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IX.

Sie kam bald herunter zu ihnen in einem Promenadenkostüm nach englischem Geschmack – einfach, aber so stilvoll, daß sich alle nach ihr umwendeten, als sie die Karl Johannsstraße entlang nach der Ausstellung gingen. Es lag nichts »Volkstümliches« in dieser Einfachheit. Ein faltiger Rock, eine kleine Jacke von schmalgestreiftem Herrenstoff mit weißer Weste, ein Herrenhut aus Filz, das Fernglas an einem Lederriemen über der Schulter und ein langstieliger Sonnenschirm, den sie als Spazierstock gebrauchte, während sie im Schatten des Trottoirs gingen.

»Auf die Länge wird es wirklich etwas einförmig, immer in Nationaltracht zu gehen – es ist ordentlich wohlthuend, wieder einmal etwas ›chic‹ zu sein,« sagte sie und deutete im Vorbeigehen auf ein großes Schaufenster.

»Erinnerst Du Dich des grauweißen, arabischen Burnusses?« fragte Lewison. »Ich glaube, es waren zwei Monate, daß Du darin lebtest. Damals dachtest Du nicht daran, ›chic‹ zu sein.«

»Nein, wenn ich arbeitete, dachte ich nie an so etwas, natürlich. Warm und bequem war der Burnus, schön allerdings nicht.«

»Ach nein,« sagte Lewison. »Nicht schöner als wenn Du einen gewöhnlichen Sack genommen, ein Loch hinein gemacht, ihn über den Kopf gezogen und mit einem Strick um den Leib befestigt hättest.«

»Und dann die großen Strohpantoffeln. Ja, man kann nicht behaupten, daß Du vor uns kokettirt hättest,« fiel Nicke ein.

»Nein, das wäre mir wirklich nicht eingefallen. Vor euch zu kokettiren! Und wenn ich bis an die Füße fror! Ihr kokettirtet ebenso wenig vor mir – ach, Lewi war köstlich in seinem Turban und persischen Schlafrock, der ihm in Fetzen um die Beine hing.«

»Ja, wir froren hundemäßig den Winter,« sagte Lewi. »Schließlich warst Du noch die einzige, die Geld zu Kohlen hatte und wir kamen zu Dir, um uns bei Dir zu wärmen.«

»Wie kam es eigentlich, daß Du stets mehr ›Kleingeld‹ hattest als wir?« fiel Nicke ein.

»Das war sehr einfach – weil ihre Bilder immer gleich verkauft wurden,« sagte Lewi. »Wenn Du jeden Tag eines gemalt hättest, ich glaube, Du hättest es auch verkauft. Wenn man nur hübsche Motive malt, dann – ja, aber jetzt sollst Du nicht sagen, daß ich neidisch wäre, Ullachen. Denn ich meine nicht, daß nur Deine Motive hübsch waren. Du hast immer so an die tausend Teufelchen in Deinen Augen gehabt, die machten, daß Du sowohl alles sahst, was hübsch war, als auch zugleich so, wie Du es darzustellen hattest. Ist man aber ein solches Sonntagskind wie Du, dann ist es wirklich zu haarsträubend, sich so dumm zu verlieben – was, Nicke? Weinen möchte man über solche Vergeudung der Gaben der Natur.«

»So sind die Meister,« sagte Nicke und fing an, eifrig zu kauen.

Sie plauderten und lachten so lebhaft, während sie die Straße entlang gingen, daß sie gar nicht bemerkten, was sie für Aufsehen erregten. Die beiden Maler waren schon allgemein bekannt, aber die fremde Dame mit der ausländischen Kleidung erregte allgemeine Neugierde.

Da kam ihnen Falk von der entgegengesetzten Seite in Gesellschaft eines Volkshochschullehrers aus Westland und dessen Frau entgegen. Diese war ein reiches Mädchen aus Christiania, die aber von ihrem Vater keine Unterstützung annahm, weil er nicht mit dem Beruf, den ihr Mann erwählt hatte, sympathisirte. Sie war äußerst ärmlich gekleidet in einem schweren grauen Wollkleid und ordinären, geradekrämpigen Hut. Ihr Mann trug einen langen Rock und glatt herab hängendes, langes Haar. Man hätte sie unbedingt für wirkliche Bauern halten können.

