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Zweiter Teil.


I.

Der Schnee fiel in großen weißen Flocken dicht, gleichmäßig und langsam nieder. Im Zimmer sah es aus, als ob geblümte Tüllgardinen vor den Fenstern hingen.

Es war gleich neun Uhr morgens und die Schüler versammelten sich eben im Schulsaal. Die, welche weiter weg in der Gegend wohnten, arbeiteten sich mühsam mit großen Schritten durch das Schneetreiben. Die Beine weit herauf durchnäßt, die Gesichter von der Anstrengung gerötet, die Hände erstarrt, drängten sie sich in die Nähe des eisernen Ofens, während die, welche in der Schule selbst wohnten, ungefähr der dritte Teil der Schüler, die Treppe in dem Winde herunter gesprungen kamen.

Das Schulhaus bestand nur aus drei Zimmern – dem großen Schulsaal zu ebener Erde und den zwei langen Zimmern oben darüber unter dem Dache, mit vierzehn bis sechzehn Betten in jedem, die zwischen den Balken standen, welche das Dach trugen und eine Art kleinen Alkoven für jedes Bett bildeten. Zwischen diesen beiden Zimmern, von denen eins die Mädchen, das andere die Burschen bewohnten, war ein großer Vorsaal mit Turngerätschaften.

Man hatte es als ein äußerst gewagtes Experiment von Falk angesehen, auf diese Weise erwachsene junge Männer und Mädchen zusammen zu bringen, und er sowohl wie auch seine Mutter hatten anfangs die Haltung der verschiedenen Geschlechter gegen einander mit Unruhe beobachtet. Allein es zeigte sich bald, daß der kameradschaftliche Verkehr in der Schule durchaus nicht geeignet war, zartere Gefühle zu wecken; im Gegenteil bekämpften sie einander. Bei allen Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten hielten die Mädchen gegen die Burschen zusammen, und wenn ein Bursche den Versuch machte, zudringlich gegen ein Mädchen zu werden, wurde er von der ganzen Mädchenschar dafür bestraft.

Margit besuchte nun schon das zweite Jahr die Schule. Aber Falk sowohl wie seine Mutter bemerkten, daß sie nicht mehr dieselbe wie früher war. Sie hatte etwas Selbstbewußtes bekommen, fand kein Vergnügen mehr an den Spielen der übrigen Mädchen und war nachlässig und unaufmerksam geworden. Das Leben auf der Sennhütte mit der unbegrenzten Freiheit, welche die jungen Mädchen dort genossen, und den Liebhaberbesuchen, die sie während der Zeit empfingen, barg viele Gefahren in sich, und die alte Frau Falk hatte ihre eigene Gedanken über das, was sich mit Margit zugetragen haben möchte, wollte aber noch nicht darüber sprechen.

Margit war Ullas besonderer Liebling. Die Wochen, welche sie oben auf der Alm allein bei ihr zugebracht, hatten eine Art freundschaftlicher Vertraulichkeit zwischen beiden entwickelt, die das ihre dazu beitragen mochte, Margit von den anderen Mädchen zu entfernen. Sie hing mit schwärmerischer Verehrung an Ulla und war nur glücklich, wenn sie mit ihr zusammen sein konnte.

Schüler und Schülerinnen hatten ihre Plätze eingenommen, der Morgenpsalm war gesungen worden und man wartete nur noch auf Ulla.

Sie hatte heute Vortrag zu halten. Wöchentlich einmal pflegte sie vor dieser unerfahrenen Bauernjugend, die niemals ein Kunstwerk gesehen hatte, über Kunst zu sprechen. Ihr Vortrag war nicht fließend, man merkte ihr den Mangel an Uebung an und sie erzählte abgebrochen und ohne Plan; wenn sie aber ein Gemälde beschrieb, von dem sie selbst ergriffen worden war, that sie es mit so treffenden Worten und so scharfer Auffassung des Charakteristischen, daß ihre Zuhörer ebenso entzückt waren, als wenn sie ihnen eine Geschichte erzählte. Dazwischen schilderte sie das Leben der großen Maler, deren Kämpfe um ihre Entwicklung, die Entbehrungen, durch welche sie oft hindurch mußten, die Armut, mit der sie zu ringen hatten, und bei alledem ihre Ausdauer und Liebe zu ihrem Beruf. Die meisten fanden es sehr lustig, sie sprechen zu hören, und dann sah sie auch so lustig aus, so ganz anders wie alle anderen, obwohl sie dieselbe Tracht wie alle Frauen der Gegend trug.

