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IV.

Es war so still in dem großen Holzhause oben am Fuße der Felsenhöhe. Die Dienstboten schlichen auf den Fußspitzen einher. Die Köchin stand am Herd, hantirte mit Geschirr und Speisen, aber so lautlos, daß es aussah, als wäre sie in dem verwunschenen Schloß, wo alle während ihrer Beschäftigung eingeschlafen waren und nun tausend Jahre ihre Stellung beibehalten mußten.

Margit saß mit ihrem Kinde unten in der Wohnstube. Sie war nicht in ihrer Kammer oben auf dem Boden, damit nicht Ulla in ihrem Schlafzimmer das Kind schreien hören sollte.

Die alte Frau Falk schlich auf den Fußspitzen zwischen Wohnstube und Küche hin und her, unaufhörlich mit den Händen nach allen Richtungen hin gestikulirend, während sie das Gesicht in die lebhaftesten Grimassen verzog, um nur allen genügend einzuschärfen, daß sie still sein sollten. Bei dem geringsten Laut, auch wenn er so schwach war, daß er unmöglich in der oberen Wohnung gehört werden konnte, nahmen ihre ängstlichen und eindringlichen Grimassen und ihre abwehrenden Bewegungen mit den Händen zu. Und als Margits Knabe mitten in diesem Schweigen plötzlich ein lautes Geschrei erhob, stürzte sie auf ihn zu und drückte ihm die Hand so fest auf den Mund, daß er nahe daran war, zu ersticken, während sie mit einem Geflüster, das durchdringender als viele der Laute war, die sie zu unterdrücken suchte, der armen, unschuldigen Margit Unachtsamkeit und Herzlosigkeit vorwarf, weil sie ihr Kind nicht still erhalten könnte, wo es doch Ullas Leben gälte.

Die letzten vierundzwanzig Stunden waren aber auch so schrecklich gewesen, daß es nicht Wunder nehmen konnte, wenn alle im Hause etwas nervös geworden waren, denn keiner hatte eine Minute schlafen können.

Ulla war am Nachmittag unwohl geworden und man hatte nach der Hebamme geschickt. Die ganze Nacht hörte man kurze, abgebrochene Jammerschreie durch das ganze Haus, und trotzdem kam die Hebamme am Morgen heraus und erklärte, daß es noch nicht weiter wäre und man nach dem Arzt schicken müsse.

Falk war verzweifelt. Wären sie nach Christiania gereist, hätte man ihr diese gräßlichen Leiden ersparen können. Und nun mußte man Mutter und Kind den Händen dieses wenig geschickten Landarztes überlassen, während man die besten Spezialisten hätte haben können. Er machte sich die schrecklichsten Vorwürfe und war nicht im stande, während der ganzen Zeit, so lange man den Arzt erwartete, an Ullas Seite auszuhalten, sondern flüchtete vor ihren Angstschreien zur Mutter, wo er sich auf das Sofa warf und schluchzte, als ob er noch das leidenschaftliche, weiche Kind wäre, das so oft an ihrer Brust geweint hatte.

»Wenn sie stirbt, bleibt mir nichts anderes übrig, als mir auch das Leben zu nehmen,« sagte er zu der erschreckten Mutter.

Die Ankunft des Arztes, die Freude über die Rettung der Mutter und die Furcht, das Kind möchte erdrückt oder verstümmelt werden – eine gewaltsame Aufregung war der andern gefolgt, bis endlich dieses vollständige Schweigen still und beruhigend über dem ganzen Hause lag.



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