»Sag mir nur eins, Ullachen,« sagte Lewi, gerade ehe sie die Kommenden bemerkten. »Du sagtest, Du hättest es in den Zeitungen gelesen, daß ich hier wäre. Warum ludest Du mich da nicht zu Dir ein? Ich finde, das war recht häßlich von Dir.«

»Daran gedacht habe ich wirklich – aber ich war weder so recht frisch, noch heiter. Du weißt vielleicht nicht, daß ich einen großen, prächtigen Jungen zu Hause habe. Ja, aber jetzt kannst Du gern mit uns kommen, wenn wir nach Hause reisen.«

»Im Segelboot! Nein, ich danke bestens! Aber ich kann nachher mit euch zusammen treffen. Das wäre so übel nicht. Ist es ein hübscher Junge, mit dem Du die Welt bereichert hast? Entzückend und reizend? Wie?«

»Im höchsten Grade entzückend,« sagte Ulla lachend. »Er ist einfach das reizendste Kind auf der ganzen Welt – genau wie jedes andere Erstgeborene. Ja, Du wirst es ja selbst sehen – es ist eben Rasse in ihm. Er schreit und strampelt, wenn man nicht gleich beachtet, was er will, daß er das ganze Haus auf den Kopf stellen kann. Das liebe ich – zahm möchte ich ihn um alles in der Welt nicht haben.«

»Asathor!« sagte Lewi und zog die Augenbrauen in die Höhe.

»Er wird eine ausgezeichnete Erziehung bekommen, das kannst Du glauben. Er soll alles haben, was er will. Ich glaube zwar, diese Erziehungsmethode ist noch niemals ernstlich erprobt worden, aber ich bin ganz sicher, daß es die einzig richtige ist.«

»Nein, was kommt dort für eine wunderhübsche Dame,« rief jetzt plötzlich die junge Frau des Volkshochschullehrers, noch ehe Falk selbst Ulla gesehen hatte. »Sie hat etwas so Besonderes – das ist gewiß eine Fremde.«

Jetzt erst bemerkte auch Falk sie und mit einemmale wurde ihm klar, wie sie so ganz anders war als alle Damen, die er auf den Straßen von Christiania gesehen hatte. Es lag ein Etwas aus der großen Welt über ihr, wie sie so zwischen den beiden Herren daher kam. Und plötzlich überkam ihn die schmerzliche Ahnung, daß sie eigentlich einer andern Welt als er angehörte, und es schien ihm wunderlich, unfaßlich, daß das seine Frau war – daß diese überlegene Weltdame einen ganzen Winter bei ihm in der Schule gelebt hatte und die Mutter seines Kindes war.

»Das ist meine Frau,« sagte er in einem Ton zu seinen Begleitern, der nicht nur deren Staunen, sondern geradezu Zweifel an der Wahrheit seiner eigenen Worte vorauszusetzen schien.

»Ihre Frau – nein, Falk, ist das möglich?«

Falk eilte jetzt auf Ulla zu und stellte vor: »Einer meiner nächsten Freunde, von dem ich Dir schon oft erzählt habe – Birk und Frau.«

Ullas Blick musterte unwillkürlich prüfend die junge Frau, während sie ihr die Hand reichte. Diese errötete und wagte kaum aufzusehen, so sehr imponirte ihr Ullas ganzes Wesen. Es war der erste Hauch aus der großen Welt, der sie berührte und sie fühlte sich geblendet und zugleich vernichtet.

Die beiden Maler standen in einiger Entfernung. Die junge Frau kannte sie von Ansehen und wußte, daß Lewison und Ulla für die bedeutendsten nordischen Maler unter dem jüngeren Geschlecht galten.

