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31.
Die Elefanten

Mit Sonnenaufgang wurde, wie gewöhnlich, aufgebrochen. Kaum hatte Abd ul Hagg vernommen, daß es nach Südwesten gehen sollte, als er sich auch schleunig zum Pascha begab und in großer Erregung sprach:

»Allah erhalte dein teures Leben und das aller deiner Gefährten! Warum aber willst du in dein Verderben rennen? Wir befinden uns der Messingstadt, unserm Ziel, so nahe, daß es Wahnsinn ist, im letzten Augenblicke vom richtigen Wege abzuweichen. Im Südwesten zieht sich die wasserlose Wüste endlos hin, und das Einschlagen dieser falschen Richtung, in der wir nie zur Messingstadt gelangen können, bedeutet unser aller sicheres Verderben!«

Dieser Eifer des Indiers bestärkte den Kapitän in dem Verdacht, den Billingers Bemerkung gestern doch in ihm erweckt hatte, so sehr er sich dagegen sträuben wollte.

»Wo liegt denn von hier aus die Märchenstadt?« fragte er, anscheinend harmlos.

»Genau westlich,« erwiderte der Fakir verwundert: »Ich sagte dies ja alle die Tage her.«

»Woher willst du das wissen?«

»Selbstverständlich aus meiner untrüglichen Karte.«

»So zeige die Karte her!« donnerte der Pascha den Erschrockenen an: »Seit unserer Abreise von der letzten Oase ließest du mich keinen Blick mehr hineinwerfen und hattest hundert Ausreden, wenn ich danach begehrte.«

»Herr, ich habe sie nicht bei mir,« stotterte der verblüffte Betrüger, der nicht wußte, was dieses plötzliche Mißtrauen des sonst so gutgläubigen Herrn der Karawane zu bedeuten hatte.

»Wenn du mir nicht sofort die Karte herschaffst, lasse ich dich binden und dir die Bastonade erteilen; denn dann müßte ich dich für einen Verräter halten, als der du mir schon oft bezeichnet wurdest. Gestern hat Franz Billinger mit Mahmud, kaum drei Stunden von hier im Südwesten eine ausgedehnte Oase gefunden, die wir selbstverständlich jetzt aufsuchen.«

»Bei Allah! Sie sind dennoch in diese Richtung geritten, und ich hatte sie doch so eindringlich davor gewarnt!« stammelte Abd ul Hagg.

»So! Gewarnt hast du sie? Und warum denn?«

»Natürlich, weil ich überzeugt war, daß dort nur wasserlose Wüste sei.«

»In anderer Richtung etwa nicht? Du hast ja selber versichert, bis zur Messingstadt gebe es keine Oase mehr. Und überhaupt war das schon deshalb kein Grund zur Warnung, weil es sich ja nur um einen Tagesritt handelte.«

»Wenn ich mich getäuscht habe, und die beiden eine Oase entdeckten, die auf meinen Karten nicht verzeichnet ist,« stotterte der Fakir, »dann allerdings ist es selbstverständlich, daß wir dorthin gehen, wenn es auch einen Umweg bedeutet.«

»Einen Umweg von drei Stunden?« höhnte der ernstlich erzürnte Abu el Futha: »Aber die Karte will ich sehen, sonst bleibt es bei der Bastonade: du weißt, Hussein Pascha ist gut, aber er macht auch nie leere Worte, und was er droht, wird unweigerlich ausgeführt.«

Zögernd zog der Indier das Pergament hervor, da er in der Tat wußte, daß Münchhausen Wort hielt, und er die Bastonade fürchtete, deren Erduldung ihn auch gar nichts genützt hätte, da ihm der Pascha zweifellos, wenn er gebunden war, die Karte hätte aus dem Bernus holen lassen. Seine Ausrede, daß er sie nicht bei sich habe, half ja auch nichts, denn sowohl er wie seine Sachen wären bald durchsucht gewesen.

Der Vater des Schnupftuchs entfaltete das Blatt: »Da ist ja die von Franz entdeckte Oase eingetragen,« donnerte er: »Der Eintrag ist zwar etwas undeutlich, so daß sie nicht ohne weiteres in die Augen fällt, aber bei genauem Studieren der Karte ist sie nicht zu übersehen. Das ist ja eine ganz fabelhafte Fläche, die sie einnimmt! Sie dehnt sich wochenlang nach Süden aus. Und überdies führt uns der gerade Weg zur Messingstadt durch ihr nördliches Ende, denn die Stadt liegt nicht westlich von uns, sondern südwestlich. Im Westen hätte der Untergang uns ereilt. Was soll das heißen?«

»Sidi, o Herr!« stammelte der Spitzbube ganz verwirrt: »Ich muß bekennen, daß ich mich allerdings in der Richtung täuschte: ich hielt dies eben für die westliche Richtung und sehe jetzt erst, daß es tatsächlich die südwestliche ist. Und was die Oase anbelangt, so habe ich sie wahrhaftig übersehen: du sagst ja selber, daß sie nur undeutlich eingetragen ist.«

»Gehe!« sagte Münchhausen kurz: »Und hüte dich, mir noch einmal Anlaß zu Verdacht zu geben!« Es lag ja auf der Hand, daß diese ungeschickte Verlegenheitsausrede durch und durch faul war: dem Überrumpelten war eben im Augenblick keine glaubhaftere eingefallen. Er merkte es selber, daß solche Ausflüchte ihn von dem nur zu begründeten Verdacht nicht zu reinigen geeignet waren, und ärgerte sich über sich selbst und den Pascha. Doch beeilte er sich, zu verschwinden, froh, diesmal noch so leichten Kaufes davonzukommen.