Aber die Uhr zeigte ein Viertel nach neun und sie kam noch immer nicht. Falk warf einen ungeduldigen Blick über den Hof. Er hatte sie zu überreden versucht, für ihren Vortrag eine andere Tageszeit als gerade die erste Morgenstunde zu wählen, weil sie niemals rechtzeitig fertig war. Aber sie wollte es nicht. Am Morgen, ehe sie andere Beschäftigungen vorgenommen hatte, war sie immer in der besten Stimmung dazu.

Jetzt erschien sie endlich auf der Treppe des Wohnhauses. Aber sie blieb eine Weile stehen und sah dem Schnee zu, wie er so schön und dicht und leicht herunter fiel. Einen Shawl, den sie über dem Kopf hatte, warf sie ab, um ihr Haar beschneien zu lassen. Dann ging sie ein paar Schritte vorwärts, blieb aber wieder mitten im Hof stehen, formte einen großen Schneeball und schickte sich an, ihn an die Thüre des Wirtschaftsgebäudes zu werfen.

Ein Stallknecht kam vorbei und sie rief ihm zu: »Höre, Nils, spann den kleinen Schlitten an; ich will ausfahren.«

Jetzt kam Falk zu ihr hinunter auf den Hof.

»Liebste, die Schüler warten. Kommst Du nicht?«

»Heute nicht. Ihr müßt etwas anderes vornehmen. Ich will bei dem entzückenden Wetter ausfahren.«

»Nein, das ist einzig – ausfahren!« rief er aus.

Sie streichelte ihm die Wange und sagte neckend: »Was ist das für eine Schulmeistermiene! Laß doch heute alle Schüler hinaus und sich schneeballen, das ist viel besser, als drin zu sitzen und Vorträge zu hören, wenn draußen so schönes Wetter ist.«

»Ja, das würde eine lustige Geschichte werden, wenn Du der Schule vorständest. Glücklicherweise aber bin ich es, der sie leitet, und Du bist nur ein mir untergeordneter Lehrer daran. Und ich sage, jetzt kommst Du und hältst Deinen Vortrag – fahren kannst Du hinterher.«

Er faßte sie um die Taille und wollte sie hinein tragen, aber sie leistete Widerstand.

»Nein, glücklicherweise habe ich keine feste Anstellung als Lehrer bei Dir angenommen,« rief sie munter. »Du hast kein Recht, mir zu befehlen.«

»Du mußt aber doch einsehen, daß man so nicht handeln kann – den Schülern ein solches Beispiel geben,« sagte er, immer heftiger werdend. »Ich würde mich ja schämen, hinauf zu kommen und sagen zu müssen: ›Meine Frau kann heute keinen Vortrag halten; sie hat es vorgezogen, auszufahren.‹ Das wäre ja reiner Frevel – das geht absolut nicht – Du weißt, daß Du den ganzen Tag, ja die ganze Woche thun kannst, was Du willst – und dann nicht einmal diese einzige Stunde erübrigen …«

In diesem Augenblick kam der Stallknecht mit dem Pferd.

»Was soll das heißen?« fuhr ihn Falk an.

»Die Frau hat es befohlen.«

»Meine Frau kann jetzt nicht ausfahren, komm in einer Stunde wieder!«

Ulla hatte ihren Einfall schon bereut und alle Lust zum Fahren verloren; gegen diesen Versuch aber, gezwungen zu werden, empörte sich ihr Stolz und aus einer gewissen Gereiztheit wollte sie nicht nachgeben.

