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III.

Am ersten April verließen die Schüler die Schule und kurze Zeit darauf bekam Margit einen Knaben. Ulla sollte nicht beunruhigt werden und wurde deshalb fern gehalten, bis alles glücklich überstanden war. Als sie in das Zimmer kam, merkte sie keine Spur mehr davon, daß hier ein Kampf auf Leben und Tod überstanden worden war, sondern sah nur das traditionelle hübsche Bild – das neugeborene Kind an der Brust der jungen Mutter, und sie fing an, sich darnach zu sehnen, daß auch ihr Tag bald kommen möchte.

Ihr ganzes Interesse konzentrirte sich nun so ausschließlich auf das erwartete große Ereignis, daß sie nicht mehr begreifen konnte, wie es möglich gewesen war, daß sie sich noch vor ein paar Monaten nach Rom und nach ihrer Malerei hatte sehnen und glauben können, sie vergeude hier ihre Zeit. Zeitvergeudung, wenn etwas so Merkwürdiges und Wunderbares mit ihr vor sich gehen sollte! Auch ihre Unterhaltung mit Falk drehte sich jetzt nur noch um das eine Thema. Er wagte sich kaum eine Stunde weit vom Hause weg, aus Furcht, es könnte etwas eintreten, während er weg war; er beobachtete jede kleinste Veränderung in ihrem Aussehen und sah ihren schweren, müden Gang mit tiefster Ergriffenheit. Als Ulla zuweilen scherzend darüber klagte, daß er von ihrem unschönen Aussehen peinlich berührt würde, widersprach er ihr eifrig und erklärte, er wüßte auf der ganzen Welt nichts Schöneres als eine Frau in diesem Zustand.

»Dieses, daß sie alle Leiden für die Vermehrung des Menschengeschlechts zu tragen hat, während wir nur die Freuden haben, das macht mich so demütig jeder Frau in diesem Zustand gegenüber, daß es mir ist, als müßte ich ihren Fuß küssen,« sagte er. »Ich habe nie begreifen können, daß es Männer gibt, die etwas Unschönes in diesem Zustand sehen – für mich ist es der schönste, heiligste Ausdruck für das Wesen der Frau.«

»Ja, Du hast überhaupt etwas Anlage zur Madonnenverehrung,« sagte sie lächelnd.

In einer Nacht wurde Ulla sehr unwohl und man schickte nach der Hebamme. Es ging wieder vorüber, aber dieser Anfall hatte sie erschreckt. Sie war niemals krank gewesen, wußte nicht, was Schmerzen sagen wollen, und diese erste Bekanntschaft mit ihnen raubte ihr allen Mut. Sie wollte Falk nicht eingestehen, daß sie sich vor den Schmerzen fürchtete, weil er die ganze Zeit ihren Mut bewundert hatte, aber sie warf hin, daß es doch viel beruhigender sein würde, das bevorstehende Ereignis in Christiania zu erwarten, wo man einen geschickten Arzt gleich zur Hand hätte – wenn dem Kinde etwas zustoßen sollte!

Falk gefiel dieser Vorschlag nicht.

»Warum sollte es für unser Kind schlimmer sein als für die Hunderttausende, die auf dem Lande geboren werden? Du weißt, ich liebe es nicht, mich solcher Vorteile zu bedienen – es ist das sicherste Mittel, das Volk unzufrieden mit seinem Lose zu machen, wenn man sich selbst nicht mit dem zufrieden gibt, was man für dasselbe als gut genug ansieht. Unser Kind soll kein kleiner Prinz, sondern ein ganz gewöhnliches Bauernkind werden.«

Ulla verdroß dieser Widerspruch. Das Volk – ja, das war sein Steckenpferd – dem zu liebe war er bereit, sogar Frau und Kind zu opfern.

»Ich finde, daß es einfach dumm ist,« sagte sie, während ihr Thränen in die Augen stiegen, »sich einem Leiden zu unterwerfen, dem man sich entziehen kann. Wenn man Chloroform bekommen kann – warum soll man da unnötig gepeinigt werden?«

»War es das, was Du meintest?« fiel er ihr in das Wort. »Du sprachst ja vom Kinde. Wenn Du es um Deinetwillen wünschest – ich habe kein Recht, Dir ein Leiden aufzuzwingen, dem Du Dich nicht freiwillig unterwerfen willst. Ich habe auch nicht das geringste Recht, von Dir zu verlangen, daß Du nach meinen Prinzipien leben sollst.«

»Ach, wenn Du nur nicht so viele Prinzipien hättest!« seufzte sie. »Ich habe keine anderen weiter, als daß man sich das Leben so glücklich als möglich machen, folglich sich auch alle unnötigen Leiden ersparen soll.«

»Du verleumdest Dich selbst,« rief er. »Du darfst nicht so etwas von Dir sagen. Du brauchst es nicht Prinzipien zu nennen, wenn Du nicht willst – aber Du sollst nicht behaupten, daß Du nur selbstsüchtige Motive für Deine Handlungen hättest, denn das ist einfach nicht wahr. Und ich bin ganz sicher, daß Du recht gut verstehst, warum ich gegen diese Christianiafahrt bin. Ich bin ganz sicher, daß Du die Bedeutung des guten Beispiels, durch das man andere stützt und festigt, vollkommen verstehst. Wenn man wie ich für das Volk leben will, ist es von höchster Bedeutung, auch dieselben Freuden und dieselben Leiden zu tragen.«

»Ja, das ist leicht gesagt für den, den sie nicht treffen,« erwiderte Ulla. »Wärst Du es aber selbst, der es durchmachen sollte …«

Aber sie bereute augenblicklich ihre Worte und unterbrach sich, als sie seinen Blick von Zorn und Schmerz aufflammen sah.

