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XVII.

»Bei diesem Wind könnten wir in vierundzwanzig Stunden die norwegische Küste erreichen,« sagte Falk zu Ulla.

»Möchten Sie nicht einmal mit nach Jökelheim kommen und meine Mutter besuchen? Sie würden ihr eine große Freude damit machen und Sie selbst würde es gewiß interessiren, unsere Schule und die ganze Gegend kennen zu lernen.«

»Aber was sollte Ihre Mutter von mir denken, wenn ich so mit Ihnen ankäme?«

»Ach, sie würde augenblicklich alles verstehen. Meine Mutter ist nichts weniger als eine Philisternatur – ich könnte Ihnen so manche kleine Geschichte aus ihren jungen Tagen erzählen, die Ihnen zeigen würde, wie sehr sie Stimmungsmensch ist und im stande wäre, Aehnliches zu thun.«

»Aber alle Nachbarn, die Leute aus der ganzen Gegend, was würden die dazu sagen?«

»Die brauchen ja nichts weiter zu erfahren, als daß Sie mit mir über die Felsen kommen. Außerdem sind Sie nicht die erste, die so mit mir ankommt. Es vergeht kein Sommer, wo nicht Damen über die Felsenberge wanderten, um unsere Schule zu besuchen.«

Ulla antwortete nicht; sie saß auf dem Boden des Bootes und stützte sich mit dem Arm auf ein paar Kissen, die Falk auf die Bank hinter ihren Rücken gelegt hatte. Schweigend überließ sie sich ihren Gedanken.

Sie fühlte sich außer stande, einen Entschluß zu fassen. Das beste war, sich Wind und Wellen willenlos zu überlassen; es war so wohlthuend, einem unbekannten Geschick sich entgegen schaukeln zu lassen, weit weg von Welt und Menschen sich zu fühlen, von der wohlgeordneten Gesellschaft mit ihren Gesetzen der Konvenienz, ihren tausend Rücksichten und Pflichten – allein zwischen Himmel und Meer mit dem, der ihrem Herzen so nahe stand, ohne daß sie ihm doch irgend welches Recht eingeräumt hatte, über sie zu herrschen. Diese ruhige Flucht, diese unbestimmte Beleuchtung der hellen Sommernacht, das Ungewisse, Schwebende, in ihrem ganzen Verhältnis zu einander, das Dunkel der Zukunft – alles erschien so gestaltlos, so groß, so ohne Grenzen, so flüchtig wie in einem halb wachen Traume.

Was die Welt zu ihrer Flucht sagen, wie ihre Tante, der sie versprochen hatte, mit ihr zusammen nach Stockholm zu reisen, es aufnehmen würde, daß sie sie auf diese Weise im Stiche ließ – was die arme, kleine Etty fühlen würde, wenn sie es entdeckte – alles das ging ihr durch den Kopf, aber nur wie aus weiter Ferne, so schattenhaft, als gehörte es einer andern Welt an als der, in welcher sie jetzt lebte.

Sie dachte auch an ihre Sachen, daß sie glücklicherweise ihre Reisetasche mit den notwendigen Reiseartikeln versehen hatte – ja, sogar das Essen fiel ihr ein, wie gut es doch gewesen war, daß Falk seinen Willen durchgesetzt und alles für sein Boot selbst besorgt hatte, aber sie dachte an alles das wie an etwas, das sie selbst eigentlich nichts anging, ja es war, als ob es gar nicht ihre eigenen Gedanken wären, sondern als ob ein anderer spräche und sie ihm halb abwesend zuhörte. Das eigentümliche Schaukeln eines kleinen Bootes, das mit starkem Wind segelt, übte seine betäubende Wirkung auf ihr Nervensystem aus; sie war nicht seekrank, aber sie hatte ein Gefühl der Leere im Kopf und alle Verhältnisse schienen ihr weit entrückt zu sein.

Auch Falks hatte sich eine sanfte, milde Stimmung bemächtigt. Er war ihr dankbar, daß sie mit ihm fuhr, und fest entschlossen, ihr Vertrauen nicht zu täuschen und auch nicht den kleinsten Beweis von Zärtlichkeit zu verlangen, den sie ihm nicht von selbst geben würde. Er sagte sich, daß es ein unermeßlich großes Opfer sei, wenn er von ihr begehrte, die Seine zu werden. Daß sie ihr Künstlerleben verlassen sollte, um mit ihm in einer abgeschlossenen, armen Felsengegend oben in Norwegen zu leben, sie, die gefeierte Künstlerin der großen Welt. Er fragte sich selbst, ob es möglich wäre, daß sein Traum jemals Wirklichkeit werden könnte. War es nicht ebenso ungereimt, als wenn sie verlangt hätte, er sollte seine Wirksamkeit verlassen und mit ihr unter den Künstlern in Rom leben.

War es möglich, daß einst der Tag kommen würde, wo sie in seinem Holzhaus oben bei den Felsengipfeln als Hausfrau an einer langen Tafel zusammen mit den Bauernburschen und Mädchen sitzen würde, wo sie, gekleidet in der einfachen, aber geschmackvollen Friestracht der dortigen Gegend, das Weben der Mädchen beaufsichtigen und im Winter durch den tiefen Schnee nach dem Vorratshause gehen, oder im oberen Saal mit ihrem singenden Schwedisch den Schülern vorlesen würde?

