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XVIII.

Es hatte Ulla einigen Kampf gekostet, sich darein zu finden, daß sie wieder Mutter werden und dadurch von neuem an das Haus gebunden sein sollte. Würde sie denn niemals frei sein? Sollte sie ihre ganze noch übrige Jugendzeit opfern, um Kinder zu gebären und aufzuziehen und ihr Talent völlig liegen lassen? Oder sollte sie in Zukunft genötigt sein, sich den widerwärtigen und unschönen Vorsichtsmaßregeln zu unterwerfen, von denen sie mündlich und in Schriften gehört und gelesen hatte, und gegen welche sich ihr Zartgefühl auflehnte, als gegen etwas Rohes und Brutales, was den zarten Schimmer, der auch jetzt noch über ihrem gegenseitigen Verhältnis lag, zerstören würde. Sie schreckte vor beiden Alternativen zurück. Um von ihrer Unruhe los zu kommen, fing sie an zu malen. Sie nahm den staubigen Entwurf von dem Porträt von Margit und dem kleinen Otar wieder vor, was so plötzlich unterbrochen worden war und malte es fertig. Aber Margit hatte jetzt bedeutend weniger Neigung, still zu sitzen und hübsch auszusehen, da sie nicht mehr zwei bewundernde, schwarze männliche Augen auf sich gerichtet wußte. Außerdem bekam sie bald ganz andere Gedanken.

Der älteste Sohn vom Hofe Ulfven war auf einer Sennhüttenfahrt gestürzt und verunglückt. Der zweite Sohn studirte Theologie, infolge dessen war keiner da, der die Wirtschaft hätte besorgen können. Deshalb kam die Witwe zu Margit und schlug ihr vor, sie wollten Gunnar veranlassen, von Amerika zurück zu kommen und die Aecker zu übernehmen, sie könnten sich dann verheiraten und auf den »Vorratshof« ziehen, der seit dem Tode der alten Mutter leer stände. Margit war sehr glücklich über diese Lösung, denn sie hatte den Gedanken, nach Amerika auszuwandern, immer sehr unheimlich gefunden. Sie war eine gute Patriotin und fest überzeugt, daß Norwegen das beste Land der Welt und im Ausland alles ziemlich zweifelhaft sei. Den Gedanken an Lewi hatte sie aufgegeben und hing nun ein schmuckes Bild von Gunnar über ihr Bett, das dieser kürzlich geschickt hatte, und auf dem er, im Vollbart und kurz geschnittenem Haar, wie einer jener Amerikaner aussah, die Margit mitunter auf Touristenfahrten in den Fjällen gesehen hatte.

Bei Etty waren verschiedene beunruhigende Symptome aufgetreten. Sie hatte immer eine schwache Lunge gehabt und jeden Winter gehustet. Jetzt aber kam ein fieberhafter Zustand dazu und eine starke Abmagerung und Mattigkeit, die Ulla schließlich veranlaßte, trotz Ettys entschiedenem Widerstand, zum Arzt zu schicken und ihre Brust untersuchen zu lassen. Es stellte sich denn auch heraus, daß sie sehr angegriffen war, aber Etty wollte es durchaus nicht glauben, und es war nicht möglich, sie zu den Vorsichtsmaßregeln zu bewegen, welche ihr der Arzt dringend empfohlen hatte. Sie beharrte bei ihrer Ansicht, von allem Körperlichen so unabhängig zu sein, daß nichts Physisches ihr schaden könnte. Nach wie vor lief sie in dünnen Schuhen in Schnee und Regen hinaus, weigerte sich ganz entschieden, Wolle anzulegen, wie ihr verordnet worden war, und konnte nicht dazu gebracht werden, Milch oder sonst etwas Stärkendes zu trinken.

»Ich kann alles vertragen,« rief sie beständig, während ihre schmächtige, zarte Gestalt immer dünner wurde und die mageren, durchsichtigen Hände in Fieber zitterten. »Ich bin nicht die Spur empfindlich. Wenn aber zu viel Aufhebens gemacht wird, dann werde ich schließlich krank.«

Die schwere und demütigende Krisis, welche sie durchgemacht, als sie sich selbst eingestehen mußte, daß ihre Liebe zur Sinnlichkeit dieser Welt herunter gesunken war, hatte nur eine Zeit lang reinigend und befreiend auf ihre Sinne gewirkt. Bald verfiel sie wieder in ihre erotischen Phantasien, die durch den fieberhaften Zustand, den ihre Krankheit mit sich brachte, gereizt und außerordentlich entwickelt wurden. Der beständige innere Kampf erhielt sie in fast ununterbrochenem Fieber, und ihre Augen hatten einen ängstlichen, ruhelosen Ausdruck bekommen, als fühlte sie sich verfolgt – verfolgt von inneren Stimmen, welche eine Sprache flüsterten, die sie nicht verstehen wollte und der sie doch gezwungen lauschen mußte.

