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II.

Die Sonne brannte auf die nackten, grauweißen Felsen der Bucht, an welcher sich der Badeort hinzog. Regungslos dehnte sich die weite, farblose Wasserfläche aus und der Sonnennebel, der die Luft erfüllte, legte sich weich um Klippen und Felseninseln.

Im ganzen Badeort war es still. Niemand mochte sich in der Mittagshitze bewegen. Die meisten saßen in ihrer Hausflur mit einem Buch oder einer Arbeit in der Hand. Die kleine Segelflotte lag still im Hafen. Unten in der Veranda des Kurhauses wurde wohl etwas geplaudert, aber ohne Lebhaftigkeit. In Bewegung sah man nur solche, die nach den Badebassins gingen oder von dorther kamen.

Auf dem Fahrweg, mitten in Staub und Sonnenglut, hatte sich Fräulein Rosenhane unter ihrem Malersonnenschirm niedergelassen. Die Straße machte an dieser Stelle eine Biegung nach dem Wasser zu, wo zwei kleine Jungen im Schutze zwischen zwei vorspringenden Felsenklippen badeten. Mehrere Fischerboote lagen heraufgezogen in diesem kleinen natürlichen Hafen, ein paar Netze waren zum Trocknen ausgespannt, ein verfallener kleiner Bootsschuppen stand oder hing am Felsenrand, ein alter weißbärtiger Mann saß davor und strickte ein Netz – das Ganze war ein vom Zufall so reizend zusammengefügtes Bild, daß sich die Malerin mit größtem Eifer bemühte, die kleine Scene so rasch als möglich zu fixiren und die Farbe anzugeben, um die Totalwirkung auf der Leinwand zu sehen, ehe sich die Gruppe veränderte.

Sie kümmerte sich weder um den Atem versetzenden Geruch, der von trocknenden Fischen und faulendem Seegras ausströmte, noch um die brennende Hitze der glühenden Sonne, sondern malte mit großen Pinselstrichen und beachtete es nicht, daß mehrere Badegäste näher kamen und, hinter ihr stehen bleibend, sich unterhielten.

Ihr Malerstuhl war tief in den Sand eingesunken, deshalb streckte sie die Beine lang aus, um nicht zu schlecht zu sitzen. Sie hatte den großen Basthut so weit von der Stirn zurück geschoben, daß der untere Teil des Gesichts von der Sonne beschienen wurde, der Sonnenschirm schützte nur Leinwand und Pinsel. Ihr aschblondes Haar fiel in kleinen Löckchen bis über die Augenbrauen, die zusammengekniffenen Augen waren in der blendenden Sonne hellblau geworden, und die Haut über der Nase hatte sich leicht gerötet. Ihr Kleid aus karrirten Taschentüchern, die der Länge und Breite nach, schief und gerade, auf jede nur mögliche Art zusammen gestellt waren, ließ weiße Spitzenröcke vorsehen und Pariser Goldlederschuhe an den schön geformten Füßen.

Die Himmelblaue und die Ranke, das heißt Fräulein Nelly Nerman und Fräulein Evelina Suhr beobachteten mit kritischen Blicken diese ganze, einigermaßen fremdartige Erscheinung, von der sie noch nicht wußten, wofür sie sie eigentlich halten sollten. Die selbstbewußte Sicherheit in Fräulein Rosenhanes Wesen verriet deutlich genug, wie wenig sie sich aus etwaigen Bemerkungen anderer machte. Offenbar hatte sie den Mut, das zu sein, was sie wirklich war. Es kümmerte sie nicht, was die Leute von ihr denken mochten, ob sie in allen Stücken mit ihrer Umgebung zusammen paßte oder nicht, und unwillkürlich imponirte das etwas, wenn auch auf der andern Seite diese überraschende Sicherheit geradezu reizte. Und das ärgerlichste dabei war noch, daß sie bei dieser Selbstgewißheit, die bei anderen leicht als Mangel an guter Lebensart erschienen wäre, wirklich etwas Distinguirtes hatte, so daß man unmöglich – ja unmöglich –

Dies waren die Reflektionen der kleinen Nelly Nerman, während sie dastand und sowohl Ulla Rosenhane wie ihre Malerei betrachtete.