Abd ul Hagg war nun, da er sich auch von Münchhausen durchschaut sah, von solchem Ingrimm erfüllt, daß er nur noch daran dachte, ihn aus dem Wege zu räumen: das übrige würde sich ja dann schon finden. Sein Eid hätte ihn nicht gehindert, den Verhaßten zu ermorden: was ihn hievon abhielt, war nur seine Feigheit. Er fürchtete, als der Täter entdeckt zu werden, und dann der gerechten Strafe nicht zu entgehen, und einer solchen Möglichkeit wollte er sich nicht aussetzen. Dagegen suchte er Hamed und Mohamed zu überreden, den Kapitän im Schlafe zu erstechen oder hinterrücks zu erschießen: dazu ließen sie sich jedoch nicht herbei, weil sie sich scheuten, ihren Schwur zu brechen.

Der Indier beschloß daher, dem Pascha heimlich auf Schritt und Tritt aufzulauern: es würde sich doch wohl eine Gelegenheit finden, ihn beiseite zu schaffen, ohne Gefahr zu laufen, zur Rechenschaft gezogen zu werden. Wenn der Scherif oder der Hadschi dabei ums Leben kamen, war ihm das einerlei.

Inzwischen wurde der Ritt nach der neuentdeckten Oase angetreten, die noch im Laufe des Vormittags erreicht wurde.

Allgemeiner Jubel begrüßte das lachende Grün.

Der Pascha ordnete an, daß zunächst der Bach bis zur Quelle verfolgt werde; wohl war sein Wasser von kristallener Klarheit, aber Münchhausen liebte es, wenn irgend möglich, das Trinkwasser einer Quelle zu entnehmen, da ein Wasserlauf immerhin, wenn nicht durch Menschen, so doch durch Tiere verunreinigtes Wasser enthalten kann.

Der Quell fand sich in mäßiger Entfernung in einem Felsengrund, der einen vorzüglichen Lagerplatz bot. Hier wurden denn auch die Zelte aufgeschlagen und die Dromedare entlastet. Am Bache konnten die Tiere dann nach Belieben trinken und fanden grünes Futter in üppiger Fülle an seinen Ufern, so daß es nicht einmal nötig war, sie durch den engen Ausgang des Kessels zur Weide zu führen. Nachdem das schmale Felsentor mit einem Gatter aus Flechtwerk abgeschlossen war, konnte man sie sogar getrost sich selbst überlassen.

Die Deutschen gingen jetzt zur Stelle, wo Billinger das Nashorn erlegt hatte, und der Anblick des gewaltigen Dickhäuters zwang selbst den Professor, seine bisherigen Zweifel aufzugeben.

Billinger bemerkte: »Kraxeln, wann dös Viech hätt' können, hernach waaren ma allboad hin g'west!«

Rommel lachte und meinte: »Daß ein solches plumpes Geschöpf kein Klettertier ist, wird ihm jedes Kind sofort ansehen: es ist das ein ganz unmöglicher Gedanke.«

»Seien Sie sparsamer mit ihren Unmöglichkeitserklärungen,« warnte der Kapitän: »Gestern noch wollten Sie darauf schwören, daß das Vorkommen eines Rhinozerosses in diesen Breiten einfach ausgeschlossen sei: Nun, da liegt der Gegenbeweis vor Ihren Gelehrtenaugen. Warum sollte aber ein Nashorn nicht ebensogut die Bäume ersteigen können, wie das viel größere und ungeschlachtere Riesenfaultier der Vorwelt?«

»Weil es nicht, wie jenes, Krallen besitzt, um sich festzuklammern,« erwiderte der Vater des Sandes; worauf ihm der Vater des Schnupftuches entgegnete:

»Sollte das einem Professor unmöglich erscheinen, so doch keinesfalls einem modernen deutschen Dichter. Auf dem Gebiete der Malerei haben etliche, allerdings, wie ich gestehe, blödsinnige Künstler den Kubismuswahnsinn hoch gebracht, warum sollte auf dem Gebiete der Literatur nicht Ähnliches möglich sein? Unsere nicht alle werdenden Dichter suchen ja sowieso nur immer etwas Neues aufzubringen, – je verrückter, je lieber. Denn, da es ihnen am Geiste mangelt, um sich über die Masse emporzuheben, kann es ihnen nur auf diesem Wege gelingen, Aufsehen zu erregen und berühmt zu werden: das deutsche Publikum, einschließlich der Kritiker, nimmt ja jeden Unsinn hochernst, aus Furcht, es könnte Mangel an Verständnis verraten. So wird Verständnis für das Unverständliche geheuchelt, und es geht, wie bei des Kaisers neuen Kleidern: keiner wagt ehrlich zu bekennen: ›Das ist ja Mumpitz!‹

