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XI.

Den andern Morgen, als Falk und Ulla noch am Frühstückstisch unten im Eßsaal des Hotels saßen, kam ein Kellner und sagte, daß ein junges Fräulein mit Frau Falk sprechen möchte. Ulla, die sich nicht entsinnen konnte, Bekannte in Christiania zu haben, ging verwundert hinaus in das Vorzimmer. Da stand die kleine Frau Birk, mit der sie tags zuvor in der Ausstellung zusammen gewesen war. Sie sah sehr schüchtern aus, bat vielmals um Entschuldigung, gestört zu haben und schien sich nur schwer überwinden zu können, mit ihrem Anliegen heraus zu kommen.

»Ich habe eine Schwester – ich sollte von meiner Mutter verbindlichst grüßen,« begann sie. »Bitte, seien Sie nicht böse, aber meine Mutter wünscht sich sehnlichst – meine kleine Schwester hat die Auszehrung – sie erlebt gewiß den Winter nicht mehr, voriges Jahr waren meine Eltern mit ihr im Süden, und dort hat meine Mutter Gemälde von Ihnen gesehen, und nun wünscht sie sich so sehr, aber es ist wohl unmöglich, Sie haben gewiß keine Zeit –«

»Meinen Sie vielleicht, Ihre Mutter wünscht, daß ich das Porträt Ihrer Schwester malen sollte?«

»Ja, meine Mutter wünscht sich das so sehr,« sagte die junge Frau, froh, daß ihr auf halbem Wege entgegen gekommen wurde. »Wenn Sie nicht finden, daß es unbescheiden ist, aber meine Mutter hat noch niemals Gemälde gesehen, die ihr so gefallen haben wie die Ihrigen.«

Ulla war seit ihrem Besuch auf der Ausstellung von unwiderstehlicher Lust zum Malen ergriffen worden. Sie hatte die ganze Nacht von Farben phantasirt und war am Morgen mit einer solchen Sehnsucht nach ihrer Arbeit erwacht, daß sie seitdem fortwährend gegrübelt hatte, wie sie ein Modell bekommen oder wenigstens irgend eine kleine Skizze machen könnte, so lange sie gerade in Stimmung war. Sie war deshalb sehr glücklich über Frau Birks Vorschlag und versprach, gleich zu kommen.

Da die Zeit drängte, entschloß sie sich, das Porträt in Aquarell auszuführen. Sie hatte Kinderköpfe oft in Aquarellfarben gemalt und mit dem Luftigen und Leichten, was diese Art der Kunst auszeichnet, immer Glück gehabt. Ohnedies hatte sie ihre Oelfarben nicht mit nach Christiania genommen, während sie die Aquarellfarben in ihrer Reisetasche bei jedem Ausflug mitnahm.

Eine Stunde später war sie schon auf dem Wege nach der bezeichneten Wohnung in Drammens Vejen. Sie gab sich keinen großen Hoffnungen hin, ein besonders interessantes Modell vorzufinden, denn das Aussehen der Schwester war von sehr alltäglichem Typus, aber das that nichts. In ihrer jetzigen Stimmung wäre sie bereit gewesen, jeden zu malen, der ihr hätte sitzen wollen.

Frau Birks Eltern wohnten in einer der prächtigsten Villen mitten in einem großen Garten. Tiefe Stille umgab das Haus, Matten bedeckten alle Treppen, eine Atmosphäre schweigender Trauer lag über dem Ganzen.

Es war das vierte Kind, das der Schwindsucht zum Opfer fiel. Alles war für das junge Mädchen gethan worden, um es zu retten – vergebens. Die Eltern waren reich, sie konnten sie mit allen Gütern des Lebens überschütten, nur das Leben selbst konnten sie ihr nicht kaufen.

Die Mutter kam Ulla entgegen, noch in Trauer um einen siebenzehnjährigen Sohn. Sie war klein, blond und schüchtern wie Frau Birk. Sie führte sie gleich hinein zu der Kranken, die sie schon mit großer Ungeduld zu erwarten schien.

»Ach, wie froh bin ich, daß Sie mich malen wollen,« sagte diese gleich. »Ich freue mich so sehr darüber.«

Ulla betrachtete sie einige Minuten schweigend. Sie saß im Lehnstuhl an einem Fenster, das eine schöne Aussicht über Gärten, einen blauen Streifen vom Fjord und über die jenseits liegenden Fjälle darbot. Sie saß aufrecht mit scharfen roten Flecken auf den Wangen und unruhigem, ungeduldigem Ausdruck in den eingesunkenen Augen; um den Mund lag ein Zug von Unzufriedenheit und Mißmut, und ihr ganzes Wesen drückte gleichzeitig etwas Erwartungsvolles, eifrig Neugieriges und etwas Ermüdetes aus.

