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VII.

Falks Weg führte ihn die nächsten Tage recht oft an der Stelle vorbei, wo Ulla saß und malte, und jedesmal blieb er stehen und sprach mit ihr. Wenn er kam, war er gewöhnlich sehr eilig wegen seines Bootes – er hatte entdeckt, daß der nächste Weg zur Landungsbrücke nicht, wie er bisher geglaubt, der Strandweg war, sondern die große Landstraße, von der er dann quer über die Wiese abbog; nach seinem Boot aber mußte er oft sehen. Entweder war es Landwind und er fürchtete, es könnte dadurch an die Klippen geschlagen werden, denn der Hafen war nicht besonders sicher, oder es hatte in der Nacht geregnet, so daß er das Segel zum Trocknen ausspannen mußte, oder er hatte etwas vergessen, was er holen mußte.

Oft aber konnte es passiren, daß er sein Anliegen ganz vergaß und stundenlang stehen blieb. Ulla verstand es freilich auch, ihn zu fesseln. Sie selbst sprach zwar nicht viel, konnte im Gegenteil lange Zeit schweigend malen, aber es war ihr angenehm zu wissen, daß er hinter ihr stand und ihr beim Malen zusah. Machte er dann eine Bewegung, um fortzugehen, warf sie fast immer eine Aeußerung oder eine Frage hin, die ihn zurückhielt. –

Es war ein naßkalter Tag mit unaufhörlichen Regenschauern und Windstößen.

Die Badegäste hatten sich unten in den Veranden und im Salon versammelt, hatten Feuer anzünden lassen und amüsirten sich mit Spielen, während man sich höchlich über Falk verwunderte, der bei dem Wetter segelte, und über Ulla, die in einem offenen Schuppen in der Nähe des Kurhauses saß und malte. Sie war bei einem Bild, das sie »ein Stück Westküste bei trübem Wetter« benannte und hatte schon mehrere Stunden ausgehalten.

Jetzt kam Falk endlich von der See zurück, von Salzwasser triefend, und mußte die Vorwürfe sämtlicher Damen über sich ergehen lassen, bei solchem Wetter gesegelt zu haben. Er ließ sich überreden, herein zu kommen und sich am Feuer zu trocknen.

Der Wind war umgesprungen, so daß in dem offenen Schuppen Ulla keinen Schutz mehr fand. So lange es einigermaßen ging, blieb sie sitzen; endlich aber, als ihr der Regen direkt in die Augen schlug, war es unmöglich, weiter zu arbeiten. Jetzt erst merkte sie, daß sie ganz feucht war und fröstelte; und rasch sprang sie auf, um in der Veranda Schutz zu suchen. Hier saß unter den anderen auch der Dozent; Ulla konnte dem Vergnügen nicht widerstehen, ihn zu bitten, ihr doch ihren Malerkasten nebst den übrigen Gerätschaften zu holen. Sie habe schon Not genug gehabt, nur ihr Bild in Sicherheit zu bringen.

Die Miene des Dozenten bei diesem Appell an seine Ritterlichkeit machte Ulla großen Spaß. Er fuhr zusammen, als hätte er einen Peitschenhieb in das Gesicht bekommen, sah äußerst verlegen und ratlos drein, während sein Blick über seinen hellen Sommeranzug und seine dünnen Stiefel glitt, und stammelte endlich: »Ja, wie schrecklich gern thäte ich es augenblicklich; das Schlimme ist nur, daß ich keine Galoschen hier habe.«

Falk kam in diesem Augenblick heraus auf die Veranda und Ulla wandte sich nun an ihn.

»Aber Sie, Herr Falk, Sie gehen gewiß nach meinen Sachen. Sie sind ja bei Wind und Wetter draußen, nun können Sie das Vergnügen haben, es für mich zu thun.«

»Nein, ich danke,« antwortete er zu Ullas größter Ueberraschung. »Das thue ich nicht.«

»Was!« rief sie.