Evelina Suhr aber sagte leise zu ihrem Kavalier, dem Dozenten Rosenhane: »Es ist bedauerlich, zu sehen, wie die moderne Kunst bar und ledig jeglicher Spur von Idealität ist. Ein Motiv wie das hier ist ja ohne Gedanken, ohne jeden Geistesinhalt.«

Der Dozent, der sich von jedem scharfen Urteil höchst unangenehm berührt fühlte und immer bestrebt war, zwischen entgegengesetzten Lebensanschauungen zu vermitteln, wäre gern auf eine gründliche Besprechung dieser Ansicht eingegangen, da er aber fand, daß er in solcher Nähe der Malerin seinen kleinen Vortrag, den er alsbald fertig hatte, unmöglich ungehört von ihr halten könnte, beschränkte er sich auf ein flüchtiges Lächeln und die Aeußerung: »Ich weiß nicht, ob man das so beurteilen darf.«

Fräulein Rosenhane machte eine kleine Bewegung mit dem Kopfe, die andeuten sollte, sie wüßte, daß jemand hinter ihr stünde, deshalb fühlten sich die drei verbunden, näher zu treten und sie zu begrüßen.

»Das ist wirklich ein zu reizendes kleines Motiv,« zwitscherte Nelly Nerman, die es für selbstverständlich hielt, daß Fräulein Rosenhane mit Ungeduld ein Urteil über ihre angefangene Arbeit erwartete.

»Heute ist schönes Wetter,« erwiderte Ulla und dehnte sich etwas, während sie die Leinwand armslang vor sich hin hielt und ein Auge zudrückte.

»Finden Sie nicht?« sagte sie und warf einen flüchtigen Blick zur Seite, als sie merkte, daß man ihre Aeußerung zu unbedeutend fand, um sie einer Erwiderung wert zu halten.

»Dürfte ich mir nur eine kleine Bemerkung erlauben,« sagte Nelly mit ihrer ängstlichen Miene, die nicht von dem Gefühl der Verantwortung kommen konnte, plötzlich ein Kunstkritiker geworden zu sein, »so wäre es die, daß das Ganze nur etwas zu arrangirt aussieht. Es ist zu viel zusammengehäuft, die Knaben, der Alte, der Schuppen, die Boote; es macht fast den Eindruck einer Komposition, und in unserer Zeit, bei dem Realismus unserer Zeit, bei dem Realismus, der mehr und mehr anfängt, durchzudringen –«

Nelly fing an, etwas unsicher zu werden, als sie so lange allein sprach, ohne daß ihr die Malerin auch nur mit einem Worte weiter geholfen hätte.

Jetzt aber konnte der Dozent, der sich seiner bedeutenden Cousine gegenüber doch ziemlich befangen und fremd fühlte, der Versuchung, einen kleinen Vortrag zu halten, nicht länger widerstehen. Er ergriff das Wort und begann, wie er stets zu thun pflegte: »Ich weiß doch nicht, ob man das so sagen kann.«

Die eine Uebertreibung widerstrebte seiner wohl geschulten juste milieu-Natur ebenso sehr wie die andere. Jedes scharfe Wort berührte seinen milden und humanen Sinn peinlich und machte ihn zusammenzucken, als ob er einen Peitschenhieb in das Gesicht bekommen hätte.

»Auf der einen Seite,« fuhr er fort und sah auf seine Stiefel, »ist natürlich das Streben in der Kunst vollkommen berechtigt, das vor allem Natur und Wahrheit sucht. Auf der andern Seite aber scheint es mir doch fast zu weit zu gehen, wenn jede Komposition geradezu verworfen wird und das, was sich von selbst macht, wie es hier der Fall ist …«

Hier wurde er durch Fräulein Suhr unterbrochen, welche mit ihrer tiefen Baßstimme ausrief: »Von Ihnen, Herr Dozent, hätte ich wirklich nicht erwartet, daß auch Sie als erstes Ziel der Kunst das Streben nach Wahrheit und Natur hinstellen würden. Was ist die Kunst, wenn sie nicht vor allem das Schöne suchen soll?«

»Ganz gewiß,« sagte der Dozent, während bei dieser positiven Behauptung ein nervöses Zucken um seine Augen sichtbar wurde. »Aber das Schöne ohne das Natürliche zu suchen, ist ein ebenso verkehrter Weg – meiner Ansicht nach wenigstens,« fügte er mildernd hinzu, »als nur das Häßliche und Unwesentliche in der Natur hervorzuheben.«

Fräulein Rosenhane hatte den Kopf auf die Achsel gelegt und blinzelte mit dem einen Auge nach dem Bilde hin; jetzt griff sie nach einem groben Pinsel, rührte eine unbestimmte helle Mischung auf der Palette zusammen und setzte einen großen Farbenklumpen mitten hinein in die Luft. Darauf schob sie das Gemälde von sich weg und trat etwas zurück, um die Wirkung dieses absonderlichen Klatsches in Augenschein zu nehmen.