»Nein, ich bin entschlossen, zu fahren,« sagte sie kurz. »Du brauchst nicht mit,« wandte sie sich zum Stallknecht. »Ich fahre selbst; halte nur das Pferd einen Augenblick, während ich hinein gehe und etwas umthue.«

Sie kam rasch wieder heraus in ihrem schwarzen Schafspelz und die Mütze auf dem Kopf, aber Falk war schon wieder in die Schule zurück gegangen.

Ihre ganze Freude an dem schönen Wetter war dahin, und als jetzt ein paar verspätet ankommende Schüler über den Hof kamen, schämte sie sich vor ihnen und fuhr rasch vorbei, ohne zu grüßen.

So war es jetzt immer. So lange sie noch für sich allein lebte und jedem Einfall folgen konnte, fühlte sie sich harmonisch und glücklich; jetzt aber gab es beständigen Zwiespalt, weil ihre Wünsche mit denen ihrer Umgebung unaufhörlich in Kollision gerieten. Sie war so froh, so heiter gewesen, als sie diesen Morgen in das herrliche Schneewetter heraus gekommen war und hatte gewünscht, daß es alle genießen sollten. Sie legte doch niemand Fesseln an, sie gönnte doch jedem dieselbe Freiheit, die sie für sich selbst beanspruchte, und kam niemals mit irgend welchen Forderungen; warum machten die anderen da beständig welche an sie? Falk in erster Linie, aber auch seine Mutter, die Lehrer, die Schüler, ja selbst die Dienstboten – man sollte mit dem Glockenschlag essen, an seinem bestimmten Platz am Tisch sitzen, von bestimmten Dingen, die für die Schüler paßten, sich unterhalten, gewisse Bücher lesen. Alles für andere – nichts für sich selbst.

Das war so ganz anders, als sie es gewohnt war. Mitunter die ganze Nacht aufbleiben und am Tage schlafen – früh am Morgen ausgehen und zu keiner Mahlzeit nach Hause kommen, die Dienstleute auf sich warten lassen, wenn man spät heimkehrt – alles, wie es einem gerade einfällt. Hier sollte man immer in erster Linie Rücksicht auf die Hausleute nehmen und zuletzt auf sich selbst. Ulla erkannte, daß das recht war; sie bewunderte ihres Mannes rücksichtsvolles Wesen, was es ihm unmöglich machte, sich an etwas zu freuen, das andere auch nur im geringsten Grade störte – aber sie selbst war nicht im stande, ebenso zu sein. Sie hatte es versucht, aber es ging nicht. Es machte sie nur unglücklich und unharmonisch, sie, die sonst immer die liebenswürdigste, heiterste, gleichmäßigste Laune hatte. Sie konnte ihrer Natur keine Gewalt anthun, konnte sich nicht von sich selbst loslösen, ohne daß das Gleichgewicht in ihrem Wesen darunter litt.

Aber sie konnte es ebenso wenig unterlassen, die Anforderungen, die an sie gestellt wurden, zu erfüllen, ohne dadurch ebenso sehr zu leiden. Sie paßte nicht zum Mitglied einer Gesamtheit, das hatte sie ja immer gesagt; sie war geschaffen, allein zu leben und zu malen – alles andere befriedigte sie nicht.

Seit sie in ihr neues Heim eingezogen war, hatte sie noch gar nichts wieder gemalt. Falk hatte eine Gabe, alles mit sich fort zu reißen für das, was ihn interessirte: denn nicht nur in Jökelheim, nein, in der ganzen Gegend interessirte sich alle Welt allein für die Volkshochschule. Wohin man kam, wurde nur von ihr gesprochen, von den Fortschritten der Schüler, von Erweiterungsplänen, von ihrer Stellungnahme den politischen und religiösen Fragen gegenüber. Auch Ulla hatte sich selbstverständlich mit fortreißen lassen und bekam bald ein Gefühl, als wäre das Malen etwas so Unwesentliches und Unnötiges, daß sie schließlich nicht einmal mehr daran dachte, ihren Farbenkasten überhaupt noch aufzumachen.