»Ich selber habe schon den Versuch einer kubistischen Naturschilderung unternommen, etwa so: ›Violett taumelte das chromgelbe Mondlicht durch die undurchsichtige Luft. Schwalbenrudel brachen sich mit schweren Tritten Bahn durch das Dickicht der Waldlichtung. Nilpferde kletterten behende an den Bäumen empor und sprangen zwitschernd von Zweig zu Zweig. Im kristallklaren Sumpfe quakten die Nachtigallen, und Elefantenschwärme durchbrausten mit unhörbarem Flügelschlage den kohlschwarzen Dämmer, den die verschleierten Sterne sonnenhell durchleuchteten. Adler und Geier zirpten in den orangefarbenen Gräsern und pfeilschnell schossen die Fledermäuse durch das brackige, morastige Gewässer des reißenden Stromes dahin. Forellen und liebliche Haifische hüpften im Buschwerk umher. Jetzt erhob sich der erste Vogel Strauß wie ein entfiederter Pfeil in die Lüfte und begrüßte den anbrechenden Abend mit seinem jubelnden Morgenlied.‹ In diesem Tone hätte ich ja beliebig weiter dichten können; allein ich merkte, daß ich meinen Zweck nicht erreichte. Ich hatte kubistisch dichten wollen, und nun war doch das meiste, von dem, was ich behauptete, für die Phantasie ganz gut vorstellbar. Der Kubismus aber ist das völlig Unvorstellbare, der krause Wahnwitz, aus dem kein vernünftiger Mensch auch nur die leiseste Ahnung von etwas Greifbarem herauszufinden vermag, selbst wenn ein noch so verschrobener Kritiker ihm die Sache erklärt. Ich sah also ein, daß ich niemals eine kubistische Schilderung zustande bringen würde, ehe ich völlig übergeschnappt sei, und so gab ich den mißglückten Versuch vorläufig auf. Doch es ist noch nicht aller Tage Abend: auch ich kann einmal richtig geisteskrank werden, und dann blüht mir die Aussicht, ein berühmter, bahnbrechender deutscher Dichter zu werden, wie so mancher vor mir in den letzten Jahrzehnten. Früher, in ungebildeten, verständnislosen Zeiten, sperrte man ja solche Genies in die Irrenanstalten oder verlachte sie wenigstens und hielt sie für das Tollhaus reif: das ist nun heute nicht mehr zu befürchten: man staunt sie vielmehr an und verherrlicht sie.«

Trotz alledem dachte das tote Nashorn nicht daran, einen Baum zu erklimmen, und man begab sich ins Lager zurück, froh, daß wenigstens die Natur sich auf keinen kubistischen Wahnsinn einließ.

Abends erklärte die Harmonika stolz: »Verehrter Abu el Futha, Ihr kubistischer Versuch hat mir keine Ruhe gelassen. Ich habe den Vorsatz gefaßt, einen Roman in diesem Stile zu schreiben. Einen Satz habe ich schon beieinander: es handelt sich um einen Wüterich, den eine überraschende Nachricht in die äußerste Wut versetzt hat. Die Wirkung der Botschaft aus den Tyrannen, gedenke ich folgendermaßen den staunenden Lesern vorzumalen: ›Sein Haupt schrumpfte plötzlich zusammen, wie von der Tarantel gestochen, seine Augenbrauen schwollen an, als wollten sie zerspringen und im nächsten Augenblick einen regungslosen Indianertanz aufführen; seine straffen, glattgekämmten struppigen Lockenhaare leuchteten ingrimmig auf und wurden erdfahl, gleich den schaumgekrönten Wellen des spiegelglatten Meers, auf das der blaue Sonnenschein schwarze Finsternis ausstreut; sein Gehirn zitterte wie Espenlaub, seine Wangen klapperten wie von Glut geschüttelt, seine Zähne überzogen sich mit dem purpurnen Grün des Zorns; finster zog er die Nase zusammen, sein eingekniffener weitaufklaffender Mund sprühte flammende Blitze aus allen Poren und seine dürren Augen schäumten vor Wut.‹«

»Vorzüglich!« lobte der Pascha: »Aber noch lange kein Kubismus, denn es ist alles vorstellbar und erzeugt deutliche Bilder in der Phantasie.«

»Ich aber,« sagte die Zitrone, »habe Ihre eindrucksvolle Schilderung in Verse gegossen, soweit sie mir noch im Gedächtnis war.«

»Hören lassen!« rief der Kapitän, und Hulda begann:

»In den Höhlen, in den Gründen
Hausten Adler, Falken, Geier,
Elefanten majestätisch
Glitten hin auf glattem Weiher;
In der höchsten Bäume Wipfeln
Horsteten beschwingte Leuen,
Tiger ringelten empor sich
An den Stämmen, und die scheuen
Hechte jagten durch die Steppe
Mit leichfüßigen Forellen,
Schlangen stapften durch das Dickicht,
Eber spielten in den Wellen.
Ihre bunten Räder schlugen
Die sanftlockigen Hyänen,
Und kahlköpfige Skorpione
Schüttelten die borst'gen Mähnen.
Bären segelten in Schwärmen
Durch die Lüfte, Wölfe sangen
Lieblich in den ros'gen Zweigen,
Und behende Büffel schwangen
Sich von Ast zu Ast, das zarte
Nilpferd kroch am Fels empor.
Grünlich schillernde Kamele
Wiegten sich auf schwankem Rohr.
Grillen brüllten laut, und heulend
Brachen Rudel grimmer Schwäne
Durch das Unterholz des Urwalds;
Drohend wiesen ihre Zähne
Turteltauben, Nachtigallen,
Lämmer kreischten wild nach Raub
Und der schlanke kleine Walfisch
Schlängelte sich scheu durchs Laub.
Auf den Firnen, einem Türmer
Gleich, hielt stolz der Maulwurf Wacht,
Flatternd schwebten Regenwürmer
Durch die sonnenhelle Nacht.
Gemsen tauchten in das Moor,
Wo der Fluß sich lichtete,
Dunkel schien des Mondes Flor, –
Und der Esel dichtete!«

»Brava!« rief Münchhausen: »Zitrone, Sie haben mein Licht in Schatten gestellt, oder vielmehr meinen Schatten ins Licht gestellt!«

Der folgende Tag wurde ausgiebiger Ruhe gewidmet, höchstens, daß man sich mit dem Einsammeln von »Kuckucksnüssen« beschäftigte, wie Franzl sie hartnäckig nannte. Sie fanden sich reichlich in der Nähe des Lagers, während sonst keine eßbare Frucht zu sehen war.