»Es würde wirklich sehr angenehm sein zu hören, wie Sie selbst darüber denken, Fräulein Rosenhane.«

»Worüber?« fragte Ulla, während sie noch einen derben weißen Klecks auf die Palette setzte und gründlich verrieb.

»Ja, über das Verhältnis des Schönen zum Natürlichen, das heißt über die eigentliche Aufgabe der Kunst.«

»In diesem Augenblick ist es meine Aufgabe, die Luft hier so herauszubekommen, daß sie einen hinreichend kalten Eindruck macht,« erwiderte Ulla, ohne den Blick von ihrer Studie wegzuwenden. »Meine Augen sind dermaßen an den südlichen Himmel gewöhnt, daß es mir nicht möglich ist, den bleichen, kalten Ton hier auf der Palette hervorzubringen. – Um die Aufgabe der Kunst aber,« fuhr sie fort, indem sie einen Seitenblick auf den Dozenten warf, »kümmere ich mich nicht im geringsten. Was sollten denn die Herren Aesthetiker machen, wenn die Künstler auch noch anfangen wollten, hierüber nachzudenken?«

Nach diesem ketzerischen Ausspruch setzte sie sich wieder nieder und fing von neuem an, in all dem Licht, was sie da hingekleckst hatte, herumzuarbeiten.

»Fräulein Rosenhane hat recht, völlig recht,« sagte Nelly, entzückt, eine Gelegenheit zu haben, ihre hochmodernen Ansichten zeigen zu können. »Ein Künstler soll frei von Theorien sein. Die Natur darzustellen, das Häßliche ebenso gut wie das Schöne – das allein soll sein Streben sein. Alles andere ist alte, abgestorbene Romantik.«

Da Ulla auf keine Weise für die Fortsetzung des Gesprächs zu interessiren war, gingen die beiden Damen in eifriger Unterhaltung mit dem Dozenten weiter.

Das blaue Band der kleinen Himmelblauen, mit dem ihr blaues Kattunkleid ausgeputzt war, flatterte und wippte bei ihren kleinen, kurzen und trippelnden Bewegungen. Ein blauer Schleier flog um ihren Strohhut, das rötliche, helle Haar kräuselte sich etwas über der hohen, glänzenden Stirn und die blauen Augen sahen mild und madonnenhaft drein, als sie zu dem großen, geraden Fräulein Suhr an ihrer Seite aufsah und verächtlich ausrief: »Idealität! Schönheit! Ach, das sind ja nur Phrasen. Wer glaubt heutzutage noch an so etwas?«

»Es ist wirklich beklagenswert,« sagte Fräulein Suhr und ihre Stimme vibrirte, »beklagenswert, daß eine so schreckliche Verirrung –«

Mehr hörte Ulla nicht, denn die Sprechenden verschwanden hinter einer Biegung des Weges.

Aber sie hatte noch nicht lange wieder allein gesessen, als ein anderes Paar herankam. Falk und Frau Krabbe waren es, die dicht neben einander gingen, er zu ihr niedergebeugt und eifrig in sie hineinsprechend, sie schweigend, mit niedergeschlagenen Augen, aber jedes seiner Worte mit ihrem ganzen Wesen verschlingend.

Das schwarze, knapp anliegende Kleid, die matte Blässe ihres Gesichts bildeten ein eigentümliches Relief zu dem leidenschaftlichen, glühend begehrlichen Beben dieser gesenkten Augenlider, dieser nervösen, schmalen Lippen.

Ulla betrachtete sie mit Interesse.

Sie blieben aus Höflichkeit stehen, als sie die Malerin sahen, aber offenbar ungern. Falk schwieg und sah zerstreut weg. Frau Krabbe äußerte mit etwas unsicherer Stimme, wie man in dieser Hitze arbeiten könnte.

»Die Hitze ist herrlich,« sagte Ulla. »Hier im Norden kann man wahrhaftig nicht zu viel davon bekommen.«

Falk warf jetzt plötzlich einen Blick auf ihre Malerei.

»Nein, sehen Sie, das ist ja prächtig,« rief er lebhaft aus.