Zwar konnte sie sich auch jetzt noch oft einreden, sie habe sich selbst überwunden, und ihre Liebe sei nicht von dieser Welt; in einer andern würden sie zusammen gehören, wo die Gewalt der Sinnlichkeit keine Macht mehr habe. Aber wenn dieser Gedanke auch ihr einziger Trost war, so hatte er doch nicht die Kraft, die überhitzte Temperatur des Blutes bei dem armen, schwachen Geschöpf zu dämpfen, das die unbefriedigte Leidenschaft langsam tötete.

Etty stand bei Ullas zweitem Sohn, der im Sommer geboren wurde, Gevatter. Und bei dieser Gelegenheit gelobte sie sich, über das Seelenheil der beiden Kinder zu wachen und frühzeitig Gottesfurcht bei ihnen zu wecken. Das sollte ihr Beruf im Leben werden, da deren Mutter nicht fähig war, es selbst zu thun. Und diese Kinder, die doch ein Teil von ihm waren, gehörten deshalb auch ihr mit, und sie war vor Gott mit verantwortlich für dieselben.

Da sich aber die Liebe, die sie für sie hegte, in beständigen Liebkosungen äußerte, fingen die Eltern an, unruhig zu werden. Sie fürchteten Ansteckung und empfanden es auf der andern Seite doch als eine Unmöglichkeit, Etty das zu sagen. Als aber der Arzt einmal bei einem Besuch sah, wie sie unmittelbar nach einem Hustenanfall, der etwas von dem kranken Auswurf auf ihrer Lippe zurückgelassen hatte, den Kleinen in der Wiege küßte, sprach er eine scharfe Warnung aus. Etty hörte lächelnd zu, ohne dem Gesagten die geringste Beachtung zu schenken, und fuhr unbekümmert fort, die Kinder bei jeder Gelegenheit zu liebkosen. Die alte Frau Falk suchte es dadurch zu verhindern, daß sie ihr rein heraus sagte, sie handle unverantwortlich, aber auch darauf antwortete sie nur lächelnd, sie wäre nicht krank und glaubte außerdem nicht an Ansteckung.

Ulla nährte ihr Kind selbst und war während der ganzen Zeit frisch und heiter. In Stockholm wurde für das nächste Frühjahr eine große Ausstellung von den Erzeugnissen der jüngeren emigrirten Malerschule vorbereitet, wobei sie sich beteiligen wollte. Sie zog deshalb ein paar Monate nach der Geburt des Kindes eine neue große Leinwand auf und fing eine Arbeit an, die ihr, wie sie hoffte, Ehre und Geld einbringen sollte – letzteres für die italienische Reise, welche für nächstes Jahr anberaumt worden war.

Ihre gute Laune und ihr Kunsteifer litten nicht darunter, daß sie unaufhörlich durch den Kleinen unterbrochen wurde, der zur Zeit und Unzeit schrie und doch nur von der Mutter beruhigt werden konnte. Sie trank Warmbier, schaukelte abwechselnd ihr Kind auf den Armen, gab ihm zu trinken und malte Tag für Tag. Manchmal freilich beunruhigte sie der Gedanke, das Bild könne bei den ewigen Unterbrechungen doch leiden, da sie aber nichts anderes sah, womit sie es hätte vergleichen können, schien es ihr immer wieder, als ob es im Ganzen recht glückte.

Es war eine groß angelegte Komposition, die sie entworfen hatte: »Die Jugend der Volkshochschule in der Vorlesung«. Das Gemälde stellte einen Teil des großen Schulsaales dar, mit Flaggen und Büsten im Hintergrund. Man sah ein Stück der langen Tafeln mit den Bänken zu beiden Seiten, an der einen Seite die Burschen, an der andern die Mädchen, die meisten im Profil, das Gesicht dem Lehrer auf dem Katheder zugewendet – Birk, dessen charaktervoller Kopf mit dem langen Haar und dem kraftvollen norwegischen Bauerntypus eine gute Wirkung zu seinen geistvollen, glühenden Augen hervorbrachte. Ein Mädchen voll en face, ein rundes Gesicht mit lebhaftem Rot und flachsblonden Haaren, eine kleine, etwas komisch plumpe Figur, aber gutmütig und kindlich, gesund und heiter; ihr gerade gegenüber ein etwa siebenzehnjähriger Bursche mit hartem, verschlossenem Gesichtsausdruck, einer von der Sorte, die keinen langen Weg von der Hand zum Messer haben. Neben ihm ein schwärmerischer Arnetypus mit träumerischem Blick, vielleicht ein geborener Dichter.

