Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XVII.

Den andern Tag, als alle Gäste außer Birks abgereist waren, hatten Falk und Birk eine lange Besprechung zusammen, die damit endete, daß sie ihre Frauen und die alte Frau Falk zu sich herein baten. Es stand ein wichtiger Beschluß in Frage. Falk hatte Birk die Leitung der Schule und für seine Frau die Führung des Hausstandes für die Schüler angeboten. Er selbst hatte die Absicht, mit seiner Familie in ein kleineres Haus weiter hinauf in die Fjälle zu ziehen, das die Wohnung des ersten Lehrers gewesen war, nun aber, seit dessen Wegziehen, leer stand. Er wollte nur bestimmte Stunden in der Schule geben und das übrige alles Birk überlassen.

Zu diesem Entschluß war er durch das Gefühl gekommen, er könnte seine Frau verlieren, wenn er nicht etwas thäte, um sie fest zu halten. Er sagte sich, daß, da sie ihm alles geopfert habe, um mit ihm zu leben, er auch seinerseits versuchen müsse, ihr mehr als bisher von seiner Zeit zu widmen. Sie war ja in letzter Zeit nahe daran gewesen, ihm verloren zu gehen; er mußte eine besondere Anstrengung machen, um sie sich zu erhalten. Und wenn die in Rede stehende italienische Reise vor sich gehen sollte, mußte er notwendig jemand haben, der seine Stelle ersetzen könnte, und dazu schien sich sein Freund gerade besonders zu eignen.

Birk, welcher sich schon lange nach einer größeren Thätigkeit als ihm seine unbedeutende Stellung an der kleinen Schule oben in Westland bieten konnte, gesehnt hatte, war sehr bereit, auf den Vorschlag einzugehen, obgleich es ihm andererseits als eine beklagenswerte Schwachheit Falks erschien, daß sich dieser seiner Frau wegen so viel von der Schule zurückziehen wollte, statt seine Frau sich zur Teilnehmerin an seiner Arbeit heran zu ziehen. Bei seiner stark einseitigen Natur hatte er kein Verständnis für eine Kollision verschiedener Pflichten, und da es ihm für selbstverständlich galt, daß der Lebensberuf des Mannes auch der der Frau werden müßte, konnte er sich nicht überwinden, Ulla gegenüber entgegenkommend zu sein. Er fragte seine Frau nicht um Erlaubnis, ob er die Schule übernehmen dürfte. Er teilte ihr nur mit, daß er sich dazu entschlossen habe, und sie bereitete sich demütig vor, die neuen Pflichten zu übernehmen, die nun auf ihr ruhen würden.

Ulla war Falk für das Opfer, das er ihr dadurch brachte, dankbar, und ihr Verhältnis bekam die ganze alte Innigkeit wieder. Sie war glücklich, allein mit den Ihren oben wohnen zu können in dem kleinen, primitiven Fjällhaus, das ursprünglich eine Sennhütte gewesen war, aber eine prachtvolle Lage hatte, unmittelbar am Felsenabhang mit einem brausenden Wasserfall in der Tiefe. Hier waren sie durch ein Waldesdickicht von der Schule getrennt und sahen von den Schülern nichts weiter, als wenn sie diese in kleineren Abteilungen des Abends zu sich einluden. Ulla empfand es als eine unsägliche Erleichterung, bei den Mahlzeiten nicht mehr die langen Tische vor sich sehen, das regelmäßige Klappern der Holzschuhe zwischen den einzelnen Stunden hören zu müssen und nicht in jeder Minute von Fremden umgeben zu sein, für die sie Interesse und Wohlwollen hegen sollte und sich doch nicht im stande dazu fühlte.

Das beste von allem aber war doch, daß Falk nicht mehr alle Augenblicke von Besuchen heimgesucht wurde, sondern in Ruhe und Frieden die Stunden, die er nicht in der Schule zubrachte, mit den Seinen verleben konnte.