Auch der nächste Tag sollte noch in der prächtigen Oase verbracht werden.

Steinberg und Grill befanden sich schon munter, und die Heilung ihrer Wunden hatte so gute Fortschritte gemacht, daß sie sich getrost einem Ausflug anschließen durften, den Münchhausen mit den übrigen Deutschen unternahm, um etwas tiefer in den Urwald vorzudringen und seine Geheimnisse zu erforschen.

Schon vorgestern war Abd ul Hagg mit Hamed dem Pascha nachgeschlichen, um womöglich eine Gelegenheit zur Ausführung seines Mordplanes auszuspähen, hatte jedoch keine finden können, wenigstens keine solche, die ihn vor jedem Verdacht sichergestellt hätte, im Falle er mißlang, und nur eine solche wollte er benutzen. Auch heute folgten die beiden Verschworenen mit äußerster Vorsicht den ahnungslosen Wanderern.

Der Weg ging tief in den Wald hinein, und oft mußten die vorsorglich mitgenommenen Äxte und Beile durch Unterholz und Gestrüpp Bahn brechen.

Nach zwei Stunden betraten unsere Freunde eine größere Lichtung, an deren entgegengesetztem Ende ihnen ein großartiger Anblick wurde: vier stattliche Elefanten, zwei Bullen und zwei Weibchen, weideten dort, das heißt, sie brachen Früchte von den Mokorongabäumen, die sich hier fanden, und verzehrten sie mit sichtlichem Behagen.

Die Mokorongafrüchte, die den Elefanten besonders munden, sind eigentlich Beeren von mäßiger Größe, fanden sich aber hier so reichlich, daß die Tiere bei ihrer emsigen Arbeit sich wohl einigermaßen daran sättigen konnten.

»Dö schießa ma!« flüsterte Franz zuversichtlich.

»O nein!« bat die Harmonika: »Die schönen Tiere freuen sich so harmlos ihres Lebens: stören wir doch nicht dieses Bild des Friedens, ohne alle Not!«

»Welch prächtiges Elfenbein sie haben!« bemerkte die Zitrone: »Aber es lockt mich nicht: sie sehen so sanft und klug aus, und es wäre ein abscheulicher Mord, sie niederzuschießen. Sie mögen ihre gewaltigen Stoßzähne behalten!«

»Mit dem Niederschießen von vier solchen Dickhäutern ist es keine so einfache Sache,« erklärte der Kapitän: »Nur ein Schuß ins Gehirn wirkt bei ihnen unmittelbar tödlich, und der müßte durch das Auge oder Ohr gehen; die wenigen Stellen, die eine lebensgefährliche Verwundung ermöglichen, sind auch für einen geübten Jäger gar nicht so leicht zu treffen.«

Peter, der schon vergessen zu haben schien, wie übel ihm die Schakale mitgespielt hatten, brannte vor Jagdlust und meinte: »Wat det betrifft, so sin wir fünf Jäjer und drei Jäjerinnen jejen vier Elefanten, und keene unjeübten Schützen nich: die drei Damen haben eenen Löwen besiecht, det steht außer Zweifel. Der Herr Baron un ik haben ooch den Wüstenkönig zur Strecke jebracht, janz abjesehen von meenen verehrten Herrn seenen Meesterschuß auf die Jaselle. Der Franzl hat jar eenen Nashorn det Lebenslicht ausjeblasen, det viel jrimmiger aussieht wie die Beester dort drüben. Von den Herrn Pascha janz zu jeschweijen, der Nilpferde un Krokodiler mit Sperrhölzern wehrlos machen kann, un Eisbären mit eener eenfachen Zeltstange siechreich zu bekämpfen versteht. Was den Herrn Professor anbelancht, so is er ooch noch da, und so sin wir in doppelter Übermacht, un allens bewährte Jäjer: darum meene ik, et kann uns nich fehlen, un wir brauchen keene Angst nich zu haben.«

»Von Angst ist keine Rede,« sagte Abu el Futha: »Aber es wäre Verwegenheit, die Tiere ohne jeden Grund anzugreifen: was meinen Sie, Professor?«

»Ich stimme Ihnen bei: ein gereizter oder gar verwundeter Elefant ist ein furchtbarer Gegner, und es mit diesen Dickhäutern aufnehmen, heißt sein Leben aufs Spiel setzen. Das haben wir durchaus nicht nötig, wenn wir sie auch noch so wenig fürchten. Auch halte ich es mit Monika und Fräulein Hulda: es wäre eine Grausamkeit und Gemeinheit, diese edlen Geschöpfe umzubringen. Frisches Fleisch hat das Rhinozeros uns geliefert und in diesen heißen Gegenden hält sich das Fleisch keine zwei Tage lang frisch. Nun läßt es sich ja wohl dörren; doch sind wir mit Lebensmitteln so gut versehen, daß wir solche Bereicherung der Vorräte nicht nötig haben. Also sehe ich keinen Grund zur Elefantenjagd, denn das Töten aus bloßer Jagdlust ist ein Frevel und hat zumal in Amerika und Afrika schon unwiederbringlichen Schaden verursacht.«

Peter und Franz, so sehr sie im stillen bedauerten, um diese außerordentliche Jagd zu kommen, waren doch so vernünftig und gutmütig, daß ihnen solche Gründe einleuchteten. Und wäre das nicht der Fall gewesen, so hätten sie sich doch fügen müssen, da der Pascha das Schießen untersagte.

