, daß auch für sie das verlangte Lösegeld gezahlt würde. Nun aber hatte der Indier durch den Verrat eines Geheimnisses, durch das er die Freiheit zu erlangen hoffte, gerade das Gegenteil erreicht, nämlich den Verlust jeder Aussicht auf Freilassung und dazu den Verlust der erhofften Beute aus der geheimnisvollen Stadt.

Die Beduinen wollten den Tag über hier rasten und erst morgen die Heimreise antreten, denn ihre Oase war drei Tagereisen entfernt, und sowohl sie, wie die meisten Kamele, konnten einen Ruhetag wohl brauchen, ehe sie den immerhin anstrengenden Ritt unternahmen.

Der Scheich beschloß jedoch, mit einigen Begleitern schon heute den Heimritt anzutreten, um einige Vorbereitungen zu treffen für die unerwartet frühe, beutereiche Rückkehr. Er hatte beabsichtigt, Münchhausen, Rommel und Steinberg, als die wichtigsten seiner Gefangenen, gleich mitzunehmen, da er mit zehn Mann die drei sicherer bewachen konnte, als dies im Lager der Fall war, wo die Gefangenen seine Leute an Zahl übertrafen, obgleich ihnen auch hier, gefesselt und gut bewacht, wie sie waren, keine Aussicht auf Entkommen winkte. Da er nun aber die Überzeugung gewonnen hatte, daß der Fakir, der Scherif und der Hadschi noch viel wertvoller für ihn seien, zog er es vor, diese mitzunehmen, ein neuer Nachteil, den Abd ul Haggs Torheit für ihn selber und seine Spießgesellen zeitigte. Mehr als drei Gefangene wollte Habibi vorsichtshalber nicht mitschleppen, schon um nicht unnötig aufgehalten zu werden.

Erst als dieser Vortrupp abgeritten war, bemerkte der Pascha das Fehlen von Grill und Billinger.

Die Gefangenen lagen alle eng beieinander, um leichter bewacht werden zu können, so daß es auffallen mußte, die beiden in ihren Reihen zu vermissen.

»Wo sind denn Ihre Diener geblieben?« fragte der Kapitän den Baron und den Professor, die zu seinen Seiten lagen.

Beide mußten gestehen, daß sie über deren Verbleib nichts wußten, sie auch heute noch nicht gesehen hätten. Sie hatten bisher angenommen, es sei den treuen Seelen eben nicht anders gegangen, als ihnen selbst, und sie lägen wohl etwas abseits unter den Arabern. Nun mußten sie sich durch Umschau überzeugen, daß sie weit und breit nicht zu sehen waren. Auch hätten sie gewiß, wenn sie unter den Gefangenen sich befunden hätten, schon längst ein Lebenszeichen von sich gegeben mit ihren weithintragenden Stimmen.

»Sie werden doch nicht ihr Leben verloren haben bei dem Überfall?« meinte Rommel besorgt: »Sie wären die einzigen Opfer, und es wäre jammerschade gerade um diese biedern und tapfern Genossen.«

»Eben ihre Biederkeit und Tapferkeit läßt mich das Schlimmste befürchten,« begann Münchhausen wieder: »Es ist gar nicht unwahrscheinlich, daß sie sich zur Wehr setzten und erschlagen wurden. Jedenfalls ist es höchst bedenklich, daß sie allein nirgends zu schauen sind.«

»Wir müssen die Beduinen nach ihrem Verbleib fragen,« schlug Steinberg vor, der nun auch um das Geschick seines treuen Kammerdieners in ernstliche Sorge kam.

»Unter keinen Umständen!« widersprach der Pascha: »Es ist immerhin möglich, daß sie Mittel und Wege fanden, der Gefangennehmung zu entgehen, und dann dürfen unsere Feinde nicht ahnen, daß zwei von uns fehlen und entkommen sind, sonst würden sie ihre Spuren aufsuchen und sie vermutlich entdecken; denn es ist kaum anzunehmen, daß sie sich weit entfernten, wenn ihnen wirklich ein Entweichen glückte. Wir würden also durch unsere Nachfrage nach ihnen nur zu ihren Verrätern und Verderbern.«

»Aber wie sollten sie dem Überfall entgangen sein?« fragte der Professor zweifelnd.