Sie war mit all der Schwärmerei für Kunst und Poesie aufgewachsen, die in den Kreisen, welchen sie angehörte, gepflegt und groß gezogen wurde – den Grundvigianern – und war nun überglücklich über dieses Zusammentreffen.

Ulla bemerkte gleich etwas Schönes und Seelenvolles in dem schüchternen Blick, den die junge blonde Frau mit dem sonst unbedeutenden Aeußern ihr zuwarf. Sie fragte sie deshalb freundlich, ob sie sich für Kunst interessire und vielleicht mit ihnen in die Ausstellung gehen wolle.

»Ach!« sagte Frau Birk mit dem Ausdruck höchsten Glückes. »Mit Ihnen gehen und die Kunst sehen zu dürfen!«

Ulla wurde ganz warm durch diese naive Freude, die sich in diesen Worten ausdrückte und stellte die beiden Maler vor, worauf sie alle zusammen weiter gingen.

In der Ausstellung jedoch vergaß sie ihre Begleiterin bald völlig über dem lebhaften Interesse, womit sie die Kunstwerke studirte. Falk kam unaufhörlich und wollte sie mit sich fort ziehen zu Gemälden, die besondern Eindruck auf ihn machten, und das irritirte sie, denn sie wurde meistens von solchen gefesselt, die ihn nicht anzogen. Was ihn besonders interessirte, war hauptsächlich das Motiv, die Gruppirung und der seelische Ausdruck in den Gesichtern. Ihm war die Geschichte das wichtigste, ihr die Ausführung. Birks folgten ihnen, als sie aber einmal durch die Ausstellung gegangen waren, fühlten sie sich ermüdet und wollten gehen. Ulla dagegen erklärte, noch nicht den vierten Teil gesehen zu haben. Sie hatte die Kunst so lange entbehren müssen, daß sie in dem ungewohnten Genuß jetzt förmlich schwelgte und sich an allem freute, auch dem unbedeutendsten, wenn es nur Talent verriet.

Falk begleitete Birks nach Hause und kam dann wieder, um Ulla abzuholen, aber sie war noch so vollständig vertieft, daß sie ihn kaum bemerkte. Er setzte sich, geduldig wartend, hin und streckte sein verletztes Bein, das ihn belästigte, lang aus. Nur mit den Augen folgte er ihr und den beiden Malern, aber eine wachsende Verstimmung bemächtigte sich seiner. Wie überflüssig war er nicht plötzlich in ihrem Leben geworden. Sie sah sich kein einzigesmal nach ihm um, er existirte gar nicht mehr für sie! Das war noch niemals vorgekommen. Trotz mannigfacher kleiner Mißstimmungen zwischen ihnen hatte sich doch ihre Liebe so viel Romantik und Schwärmerei bewahrt, daß sie niemals gleichgiltig für die Gegenwart des andern waren. Wie oft hatte sie ihm nicht gesagt, daß sie nie seinen Schritt auf der Treppe, seinen Griff an der Thürklinke ihres Zimmers, wenn er aus der Schule käme, hörte, ohne etwas Herzklopfen zu bekommen, eine leichte Wallung des Blutes, ein Gefühl von etwas Reichem und Schönem, das das Leben brächte. Und niemals war er selbst so vollständig hingenommen gewesen, daß er nicht mitten in einer Vorlesung oder einer großen Gesellschaft ihre Nähe gefühlt und ihre Blicke gesucht hätte, daß sie nicht der Mittelpunkt gewesen wäre, um den sich alle seine Gedanken direkt oder wenigstens indirekt gedreht hätten!

Und nun war er vollständig ausgeschlossen von dem, was ihr ganzes Interesse in Anspruch nahm, ihre ganze Seele erfüllte.