»Sie haben hier eine wunderschöne Aussicht,« sagte Ulla, um doch etwas zu sagen, während sie sie studirte. »Dieser blaue Streifen des Fjord –«

»Ach nein, ich bin es so überdrüssig, den Fjord zu sehen,« rief die Kranke aus. »Wie viel unterhaltender war es da in Nizza, wo man beständig Leute kommen und gehen sah, und alle die schönen Toiletten. Hier ist es ja immer unverändert dasselbe – ich mag gar nicht mehr hinausgucken.«

»Lebensmüde und doch noch neugierig auf das Leben, da habe ich ja die Stimmung,« dachte Ulla. »Der mißvergnügte Mund, die tiefen, glänzenden, sehnsuchtsvollen Augen –«

Sie wollte gleich anfangen. Die Mutter fragte, wie sie Stellung und Beleuchtung wünschte.

»So wie es jetzt ist, finde ich es so gut, daß es gar nicht besser sein könnte,« sagte Ulla.

Eine dunkle Gardine, die vor die eine Hälfte des Fensters gezogen war, bildete den Hintergrund für den Kopf, von der andern Seite fiel starkes Licht herein und beleuchtete hell die Konturen des Gesichts. Die leichten Schatten der Bäume draußen, welche die Sonnenstrahlen brachen, spielten in vielen beweglichen Farben auf Gesicht und Haar. Wirkungsvolle Glanzlichter und Sonnenstrahlen milderten das Scharfe und Unschöne der fiebergeröteten Wangen.

Ulla fing mit fieberhaftem Eifer an zu zeichnen, und schon nach einer halben Stunde warf sie den Bleistift beiseite und griff zu den Farben. Anfangs stand die Mutter hinter ihr und sah ihr zu, das peinigte sie aber dermaßen, daß sie endlich nicht mehr die Bitte unterdrücken konnte, sie mit ihrem Modell allein zu lassen.

Nach ein paar Stunden wurde an die Thüre geklopft und Ulla gebeten, zum Frühstück zu kommen, was sie jedoch in kurzem, nervösem Ton abschlug, während sie gleich die Thüre wieder zumachte. Sie war von einem wahren Kunstfieber ergriffen worden und malte den ganzen Vormittag ohne Unterbrechung.

Da die junge Kranke doch die ganzen Tage in ihrem Lehnstuhl verbrachte, war es keine besondere Anstrengung für sie, Modell zu sitzen, um so mehr, als Ulla sie ermahnte, sich vollkommen frei zu bewegen und gar nicht daran zu denken, daß sie porträtirt würde.

Ihre Uebung im Malen von Kindern hatte ihr eine solche Raschheit und Sicherheit der Auffassung gegeben, daß sie auch die beweglichsten Bilder auf der Leinwand zu fixiren verstand.

Zur Mittagszeit kam Falk, um sie abzuholen, aber er bekam sie gar nicht zu sehen, sie ließ ihm nur sagen, daß er sie nicht vor dem Abend zurück erwarten solle. Den Bitten ihrer Wirte, mit ihnen zu essen, gab sie nur widerstrebend nach, war aber während der ganzen Mahlzeit schweigsam und ließ die meisten Gerichte vorübergehen.

»Verzeihen Sie, aber ich kann nicht essen, wenn ich male,« sagte sie. Dann ging sie direkt vom Tisch wieder zu der Kranken und arbeitete weiter.

Am Nachmittag suchte Falk sie wieder auf, allein abermals umsonst. Es war mitten im Juli und Ulla benützte den langen Tag bis gegen sieben Uhr zu ihrer Arbeit. Dann deckte sie das Gemälde sorgfältig zu und verbot allen, es anzusehen.

Auf der Treppe begegnete sie Falk, der sie nun zum drittenmal aufsuchte. Sie blieb seiner zärtlichen Ungeduld gegenüber, daß er sie den ganzen Tag nicht gesehen hätte, merkwürdig kalt und gleichgiltig. Ihr Blick war wie abwesend, und sie sprach wenig. »Ich habe Dir Tausenderlei zu erzählen,« sagte er, während sie nach Hause gingen. »Es kommt mir vor, als wärest Du eine Ewigkeit weg gewesen. Wie ich ohne Dich hier leben soll, wenn Du bald nach Hause reist, ist mir ganz unbegreiflich.«

Sie antwortete nicht, sondern sah nieder, während sie die Straße entlang gingen.

»Es ist ein Brief von der Mutter gekommen,« fuhr er fort. »Und sie ist beim kleinen Rolf gewesen.«

»So?« sagte sie und machte eine Anstrengung, sich von ihren inneren Farbenvorstellungen los zu machen. »Wie geht es ihm denn?«

»Das fragst Du in so gleichgiltigem Tone? Wenn ich Dir nun erzählte, daß er krank wäre –«

»Ach – das ist er nicht,« sagte sie ruhig.

