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VI.

Eines Tages las Ulla in einer Zeitschrift einen ungewöhnlich interessant geschriebenen Artikel über eine skandinavische Kunstausstellung, welche diesen Sommer in Christiania stattfand. Verschiedene der ersten nordischen Künstler, welche im Auslande lebten, darunter auch einige von Ullas Kameraden in Rom, hatten so frische und originelle Kunstwerke ausgestellt, daß man nie zuvor etwas Aehnliches im Norden gesehen hatte.

Dies erweckte ihre alte Sehnsucht nach der Kunst zu neuem Leben, und sie konnte sich nicht enthalten, auszurufen: »Ach, wenn man jetzt nach Christiania reisen könnte, ehe die Kunstausstellung wieder geschlossen wird!«

»Das kannst Du selbstverständlich,« antwortete Falk augenblicklich, »jetzt, da der kleine Rolf Dich nicht mehr braucht.«

»Willst Du mitreisen?« fragte sie und ihr Antlitz leuchtete auf.

»Ich weiß nicht, ob ich Zeit habe – ich habe mehrere Vorträge zu halten.«

»Ach, darum kümmere ich mich nicht – Du mußt mitreisen,« rief sie. »Denke nur an Dein Bein, Du mußt notwendig einen tüchtigen Chirurgen um Rat fragen, sonst endet es noch so, daß Du gar nicht mehr fort kannst. Wir reisen beide, abgemacht!«

Sie lebte bei dem Gedanken so auf, daß sie ordentlich jünger wurde. Ihre Wangen bekamen wieder die warme Farbe und die Augen den Glanz, der ihnen so lange gefehlt hatte. Sie faßte Falk an der Hand, zog ihn mit sich fort zur Mutter und rief: »Mutter, Mutter! Wir reisen nach Christiania. Dürfen wir, Mütterchen, dürfen wir?« Sie ließ sich scherzend auf ein Knie nieder und umarmte die Mutter.

Wenn sie so war, fand Frau Falk sie unwiderstehlich. Jetzt war sie wieder »das reizendste Geschöpf auf der ganzen Welt«, und die Mutter freute sich ebenso sehr, als wenn sie selbst die Freude hätte haben sollen.

»Du Arme, hast es die ganze Zeit schwer genug gehabt,« sagte sie.

Ulla fing nun mit Eifer an, sich für die Reise zu rüsten. Sie holte alle ihre Kleider vor und breitete sie auf Sofas und Stühlen in ihrem Zimmer aus.

»Was willst Du damit?« fragte Falk. »Meine Frau wird doch nicht so angezogen gehen wollen?«

Sie antwortete ihm scherzend, daß ihre Kleider allerdings für den vorigen Sommer gemacht worden wären, deshalb vielleicht nicht mehr ganz modern, daß sie aber eine berühmte Modeschneiderin in Rom gemacht hätte, so daß sie immerhin noch mit den Toiletten der Damen in Christiania würde wetteifern können.

»Ich finde die roten Strümpfe und den schwarzen Atlasrock mit den eingewebten Schmetterlingen sehr hübsch,« sagte er. »Ja, Du warst reizend in dem Anzug, meine Frau aber so zu sehen! Das wäre lächerlich.«

»Wenn ich aber als lebendiges Aushängeschild Deiner Prinzipien aufträte, wäre das nicht noch lächerlicher? Möchtest Du wirklich, daß ich in Bauerntracht in Christiania herumginge?«

»Du siehst so reizend darin aus!« sagte er und umschlang ihre Taille. »So jung, so fein und graziös in dem einfachen wollenen Rock!«

»Ja, natürlich, nun willst Du mir schmeicheln,« sagte sie lachend und machte sich los. »Ich soll Dir als eine Art Aushängeschild dienen. Kannst Du nicht auch einen öffentlichen Vortrag halten und mich als Ausstellungsmaterial verwenden, mich nach allen Seiten drehen und sagen: ›Seht her! Kein Korset!‹ Dann wieder drehen und sagen: ›Und seht! Keine Tournüre! So soll ein Volksmann seine Frau kleiden.‹ – Nein, mein Guter, daraus wird nichts. Es wird recht amüsant, sich auch wieder einmal elegant anzuziehen.«

Sie nahm die schwarze Atlastaille mit den Schmetterlingen auf und probirte sie an.

»Ja, Du mußt natürlich thun, was Du willst,« sagte er in etwas verstimmtem Ton.