So saß sie in Gedanken verloren und ließ die Zügel schlaff hängen, während sich das Pferd nur langsam und mit gesenktem Kopfe durch das immer dichter werdende Schneegestöber durcharbeitete. Keinem andern Menschen außer ihr würde es eingefallen sein, in diesem Schneewetter zum Vergnügen auszufahren. Für die Auffassung des praktischen Landvolks war heute sehr schlechte Schlittenbahn; aber Ulla hatte kein Auge für diese Seite der Sache, sie betrachtete den Schneefall ausschließlich vom ästhetischen Gesichtspunkt aus, und da der erste Schnee vor kaum einer Woche erst gefallen war, so hatte dieses nordische Winterwetter noch allen Reiz der Neuheit für sie.

Ihre Fahrt aber machte ihr nun doch kein Vergnügen mehr. Es gibt keins, das wert wäre, gegen den Widerstand anderer erzwungen zu werden, sagte sie zu sich selbst; besonders derer, die man liebt. Aber auf diese Weise hätte man ja auch seine Freiheit so vollständig verloren wie ein unmündiges Kind. Was also nützt es dann, so viel über Selbständigkeit und Unabhängigkeit in der Ehe zu sprechen! Das sind ja gedankenlose Phrasen; unabhängig ist man nur, wenn das Herz frei ist, wenn einem niemand nahe genug steht, um sich um das zu kümmern, was man thut oder nicht thut.

Aber Glück war es doch, überhaupt jemand zu haben, der sich um das, was man that, kümmerte. War es im ganzen genommen nicht besser als Unabhängigkeit, einen Menschen so zu lieben, daß man auch nicht in der unbedeutendsten Kleinigkeit ihm entgegen handeln konnte, ohne selbst zu leiden?

Der Weg war schmal und tief, und unten brauste der Fluß. Das Pferd that einen Fehltritt – und der Schlitten lag am Rande, so daß er nahe daran war, den Abhang hinunter zu stürzen. Mit einem Ruck brachte ihn Ulla wieder in die Höhe und fuhr nun aufmerksamer. Man konnte den Weg jetzt nicht mehr unterscheiden – ja, man konnte überhaupt nichts mehr unterscheiden mit dem Schnee in den Augen.

Sie kam an ein Gehöft. Der Bauer trat heraus und fragte, wohin sie bei dem Wetter fahren wolle. Da sagte sie sich, daß es doch gar zu dumm wäre, noch immer weiter zu fahren, und kehrte um. Es ging jetzt etwas rascher; offenbar hatte das Pferd ebenso wie alle anderen ihren Einfall mißbilligt und war nun froh, sie auf bessere Gedanken gekommen zu sehen.

Ihre Phantasie hatte ihr eine Winterlandschaft als etwas so Schönes ausgemalt, aber sie war ja gar nicht schön, man sah ja nichts, die Berge waren verschwunden, das Thal unten mit dem Fluß ebenso, keine Lufttöne, keine Beleuchtung, alles weiß und tot.

Als sie zu Hause angelangt war, ging sie in die Schule, um Falks Vortrag über norwegische Geschichte nicht zu versäumen. Sie hörte ihn sehr gern, denn er hatte großes Erzählertalent; die ruhmreichen Heldenthaten alter Zeiten traten in lebendigen Gestalten vor die Augen der Zuhörer und das Ganze wurde zu einem großen Drama voll spannender Begebenheiten und kraftvoller, leidenschaftlicher Charaktere.

Er verstand es auch, die Aufmerksamkeit seiner Schüler zu fesseln. Bemerkte er einen Blick, der zerstreut im Saale herum flog, oder ein Wispern, dann wußte er augenblicklich eine Frage hin zu werfen oder eine Aeußerung wie: »Jetzt sollt ihr etwas wirklich Merkwürdiges hören. Aber paßt auch gut auf!« und alle folgten ihm willig.