In diesem Ton lag etwas Echtes, was nicht mißzuverstehen war. Das war ein naives Schönheitsgefühl, wertvoller als jede ästhetische Kunstkritik, und Ulla wurde mit einemmal zugänglich.

»Finden Sie nicht auch, daß ich den Ton der Luft noch immer etwas zu warm getroffen habe?« fragte sie.

»Ach, ich weiß es nicht, es ist so schön. – Nicht wahr?« fragte er Frau Krabbe.

»Ja, sehr hübsch,« antwortete diese in gleichgiltigem Tone.

Ulla sah sie an. Es lag ein Schimmer von Glück über ihr, von einer eigentümlichen sinnlich gesättigten Glut. Was war für sie das Gemälde oder die Natur oder die sie umgebenden Menschen im Vergleich mit ihren eigenen Träumen!

Ulla fühlte bei ihrem Anblick einen Stich im Herzen. Diese gedankenarme, unbegabte, apathische, unthätige Anna Krabbe, die niemals im Leben ein Ziel erstrebt hatte, war glücklich, unbedingt glücklich, glücklicher als sie selbst mit allen ihren Erfolgen, all der Bewunderung, die sie umgab, dem inhaltsreichen und wechselvollen Leben, das sie führte. Glücklicher eben deshalb, weil sie eine so wenig komplizirte Natur war, daß sie sich von einem einzigen Gefühl vollkommen beherrschen lassen konnte, einem wenig zusammengesetzten, rein sensuellen Gefühl.

Denn es war nicht ein Sichverstehen, nicht Sympathie oder Verwandtschaft ihrer Naturen, es waren auch keine gemeinsamen Interessen, welche diese beiden zu einander hinzogen. Es war ganz einfache Verliebtheit, unreflektirter, ideenloser Sensualismus, weiter nichts. Es mußte doch beglücken, in einer solchen Stimmung ganz aufgehen zu können, ohne sie Stück für Stück zu zerpflücken, zu analysiren, zu seziren, wie sie selbst jedesmal gethan hatte, wenn sie im Begriff gewesen war, sich zu verlieben, ohne sich zu fragen, was diese Emotion wert sei, und ohne sich selbst zu sagen, daß es sich schwerlich der Mühe lohnen würde, sich den Konflikten auszusetzen, die sie nach sich ziehen würde.

Es fing an, etwas kühler zu werden, und Luft und Wasser hatten sich mit einemmal so verändert, daß Ulla nicht weiter malen konnte. Falk schlug eine Segeltour vor, aber Ulla erklärte, keine Zeit zu haben; sie hatte noch eine andere Studie angefangen, für welche die jetzige Beleuchtung gerade die richtige war.

»Willst Du denn den ganzen Tag arbeiten?« wendete Frau Krabbe ein.

»Ja, wenn ich einmal arbeite, dann arbeite ich den ganzen Tag. Will ich aber ausruhen, dann muß das aber auch vollständig sein, nicht nur mit dem Pinsel, sondern auch mit den Gedanken und der Phantasie, und das bin ich nur im stande, wenn mich etwas anderes in Anspruch nimmt.«

»Kannst Du auch noch von etwas anderem in Anspruch genommen werden?« fragte Anna. »Ich dachte, Malen wäre Deine einzige Leidenschaft.«

»O nein,« sagte Ulla, während sie ihrer alten Schulkameradin einen Blick zuwarf. »Nicht alle sind so glücklich, nur eine Leidenschaft zu haben; ich habe viele und werde beständig hin und her, von der einen zur andern gezogen.«

»Herr Dozent, haben Sie vielleicht Lust, mitzusegeln?« fragte Falk diesen, als er eben herankam.

»Ich danke sehr,« erwiderte der Dozent, »aber ich halte es nicht für ratsam, unmittelbar nach dem Baden zu segeln.«

»Aber, bester Ludwig,« fiel Ulla ein. »Das muß ich sagen, bei dieser Hitze!«

»Auf der See zieht es immer etwas.«

»Aber, Teuerster,« konnte Falk sich nicht enthalten, auszurufen, »Sie sind ja ein junger, kräftiger Mann.«

»Gerade deshalb,« erwiderte der Dozent, »weil ich eine ungewöhnlich gute Gesundheit habe, wäre es ein um so größeres Unrecht, meiner Ansicht nach, sie zu gefährden.«

Er lächelte mild, wie um Entschuldigung bittend, um den unbehaglichen Eindruck, den seine bestimmte Absage möglicherweise gemacht haben konnte, zu verwischen.