Die Typen hatte sie genau studirt, aber die Zeichnung war nicht Ullas Stärke, und wegen der Farbenbehandlung war sie diesmal etwas unruhig. Sie fand hiebei keine Gelegenheit, die Farbenpracht anzuwenden, die sonst gerade immer ihre Hauptstärke gewesen war. Sie bewegte sich gewissermaßen auf fremdem Boden, das graue Dämmerlicht, das kalte Halbdunkel des schneeschweren Wintertages unter den Dachbalken, die plumpen, dicken, selbst gewebten Bauernanzüge, alles das war das gerade Gegenteil ihrer sonstigen Motive, den sonnenwarmen Kinderkörpern draußen im Freien unter Blumen und Bäumen.

Trotzdem aber glaubte sie, daß in dieser neuen Komposition etwas Kräftiges und Originelles läge, das seine Wirkung nicht verfehlen würde, und es amüsirte sie doch etwas, sich die Ueberraschung auszumalen, die es erwecken würde, wenn sie auf einem ganz neuen Gebiet aufträte.

Falk war froh, sie so eifrig bei ihrer Arbeit zu sehen. Er hoffte sogar im stillen, daß sie in ihrer Malerei vielleicht auch ohne Reise vorwärts kommen könnte, wenigstens ein paar Jahre noch. Durch sein Zurückziehen von der Schule hatte er bereits viele Verdrießlichkeiten gehabt und fing innerlich schon an, die Unmöglichkeit der italienischen Reise, für sich wenigstens, einzusehen.

Die Zahl der Schüler hatte unter Birks Leitung bedenklich abgenommen. Die Schule war eigentlich Falk – nur Falk. Seine Persönlichkeit war es, die sie auf ihrer Höhe hielt. Da alle Schüler vollkommene Freiheit hatten, zu kommen und zu gehen, wann sie wollten, denn die ganze Existenz der Schule beruhte auf ihrem freiwilligen Zusammenhalten, konnten sie nicht gezwungen werden, gegen ihren Willen zu bleiben, und schon im ersten Jahre waren einige nach den Weihnachtsferien nicht wieder erschienen. Und im neuen Jahre kamen in jedem Monat zwei, drei, die unter verschiedenen Vorwänden erklärten, nach Hause zu müssen. Fragte aber Falk nach dem wahren Grund, dann bekam er von allen dasselbe zu hören, die Schule wäre nicht mehr das, was sie früher gewesen und außerdem lebte es sich auch höchst unbehaglich bei Birks in Pension – das Essen wäre schlecht, Birk selbst streng und fordernd und seine Frau still und langweilig.

Birk war in Wahrheit ein harter und despotischer Mann, und eine Schwere ruhte auf seinem ganzen Wesen, die alle jugendliche Munterkeit um sich her förmlich erstickte. Er konnte sich nicht unterhalten, nur Reden halten, besaß aber als Redner und Vorleser eine tiefe und originelle Gewalt, die auf intelligentere Schüler großen Einfluß ausübte, während sie für die Auffassungsgabe dieser Bauernkinder zu hoch war. Er selbst hielt sich für eine Art Propheten, dessen kleinster Ausspruch mehr Gewicht hätte als lange Reden anderer, denn niemand wagte, ihm zu widersprechen, und sein Einfluß war bei einzelnen unbegrenzt; die meisten aber suchten sich seiner strengen und fordernden Natur zu entziehen.

Diesen Winter – dem zweiten unter Birks Leitung – waren nur zwanzig Schüler statt der sechzig der früheren Jahre wieder gekommen. Das war ein harter Schlag für Falk; die Schule war seine Lebensaufgabe, er hatte ihr schon so viel geopfert, hatte alle seine Zukunftsträume in sie hinein gelegt. Sollte er nun zusehen, wie sie immer mehr zurück ging, nachdem er sie zu der bedeutenden Stellung gehoben, die sie in den letzten Jahren eingenommen hatte! Unter Mißtrauen und Widerstand von den verschiedensten Seiten hatte er angefangen. Sollte er jetzt, nachdem er gesiegt und allgemeine Achtung und Sympathie für sein Werk gewonnen hatte, zugeben, daß es wieder zerstört würde?

Deshalb willigte er mit Freuden in Ullas Vorschlag ein, zur Ausstellung nach Stockholm zu reisen. Hier würde sie neue künstlerische Eindrücke empfangen, die eine Reise nach Italien vielleicht ganz überflüssig machten, und konnten sie dann nicht nächsten Winter daheim, jedes für sich, an seiner Lebensaufgabe arbeiten, ohne einander eifersüchtig zu hindern!



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