In diesem Augenblick krachten zwei Schüsse: der eine durchbohrte einem der weiblichen Tiere den Rüssel, der andere traf die Stirne eines der Männchen, prallte jedoch an dem harten Schädel ab.

Erzürnt blickte Münchhausen von einem zum andern: aber niemand hatte ein Gewehr angelegt, und alle sahen ebenso verblüfft die Kameraden an, um festzustellen, daß keiner und keine der Gesellschaft so keck gewesen war, das Verbot zu mißachten.

Es blieb aber durchaus keine Zeit, sich weiter nach den verborgenen Schützen umzusehen, denn schon stürmten die verwundeten Tiere mit wütendem Trompeten an, und die beiden andern folgten ihnen.

Abd ul Hagg war mit Hamed den Deutschen bis an den Rand der Lichtung gefolgt. Als er die Elefanten erblickte, hoffte er schon, daß die Giaurs, vielleicht ohne Erfahrung über die Gefahren einer solchen Jagd, die Tiere angreifen würden, wobei leicht einer oder der andere ums Leben kommen konnte: und warum sollte nicht gerade der Pascha bei dieser Gelegenheit eines der Opfer sein?

Aber die Deutschen hielten lange Reden im Flüstertone, und wagten offenbar nicht, einen Schuß abzugeben.

Sie standen alle frei in der Lichtung, während der Indier und der Araber sich fünfzig Schritte hinter ihnen befanden, vom Buschwerk gedeckt, das den Platz säumte.

»Laß uns auf die Elefanten schießen,« flüsterte der Fakir dem Scherif zu: »Entdeckt man uns, so sagen wir, da wir unsere Herren in solcher Gefahr gesehen hätten, sei es uns als unsere Pflicht erschienen, ihnen beizuspringen. Wahrscheinlich aber bleiben wir unbemerkt: denn die Tiere werden nicht zögern, sich auf die Feinde zu stürzen, die sie vor sich sehen. Uns sehen sie vorerst nicht, und wir werden Zeit finden, ins Lager zurückzuflüchten. Da fast alle Treiber im Walde streifen, um nach Früchten zu suchen, wird kein Mensch wissen können, wer geschossen hat, und auf uns, die wir behaupten können, wir hätten uns nicht weit vom Lager entfernt, wird kein Verdacht fallen.«

So gaben die zwei ihre verhängnisvollen Schüsse ab und eilten dann, anfangs behutsam und unhörbar, wie es die Vorsicht gebot, zurück. Sie gelangten auch unbehelligt und unterwegs von niemand gesehen bei der Quelle an, wo sie sich harmlos neben Mohamed lagerten, dem sie von ihrem Anschlag berichteten.

Inzwischen gab es auf der Lichtung eine aufregende und gefahrvolle Jagd.

Deckung zu suchen, dazu war es zu spät: so blieb nichts übrig, als auf die dahergaloppierenden Ilfe, wie der Elefant poetisch genannt wird, zu schießen. Das sahen alle gleichzeitig ein, und so wurden acht Büchsen angelegt, und acht Kugeln pfiffen.

Von diesen acht traf eine den Bullen mit der leichten Stirnwunde offenbar ins Gehirn; denn nach wenigen Schritten brach er zusammen, um sich nicht wieder zu erheben. Niemand hätte zu sagen gewußt, wer der glückliche Schütze war: das war auch belanglos, – genug, daß wenigstens einer der schrecklichen Gegner ausschied. Was die andern Kugeln für Schaden angerichtet hatten, konnte nicht festgestellt werden.

»Sich möglichst zerstreuen!« rief der Pascha, und sofort stoben alle auseinander, selber einsehend, daß die Kolosse leichtes Spiel hätten, wenn sie beisammen blieben.

Die Harmonika und die Zitrone blieben beieinander und flohen mit Franzl nach links; Steinberg, Rommel und Münchhausen wandten sich nach rechts; Peter und Isolde nahmen die Mitte ein.

Wie auf Kommando teilten sich auch die drei Elefanten und setzten den Flüchtenden nach, die vernünftigerweise schon nach wenigen Schritten innehielten und sich umwandten, um wieder zu schießen: war doch keine Aussicht, den schnellfüßigen Verfolgern durch die Flucht zu entkommen; wer so wahnwitzig gewesen wäre, dies zu versuchen, wäre rasch ereilt, in die Luft geschleudert und zerstampft worden.

Der dicke Kapitän konnte mit dem Professor und dem Baron, die einen Bogen schlugen, nicht Schritt halten und blieb zurück. Doch dies gerade sollte ihm zum Heil werden. Mochte das Elefantenweibchen, das den dreien gefolgt war, ihn als seinesgleichen ansehen, und daher schonen, wie der Vater des Sandes später scherzhaft behauptete, oder mochte es denken, es lohne sich eher, zweien zu folgen, als einem einzelnen, oder dachte es überhaupt nichts und stürzte eben denen nach, die es besonders ins Auge gefaßt hatte, kurzum, es ließ den Vater des Schnupftuchs ungeschoren und blieb den beiden andern auf den Fersen.

Abu el Futha sah sich erstaunt um: keiner der Elefanten schien sich vorerst um seine gewichtige Persönlichkeit kümmern zu wollen: das war eine schmähliche Beleidigung des Herrn der Expedition und sollte den frechen Geschöpfen übel bekommen! Rasch ersah er seinen Vorteil und rannte auf den Waldrand zu, so schnell es ihm seine kurzen Beine und sein umfangreicher Leib gestatteten.