»Ja, Fräulein, Sie haben eine Art, von den Herren Dienste zu fordern, die mir nicht zusagt. Hätten Sie sich gleich an mich gewendet, so würde ich über Ihr Vertrauen zu meiner Dienstwilligkeit glücklich gewesen sein. So aber wendeten Sie sich erst an den Dozenten und dann an mich, gerade so, wie Sie es mit zwei Kellnern gemacht haben würden, wenn der eine verhindert gewesen wäre, Ihnen Folge zu leisten. Wollen Sie mich zu Ihrem alleinigen Diener nehmen, Fräulein,« fuhr er fort und entblößte sein Haupt, »so werde ich stolz und glücklich darüber sein. Wollen Sie aber alle Herren zu Dienern haben, dann danke ich; dazu will ich nicht gehören.«

Ulla hörte ihn kaum bis zu Ende, als sie auch schon einen Regenmantel umwarf, den eine der Damen auf einen Stuhl gelegt hatte, blitzschnell hinaussprang in den strömenden Regen und schon wieder zurück war, ehe nur der Dozent, der es nun doch als seine unabweisliche Schuldigkeit ansah, ihr zu helfen, zu mehr gekommen war, als seine Füße vorsichtig auf den nassen Sand zu setzen und seinen Regenschirm aufzuspannen.

Als Ulla zurückkam, stand Falk im bloßen Kopf draußen im Regen. Sie ging an ihm vorbei, hinauf in die Veranda, stellte ihren Kasten in eine Ecke und stampfte mit den Füßen auf, um den nassen Sand, der sich an ihre Schuhe gehängt hatte, abzuschütteln. Er trat heran, stellte sich dicht vor die Veranda, den Südwester in der Hand, während der Regen auf seinen bloßen Kopf niederströmte, und fragte: »Sind Sie böse auf mich?«

Bei dem Blick, mit dem er zu ihr aufsah, verlor sie ihre Sicherheit. Zum erstenmal bemerkte er einen Zug von Weichheit und Befangenheit an ihr, als sie mit halb abgewandtem Gesicht ausrief: »Was soll das nützen, so draußen zu stehen? Kommen Sie schnell herein!«

»Nein,« sagte er trotzig. »Jetzt bleibe ich hier stehen, bis ich ordentlich durchweicht bin, zur Strafe, daß ich Ihnen meine Hilfe abgeschlagen habe.«

»Ach so, – Sie bereuen es?«

»Nein, bereuen thue ich es nicht. Ich würde es gerade wieder so machen. Ich kann aber den Gedanken nicht ertragen, selbst Vorteil davon gehabt zu haben, daß ich Ihnen den Dienst versagte. Deshalb will ich wenigstens zehnmal so naß werden, als wenn ich Ihre Sachen geholt hätte.«

Ulla sprang, einem plötzlichen Impuls folgend, heraus und stellte sich, ebenfalls im bloßen Kopf, neben ihn.

»Wenn Sie nicht hinein gehen, haben Sie es auf Ihrem Gewissen, daß ich mich mit durchweiche und mich erkälte.«

Sie sah lachend zu ihm auf und hielt mit beiden Händen ihr Haar zurück, das im Winde flatterte.

Der Anblick dieses Kopfes mit dem feinen, lockigen, verwirrten Haar, in das man die Hände hätte stecken und es um die Finger ringeln mögen, brachte ihn dermaßen außer sich, daß er nicht im stande war, die Worte zu unterdrücken: »Wenn Sie hier noch eine einzige Minute stehen bleiben, gebe ich Ihnen weiß Gott einen Kuß.«

Sie lachte und floh die Treppe hinauf in die Veranda. Hier warf sie sich auf einen niedrigen Gartenstuhl, den Kopf weit zurück, so daß man ihr Gesicht stark verkürzt sah, und lachte so, daß beide Reihen ihrer frischen Zähne bis zum Weisheitszahn, in dem eine kleine Goldplombe schimmerte, sichtbar wurde. Es mischte sich zwar etwas Verlegenheit in dieses Lachen, aber es war doch hauptsächlich der Ausdruck einer überströmenden Lebensfreude, die plötzlich berauschend über sie gekommen war.



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