Sie fingen an, des Nachmittags zusammen zu lesen. Falk hatte zu seinem Entsetzen schreckliche Lücken in Ullas Bildung entdeckt, die nur einseitig ästhetisch, während seine vielseitig und umfassend war. Sie hatte anfangs versucht, ihre geringen Kenntnisse vor ihm zu verbergen, und war allen solchen tiefer gehenden Fragen geschickt ausgewichen, die ihre ungenügenden Kenntnisse in verschiedenen Büchern, welche Falk als allgemein bekannt voraussetzte, verraten konnten. Ihre Intelligenz hatte viel von der weiblichen Geschmeidigkeit, die sich blitzschnell die Gedanken anderer aneignet, und Falk hatte bisher in dem Glauben gelebt, ihre freisinnigen und aufgeklärten Anschauungen aller Lebensverhältnisse wären die Frucht eingehender Studien. Jetzt aber merkte er bald, auf welchem unsicheren Grund sie fußte; seine Uebung im Unterrichten machte ihn scharfblickend; er hielt sie bei Widersprüchen und unklaren Sätzen fest, die sie nicht genügend definiren konnte – und es endete damit, daß sie lachend erklärte, die Flagge streichen und von A bis Z bekennen zu müssen, daß sie haarsträubend unwissend sei. Diese Entdeckung machte ihm im Grunde eine außerordentlich große Freude. Er war immer glücklich, wenn er anderen etwas von dem mitteilen konnte, was er wußte, und ganz besonders freute es ihn, daß sie von ihm etwas lernen, daß er ihr nützlich sein konnte.

Der kleine Rolf war gegen die Abmachung früher nach Hause gekommen, weil auf dem Bauernhof, wo er aufgezogen wurde, Diphtheritis ausgebrochen war. Seine Rückkehr erhöhte noch die gute und heitere Stimmung im Hause.

Die Eltern hatten ihn beständig um sich, und Falk lag und kroch mit ihm so viel auf der Diele herum, daß Ulla behauptete, man stolperte, wo man ging und stände in dem einzigen gemeinsamen Wohnzimmer, – einer niedrigen, großen Stube mit offenem Herd und kleinen, grünlichen Fensterscheiben – über seine langen Beine.

Nur Frau Falk wurde es schwer, sich in die neuen Verhältnisse zu finden. Die Sehnsucht nach ihrem großen Haushalt und ihren lieben Burschen und Mädchen verzehrte sie förmlich und sie war so oft als möglich unten in der Schule und half der jungen Frau Birk, die ihren vielen neuen Pflichten fast erlag, um so mehr, als sie auch noch vier eigene kleine Kinder zu versorgen hatte.

Die Annäherung, welche zwischen den beiden Ehegatten wieder eingetreten war, hatte für Etty etwas Beunruhigendes. Ihre Ueberzeugung, in die sie sich hineingelebt hatte, das Verhältnis zwischen beiden wäre zerstört, seitdem Falk erkannt, daß er einen Mißgriff gemacht hätte, diejenige zu wählen, die weder seinen Glauben teilte noch sich für seinen Lebensberuf interessirte, und daß eine andere seine richtige Gattin wäre, wurde dadurch bedenklich verwirrt. Die vertrauten Mitteilungen, welche sie nach der festlichen Zusammenkunft Margit wieder machte, bekamen eine neue Färbung. Sie sprach in geheimnisvollen Andeutungen von den Versuchungen, denen er ausgesetzt wäre, von ihrer Angst, daß er nicht fest und rein dastehen, sondern von einer sinnlichen Liebe sich verlocken lassen könnte – was Margit zu der Frage veranlaßte, ob seine Frau schlecht wäre. Diese Frage verwirrte Etty; nein, schlecht war sie durchaus nicht, aber sie war ein Kind dieser Welt und die geistige Erleuchtung fehlte ihr.

Margit fing an, diese still stehende Liebesgeschichte nachgerade einförmig zu finden, und als sie eines Tages die alte Frau Falk, welche die langen, vertraulichen Aussprachen der beiden Mädchen schon seit einiger Zeit mit mißtrauischen Blicken beobachtet hatte, fragte, was sie und Etty sich immer zu sagen hätten, antwortete sie trotz ihres heiligen Versprechens, Ettys Geheimnis zu bewahren: »Es ist immer ihre langweilige Liebesgeschichte.«

»Liebesgeschichte!« rief Frau Falk. »Etty eine Liebesgeschichte! Nicht möglich!«

Frau Falk machte sich kein Gewissen daraus, Margit nach allem auszufragen, was Etty ihr anvertraut hatte. Sie war gewohnt, ratend und bestimmend in die meist einfachen Verhältnisse ihrer Umgebung einzugreifen, und so hielt sie es auch hier für ihre Pflicht, dem Geschwätz und der Phantasterei der beiden Mädchen ein Ende zu machen. Und Margit brauchte nicht erst viel zu erzählen, bis diese scharfblickende, mütterliche Natur den ganzen Zusammenhang rasch verstand und Mitleid mit der armen, verirrten Etty empfand, gleichzeitig aber auch entschlossen war, energisch einzugreifen und diesen Dummheiten, die sie übrigens schon geahnt hatte, ein Ende zu bereiten.

