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XXII.

Ein Brief Ullas an Falk.

»Capri, den 30. Juli 18–

»Mein innig Geliebter!

»Mehr als drei Monate sind vergangen, seitdem ich die Heimat verließ, und Du hast noch keine Zeile von mir erhalten. Wenn ich mich nach Nachrichten von meinen Lieben sehnte, war es immer die Mutter, an die ich mich wandte. Warum? Ja, weil ich an Dich keinen kurzen, geschäftsmäßigen Brief wie an die Mutter schreiben konnte – wollte ich an Dich schreiben, dann mußte ich mein ganzes Innere offen vor Dir ausbreiten, um Dir zu sagen, was ich gekämpft und was ich gelitten habe, seitdem wir von einander schieden.

»Während ich malte, konnte ich nicht schreiben, weil ich mir über mich selbst und mein Verhältnis zu Dir nicht klar werden konnte. Als ich mit meinem Gemälde fertig war, fühlte ich erst, daß ich mich durch zu anhaltendes Arbeiten während der Hitze überanstrengt hatte. Ich war so matt, daß ich kaum noch durch das Zimmer gehen konnte und wäre sicher krank geworden, wenn ich Rom nicht Hals über Kopf verlassen hätte und hierher gegangen wäre. Hier lebe ich verschollen in einem kleinen Fischerdorf, und niemand kennt meinen Aufenthaltsort.

»Ich hoffte hier Ruhe zu finden. Die Natur ist doch sonst stets meine beste Vertraute gewesen, ich habe immer geglaubt, daß es kaum einen Schmerz gäbe, der nicht in der Einsamkeit der Natur zur Ruhe kommen könnte. Aber zum erstenmal habe ich gefunden, daß die Natur eine gefährliche Vertraute ist. Es ist wahr, daß sie uns mit wohlthuender Sympathie entgegentritt, aber mit einer Sympathie, die unsere Sehnsucht und unsere Unruhe nur vergrößert. Einsam in der Natur zu sein ist herrlich, so lange man noch einsam in seinem Herzen ist, wie ich es früher immer war. Aber einsam in einer schönen Natur zu sein, so lange man noch jemand hat, nach dem man sich sehnt, das ist furchtbar. Die hinreißende Schönheit der Natur hat mir die unerträglichsten Qualen verursacht. Wenn es bei der Glut nur möglich wäre, würde ich wieder nach Rom fliehen und mich in die dunkelsten, schmutzigsten Gassen vertiefen, oder hier am Strande liegen, mit dem Blick auf das Mittelmeer, dessen blaue Farbe mich heimwehkrank macht. Und doch weiß ich, daß es zwischen den Häuserreihen der Straßen nicht besser wird, nicht besser im Gewimmel der Menschen. Meine Sehnsucht nagt und verfolgt mich überall hin, sie liegt tief in mir und zehrt an meinem Innern, und bildet, wo ich auch gehe und stehe, einen großen, leeren Ring um mich her – einen leeren Raum, den nichts ausfüllen kann.

»Wie verändert bin ich nicht seit jenen Sommern, die ich früher hier verbracht habe! Damals war ich von der Schönheit der Natur so vollständig erfüllt, daß ich glaubte, nichts weiter auf der Welt zu brauchen, wenn ich hier an demselben Strande lag und das Brausen der langen Wogen an den Klippen hörte, dann schien es mir, als ob dies das volle Leben, daß Schöneres und Besseres nicht denkbar wäre. Keine Unruhe, keine Sehnsucht – alles Vollkommenheit.

»Und wenn ich jetzt demselben Wogengebrause lausche, kann ich die Melodien nicht mehr hören, die sie mir früher sangen – ich kann sie nicht hören, weil es in meinem Innern ununterbrochen vor Schmerz und Sehnsucht schreit und diese Stimmen alle anderen übertönen.

»Warum schreibe ich Dir das? Was will ich, was erwarte ich von der Zukunft? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß ich mich niemals von Dir losreißen, aber auch niemals wieder ganz mit Dir leben kann. Ich bin zu ewiger Halbheit verdammt.

»In einigen Wochen kehre ich nach Rom zurück und will dort mein Amorettengemälde fertig malen. Die Liebe zu meiner Arbeit ist unvermindert, ich habe noch dieselbe Freude wie früher daran. Aber das Leben ist nicht nur Arbeit.

»Was willst Du? Was wünschest Du? Was denkst Du wegen unserer Zukunft?«


Falks Brief an Ulla.

»Jökelheim, den 8. August 18–

»Meine einzig Geliebte!