»Ich bin Ihnen für Ihr freundliches Anerbieten sehr dankbar und hoffe ein anderesmal –« er machte einige kleine Verbeugungen in schiefer Richtung, die Falk indessen vollständig ignorirte und sich zu Frau Krabbe wendete:

»Nun, Frau Krabbe, Sie, die Sie weder ein Sklave der Arbeit, noch der Gesundheit sind, Sie kommen doch mit mir, nicht wahr?«

»Ja, gerne,« erwiderte diese und fügte, sich zu Ulla wendend, zögernd hinzu: »Ich hätte nie geglaubt, daß Du ein solcher Pflichtmensch wärst. Ich erinnere mich wenigstens –«

»Pflicht!« fuhr Ulla auf, »oder Sklave, wie Herr Falk sagt. Nein, ich bin weder ein Sklave der Pflicht, noch sonst von irgend etwas anderem. Ich kenne keine anderen Pflichten, als meinen eigenen Einfällen zu folgen. Und nun habe ich Lust bekommen, mitzusegeln.«

Sie machte ihren Malkasten zu, steckte die gebrauchten Pinsel in einen Beutel und klappte Feldstuhl und Staffelei zusammen, während Falk nach der Landungsbrücke ging, um das Boot zurecht zu machen.

Etwas verlegen und mit einer Miene, als fürchte er sich, sich auf etwas einzulassen, dessen Folgen er nicht übersehen könnte, erbot sich der Dozent, ihr tragen zu helfen. Sie gab ihm bereitwillig Kasten und Stuhl; als sie ihm aber auch die zusammengeklappte, leichte Staffelei hinreichen wollte, schien er zu erschrecken, so daß sie aus Höflichkeit bemerkte: »Es wird vielleicht zu viel für Dich?«, während sie doch fortfuhr, ihm die übrigen Malutensilien aufzubürden.

Als er aber, sichtlich erleichtert, hervorstieß: »Ja, es wird mir vielleicht etwas zu viel,« zog sie plötzlich andere Saiten auf, nahm ihm alles wieder ab, faßte die Staffelei und den Malersonnenschirm mit der einen Hand, Kasten, Stuhl und Pinselstock mit der andern und hielt das Bild, was sie an sich lehnte, mit Kinn und Armen fest.

»Aber um alles in der Welt,« stammelte der Dozent ganz unglücklich. »Ich kann doch sehr gut etwas tragen.«

In dem Augenblick kam Falk vom Boot zurück, um die Damen zu holen, und wollte sich augenblicklich Ullas sämtlicher Sachen bemächtigen.

»Was soll das heißen, daß Sie alles allein tragen?« rief er mit einem vernichtenden Blick auf den Dozenten.

»Es soll heißen, daß niemand etwas zu tragen bekommt, der mich nicht gleich selbst mitträgt,« rief Ulla in einem plötzlichen Anfall von Uebermut. »Wenn ich mich unmündig machen und mir von anderen helfen lassen soll, thue ich es nicht für die Hälfte der Last. Entweder will ich eine orientalische Sultanin sein und keinen Fuß auf die plebejische Erde setzen oder ein freies Mädchen, das sich in allem selbst hilft.«

Sie hatte kaum ausgesprochen, als Falk sie beim Wort nahm. Es war ihm einerseits ein rein physisches Bedürfnis, seine ungewöhnliche Muskelkraft zu bethätigen, andererseits machte ihn die Illusion, Schwächere zu stützen und zu beschützen, stolz und glücklich.

Ehe noch Ulla im stande war, ihn daran zu hindern, hob er sie auf und trug sie ungeachtet ihres lachenden Protestes das kurze Stück den kleinen Grasabhang hinunter bis zur Landungsbrücke.

Frau Krabbe folgte ihnen, aber völlig verwandelt in diesen wenigen Minuten. Die Augen, die noch eben von sinnlicher Berauschtheit geglänzt hatten, blickten hart und streng unter ihren scharfen Brauen hervor.

Als Falk mit seiner Bürde die Brücke erreichte, kamen zwei Herren gerade herunter an den Strand. Ulla stand in der nächsten Sekunde wieder auf dem Boden. Ihre vornehme Haltung, mit der sie deren Gruß erwiderte, sagte deutlich, sie könnte im Uebermut sich und anderen schon einmal dergleichen erlauben, was eine Dame nicht wagen dürfte, die weniger sicher ihrer selbst und nicht Weltdame genug sei, um jeden Augenblick die nötigen Grenzen ziehen zu können.

