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XXI.

Wahrend der langen Reise nach Rom befand sich Ulla in einem traumartigen Zustand. Stunde auf Stunde und Tag auf Tag saß sie unbeweglich am Coupéfenster und starrte gleichgiltig hinaus auf die vorbei fliegenden Gegenden, Städte und Bahnhöfe mit den herzu strömenden Menschen aus allen Ländern – hörte die vielen fremden Sprachen wie ein wirres Summen in den Ohren und kam nur zuweilen zum Bewußtsein, um sich selbst zu fragen, was sie denn eigentlich unter all diesen Menschen wollte, warum sie mit solcher Hast ihren Weg dahin jagte, da sie doch niemand erwartete, und sie niemand eine Freude durch ihre Ankunft bereitete. Dieser Gedanke – wohin zu reisen, wo man nicht erwartet wird und wo einen niemand braucht – wie bitter trat er jetzt in seiner ganzen Oede vor ihre Seele! Welcher schreiende Widerspruch zu der hastenden Eile, mit welcher sie der Zug von Land zu Land führte, Nächte und Tage hindurch!

Bei der Ankunft in Rom lebte sie aber doch auf. Sie eilte sogleich in die Kunstsammlungen und verweilte in der ersten Woche den ganzen Tag in den Museen.

Darauf fing sie an ihrem großen Amorettengemälde zu malen an. Aber sie konnte nicht wieder in die Stimmung kommen, welche das Bild von Anfang an hatte. Ihre alten Modelle hatten sich aus entzückenden Cherubinen in halbwüchsige und verwilderte Gassenjungen verwandelt, und sie fand keine anderen, die sie vollständig hätten ersetzen können. Und zu alledem machte es sie fast gemütskrank, diese nackten kleinen Kinderkörperchen zu sehen, ihr Kinderlachen zu hören, ihren Spielen zuzusehen. So legte sie endlich dieses Gemälde beiseite und zog ein neues, großes Stück Leinwand auf. Sie teilte niemand etwas mit von dem, was sie in Gedanken hatte und erlaubte keinem, die angefangene Arbeit zu sehen. Abends war sie mit ihren alten Kameraden zusammen, die sie indessen sehr verändert fanden, schweigsam und in Gedanken versunken.

Mehrere Monate vergingen auf diese Weise, ohne daß jemand wußte, was Ulla eigentlich vor hatte. Die Sommerhitze hatte die meisten Künstler von Rom fort getrieben. Mitte Juli war sie fast noch die einzige da, aber sie hielt dennoch aus; ihr Atelier war kühl, und sie ging nie vor spät abends an die Luft.

Ihr Gemälde hatte während dieser Zeit verschiedene Verwandlungen durchgemacht. Anfangs war es eine große Komposition gewesen, eine Familienabschiedsscene. Der Vater, ein junger, kräftiger Seemann, sollte eine weite Reise antreten. Er stand an der Thüre mit unruhigem, aufgeregtem Gesichtsausdruck, als kämpfte er gegen seine eigene Gemütsbewegung. Er hielt die Hand seiner Frau nur schlaff in der seinen, ohne sie anzusehen. Auch sie sah nicht nach ihm hin, sondern bückte sich und strich das Kleid von einem der Kinder glatt. Die anderen Kinder spielten auf der Diele, gleichgiltig für den Schmerz der Eltern. Das unterdrückte Gefühl bei diesem scheinbar kalten Abschied war das ergreifende Motiv in dem Gemälde.

Während alles andere nur leicht skizzirt war, hielt sich Ulla besonders bei der Ausarbeitung der beiden Hauptfiguren auf, welche auf der Leinwand so hervor traten, daß es war als ob sie ein ganzes Stück weiter in der Stube ständen und das übrige nur wie untermalt schien. Dann und wann malte sie auch an den anderen, aber immer wieder kam sie auf die Hauptfiguren zurück, bis es zuletzt der Gesichtsausdruck dieser beiden war, der sie interessirte. Der beherrschte Schmerz in dem männlichen Gesicht, die angstvolle Spannung in dem weiblichen – sie wurde selbst mehr und mehr davon ergriffen – bis es schließlich so weit kam, daß jeder Nerv erzitterte vor Ergriffenheit von dem, was sie schilderte.

Eines Tages stand sie fast ununterbrochen vor ihrem Gemälde, völlig in Gedanken versunken. Sie hatte die Modelle mit der Erklärung fortgeschickt, daß sie heute nicht malen könnte. Endlich nahm sie ein Messer und schnitt die Brustbilder der beiden Hauptfiguren von der Leinwand aus, warf das übrige weg, spannte das kleine Stück wieder auf und fing nun an, ausschließlich daran zu malen.

Jetzt wurde es eine ganz neue Komposition. Die Seemanstracht verschwand, das wellige Haar glättete sich über der Stirn in einer Weise, die wenig mehr an das Modell erinnerte.

Er legte seine Hände auf ihre Schultern, wie um sie zu zwingen, ihn anzusehen; seine Augenbrauen waren zusammengezogen, und um seine Augen und Lippen hatte sich eine eigentümlich weiße Blässe gelagert. Sie senkte den halb weggewendeten Kopf. Ihre Augen sahen von ihm weg, hinein in das Zimmer, hinaus in das Leere, sie biß sich auf die Lippen und verzog den Mund etwas mit einer krampfhaften Anstrengung, sich zu beherrschen.

Ende Juli war das Gemälde fertig, aber niemand hatte es noch gesehen. Es sollte zum Herbst ausgestellt werden, obgleich Ulla nicht das geringste Verlangen empfand, zu hören, was andere darüber sagen würden. Sie wußte selbst, daß es ihr bedeutendstes Werk war und daß es jahrhundertelang unter die Perlen der Museen gehören würde, um kommenden Geschlechtern wieder und immer wieder von neuem die alte Geschichte zu erzählen von zwei Herzen, die unwiderstehlich zu einander gezogen und doch vom Leben getrennt werden.

Es war ein wunderbares Gefühl, mit dem Bewußtsein umher zu gehen, daß ein großer Triumph ihrer wartete, der sie doch so wenig berührte, daß es ihr völlig einerlei war, ob das Bild jetzt oder erst nach ihrem Tode ausgestellt würde. Das Bewußtsein, ein Werk von bleibendem Wert geschaffen zu haben, gewährte ihr Befriedigung – sie empfand es wie eine Aufrichtung nach einer tiefen Demütigung, aber der Beifall, den sie dafür ernten würde, verursachte ihr schon im voraus ein Gefühl der Fadheit und Leere.

Der Beifall gleichgiltiger Menschen, welchen Wert konnte er für den haben, der mit seinem inneren Ohr nur nach den entfernten Lauten geliebter Stimmen horchte.



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