Da stand ein Baum, der sich in einer Höhe gabelte, die kein Elefantenrüssel erreichen konnte.

Hugo von Münchhausen war in seiner Jugend ein gewandter Turner gewesen, was ihm jetzt zwar niemand mehr ansah, ihm aber doch noch nachging. Es ging freilich langsam und mühsam; allein es ging wenigstens: er gelangte tatsächlich bis zur Gabelung, von der er glaubte, sie werde ihm einen bequemen Sitz bieten.

Schweißtriefend zwängte er sich hinein und nahm eine sitzende Stellung ein. Von hier aus beherrschte er die ganze Lichtung und konnte ungefährdet in aller Ruhe zielen und so den bedrohten Freunden zu Hilfe kommen, die sich nicht weit hatten entfernen können.

Unterdessen waren jedoch die Ilfe nicht müßig gewesen, ebensowenig die Verfolgten.

Franzl, die Harmonika und die Zitrone waren zu dritt, also am vorteilhaftesten daran. Als sie anhielten und sich umwandten, war der Bulle, der es auf sie abgesehen hatte, nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt. Sie zielten alle drei auf die Augen. Dann sprangen sie blitzschnell zur Seite, denn das Tier rannte weiter. Es griff schon nach dem Bayern mit seinem Rüssel, als eine Kugel der Harmonika aus nächster Nähe ihm diesen durchbohrte, so daß er ihn sinken lassen mußte. Gleichzeitig schoß auch die Zitrone wieder, doch traf sie keine empfindliche Stelle.

Allein eine der vorherigen Kugeln mußte das Ungetüm schon tödlich verletzt haben, denn jetzt brach es zusammen mit furchtbarem Krach.

»Is am doch a blaue Bohnen ins Aag g'fohren!« rief der aus höchster Lebensgefahr befreite Vater der Mauleselin: »Aba kloan sans, dö Aagerl vun so an Mordsviech: ma sollt's nit glaaben! Grod do, wo s' tödli z' vawunden san, hamm s' bloß so wunzige Guckerln, g'wiß, daß ma s' recht schwer treffen soll! Dö Spitzbuam!«

Unterdessen waren Peter und Isolde am schlimmsten daran gewesen: ihre Schüsse waren wirkungslos geblieben, und der Elefant erhaschte die unglückliche Zofe mit dem Rüssel, um sie emporzuschleudern.

In diesem Augenblick hatte sich Münchhausen in seinem Baume festgesetzt und hielt Umschau, wem er beistehen könne. Die beiden waren ihm die nächsten und zugleich die am unmittelbarsten Bedrohten. Aber jetzt hätte er unmöglich schießen können, ohne befürchten zu müssen, das Mädchen zu treffen. Er hielt zum mindesten die gute Nachteule für verloren.

Glücklicherweise war es gerade der Elefant, den Abd ul Hagg oder Hamed am Rüssel verwundet hatten. Er schwang zwar sein Opfer empor, doch mit so wenig Kraft, daß der Sturz zur Erde es zwar seiner Sinne beraubte, doch ohne weitere Verletzungen zur Folge zu haben. Das sollte sich freilich erst nachher zeigen. Sobald jedoch Isolde zu Boden flog, konnte der Pascha losdrücken und es glückte ihm auch ein tödlicher Treffer.

Abu Homrah, der der Zofe zu Hilfe gesprungen war, wurde von dem sich wendenden Tiere nicht mehr erreicht: es sank zuvor in die Knie und erhielt in dieser Lage noch einige Wunden durch die Flinten des Vaters der Eselin und des Vaters des Schnupftuchs.

Münchhausen sah sich nun nach dem Professor und dem Baron um, die sich in größter Bedrängnis befanden, während Franzl, die Harmonika und die Zitrone, die inzwischen ihren Sieg erfochten hatten, ihnen zu Hilfe eilten. Das Weibchen, das Steinberg und Rommel verfolgte, war schon mehrfach verwundet, aber noch bei guten Kräften.

Abu el Futha war in der Lage, ihm seine Kugeln in die Seite zu pfeffern; aber damit war nicht viel auszurichten, wenn man nicht das Glück hatte, das Herz zu treffen.

Bei einem verzweifelten Seitensprung kam Abu Haschisch zu Fall, und schon hob der Elefant den Fuß, um ihn zu Brei zu zermalmen, als der in Riesensätzen herbeigesprungene Franzl ihn noch wegzureißen vermochte, während die gleich nachfolgende Zitrone den Ilf aus unmittelbarer Nähe ins Ohr schoß.

Auf der andern Seite stand Rommel ebenfalls hart neben dem Riesen, und schon gesellte sich die Harmonika zu ihm. Auch sie beide konnten dem zu Tode Verwundeten noch wirksame Schüsse beibringen, so daß es mit ihm ebenfalls zu Ende ging ehe er ein Unglück hatte anrichten können.

