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XI.

Falk hatte der Unterhaltung schweigend zugehört, während er neben den beiden Damen herging. Nelly wollte ein Bad nehmen und verabschiedete sich jetzt. Ulla sah, daß Falk über etwas grübelte, und da sie ihm gern Gelegenheit zu einer Aussprache geben wollte, schlug sie vor, sie wollten sich auf eine Bank in der Nähe des Kurhauses setzen und da auf die Mittagsglocke warten.

Endlich brach es los.

»Fräulein, sagen Sie, dieser Maler, mit dem Sie zusammen wohnten, er liebte Sie doch, nicht wahr?«

»Nicht im Anfang,« antwortete sie ausweichend.

»Aber nachher, und Sie liebten ihn nicht?«

»Nein.«

»Aber das verstehe ich nicht,« rief er aus. »Wie ist es möglich für zwei Menschen, ein halbes Jahr wie zwei Kameraden zusammen zu wohnen, während der eine liebt; das mußte ja eine Höllenqual sein.«

»Ja, das wurde es auch wirklich zuletzt, aber da schieden wir von einander.«

»Fräulein, verzeihen Sie mir, wenn ich so mit Fragen in Sie dringe; aber wie kamen Sie darauf, ihm so große Gunst zu erweisen, ihn so bei sich aufzunehmen, wenn Sie ihn nicht liebten?«

»Ich will Ihnen alles erzählen,« sagte sie und setzte sich so, daß sie die Sonne im Rücken hatte. »Ich habe noch mit keinem Menschen über diese Geschichte gesprochen, da ich sie aber berührt habe … ich möchte so gern, daß Sie mich verständen. – Er war ein ganz junger Mensch – jünger wie ich – ein Italiener, von kindlicher, naiver, tief innerlicher Natur, hatte etwas äußerst Anziehendes, das kann ich nicht leugnen, etwas sehr Anziehendes für mich. Er war auch ein Maler von glänzendem Talent. Aus allem, was er machte, sprach eine geniale Kühnheit, die mich entzückte. Und dabei war er so unbewußt, daß er selbst kaum begriff, wie er zu so überraschenden Resultaten kam. Er war ein armer Bursche ohne alle Erziehung und hatte in der Campagna die Schweine gehütet, aber die natürliche Noblesse des Italieners in seinem ganzen Wesen und die Bildungsfähigkeit des Genies waren ihm angeboren.«

Sie lehnte den Kopf an die Banklehne zurück und schien ihre Erinnerungen zu sammeln.

»Es fing damit an, daß ich ihn mit einigen anderen Malern zusammen ökonomisch unterstützte. Er ließ sich von uns vollständig unterhalten, ohne daß er nur daran gedacht hätte, sich im geringsten nach uns zu richten oder Rat von uns anzunehmen. Er verkaufte seine von der Kritik verworfenen Bilder nie, malte aber trotzdem nur nach seinem eigenen Kopfe weiter. Einige seiner Wohlthäter unter den älteren Malern fingen an, die Geduld zu verlieren, als er sich mit größter Entschiedenheit weigerte, bekannte Wege zu gehen, auf denen er mit Leichtigkeit große Erfolge erzielt haben würde. Sie fanden, es wäre doch seine Pflicht und Schuldigkeit, Bilder zu malen, die er verkaufte, statt so fortgesetzt auf ihre Kosten zu leben. Ich allein verteidigte sein Recht, sich seinen Weg selbst zu suchen, und da die anderen allmälich ihn seinem Schicksal überließen, bot ich ihm an, mein Atelier mit ihm zu teilen, gab ihm mein Wohnzimmer als Schlafzimmer und ließ ihn meine Modelle benützen, wenn er sie wollte – gewöhnlich wollte er aber nicht und ich mußte ihm andere mieten. So lange er nur an sein Malen dachte, ging alles ganz gut. Wie er aber – sie rückte wieder auf einen andern Platz – wie er aber anfing, allmälich aus seinem Traumleben zu erwachen, wie er anfing, von seiner Arbeit aufzusehen, der er sich bis dahin so leidenschaftlich gewidmet hatte, daß er, wie ich glaube, kaum wußte, ob er etwas zu essen hatte oder nicht, da war das erste Lebenszeichen, das er von sich gab, daß er sich verliebte, und natürlich in mich, da ich ja am nächsten bei der Hand war.«

