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IV.

Als er endlich auf sein Zimmer kam, was auf demselben Korridor wie Ullas lag, und schon anfing, sich auszukleiden, hörte er plötzlich ein prasselndes Geräusch von der Straße her. Gleich darauf flog eine Hand voll Sand an seine Fensterscheibe. Er zog den Vorhang zurück, machte das Fenster auf und bog sich hinaus. Da unten stand eine dunkle Gestalt in schwarzem Spitzenschleier um Kopf und Schultern.

Falk warf den Rock über und eilte hinunter.

»Was denken Sie sich?« fuhr er Anna leise flüsternd an. »Wie können Sie so unvorsichtig sein?«

Unwillkürlich sah er hinauf nach Ullas Fenster. Eins, zwei, drei – das vierte von der Ecke an. Es war offen, aber die Gardine zu. Er wußte, daß sie bei offenem Fenster schlief. Aber bewegte sich nicht eben die Gardine?

»Verzeihen Sie mir,« sagte Anna, wie es schien, in großer nervöser Aufregung, »ich bin förmlich in Verzweiflung, Sie auf diese Weise zu stören, aber ich hatte einen solchen Schrecken, daß ich kaum wußte, was ich that. Ich konnte nicht schlafen und wollte etwas gehen, da kam ein betrunkener Matrose und verfolgte mich.«

»Wo ist er denn, ich sehe niemand,« sagte Falk und sah sich verwundert um. Es war kein lebendes Wesen zu erblicken.

»Er lief in dem Augenblick fort, als ich den Sand an das Fenster warf.«

»Nach welcher Richtung denn?« fragte Falk schon auf dem Sprung, ihn zu verfolgen. Aber Anna legte ihre Hand beruhigend auf seinen Arm.

»Das sage ich nicht. Ich will nicht, daß Sie in ein Handgemenge, vielleicht gar in eine Prügelei meinetwegen kommen. Aber jetzt muß ich nach Hause. Ich kann es mir kaum verzeihen, Sie so gestört zu haben. Gute Nacht!«

»Ich begleite Sie natürlich.«

»Nein, nein, das brauchen Sie nicht. Es wird doch nicht zum zweitenmal heute abend etwas passiren. Na ja, wenn Sie eigensinnig sind. Dann habe ich Gelegenheit, Sie um Rat in einer Sache zu fragen, die mir nicht aus den Gedanken kommt, und die mich nicht schlafen läßt. Aber verzeihen Sie,« sie blieb stehen und legte die Hand auf das Herz. »Ich weiß nicht, was mir ankommt; wahrscheinlich, weil ich so rasch lief – ich bekomme so leicht Herzklopfen.«

Sie drückte beide Hände auf das Herz und that einen tiefen, zitternden Atemzug. Dann sank sie leise nieder und er mußte sie ergreifen und um die Taille fassen, um sie nicht hinsinken zu lassen. Einige Sekunden lag sie so, halb in seinen Armen, scheinbar bewußtlos, den Kopf nach rückwärts hängend.

Er wunderte sich über sich selbst, daß er keine Versuchung empfand, sich nieder zu beugen und diese Lippen zu küssen, die ihn förmlich dazu aufzufordern schienen und glaubte, es wäre nur sein Abscheu vor dem ungesunden Zwitterverhältnis, der ihn in diesem Augenblick so kalt machte. Aber seine Blicke flogen unaufhörlich nach dem offenen Fenster hinauf, dem vierten von der Ecke an. Ja, die Gardine bewegte sich ganz bestimmt.

Anna merkte, daß er zerstreut war, und beschloß, aus ihrer Ohnmacht zu erwachen. Sie ahnte, wo seine Gedanken waren. War also doch alles verloren?

Sie fing an, verlegen zu werden über das, was sie gethan hatte und bekam Angst, er möchte sie durchschauen.

»Jetzt ist es vorüber,« sagte sie. »Ich bin seit einiger Zeit so elend, daß mich der Schreck jetzt ganz schwach machte.«

Sie fing an, mit kleinen Schritten vorwärts zu gehen, während sie ihren schwarzen Spitzenshawl über das Gesicht zog.

»Sie wollten mit mir sprechen, Frau Krabbe,« sagte Falk.

»Ach, jetzt geht es nicht mehr, ich habe Sie schon viel zu lange in Anspruch genommen.«

Er protestirte mit einer Geberde, so daß sie fortfuhr: »Die Veranlassung dazu gab eine Aeußerung, die Sie heute abend gemacht haben – eine Frau, die ihren Mann nicht liebte, dürfte sich auch nicht von ihm verhalten lassen. Diese Worte kann ich nicht wieder vergessen; ich möchte deshalb jetzt allen Ernstes Krankenpflegerin werden, was meinen Sie dazu. Sie haben einen so festen Charakter und so gute moralische Grundsätze, deshalb lege ich den größten Wert darauf, Ihre Ansicht über meinen Plan zu hören.«

»Wenn Sie Beruf dazu fühlen, thun Sie ganz gewiß recht daran, wie mir scheint.«

»Ach so!« Sie atmete tief auf.

Das war alles. Nun wußte sie, daß sie ihn nicht nur verloren, daß sie sich in seinen Augen durch diesen mißglückten Versuch auch rettungslos kompromittirt hatte.

Sie war leichenblaß geworden, als sie sich von ihm verabschiedete, und ein harter, haßerfüllter Blick schoß aus ihren Augen, als sie mit erzwungenem Lächeln sagte:

»Vielen Dank für Ihren Rat, ich werde ihn befolgen.«

Falk eilte wunderbar erleichterten Herzens seiner Wohnung zu, heiter und mit sich zufrieden, denn er glaubte einen schönen Sieg über sich errungen zu haben, da er sich aus den Banden dieser unwahren, koketten und doch so verführerischen Frau losgerissen hatte. Er war überzeugt, daß nicht viele mit einer so schönen Frau in den Armen kaltes Blut behalten haben würden und wünschte sich Glück, die Herrschaft über sein stark erotisches Temperament behauptet zu haben, was ihn oft in Versuchungen führte, die er selbst verurteilte. Als er aber an das Hotel kam, war Ullas Fenster sein erster Gedanke. Er sah hinauf, die Gardine war zurück, nein, er zählte eins, zwei, drei, ja, das vierte von der Ecke an gerechnet. Verschwand da nicht eben eine Gestalt? Die Gardine plötzlich zu – alles totenstill. Nein, war es eine Sinnestäuschung oder war die Gardine wirklich zurückgezogen gewesen?



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