»Dös is a Jogd g'wesen!« sagte Abu Barlah aufatmend: »Mir hamm dö Elefonterl nit jogen wöllen, nachher hamm sö uns g'jogt, und dös nit schlecht. Is gut gongen, daß nix possiert is: i hob schun g'moant, moan letzts Stünderl hob g'schlogen!«

»Ist wirklich nichts passiert?« fragte der Professor: »Wo steckt denn der Pascha? Hoffentlich ist ihm nichts zugestoßen! Und wie steht es mit Peter und Isolde?«

»Durt san s',« sagte Billinger, sich umwendend: »Und possiert is an nix, so vül i derschau.«

In der Tat war die Zofe wieder zu sich gekommen und stand bereits auf den Füßen. Vom Waldsaum jedoch erschollen jetzt Hilferufe mit Münchhausens Bärenstimme:

»Helfet, rettet! Ich stecke fest! Ich bin in einer scheußlichen Klemme! Meine wohlgezielten Schüsse haben euch allen das Leben gerettet, mindestens zwei der Untiere sind ihnen erlegen, nun lasset mich nicht schnöde umkommen: schon stockt mir der Atem!«

Letzteres schien doch mehr Einbildung; denn als jetzt aller Blicke sich emporrichteten zu dem Baume, von dem die jämmerlichen Rufe erschallten, sahen sie, daß der Körperteil, mit dem der Kapitän eingezwängt fest saß, nicht der Atmung diente.

Abu el Futha hatte sich, wie wir wissen, in der Gabelung des Baumes niedergelassen, die unten ziemlich spitz zulief. Durch sein eigenes Körpergewicht war er nach und nach so tief eingesunken, daß seine Fleischmassen eng und schmerzhaft gepreßt in der rauhen Gabel steckten und er sich trotz aller Anstrengung unmöglich wieder herausheben konnte.

Unverzüglich eilten alle herbei und mußten zuerst lachen, wie sie den Dicken mit so kläglicher Miene dort droben eingeklemmt sahen, eine seltsame Zierde des schlanken Baumes.

»Was fällt Ihnen aber auch ein, Vater des Schnupftuchs!« rief ihm Rommel zu, »sich in die offenen Scheren dieses Riesenkrebses hineinzubegeben? Wie sind Sie überhaupt da hinauf gekommen ohne menschliche Hilfe? Jetzt glaube ich Ihnen selber, was Sie behaupteten, daß auch Nilpferde und Nashörner Bäume erklettern können! Aber ein Mann, wie Sie, sollte den sicheren Erdboden nicht verlassen. Jetzt werden Sie eine Weile Geduld haben müssen, bis Ihre ungeheure Last die Äste derart auseinandergedrückt hat, daß sie rechts und links zu Boden krachen.«

»Sie haben gut lachen!« klagte der Ärmste: »Aber Ihr Spott ist schnöder Undank: um Ihretwillen begab ich mich zwischen diese mörderischen Zangen. Von hier aus habe ich den Elefanten erlegt, der Peter und Isolde zu zermalmen drohte, und auch denjenigen erschossen, der Ihnen und Steinberg beinahe den Garaus gemacht hätte. Jetzt ist es an Ihnen, mir herauszuhelfen; aber etwas plötzlich, sonst werden mir die Knochen zermalmt.«

»Da ist keine Gefahr, die sind zu gut gepolstert. Aber heraushelfen werden wir Ihnen selbstverständlich.«

Es sollte sich jedoch erweisen, daß dies leichter gesagt als getan war. Den Baum ersteigen konnten nur Franz und der Professor: die Mädchen kamen selbstverständlich nicht in Betracht, und der Baron und Grill, nur unvollkommen von ihren Wunden genesen, waren so erschöpft durch den hitzigen Kampf, daß sie dieser Anstrengung nicht mehr gewachsen waren.

Der Bayer war bald oben, zu Häupten des Paschas, und suchte, ihn an den Armen emporzuziehen. Abu Ramleh gelangte mühsam bis an die Gabelung: er umklammerte den Stamm mit den Beinen und strengte sich an, von unten nachzuschieben.

Aber alle Anstrengungen waren vergeblich: der Eingeklemmte saß gar zu fest und hatte ein allzu kolossales Gewicht, als daß die Bemühungen zweier gewöhnlicher Sterblicher auch nur den leisesten Ruck hätten erzielen können.

»Aso geht's nit!« rief Billinger keuchend: »Mir müssen an Herrn Pascha onsoalen: do sans jo Lianen g'nug, wie Botzenstrick.«

So glitten denn die beiden wieder hinab und schnitten vier lange Schlingpflanzen ab, mit denen sich Franzl wieder hinauf begab. Er band sie dem Kapitän an den Kniegelenken und unter den Schultern fest und schlug sie über verschiedene höher gelegene Seitenäste, so daß die Enden bis zum Erdboden herabhingen.

Nun erfaßten die Untenstehenden diese Seile und zogen aus Leibeskräften. Auch Abu Barlah war gleich wieder drunten und half ziehen. An jeder Liane hingen zwei Personen: Die Zitrone und die Harmonika, Peter und Isolde, Rommel und Steinberg; nur an der vierten zog Billinger allein: er war aber auch der stärkste von allen, so daß der Zug ziemlich gleichmäßig war.

»Halt, halt! Ihr reißt mir meine zarten Glieder aus!« schrie der Vater des Schnupftuchs, als er derart emporgezerrt wurde.

»Ausgeschlossen!« beruhigte ihn die Zitrone: »Eher reißen die zarten Stricke, als Ihre soliden Gliedmaßen.«

Sieben meist recht kräftige Personen mußten schließlich sowohl das Gewicht des Paschas als auch die Zwingkraft der Baumgabel überwinden; und doch sahen sie sich genötigt, alle ihre Kräfte aufzubieten: zum Teil hingen sie geradezu an den Ranken. Aber es tat doch einen Ruck: langsam stieg die Körpermasse nach oben, empfindlich gerieben von den sie einengenden Ästen.

Nun ging es immer rascher: Münchhausen schwebte bald so hoch, daß die sich erweiternde Gabelung ihn nicht mehr festhielt, und die Stricke glitten leichter über die Seitenäste.