Nach dem Vortrag ging er hinaus, ohne mit Ulla, die am andern Ende des Saales am Fenster stand, gesprochen zu haben. Er war also wirklich böse auf sie.

Eine solche Empfindlichkeit aber mußte ihm abgewöhnt werden, dachte sie. Sonst würde das ja eine unerträgliche Tyrannei.

Sie hatte geglaubt, daß alles wieder gut wäre; es hätte nur eines freundlichen Blickes von ihm bedurft, dann würde sie ihren Arm um seinen Nacken gelegt, ihn geküßt und ihm gestanden haben, daß sie nicht das geringste Vergnügen davon gehabt hätte, ihren Willen durchzusetzen. Da er aber böse war, wollte sie ganz gewiß nicht um seine Freundlichkeit betteln – sie konnte sich doch auch nicht geradezu kujoniren lassen.

Um ein Uhr läutete es zum Mittagessen und alle Schüler und Schülerinnen versammelten sich in dem großen Speisesaal. Dieser war, wie das ganze Wohnhaus, in altnordischem Stil ausgestattet mit Holzwänden und Trägern für das Dach, einer großen Maschine mit offenem Herd, wo die Speisen gekocht wurden, und schönen alten geschnitzten Schränken. Zwei lange Tafeln mit Bänken an beiden Seiten liefen von einem Ende des Saales zum andern. An der einen saß oben Frau Falk auf ihrem geschnitzten Ehrensessel, ihr gegenüber einer der Lehrer; an der andern nahmen Falk und Ulla jedes die schmale Seite der Tafel ein. Gäste, welche nach dem Gehöft kamen, wurden stets zu der gemeinsamen Mittagsmahlzeit eingeladen, einerlei, ob es Herren und Damen aus Christiania waren oder ein Bauer oder ein Dienstmädchen von einem Nachbarhofe. Die Unterhaltung bei Tische drehte sich um Stoffe von allgemeinem Interesse, sowohl um politische wie ökonomische Fragen, und die Jugend wurde häufig dazu aufgemuntert, ihre Gedanken frei und ohne Vorbehalt auszusprechen.

Ulla pflegte bei diesen gemeinsamen Mahlzeiten gewöhnlich schweigend da zu sitzen und wenig zu essen. Die Speisen waren zwar immer gut zubereitet und schmackhaft, denn die alte Frau Falk war eine ausgezeichnete Hausfrau und ihre Haushaltungsschule für die Mädchen mustergiltig für die ganze Gegend, aber sie waren einfach und nicht nach Ullas verfeinertem Geschmack. Oft stand sie hungrig vom Tisch auf, obgleich sie es nie zugeben wollte.

Nach Tisch ging Falk hinauf in sein Arbeitszimmer, das über dem Speisesaal lag. Es war eine große Stube mit spitzigem Dach, in demselben einfachen Stil wie der Speisesaal.

Dieses Zimmer mit seinen schönen Proportionen und dem warmen Farbenton der gefirnisten Wände, mit den ausgescheuerten Fensterpfosten und den ungebeizten geschnitzten Möbeln, welche von dem Bauerntischler der Gegend angefertigt worden waren, zeigte in all seiner Einfachheit eine Reinheit des Stils, die einen anmutenden Eindruck machte.

Neben dieser Stube lagen das Arbeits- und das Schlafzimmer von Ulla. Sie hatte einen Teil ihrer Sachen aus Rom kommen lassen, hatte die Holzwände mit Draperien behängt, verschiedene kleine, niedrige Diwane mitten in das Zimmer gestellt, ein paar Abgüsse antiker Säulen und ihre Staffelei mit den Studien von Utschär dazu; alles das gab ihm ein von dem Charakter des übrigen Hauses völlig abweichendes Gepräge.