Er machte sich selbst Vorwürfe darüber, daß er das so bitter schmerzlich empfand. War er nicht ein unverbesserlicher Romantiker! Verlangte er, daß sie das ganze Leben hindurch in einander verliebt bleiben sollten? Mußte nicht auch für sie wie für alle anderen einmal die Stunde kommen, wo die erste verliebte Exaltation einem ruhigeren Gefühle weichen würde? Aber nein, nein – dagegen empörte sich seine ganze Seele. Sollte er in demselben Zimmer mit ihr sein können, ohne ihre Nähe zu fühlen, ohne sie mit seinen Blicken zu suchen, sollte es je sein können, als ob sie gar nicht zu seinem Leben gehörte? Er sagte sich, daß das einfach undenkbar wäre. Sollte sie aber schon zu dem Punkte gekommen sein? Nein, das konnte er nicht ertragen, er wollte sie von diesen Malern wegnehmen – noch morgenden Tages, wollte heim segeln mit ihr und sie für sich allein behalten.

Aber ach, das konnte er ja nicht! Er war bei dem berühmten Chirurgen gewesen, und der hatte ihm gesagt, daß sein Bein bedenklich vernachlässigt wäre; er müßte sich bereit machen, in Christiania in Behandlung zu bleiben, mindestens so lange, wie die Ferien noch dauerten. Ulla wußte noch nichts davon – sie hatte ihn nicht gefragt, ob er beim Arzt gewesen wäre, sie hatte keine Zeit, jetzt an ihn zu denken.

Nein, wie er sentimental und kindlich wurde! Warum ging er nicht ohne weiteres hin zu ihr und sagte ihr, daß er gehen möchte? Warum war er schüchtern wie ein verliebter Liebhaber – sie war ja doch seine Frau.

»Ja, wenn man tief und warm fühlt, wird man leicht schüchtern und unbeholfen,« sagte er zu sich. »Es ist nicht schwer, so überlegen und ironisch zu sein, wenn man ein so oberflächlicher und leichtsinniger Bursche ist wie dieser Lewi.«

Erst als die Glocke ertönte, die das Zeichen gab, daß die Ausstellung für heute geschlossen würde, warf Ulla einen Blick nach ihrem Manne hin und sah ihn zusammengesunken auf dem Sofa sitzen, den Kopf zwischen den Schultern und die Augen auf den Boden geheftet.

Er fühlte es augenblicklich, daß ihre Augen auf ihn gerichtet waren, stand auf, ging auf sie zu und sagte in sanftem, wehmutsvollem Ton: »Nun, bist Du recht glücklich gewesen?«

»Ja, sehr,« antwortete sie. »Du kannst Dir nicht vorstellen, wie mich das erfrischt.«

»Ich merke es,« sagte er und legte ihren Arm in den seinen mit einem sanften, innigen, aber fast schüchternen Druck seiner Hand.

Es bedurfte nur dieser leichten Berührung, um sie augenblicklich wieder völlig zu der Seinen zu machen. Sie erwachte gewissermaßen, und es schien ihr, als wäre sie weit weg von ihm auf einer langen Reise, getrennt von ihm, gewesen. Sie empfand seine zurückhaltende, wehmütige Zärtlichkeit wie einen Vorwurf und wechselte die Farbe wie immer, wenn er sie berührte.

Lewi fragte, ob sie nicht zusammen irgendwo essen wollten, aber Ulla flüsterte ihrem Mann zu: »Schlag es ab! Laß uns allein essen.«

Er drückte dankbar ihren Arm und antwortete rasch, seine Frau würde gewiß jetzt müde sein, und deshalb wäre es besser, wenn sie auf ihrem Zimmer äßen.

»Eine hübsche Geschichte,« sagte Nicke zu Lewi, nachdem sie sich getrennt hatten. »Die Frauenzimmer sind sich doch alle gleich.«

»Laß das Wiederkäuen, Du Wiederkäuer!« fuhr Lewi auf. Eine Zeit lang gingen sie schweigend neben einander her, Nicke kauend und still vor sich hin lächelnd. Endlich nahm Lewi seinen Hut ab, zog die Augenbrauen ein wenig zusammen und sagte mit seiner weichen Stimme: »Du hast unbedingt recht, es kleidet eine schöne Frau verteufelt schlecht, wenn sie verliebt ist – in einen andern.«



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