»Und da wurde das Zusammenleben mit ihm peinlich?«

»Nicht gleich,« erwiderte sie und wurde rot. »Er war ebenso unmittelbar und stürmisch, ebenso naiv selbstgefällig in seiner Liebe, wie er es bisher in allem andern gewesen war. Es fiel ihm ebenso wenig ein, daß er nicht wieder geliebt werden könnte, wenn er selbst liebte, wie er früher niemals daran gezweifelt hatte, unsterbliche Meisterwerke malen zu können, wenn er sich nur die Mühe geben wollte. Und in dieser naiven Zuversicht lag etwas, das mich fesselte. Sie verstehen, man glaubt leichter an das, wovon man einen andern so fest überzeugt sieht. Und ich wollte so gern, aufrichtig gesagt, ich wollte mich gern verlieben. Alle, die ich kannte, waren verliebt gewesen, mehr als einmal, nur ich niemals. Warum sollte ich nicht auch einmal das Glück kosten, das die Liebe schenken kann?

»Nein, jetzt kommen Leute,« unterbrach sie sich und stand auf, »lassen Sie uns hinab an den Strand gehen! – Es ist eigentümlich,« fuhr sie, als sie am Kurhaus vorüber waren, nach einer Weile fort, »ich habe eigentlich immer etwas Furcht vor der Liebe gehabt, obgleich ich mich doch darnach sehnte.«

Sie hatte den Hut abgenommen und ging, während sie ihn am Bande leise hin und her schlenkerte und fast auf die Erde schleifen ließ, in vorgebeugter Haltung weiter.

»Diese völlige Hingabe, welche die Liebe voraussetzt – ich meine weniger in äußerer Beziehung,« sagte sie freimütig und warf den Kopf etwas in die Höhe – »das halte ich mehr für etwas Zufälliges, Unwesentliches, ich meine vielmehr …« Sie sah wieder nieder auf ihren Hut, während sie ihn auf der Erde hüpfen ließ, indem sie von Zeit zu Zeit am Bande zuckte. »Ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll – ich habe ein so starkes Bedürfnis nach innerer Einsamkeit, ich bin niemals in der Gesellschaft eines andern Menschen glücklicher gewesen als in meiner eigenen. – Verstehen Sie das?« wandte sie sich mit einem halb scheuen Blick zu ihm.

Aber Falk war von der Aeußerung, die sie vorhin gethan hatte: »Ich meine weniger in äußerlicher Beziehung – das ist unwesentlich«, noch so betroffen, daß er ihre Frage gar nicht hörte. Er fühlte plötzlich eine wahnsinnige Eifersucht gegen den jungen Maler; er glaubte ihn schon an den Schultern zu packen und ihm zuzurufen: »Gestehe, in welchem Verhältnis Du zu ihr gestanden hast, armselige, kleine Kreatur, die ich zwischen meinen Händen zerreiben könnte, wenn ich wollte!« Er sah ihn lebendig vor seinen Augen, den kleinen, schmachtenden Italiener, mit schwarzen Augen natürlich und weichen, weibischen Bewegungen.

»Und wie trennten Sie sich?« fragte er, statt Ullas Frage zu beantworten.

»Der Tod trennte uns,« antwortete sie und hörte auf, mit dem Hut zu schlenkern. Sie hing ihn über den Arm und sah hinaus auf das Wasser.

Der Tod! Er atmete auf. Ach so, er war tot, der kleine schwarze Italiener – es war vorbei. Was auch gewesen sein mochte, es war vorbei.

»Sein zarter, schwacher Körper fiel dem harten Leben vor der Zeit zum Opfer,« fuhr Ulla fort. »Er bekam im Sommer Malaria. Ich reiste mit ihm in eine Berggegend und pflegte ihn ein paar Monate. Dann starb er mit seiner Hand in der meinen.«

Sie schüttelte etwas Sand vom Hut und setzte ihn auf.

