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XIV.

Der Tag war drückend heiß und Gewitterschwüle lag in der Luft. Das mochte zu der nervösen Aufregung, in die jeder mehr oder weniger geraten war, mit beigetragen haben.

Lewi war ohne Abschied abgereist. Margit saß laut weinend in ihrer Kammer, Falk hatte sich in sein Zimmer zurückgezogen, und seine Mutter war bei ihm.

Ulla und Etty standen am Fenster in der Wohnstube.

Ein schwerer Druck lastete auf dem ganzen Hause. Alle Fenster standen offen, aber kein Hauch rührte sich. Die Luft war so erstickend, daß sich Ullas eine dumpfe Mattigkeit bemächtigte und ein Schweißschauer nach dem andern bei ihr ausbrach. Stöhnend und über die Hitze jammernd sank sie auf einen Stuhl nieder, während Etty, aufrecht stehend, mit glänzenden Augen und gespannten Zügen etwas Feierliches, Großes zu erwarten schien.

Jetzt erhob sich ein leichtes Sausen. Es wurde dunkel, und schwere Tropfen fielen nieder. Aber es kam kein richtiger Regen, es war vielmehr, als ob jemand einzelne Tropfen aus einem Glase heraus tropfen ließe – so groß, schwer und konzentrirt erschienen sie.

Dann wirbelte eine Staubwolke auf der Landstraße auf, wuchs immer höher bis zum Hause empor und qualmte durch die offenen Fenster herein.

Und wieder war alles still. Aber Etty hatte während der ganzen Zeit ihre Blicke dorthin nach der hellen, leichten, farbenschillernden Wolke gerichtet, welche tief unter ihnen über der Gegend lag. Von dorther mußte es kommen.

Die Flagge auf dem Schulhause wehte heftig hin und her und wickelte sich mit ein paar großen Schlägen fest um die Stange. Eines der Mädchen kam heraus und zog sie ein.

Plötzlich ein Donnern wie von vielen Hufen! Eine Schar Pferde kam von den Fjällen herabgaloppirt, um Schutz vor dem Unwetter zu suchen. Sie rasten am Fenster vorbei, und der Staub wirbelte um ihre Hufe.

Ullas Beklemmung steigerte sich. Sie konnte kaum atmen und fühlte sich so zusammengeschnürt, daß sie das dicht anschließende Mieder aufmachen und das weiße Faltenhemd frei lassen mußte.

Jetzt! Endlich! Die Wolke da unten schien sich zu öffnen – welchen scharfen, eilenden Lichtstrom sie aussendete! Eine Weile darnach ein entferntes, dumpfes Rollen!

Aber noch immer kein Regen. Nicht einmal einzelne, schwere Tropfen fielen mehr nieder.

Jetzt wieder ein Blitz, von einem kurzen Schlag gefolgt. Und nun kreuzten sich Blitz auf Blitz und Donner auf Donner in längerem und kürzerem Rollen jäh durch einander. Die Gegend war verschwunden, ebenso der Fjäll, einsam im dichten Dunkel, von flammenden Blitzen durchzuckt, lag das Holzhaus am Hügelabhang und schien unter dem tobenden Wetter zu erzittern.

Jetzt brach der Regen los – alle Schleusen öffneten sich. Es peitschte an die Fenster wie mit Nadeln, und in wenig Minuten waren alle die schmalen, abschüssigen Fußpfade in strömende Bäche mit Wasserfall auf Wasserfall verwandelt.

Ulla that einen tiefen, erleichterten Atemzug.

»Ist das nicht herrlich!« jubelte Etty. »Wie das reinigt, wie das befreit!«

Sie hielt sich am Fensterpfosten fest und beugte sich hinaus; Ulla hatte das andere Fenster zugemacht, sie aber bestand eigensinnig darauf, das ihre offen zu halten. Triefend von Wasser wendete sie endlich den Kopf in das Zimmer und zog das Fenster hinter sich zu. Dann sagte sie, während sie rot wurde: »Das ist wie der Zorn – der heilige Zorn – der Zorn über das Gemeine. Der kommt auch wie ein Gewittersturm über die Menschen, wenn sie etwas Schlechtes thun wollen. Ja, der Zorn ist eine ebenso herrliche Offenbarung wie der Blitz.«

»Du, Etty – Du sagst das, der Apostel der Liebe?«

»Flammte nicht Gott selbst auf dem Berge Sinai in heiligem Zorne auf?« fiel ihr Etty in das Wort. »Und war nicht Jesus selbst zornig, als er die Tempelschänder zum Tempel hinaustrieb und rief: ›Ihr Schlangen- und Otterngezücht!‹ Ich bin überzeugt, daß er niemals schöner war als gerade da, und ich würde glückselig sein, vor ihm niederfallen und ihn anbeten zu können.«



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