»Natürlich!« rief sie aus und zog an der Taille, die nicht zugehen wollte. »Du willst doch nicht, daß ich mich nach Deinen Ansichten richte. – Ach, Du Erzdespot,« unterbrach sie sich und küßte ihn. »All [die] Reden von der sogenannten Unabhängigkeit meiner Ansichten sind ja pure Verstellung und Einbildung. Du willst mir einreden, ich hätte meine Freiheit – ja schön! Wenn Du gleich wie eine Gewitterwolke aussiehst, sobald ich es wage, meinen eigenen Willen zu haben!«

»Das kommt daher, weil zwei Naturen in mir sind, wenn ich instinktiv handle, dann bin ich Despot und will meinen Willen durchsetzen. Sobald ich aber reflektire, will ich das durchaus nicht. Es ist ein wahres Glück, daß Du nicht eine so unselbständige Frau wie so viele andere bist, denn dann würde ich ein schrecklicher Despot werden und Dich unwillkürlich weniger hoch achten.«

»Nein, ist das aber nicht ärgerlich, ich bin in der Taille stärker geworden,« warf Ulla ein. »Sieh nur, das Kleid geht nicht zu.«

Er lächelte und fuhr fort: »Ja, es ist ganz gut, daß Du mich ablenkst. Das that meine Mutter mit dem Vater auch immer – nicht wahr Mutter?

»Aber Du Unschuld, ich kann Dir trotzdem nicht beistimmen. Ich finde es allerdings richtig, daß die Frau ebenso gut wie der Mann ihren freien Willen haben muß; in dem aber, was seinen Lebensberuf betrifft, scheint mir, soll sie ihn unterstützen und nicht ihm entgegen arbeiten. Und aus bloßer Eitelkeit das ganze Thun ihres Mannes in den Augen seiner Widersacher herab zu setzen – nein, das kann ich nicht billigen.«

»Eine Frau muß noch viel mehr thun, was ihrem Lebensberuf schadet,« fiel Ulla in verändertem Ton ein. »Habe ich nach meinem Lebensberuf fragen können das ganze Jahr, so lange ich hier bin? Mein Lebensberuf – das war das große Gemälde, was nun unvollendet in Rom steht.«

»Und jetzt sehnst Du Dich darnach?« fragte Falk mit düsterem Blick.

»Ja,« sagte sie und blieb mitten im Zimmer stehen, die Kleidertaille von der einen Schulter herab gezogen. »Mitunter sehne ich mich darnach – es sollte das Hauptwerk meines Lebens werden – das Beste, was ich je gemacht –«

»Ja, das ist schwer für Dich, Du Liebe,« sagte die Mutter, die gleich von lebhaftester Teilnahme ergriffen wurde. »Du müßtest doch versuchen, das Bild hierher zu bekommen und es hier fertig zu malen.«

»Hier ist es unmöglich. Ich kann ein solches Gemälde nicht schaffen, ohne von Kunst umgeben zu sein. Und wo sollte ich hier Modelle her bekommen? Das Ganze ist ein Stück südländisches Leben. Schwarzäugige Kleine mit sammetbraunen Wangen, von Blumen und Früchten umgeben.«

»Ach, Liebe, erzähle mehr davon,« fiel ihr die Mutter ins Wort, deren Phantasie gleich lebhaft angeregt worden war. Sie schob einen Teil der Kleider auf die Seite, so daß eine Sofaecke frei wurde, und setzte sich hin. Falk stand unruhig an der Thür, im Begriff, wegzugehen, aber wider seinen Willen festgehalten.

Ulla hatte noch niemals über ihr Gemälde gesprochen, nicht einmal gegen ihren Mann. Sie fühlte, daß es ein empfindlicher Punkt war – etwa als wenn sie mit Zärtlichkeit und Sehnsucht von einem Rivalen hätte sprechen wollen. Jetzt aber konnte sie nicht mehr widerstehen. Sie warf die Kleidertaille ab und nahm einen dünnen Shawl um die Schultern; dann setzte sie sich halb auf die Kante des Tisches, der vor dem Sofa stand, stemmte beide Hände dagegen, um das Umkippen zu verhindern, und erzählte: »Es ist eine Schar spielender Amoretten, bunt durch einander. Aber das Ganze ist so lustig und frisch. Alle diese nackten Kinderkörperchen im bunten Farbenspiel des Sonnenlichtes und der Blumen – und der Uebermut und die Lebenslust, die aus ihnen sprüht! Ich hatte aber auch ein paar so wundervolle Modelle bekommen, daß alle mich darum beneideten, obgleich in Rom wahrhaftig kein Mangel an schönen Kindern ist. – Wenn sie nur nicht zu groß werden, bis ich wiederkomme!« unterbrach sie sich und versank in Nachdenken.