Nach ein paar Stunden wurde Ulla vom Schlaf überwältigt. Sie hatte lange dagegen gekämpft, denn sie fand es zu prosaisch, auf einer so romantischen Fahrt wie diese zu schlafen. Aber endlich gelang es ihr nicht mehr. Sie ging in die Kajüte, vertauschte ihr Kleid mit einem Morgenrock, den sie mit hatte, legte sich auf die schmale, harte Bank und schlief bald so tief und fest, wie man nur auf der See schlafen kann.

Falk saß die ganze Nacht am Steuer. Die zwei Stunden Schlaf am Nachmittag genügten ihm für Tag und Nacht. Er konnte mitunter sogar mehrere Tage wachen, während seiner langen, einsamen Seefahrten, wenn er niemand für das Steuer hatte und keine passende Stelle fand, um zu landen oder vor Anker zu gehen. Ja, er that es zuweilen selbst, wenn es nicht unbedingt geboten war, wie er auf seinen Fahrten oft von knappster Kost lebte, weil es ihm Vergnügen machte, seine Ausdauer zu prüfen. Er hatte dieselbe Freude daran, wie Bergsteiger, die gefährliche und anstrengende Bergpartien nur um der Gefahr und Anstrengung willen unternehmen.

Ulla erwachte am andern Morgen gegen acht Uhr mit der unklaren Vorstellung, daß etwas sehr Angenehmes ihrer wartete. Sie erhob sich rasch von ihrem harten Bett, kniete darauf und guckte durch das kleine, runde Kajütenfenster neben sich. Sie waren jetzt wohl mitten im Skagerak, und würden im Laufe des Tages vielleicht nach Norwegen kommen.

Sie lachte vor sich hin. Auf welches Abenteuer hatte sie sich eingelassen! Eine jubelnde Lebenslust überkam sie. Nein, wie groß und reich und schön konnte doch das Leben sein, mit einem unbegrenzten Horizont wie das Skagerak diesen Morgen, mit strahlendem Sonnenschein und grünklarem Wasser. Mitten zwischen Schweden und Norwegen schaukelten sie dahin, mitten zwischen dem alten und dem neuen Land – wie ihr eigenes Leben, das jetzt auf der Grenze zwischen zwei Welten schwebte.

Sie machte ihre Toilette so rasch, als die Umstände es erlaubten – das Schaukeln war so stark, daß es nicht leicht auszuführen war – und sah nach Falk hinaus, während sie ihm einen frohen guten Morgen zurief.

»Jetzt sollen Sie auch bald Kaffee bekommen,« rief sie. »Ich bin so hungrig; wie müssen Sie es erst sein, Sie Aermster, der Sie die ganze Nacht gewacht haben.«

Sie machte den Kaffee auf einem Petroleumkocher in der kleinen Küche, that Zucker und Sahne hinein und brachte ihn Falk mit einem Teller voll Zwieback. Es gehörte eine gewisse Geschicklichkeit dazu, mit Tasse und Teller vorwärts zu kommen, sie schwankte hin und her und schüttete die Hälfte über ihre Hand.

»Es ist nicht so leicht, Seejungfrau zu sein, wie ich jetzt merke,« sagte sie lachend. »Aber es ist doch immer noch besser als gar keine. Wie machen Sie es denn, wenn Sie allein sind?«

»Ach, etwas kaltes Essen habe ich immer in der Kajüte. Jetzt will ich Sie aber das Segeln lehren, damit ich für Ihr Mittagessen sorgen kann. Wir sind doch wohl nicht so altmodisch, daß Sie es gerade sein müßten, die für die Küche sorgt. Sie können mir glauben, daß ich das Ding ganz gut verstehe.«

»Riskiren Sie es, mich bei dem Wind segeln zu lassen? Es wäre ja köstlich, es zu versuchen.«

»Ja gewiß, bei dem Wetter und auf offener See ist nicht die geringste Gefahr – man braucht ja nur mit dem Wind zu gehen – das lernen Sie in zehn Minuten.«

Er gab ihr das Steuer, und da ihr Strohhut nicht im Wind halten wollte, borgte er ihr seinen Südwester. Er fand, daß sie entzückend darin aussähe, obgleich ihr der Hut so weit über die Stirn herab ging, daß sie die Nase hoch halten mußte, um überhaupt etwas sehen zu können, und eigentlich nur das weiche Kinn, der frische, lachende Mund und das lockige Haar noch vorguckten.

Der Tag verlief unter Geplauder und Essen – Ulla war unaufhörlich hungrig und aß oder trank alle Stunde – Schlafen, Lesen von Gedichten, die Ulla mit hatte, und Segelunterricht. Ulla merkte, daß sie es eigentlich war, die schwatzte, während er immer stiller wurde. Aber das erhöhte nur ihre eigene, fast exaltirte Lebhaftigkeit. Sie sprach von allen möglichen gleichgiltigen Dingen, nur um nicht Zeit zum Denken zu haben und um die ernste Stimmung zu verscheuchen, die mehr und mehr Macht über ihn bekam – und die auch bei ihr hinter all ihrer Munterkeit gleichsam auf der Lauer lag.



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