»Du sollst nicht unwahr gegen Dich selbst sein,« rief er. »Du weißt, daß das nicht wahr ist, was Du da sagst. Du weißt, daß ich kein solcher – solcher Lump bin, zu dem Du mich machen willst. Du weißt, daß ich tausendmal lieber selbst litte, als Dich leiden sähe.«

Sie war jetzt so reizbar und empfindlich in ihrer Stimmung, daß sie nahe daran war, über seine Heftigkeit in Thränen auszubrechen, aber sie versuchte doch, sie wegzuscherzen.

»Du bist mir der Rechte, immer gleich hitzig zu werden,« sagte sie und legte die Arme um seinen Hals, »alles nimmst Du so entsetzlich ernst. Natürlich meinte ich es gar nicht so schlimm.«

»Aber Du darfst nicht so sprechen – weder im Scherz noch im Ernst – Du weißt nicht, wie grenzenlos Du mich kränkst – es ist ein zu schmählicher, empörender Gedanke, daß ich Dich meinen Grundsätzen aufopfern, mich selbst aber schonen sollte.«

»Du bist ein solcher Schulmeister,« fuhr sie fort zu scherzen, »daß man schließlich gar nicht mehr weiß, was man sagen darf. Ein halbes Wort – ein flüchtiger Scherz – und gleich brausest Du auf, durchbohrst einen mit Deinen Augen, daß man förmlich anfängt, sich zu fürchten, und schleuderst einem Dein: ›Das ist unwahr!‹ – ›Du darfst nicht so sprechen!‹ entgegen.«

»Ja, das kann ich nicht ändern. Ich liebe Dich so grenzenlos, daß schon ein einziges unfreundliches Wort von Dir für mich so furchtbar ernst wird.«

»Du bist ein Tyrann.«

»Nein, höre, nun sagst Du schon wieder ein solches Wort, das für Dich nichts bedeutet, auf mich aber wirkt wie … Bin ich ein Tyrann? Mit Absicht jedenfalls ganz gewiß nicht. Lieber wollte ich Dein Sklave sein als Dein Tyrann – nein, doch nicht, Dein Sklave wollte ich ebenso wenig sein.«

»Ja, Du wärst gerade ein netter kleiner Sklave. Ein Sklave, der grollt wie der Donner und flammt wie der Blitz bei dem unbedeutendsten Wort seiner Herrin, das ihm nicht behagt.«

»Aber ich kann es nicht ertragen, daß Du sagst, ich wäre ein Tyrann. Ich achte Deine freie Selbständigkeit so hoch – aber nur – ja, am Ende habe ich doch etwas von einem Tyrannen in mir, denn, das weiß ich selbst recht gut, meine Liebe ist grenzenlos vielfordernd. Ich kann keinen Schatten von Mißtrauen oder Unfreundlichkeit ertragen.«

»Ja, Du bist echt,« sagte sie mit bewunderndem Lächeln.

Aber Falk war, wie Ulla gesagt hatte, eine so schrecklich ernste Natur, daß alles, was sein Gefühlsleben betraf, unerhörte Proportionen annahm. Und er konnte ihre gedankenlos hingeworfene Aeußerung nicht wieder vergessen. Obschon er vollkommen seiner gewiß war, daß es kein Leiden gab, was er nicht lieber auf sich genommen, als sie es ertragen sehen hätte, fragte er sich unaufhörlich, ob er selbst die Hilfe eines Arztes in Christiania suchen würde, wenn er krank werden sollte. Er war deshalb förmlich glücklich über einen Unfall, der ihm eines Tages zustieß, als er draußen fuhr und einen steilen Abhang herunter stürzte, so daß er sich sein Bein, das von der abenteuerlichen Schwimmtour her noch nicht wieder vollkommen hergestellt war, von neuem beschädigte.

Ulla wurde unruhig, als sie sah, wie schwer ihm das Gehen wurde, und da es klar war, daß der Arzt der Gegend den eigentlichen Schaden nicht entdeckte, beschwor sie ihn, gleich nach Christiania zu fahren. Für sich selbst hatte sie die Reise aufgegeben – es war zu spät für sie, sich noch hinaus zu wagen.

»Und ich sollte Dich jetzt verlassen!« rief er aus. »Nein, das thäte ich nicht, und wenn es mein Leben kosten sollte.«



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