Hier verbrachte sie ihre glücklichsten Stunden. Da Falk sehr in Anspruch genommen war, konnte er sich immer nur auf kurze Zeit frei machen, um zu ihr herein zu kommen – aber das waren für beide Feiertagsstunden. Dieses Zimmer betrat sonst niemand anders den Tag über, es war ihr alleiniges Eigentum, und ob nun Ulla allein oder ob Falk bei ihr war, immer hatte sie das Gefühl, ihm hier näher zu sein als irgendwo sonst in diesem großen Hause. Alles übrige war für andere eingerichtet, dieses aber für sie allein. Wenn irgend eine Mißhelligkeit zwischen ihnen entstanden war, was nicht selten geschah, dann verschwand sie stets in dem Augenblick, wenn er hier bei ihr eintrat.

Und deshalb wartete sie auch hier drin diesen ganzen langen Nachmittag auf ihn, während sie in einem niedrigen Schaukelstuhl saß und hinaus in den Schnee starrte, der so dicht und unaufhörlich, so gleichmäßig und einförmig niederfiel, daß es schließlich anfing, sie nervös zu machen. Allmälich häuften sich solche Massen draußen an, daß sie die Thüre nicht mehr aufmachen konnte, die doch zugleich das einzige Fenster des Zimmers bildete. Das Mädchen hatte so viel in den Kamin gelegt, daß eine erstickende Hitze entstand. Sie sprang auf und rüttelte ungeduldig an der Glasthüre, während ihr das Blut zu Kopfe stieg; sie mußte Luft haben, sie konnte es nicht ertragen, sich so eingeschlossen zu sehen.

Sie bekam die Thüre auf, aber die eine Glasscheibe zersprang von dem Druck. Eine Weile stand sie da und sog die kalte, rauhe Luft in die Lungen ein; bald aber war sie so durchfroren, daß sie nicht länger bei der zerbrochenen Scheibe in der Stube bleiben konnte. Sie ging an Falks Thür und lauschte. Er saß am Schreibtisch und schrieb – er hatte immer so viel zu thun. Er redigirte eine Zeitschrift und eine Volksbibliothek, schrieb Gedichte und Erzählungen, hielt politische Vorträge weit und breit in der Gegend umher, gab außerdem täglich mehrere Stunden Unterricht in der Schule – noch neben der Leitung des Ganzen – und bebaute zu alledem sogar sein Land selbst, ja, nahm auch noch teil an den Handwerksarbeiten, die in der Schule getrieben wurden.

Für das Familienleben hatte er infolge dessen nicht viel Zeit übrig. Die Schüler waren die Hauptpersonen in seinem Heim und für diese sich aufzuopfern, war er immer bereit. Die Abende, nach Schluß der Unterrichtsstunden, versammelten sich Schüler und Lehrer im Wohnzimmer; man arbeitete, las, sang und plauderte zusammen.

Er hätte eine Frau haben müssen, die ebenso wie seine Mutter in seinem Berufe mit aufging. Für eine Frau dagegen, die sich vor allem ein persönliches Zusammenleben mit ihm wünschte, die ihre eigene Wirksamkeit deshalb geopfert hatte, um das zu erreichen, für eine solche hatte er keine Zeit.

Ulla wurde böse auf sich selbst, daß sie sich solchen Gedanken hingab. Wurde sie nicht gar sentimental? Das kam von dem unthätigen Leben, das sie führte. Sie mußte sich etwas vornehmen – aber was? Malen konnte sie ja nicht. Malen in diesem Halbdunkel, in einem eingeschlossenen Zimmer – sie, die immer freie Luft und Licht und Sonne auf ihren Gemälden haben wollte!

War es denn aber nicht geradezu sinnlos, daß sie hier so einsam ihre Zeit vergeudete, jetzt, da ihr Talent seinen Höhepunkt erreicht hatte und ihr großes Gemälde – es sollte das Hauptwerk ihres Lebens werden – halbfertig in Rom auf sie wartete! Hier so hinzuleben, ohne irgend etwas zu leisten und ohne eigentlich nötig zu sein.