»Erzähle mehr,« bat die Mutter.

»Ja – so ist das Gemälde komponirt,« begann sie wieder lebhaft. »Hier« – sie ergriff einen bunten Sonnenschirm mit langem Ebenholzstock und zeichnete damit auf dem Fußboden – »im Vordergrund stehen zwei entzückende Kleine und küssen sich. Das eine hell, mit rötlichem Haar …«

»Und das andere natürlich schwarz,« fiel die Mutter ein.

»Nein, pfui, das wäre altmodisch. Das Haar des andern ist ebenfalls rötlich – aber dunkler – mehr bronzefarben; ihres ist wie Sonnenschein. Und was sie für Augen hatte – blaue Augen, aber solche, wie sie nur ein italienisches Kind hat – nicht die blassen Talgaugen unserer Bauernkinder, sondern Augen wie das mittelländische Meer. Manchmal schillerten sie förmlich violett, wenn sie recht zärtlich wurde. Du hättest nur sehen sollen, wie die beiden küßten! Wie sie sich drücken und die Lippen lange auf einander pressen konnten – es war so urkomisch und rührend zugleich.«

»Das finde ich nicht richtig – nein,« sagte Frau Falk, in ihrem moralischen Gefühl dadurch verletzt, daß Kinder Verliebte spielen sollten, während doch ihre Phantasie durch das Bild angezogen wurde.

»Nicht ganz moralisch,« vollendete Ulla lachend. »Ach, was willst Du denn, das sind Südländer! Mit sechs, sieben Jahren ist schon fast jeder Knabe und fast jedes Mädchen verliebt. – Hier, hinter den beiden,« fuhr sie fort, wieder auf der Diele zeichnend, »kommt ein kleiner Nichtsnutz, der auf den Fußspitzen heranschleicht und sie in den Rücken pufft; der ist nun blauschwarz – das Haar natürlich, verstehst Du, die Haut so eine Art Olivengrün – ja, und dieses Vergnügen, womit er es thut! Ich küßte ihn, ich hätte ihn aufessen mögen – ein so entzückendes Körperchen hatte er. Ich hatte aber auch monatelang gesucht, bis ich ein solches Prachtexemplar fand.«

»Ich glaube, Du warst in diese fremden Kinder verliebter als in Dein eigenes,« sagte Frau Falk, der es anfing, jetzt bedenklich zu werden.

»In ganz anderer Weise,« erwiderte Ulla. »Meine Verliebtheit in diese Kinder war ganz anderer Art. Sie waren gewissermaßen mein Werk, die Personifikation meines Kunstwerks, meine eigenen Phantasieschöpfungen, mein Testament für die Nachwelt, mein Lebensmonument, wenn Du willst. Ich schuf das alles, deshalb liebte ich es so, wie ich niemals jemand andern lieben kann, der mir nur in persönlicher Beziehung nahe steht.«

Sie erschrak über ihre eigenen Worte und warf Falk einen Blick zu. Er wandte sich weg und wollte gehen, aber sie kam auf ihn zu, ergriff seine Hand mit ihren beiden und spielte mit ihr, während sie die Finger aus einander schob und sich auf ihr Gesicht drückte.

»Ich weiß doch nicht, ob es ganz wahr ist, was ich da eben sagte,« flüsterte sie ihm ins Ohr scherzend und zärtlich zugleich. »Einen gibt es, der nur in einem persönlichen Verhältnis zu mir steht und der doch …«

»Und von dem Du Dich deshalb weg sehnst,« fiel er mit vor Aufregung bebender Stimme ein.

Die alte Frau Falk hatte ihr Taschentuch fallen lassen und versuchte, es mit dem Sonnenschirm aufzuheben, um sich nicht bücken zu müssen. Keines dachte daran, ihr zu helfen. Endlich bekam sie es in die Höhe, fuhr sich über das Gesicht, stand auf und ging leise aus dem Zimmer.

»Nein, ich sehne mich nicht fort von Dir,« sagte Ulla zu Falk. »Nach meiner Arbeit sehne ich mich, aber von Dir gehen kann ich trotzdem nicht. Ich würde ja dann ebenso sehr unter der Sehnsucht nach Dir leiden.«



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