Sie wartete einen Nachmittag ab, an dem Falk und Ulla zu einer Zusammenkunft gefahren waren, bei der Falk sprechen sollte und ging zu Etty auf ihr Zimmer. Dort fing sie an, mit ihr von ihrer Zukunft zu sprechen, und daß sie sich mit etwas Bestimmtem beschäftigen müßte, weil sie das unthätige Leben, was sie jetzt führte, auf die Länge nicht befriedigen könnte.

»Wollt Ihr mich hier los sein? Bin ich im Wege?« fragte Etty augenblicklich.

»Nein, Liebe, nur um Deiner selbst willen – ich fürchte, Du wirst Dich hier auf die Länge nicht glücklich fühlen, wenn Du nicht eine bestimmte Beschäftigung findest.«

»Haben Ulla und Rolf so etwas gesagt?«

»Nein, sie wissen nicht das geringste davon. Aber ich denke mir, Du könntest Ulla schon in manchem eine Hilfe sein, wenn Du nur wolltest, besonders nun – da zum Sommer –« sie hielt inne und sah Etty prüfend in das Gesicht.

»Zum Sommer – was?« fragte Etty, ohne eine Ahnung von dem zu haben, was folgen würde.

»Da zum Sommer noch ein kleiner Ankömmling im Hause erwartet wird,« vollendete Frau Falk.

Etty fuhr in die Höhe, die Augenlider zuckten nervös und der Mund geriet in krampfhafte Bewegung. Ihr erstes Gefühl war, fort zu stürzen, weit, weit weg über die Fjälle, in eine andere Gegend, wo niemand sie kannte und wo sie sich verbergen könnte in ihrer Scham und Schande – ihrer Schande, sich in einen Mann verliebt zu haben, der einer andern angehörte, und mit dem sie in Gedanken leidenschaftliche Liebesscenen durchlebt hatte, während er in Wirklichkeit, ohne auch nur einen Augenblick an sie zu denken, einer andern alle diese Liebe und Hingabe weihte, nach der sie so leidenschaftlich verlangte. Welche Schande! Wie konnte sie jemals ihm oder Ulla wieder in das Antlitz sehen? Und Margit, der sie dieses Geheimnis verraten hatte! Nein, sie mußte fort, gleich von hier weg, noch heute, ehe sie zurück kamen!

Aber Frau Falk, die alles verstand, was in ihr vorging, hielt sie zurück und umarmte sie mit mütterlicher Zärtlichkeit; Etty lehnte sich dagegen auf, aber sie hielt sie fest, und endlich gab Etty nach und warf sich in ihre Arme.

»Willst Du mich nicht Mutterstelle bei Dir vertreten lassen, da Du Deine eigene verloren hast, meine arme Kleine?« sagte Frau Falk liebevoll.

»Ja, Mama, Mama!« rief Etty, der erst in diesem Augenblick der Verlassenheit das ganze Verständnis für das aufging, was sie an ihrer Mutter verloren hatte. »Ach, warum habe ich Mama hergeben müssen! Sie war der einzige Mensch auf der Welt, der mich brauchte, warum habe ich sie jetzt nicht!«

Sie weinte stundenlang an Frau Falks mütterlichem Herzen, und ihre Thränen versiegten erst, als sie Falks Wagen auf dem Hof vorfahren hörte.

Es war zwischen ihr und der alten Frau zu keiner Aufklärung gekommen, aber auf ihren angstvoll bittenden Blick antwortete diese rasch: »Sei ganz ruhig, mein geliebtes Kind. Keines von ihnen erfährt ein Wort davon.«

Etty gelang es nicht, die Treppe hinauf zu kommen, ehe Falk sie erreichte.

»Guten Abend, Etty. Nun, was fehlt Dir? Bist Du traurig, Etty?«

Etty sah mit thränenschwerem Blick zu ihm auf. Sie hielt die Augen lange fest auf ihn gerichtet. Das war die Probe, welche sie sich selbst auferlegt hatte. Von jetzt an durfte sie an ihn nur wie an einen Bruder denken, und mußte ihr Herz zwingen, still zu sein, wenn sie in diese Augen sah, deren Blick sie bisher immer in solche Verwirrung versetzt hatte. Aber die Probe fiel stärkend und beruhigend für sie aus, sie fühlte sich befreit; ruhig gab sie ihm die Hand und ließ sich zum Gutenachtsagen auf die Wange küssen, ohne daß sich etwas in ihrem Innern rührte. Es war starr und tot in ihr, die Schande und Demütigung hatten ihren Sinn gereinigt, und als sie diesen Abend auf den Knieen neben ihrem Bette lag und betete, fühlte sie, daß sie wieder zum Frieden mit sich selbst kommen und wieder Trost und Stärke aus derselben Quelle wie früher schöpfen könnte.



 << zurück weiter >>