Falk wagte nicht, weiter zu fragen. Er fühlte, daß er kein Recht an die Vergangenheit hatte, und daß nichts auf der Welt ihm ein solches Recht geben konnte. Er drückte ihr die Hand und sagte: »Wie glücklich, wie glücklich war er doch! Er starb mit seinen großen Träumen von Kunst und Liebe – das ist besser als leben und herausgerissen werden.«

»Ja, ich fand auch, daß über diesem Leben und diesem Tod etwas Versöhnendes lag,« sagte sie, während ihr Thränen über die Wangen liefen, ohne daß sie sie zu merken schien.

Die Mittagsglocke tönte jetzt zu ihnen herüber, und sie kehrten um und gingen in das Kurhaus.

Frau Möller stand mit Evelina Suhr in der Veranda. Sie ging lebhaft auf Ulla zu, nahm ihre beiden Hände und drückte sie herzlich, sah ihr tief und forschend in die Augen und sagte: »Darf man zur Verlobung Glück wünschen?«

Mehrere Badegäste in der Nähe hatten die Frage gehört und warteten nun neugierig auf die Antwort.

Ulla war mehr gereizt als überrascht über diese Aufdringlichkeit.

»Bin ich es, die man verloben will?« fragte sie. »Gibt es in Utschär keine anderen Partien, die man machen könnte? Ich weiß ja sehr wohl, daß einem Badeort zur besonderen Ehre gereicht, wenn Verlobungen zu stande kommen. Und Frau Möller, als der Schwester des Arztes, liegt es besonders am Herzen – es ist unangenehm, daß ich nicht zu Diensten stehen kann – aber mich dürfen Sie wirklich nicht mit in Rechnung ziehen, da ich mich ganz entschieden nicht verloben werde.«

Falk antwortete ebenso scharf ablehnend, als man ihn mit Ulla necken wollte.

Von allen Seiten hörten sie Andeutungen in der Richtung. Der Augenblick war gekommen, der im Gesellschaftsleben regelmäßig einmal einzutreten pflegt – die tiefsten Herzensheimlichkeiten zweier Menschen, die sich diese noch nicht einmal selbst eingestehen, werden schonungslos bloßgelegt und zum allgemeinen Gesprächsstoff gemacht. Ihre zartesten, schüchternsten Gefühle werden durch Blicke und Worte entweiht, sie können sich nicht in der Einsamkeit ungestört durchkämpfen und zur Klarheit gelangen, sie werden gezwungen, ihre Gefühle mit den Augen anderer zu sehen und sie mit dem Maße anderer zu messen und zu beurteilen.

Und hier handelte es sich um ein Verhältnis von ganz besonders empfindlicher Natur, nicht einfach nur um einen jungen Mann, der eine passende Frau suchte, oder um eine junge Dame, die eine Stellung und ein Heim haben wollte. Im Gegenteil waren es zwei Menschen, die einen harten Kampf gegen eine wachsende Neigung kämpften, die, wenn sie die Oberhand gewann, drohte, einen Riß in ihr Leben zu bringen und sich hindernd in den Weg zu stellen, den jedes zur Erlangung seines Zieles eingeschlagen hatte.

Und deshalb geriet Ulla außer sich, wie man anfing, sie mit Andeutungen zu belästigen, und biß und schlug mit heftigen Worten und scharfen Abfertigungen um sich, so daß sich bald niemand mehr an sie heranwagte. Aber das Unglück war geschehen, das Problem aufgestellt, klar und unabweislich: »Willst Du sie zur Frau haben, sie, die nie und nimmer Deinen Lebensberuf teilen kann? Und glaubst Du, daß sie jemals darauf eingeht, die Deine zu werden?« Und für sie: »Bist Du im stande, so zu lieben, daß Du mit Deiner ganzen Vergangenheit brechen und alle Ziele, die Du bisher verfolgt hast, aufgeben kannst?«



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