Hatte sie sich nicht doch wegen eines konventionellen Pflichtgefühls geopfert? Für sie selbst wäre es das Natürlichste und Richtigste gewesen, den Winter wieder in Rom zu verleben und zu malen, während Falk hier für seinen Beruf gewirkt und gearbeitet hätte; dann hätten sie zum Sommer, wo sie beide frei waren, wieder zusammen kommen und für einander leben können. Statt nun so zu handeln, wie sie es von jeher als richtig für sich erkannt hatte, war sie seine Frau geworden und hatte ihm somit das Recht eingeräumt, derartige Anforderungen an sie zu stellen, daß sie sich selbst nicht mehr das geringste vornehmen durfte, ohne seinen Unwillen zu erregen.

Falk hatte ebenso wie Ulla einen guten Teil des Nachmittags damit hingebracht, über ihr gegenseitiges Verhältnis zu grübeln. Auch er litt unter dem Ungesunden und Peinlichen eines Verhältnisses, das sich gewöhnlich zwischen zwei Menschen einzustellen pflegt, wenn der eine ein großes Opfer bringt und der andere es annimmt. Die Erkenntnis dessen, was Ulla für ihn aufgegeben hatte, machte ihn eifersüchtig und mißtrauisch ihr gegenüber. Bei dem kleinsten unfreundlichen Wort oder Tonfall dachte er schon, sie bereute ihr Opfer und sehnte sich von ihm fort, und anstatt zu versuchen, sie mit verdoppelter Liebe wieder zu gewinnen, wurde er heftig oder zurückhaltend.

Ulla kannte das schon. Wenn sie ihn zurückgestoßen hatte, that er nie den ersten Schritt, sich ihr wieder zu nähern. Aber jetzt wurde es ihr klar, wie verabscheuungswürdig es doch war, wenn sie beide bei ihrer gegenseitigen tiefen Liebe einen ganzen Tag lang auf einander böse sein wollten und noch dazu ohne irgend welche eigentliche Veranlassung. Ihr beiderseitiger Stolz und ihre Zurückhaltung erschienen ihr plötzlich urteilslos und dumm. Hatte sie nun einmal so viel für ihn geopfert, dann war es nur noch eine Kleinigkeit, auch ihren Stolz noch preis zu geben; jetzt mußte sie vor allem an seiner Liebe fest halten, selbst auf die Gefahr hin, daß es sie auch noch den letzten Rest ihrer Unabhängigkeit kosten sollte. Wollte er nicht den ersten Schritt thun, gut, dann wollte sie ihn thun – wer von ihnen unrecht hatte, konnte ja gleichgiltig sein.

Er fuhr zusammen, sobald sie die Thür seines Zimmers öffnete, und ehe sie nur ein paar Schritte durch das große Gemach gegangen war, stürzte er auf sie zu, nahm sie in seine Arme und küßte sie.

»Du darfst nicht lieblos gegen mich sein,« flüsterte er mit aufgeregter Stimme. »Du weißt nicht, was Du mir damit anthust, Du weißt nicht, wie verzweifelt ich dann bin. Wenn ich diesen fremden, geistesabwesenden Blick Deiner Augen sehe und denken muß, Du sehntest Dich weg von mir, dann werde ich wie wahnsinnig und weiß nicht mehr, was ich thue.«

Es war immer die alte Geschichte. Vergebens versuchte sie sich los zu reißen – sie konnte nicht. Kein äußeres Band, keine konventionelle Rücksicht fesselte sie – nein, nur allein ihre Liebe, die größer war als ihre Liebe zur Freiheit, zu ihrer Kunst, zu sich selbst. Sie fühlte, daß das Band, weit entfernt davon, lockerer zu werden, im Gegenteil fester und immer fester wurde. Was half es ihr, daß ihr das Leben eine Fülle von Aufgaben, Arbeiten und Erfolge bot, da ihre Heimat doch nur da sein konnte, wo ihr Herz Ruhe und Frieden fand.



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