»Gewonnen, gewonnen!« rief er aufatmend: »Laßt ab, sonst zieht ihr mich so hoch hinauf, daß kein Herunterkommen mehr ist!« Zugleich hielt er sich mit Händen und Füßen vom Stamme ab, um nicht wieder in die entsetzliche Zange zu geraten.

Langsam wurde nachgelassen, und ganz allmählich senkte sich die kugelige Masse hernieder: jetzt schwebte sie nur noch drei Meter über dem Erdboden, jetzt nur noch zwei.

Da rissen die durch die Reibung unter der gewaltigen Last stark durchgescheuerten Ranken, zuerst nur zwei, dann aber gleich auch die beiden andern, die unmöglich das ganze Gewicht allein zu tragen vermochten, nachdem sie schon halb durchgerieben waren.

Das gab einen Plumps! Die Erde erbebte, und erschrocken stoben die drei auseinander, die noch auf den Beinen waren, nämlich Franz, Peter und Rommel: die andern waren bei dem plötzlichen Nachgeben der Stricke, an denen sie mit aller Kraft gezogen hatten, jählings auf den Rücken gefallen und lagen ganz verblüfft umher.

Das bot einen so komischen Anblick, daß die drei Standhafteren, als sie sich von ihrem Schrecken erholten und herzutraten, ein Helles Gelächter nicht unterdrücken konnten.

»Nee! Wie se alle daliejen und strampeln mit die Beene!« rief Grill.

»Stehen S' nur wieda aufi!« mahnte der Bayer: »Oda wollen S' auf am Buckel so weita schwimmen bis ins Laga? Waar nit übel!«

»In der Tat,« fiel der Professor ein: »Wie sie da alle mit den Armen und Beinen in der Luft herumfuchteln, sieht es wahrhaftig aus, wie ein Rückenschwimmen. Allein ich rate Ihnen auch, diesen aussichtslosen Versuch aufzugeben, denn Sie kommen trotz der schönsten Schwimmbewegungen keinen Schritt voran auf dem harten Erdboden.«

Nach und nach faßten sich die Trockenschwimmer alle so weit, daß sie sich wieder aufrichten und auf die Füße kommen konnten. Nur der Pascha, dem alle Glieder weh taten, blieb liegen. Mit vereinten Kräften gelang es jedoch, auch ihn mit der Zeit wieder aufrecht zu stellen.

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Mit dem Rückmarsch ging es jetzt aber ziemlich mühselig: der Kapitän hinkte, Steinberg und Peter waren sehr ermattet und merkten, daß sie eben doch erst Genesende waren, die heute eine Leistung vollbracht hatten, die eigentlich ihre geschwächten Kräfte überstieg.

Die drei Mädchen und der Professor waren immerhin ordentlich müde.

Franzl, als der Rüstigste, wurde vorausgeschickt, um Leute in die Lichtung zu schicken, die das Elfenbein und das beste Fleisch der Elefanten holen sollten, da sie nun doch einmal erlegt waren! Die andern folgten gemächlich nach und brauchten volle vier Stunden zu dem Wege, den sie heute Morgen in zwei Stunden zurückgelegt hatten.

Selbstverständlich hatten sie sich vor dem Abmarsch von dem Kampfplatz mit einem Imbiß aus den mitgenommenen Vorräten gestärkt.

»Nun haben Sie die edlen Ilse, die Sie so großmütig schonen wollten, dennoch gejagt und erlegt!« bemerkte Abu Ramleh zu Abu el Futah während des Rückmarsches.

»Selbst der Tiger krümmt sich, wenn er getreten wird!« erwiderte der Vater des Schnupftuchs mit Würde: »Die Tiere haben ja uns gejagt und erlegen wollen: das allein war ihr Verderben, und ich wasche meine zarten Hände in Unschuld. Ich möchte nur wissen, welche heimtückischen Schleicher die Schüsse abgaben, durch die unsere armen Opfer zum Angriff gereizt wurden!«

»Da hat zweifellos Abd ul Hagg wieder seine Hand im Spiel: vielleicht glaubte er auf diese Weise uns ins Verderben stürzen zu können, nachdem seine andern Anschläge mißlangen. Jedenfalls ist es sehr verdächtig, daß die Schützen, denn mindestens zwei haben gleichzeitig geschossen, sich nicht an der Jagd beteiligten, sondern heimlich entwichen.«

»Sie haben recht: es sieht ganz aus, wie ein heimtückischer Anschlag, und daß der Fakir nicht ehrlich ist, habe ich nun selber gemerkt.«

Bei der Rückkehr ins Lager erfuhren die Mißtrauischen jedoch, daß Mohamed sich überhaupt nicht entfernt habe, Abd ul Hagg und Hamed nur ganz kurz abwesend gewesen und mit Kokosnüssen beladen zurückgekehrt seien, jedenfalls hätten sie sich den ganzen Nachmittag hier befunden. Das wurde allgemein bezeugt, und so blieben die verhängnisvollen Schüsse unaufgeklärt.

Der Fakir und seine Helfershelfer schäumten inzwischen inwendig vor Wut, daß die Deutschen auch diesmal wieder heil davongekommen waren.

Auf die Anstrengungen des heutigen Tages hin wurde noch zwei Tage in der lieblichen Oase gerastet: man hatte ja Zeit, und eine solche seltene Erholungsgelegenheit mußte ausgenützt werden. Große Vorräte von Elefantenfleisch wurden an diesen Tagen gedörrt, die immerhin die Lebensmittelversorgung auf lange Zeit hin sicherstellen halfen.


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