»Wie?« entgegnete Münchhausen. »Ja, das ist mir freilich ebenfalls unklar. Trotzdem müssen wir auch mit dieser unwahrscheinlichen Möglichkeit rechnen und uns demgemäß vorsichtig verhalten. Übrigens hoffe ich, auf unverfängliche Weise möglichst sichere Auskunft zu erhalten.«

Abu el Futha rief bei diesen Worten einen der Wächter herbei und fragte ihn: »Allah sei mit dir um deiner Güte willen! Da deine Güte leuchtet wie der Morgenstern, so gestatte mir eine Frage und beantworte sie mir als ein Gläubiger, der jede Lüge verabscheut, als eine Sünde wider den Höchsten und seinen Propheten. Sage denn, wie viele der Unseren sind in dem Kampfe heute Nacht gefallen oder verwundet worden?«

Der Beduine lachte: »Gefallen ist keiner,« erwiderte er: »Einen Kampf hat es ja gar nicht gegeben. Unsere Tapferkeit hat euch so verzagt gemacht, daß ihr euch nicht zu wehren vermochtet. Nur drei Kamelführer haben schwachen Widerstand versucht und trugen einige leichte Wunden davon, zur Strafe ihrer Frechheit. Ihre Verletzungen sind aber nicht der Rede wert: wir haben sie verbunden, und alle drei liegen bei den andern.«

»Keine Toten und keine Schwerverwundeten?« rief der Professor: »Das ist ja unglaublich!«

»Dennoch ist es so,« entgegnete der Wächter stolz: »Wer unsern Heldenmut und unsere Unüberwindlichkeit kennt, findet es nicht unglaublich. Ihr könnt es von jedem andern erfahren, daß ich die Wahrheit rede.«

Er rief einige Stammesgenossen herbei, die sämtlich seine Aussage bestätigten. Dadurch wurde es unsern Freunden fast zur Gewißheit, daß Grill und Billinger in der Tat sich noch in Freiheit befanden und irgendwo verborgen hielten. Freilich, was würde das helfen? Sie konnten ja unmöglich gegen eine solche Übermacht etwas zu der Freunde Rettung unternehmen. Und dann, wie wollten sie ohne Lebensmittel und ohne Kamele aus diesen Wüsten herauskommen? Wenn sie vernünftig waren, und das würden sie ja wohl sein, blieb ihnen schließlich nichts übrig, als sich freiwillig zu stellen und gefangen nehmen zu lassen, um dem sonst sicheren Tode des Verhungerns in der unermeßlichen Einöde zu entgehen.

Für die vorläufige Freiheit der beiden Diener war es übrigens ein Glück, daß die beiden gestrigen Kundschafter der Beduinen Franz nur von Ferne beobachtet hatten und weder seine Gesichtszüge noch seine Kleidung genauer hatten erkennen können. So waren die Späher nicht in der Lage, festzustellen, daß er in der Zahl der Gefangenen fehlte, vielmehr waren sie überzeugt, daß Rommel und Steinberg es gewesen seien, die zuerst an der Quelle waren; denn daß es sich um Europäer handelte, soviel hatten sie feststellen können, und daß Münchhausen nicht in Betracht kam, sagte ihnen dessen stattliche Leibesfülle, die ihnen gewiß aufgefallen wäre.

Etwas beruhigt über das Schicksal der beiden Diener, plauderten unsere Freunde miteinander, während die Vermißten fleißig, doch mit aller gebotenen Vorsicht, Ausschau nach ihnen hielten, um womöglich eine Gelegenheit zu erspähen, Rettung zu bringen. Eine solche wollte sich jedoch nicht zeigen, schien eigentlich auch undenkbar, bei der Lage der an Händen und Füßen sorgsam Gefesselten, und bei der Zahl der Wächter, die sie nicht aus den Augen ließen.

Wenn Franz und Peter dann wieder in ihrer Höhle saßen, die ihnen nun einen angenehm kühlen, vor der Glut der sengenden Sonne geschützten, dämmerhellen Aufenthalt bot, entwarfen sie die kühnsten und abenteuerlichsten Pläne, wie sie die Gefährten befreien könnten. Aber sie mußten immer wieder deren Unausführbarkeit einsehen und sich schließlich auf die Nacht vertrösten, die ihnen vielleicht irgend eine Möglichkeit bot, mit Aussicht auf Erfolg einen Anschlag zu wagen, obgleich sie sich nicht denken konnten, welche Möglichkeit das sein sollte und welche günstigen, ungeahnten Umstände eintreten könnten, um ihren Absichten zu Hilfe zu kommen.

Durst hatten sie keinen zu leiden, dank der Frische ihrer Zuflucht. An den Hunger aber dachten sie gar nicht, so ausschließlich waren sie mit ihren Rettungsplänen und Entwürfen beschäftigt.


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