Herr Krabbe, der mit Staunen die ganze Scene beobachtet und schon ein zweideutiges Lächeln auf den Lippen hatte, unterdrückte es denn auch schleunigst und begrüßte Fräulein Rosenhane äußerst ehrerbietig, während sein Begleiter sich mit seinem Gruß an Frau Krabbe wandte.

»Ich glaube gar, meine Frau war gerade im Begriff, mit auszusegeln. Aber damit wird es jetzt nichts, mein liebes Weibchen. Jetzt kommst Du mit uns nach Hause und sorgst hübsch für uns. Wir kommen eben direkt vom Dampfboot und sind hungrig wie die Wölfe.«

Die Miene, mit der Anna den Gast ihres Mannes begrüßte, machte diesem braven Spießbürger nicht den Eindruck, als ob er ihr besonders willkommen wäre. Er dachte nicht anders, als daß ihre Mißstimmung nur ihm gälte, und machte, während sie hinauf zu Herrn Krabbes Villa gingen, ungeschickte und verzweifelte Versuche, so liebenswürdig als möglich gegen die hübsche, aber strenge und ernste Frau seines alten Geschäftsfreundes zu sein.

»Die reine Nonne, Deine Frau,« sagte er nachher im Vertrauen zu seinem Freund, als sie beim Kaffee und Cognac saßen. »Es ist merkwürdig, wie eine so hübsche Frau so ernst und in ihrer Kleidung so einfach ist. Das sollte meine Alte sehen; die putzt sich mit Tournüre und anderem heraus, obgleich sie stattlich wie eine Oeltonne ist, die ehrliche Seele – ha, ha, ha! – ha, ha, ha!« Er schlug sich auf die Kniee und lachte noch eine gute Weile.

»Und das allermerkwürdigste ist noch,« fuhr er fort, nachdem er sich von seinem Lachen etwas erholt hatte, »daß sie auch nicht ein bißchen kokett ist.«

»Meinen Sie?« sagte Herr Krabbe.

»Nein, bei meiner Seele, wenn sie mit ihren schönen Augen auch nur ein einzigesmal nach mir hingesehen hätte – und sonst weiß man doch – na, Gott bewahre mich, ich bin ja ein alter, verheirateter Kerl, insofern – aber ein Mann ist doch immer ein Mann, man mag sagen, was man will. Ha, ha, ha!«

Anna hörte mit steigender Erbitterung die Lachsalven aus ihres Mannes Zimmer. Wie schrecklich untergeordnet doch alle seine Freunde waren, wie mußte sie sich ihrer schämen – ebenso wie seiner selbst.

Das war die größte Qual ihres Lebens – seine Einfältigkeit verletzte nicht nur beständig ihren Geschmack und ihre Feinfühligkeit; auch ihr Stolz wurde immer von neuem gedemütigt, wenn sie sehen mußte, daß alle diejenigen, deren Umgang sie befriedigte, von ihrem Mann sich zurückzogen.

Sie war ganz jung mit ihm verheiratet worden und da sie arm war, hatte man es für eine gute Partie gehalten. Als sie aber anfing, ihre Macht über die Männer zu begreifen, bereute sie den voreiligen Schritt bitter. Sie hätte viel bessere Partien machen können, wenn sie nur gewartet hätte.

Nun suchte sie sich mit kleinen Liebschaften zu entschädigen. Ihr Mann kannte kein Mißtrauen und war dabei so lächerlich eitel, daß er beständig junge Herren zu sich einlud, um mit seiner hübschen und bewunderten Frau zu glänzen.

Aber keine dieser Liebschaften hatte ihr verzehrendes Verlangen nach starken erotischen Sinnesaufregungen gestillt. Sie waren alle nur wie ein schwaches Vorspiel der wirklichen Leidenschaft gewesen, die sie diesen Sommer ergriffen hatte und die besonders dadurch so groß geworden war, daß Falk bis jetzt noch keinen Versuch gemacht hatte, ihrem Verhältnis einen andern Charakter zu geben, als es fast vom ersten Tag an gehabt hatte. Er machte ihr ziemlich stark den Hof – aber das war alles. War er wirklich verliebt? Sie fühlte sich selbst nicht ganz sicher, aber nun wollte sie es wissen. Diese Ulla Rosenhane sollte ihr ihn nicht entreißen. Sie wollte ihn zu einer Erklärung zwingen und zwar noch diesen Abend.



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