»Ich glaube gewiß, daß Du verstanden hast, warum ich Dir während dieser ganzen Zeit kein einzigesmal geschrieben habe. Meine Liebe war Dir eine Fessel geworden, von der Dich los machen zu können Du Dich prüfen wolltest. Von dem Augenblick an, als ich das merkte, zog ich mich zurück, und Du warst vollständig frei. Ich wollte Dich mit keinem Wort überreden, meine Frau gegen Deinen eigenen Wunsch zu sein; nur der freie Drang des Herzens kann einem solchen Verhältnis die Schönheit des Sichhingebens verleihen. Und als Du fort warst, wollte ich Dich ebenso wenig bitten, wieder zu kommen, denn ich wußte, daß Dir jetzt die Freiheit wirklich mehr wert geworden war, als die Bande der Liebe, von denen Du Dich los gemacht hattest. Wenn es mir auch eine Zeit lang zu Mute war, als erstickte der Schmerz jeden Lebenskeim in mir und würde es mir unmöglich machen, dieses Leben weiter zu leben – so wollte ich doch noch lieber diesen Schmerz und dieses Entbehren ertragen, als Dich in meiner Nähe zu sehen mit dem Bewußtsein, Du sehntest Dich fort von mir.

»Seitdem ich aber Deinen Brief erhalten habe, mit all der Sehnsucht, die er atmet, strömt es mir wie Frühlingsduft entgegen, der einen neuen Sommer verkündet – ja, nun kann ich meine Arme ausstrecken und Dir zurufen: Komm, meine ewig Geliebte, meine namenlos Ersehnte – komm!

»Aber Du kannst Dich mir niemals wieder völlig hingeben, sagst Du. So gib Dich mir halb, gib mir so viel, wie Du geben kannst – ich werde nicht mehr verlangen. Kein Mann, der Begabung und Kräfte hat, etwas im Leben zu wirken, widmet alle diese Kräfte seiner Familie. Warum soll ich das da von Dir verlangen?

»Ich habe Dir unrecht gethan, denn ich wollte zu tief in Dein Leben eingreifen, ich wollte Dir das Maß Deines Glückes vorschreiben und selbstsüchtig verlangen, daß es von der Art sein sollte, die ich für die beste hielt. Ich werde das nicht mehr thun. Du sollst auf Deine eigene Weise glücklich sein und den Kindern so viel geben als Du kannst, ohne daß Dein eigener Lebensweg darunter leidet.

»Ich habe doppelt unrecht Dir gegenüber gehabt, denn ich habe Opfer von Dir verlangt, ohne selbst welche zu bringen. Um Dir zu zeigen, daß das in Zukunft anders werden soll, habe ich mich um eine Kandidatur für die neuen Wahlen beworben. Ich überlasse Birk die Schule, der ganz gewiß tüchtig auf seinem Posten werden wird, wenn er sich erst etwas daran gewöhnt hat, mit dem Volk zu verkehren, und wir ziehen nach Christiania. Ich werde bald genug eine Thätigkeit finden, wo ich ebenfalls so viel Nutzen stiften kann wie hier, wenn auch auf einem andern Felde, und Du kannst in der Stadt viel besser arbeiten als auf dem Lande. Wenn Du reisen willst, sollst Du frei und ungebunden sein.

»Du siehst, ich habe viel gelernt während dieser einsamen Monate, unter anderem auch das – das Schwerste von allem für mich – auf Bedingungen in der Liebe einzugehen und lieber wenig als gar nichts zu nehmen. Früher hätte ich das für Feigheit oder Erbärmlichkeit gehalten. Ich stellte meine Forderungen so stolz – ich habe gelernt, jetzt bescheiden zu sein, und ich habe gefunden, daß nicht die größte Liebe die ist, welche am meisten fordert, sondern vielmehr diejenige, welche sich auch mit dem geringsten begnügt, lieber als alles zu verlieren. Frauen lieben so oder können doch so lieben – Du siehst, ich bin sehr vorgeschritten in der Entwicklung, daß ich das gelernt habe.

»Nächsten Sommer kommst Du nach Hause, nicht wahr? Ich erwarte Dich mit meinem Boot in Christiania, wir sitzen noch einmal darin allein zusammen und lauschen dem Wellenschlag, der nicht wie das Mittelmeer die Sehnsucht in Deinem Herzen wach rufen, sondern wieder und immer wieder uns beiden unsere ›Sommergeschichte‹ erzählen und uns sagen wird, daß nach jedem Winter mit Eis und Schnee ein neuer Sommer kommt, mit langen Tagen und hellen Nächten.

»Und mit aufgehißter Flagge steuern wir wieder in den Hafen der heimatlichen Küste, wo die Laute geliebter Stimmen uns entgegen schallen.

»Diese Hoffnung und dieser Traum sind es, wofür ich jetzt lebe.«

ende


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