Als sie nach Hause kamen, ging sie gleich zu Bett. »Ich bin zu müde,« erklärte sie, »so müde, daß es mir vor den Augen schwindelt. Bitte, sage nichts mehr zu mir. Ich kann nicht mehr.«

Den folgenden Tag malte sie wieder von früh bis spät. Am Abend war das Bild fertig und den andern Morgen durften Falk, Lewi und Nicke mitkommen, um es zu besehen.

»Ich dachte zuerst daran, sie in Halbfigur zu malen,« erzählte sie auf dem Wege dahin. »Dann hätte ich den blauen Streifen des Fjord mit dazu genommen, auf den sie so unverwandt blickte, obgleich sie versicherte, daß es sie langweilte, ihn immer anzusehen. Schließlich ist es doch nur der Kopf geworden. Aber in dem Ausdruck desselben liegt alles, der Fjord und der Himmel und die ganze Welt, deren sie müde ist und nach der sie sich doch sehnt.«

»Ist sie hübsch?« fragte Lewi.

»Ja, das hängt davon ab, wie man sie ansieht. Für eine banale Auffassung ist sie gewöhnlich. Und für eine realistische, wie Deine, wahrscheinlich geradezu häßlich. Du würdest die eingesunkenen Wangen und das scharfe, peinlich berührende Rot hervorgehoben haben, das einen in beständige Angst vor einem Blutsturz versetzt – Du würdest ein ergreifendes Bild davon entworfen haben, aber aufregend und quälend. Ein richtiger Idealist wiederum würde sie zu einem Engel gemacht haben, mit einem Fuß im Himmel, mit dem andern auf der Erde – ich habe etwas in der Mitte von beiden gemacht – sie ist gewöhnlich und doch rührend. Ja, Du wirst ja sehen. Aufrichtig gesagt, habe ich das Gefühl, etwas Gutes gemacht zu haben. Ich habe mit einem Gefühl gearbeitet, als müßte ich in den zwei Tagen einen ganzen verlorenen Winter einholen.«

Diese Aeußerung schnitt Falk in die Seele. Für verloren hielt sie diesen Winter, der der glücklichste und reichste seines ganzen Lebens gewesen war!

Die beiden Künstler standen an der Thüre, von Bewunderung ergriffen. Was hatte sie da nicht in zwei Tagen hervorgezaubert, diese Ulla. Immer machte sie etwas Ueberraschendes, einen neuen und originellen Griff! Welche kühne, übermütige, ja geradezu verwegene Farbenbehandlung! Und wie sie verstanden hatte, mit Beibehaltung all des Alltäglichen in diesem halb fertigen Gesichtstypus des Schulmädchens doch die Idealisirung zum Ausdruck zu bringen, die der Ernst des Krankenbettes und die Nähe des Todes geben.

Auf Falk machte das Gemälde einen tiefen Eindruck. Es war ihm noch niemals so wie in dieser Stunde klar geworden, daß er kein Recht habe, seine Frau ganz allein für sich zu beanspruchen. Er wendete sich fragend an Lewison, um dessen Urteil über das Porträt zu hören.

»Es ist eine Schande, ein Verbrechen,« hörte er Lewi vor sich hin murmeln.

»Was!« fragte er und fühlte einen Stich im Herzen, als wäre er ein angeklagter Verbrecher.

Lewi wendete sich heftig nach ihm um, und seine sonst so sanften Augen sprühten.

»Es gibt keinen lebenden Künstler im ganzen Norden, der das gleiche machen könnte,« sagte er. »Tausend Frauen gibt es, die zur Gattin des Herrn Schuldirektor Falk sich geeignet hätten, aber nur eine, die so etwas wie dieses machen kann. Ich würde mir eher die Augen herausreißen, als eine solche Frau verhindern, das zu thun, wozu sie geschaffen ist.«

Die Eltern waren außerordentlich zufrieden mit dem Porträt. Die Mutter umarmte Ulla weinend, und der Vater fragte mit vielen Bücklingen, was er schuldig sei. Sie erwiderte, daß sie gar nicht daran gedacht hätte, daß sie das Porträt nur zu ihrem Vergnügen gemacht, und daß das Malen nicht mehr ihr Handwerk wäre. Darauf holte er ein Couvert, das er ihr in die Hand steckte, während er verlegen murmelte, daß es wenig genug sein würde im Verhältnis zu dem, was sie jedenfalls gewohnt wäre, aber hier in unserem armen Norwegen und so weiter.

Als sie draußen waren, bat Lewi Ulla, das Couvert aufzumachen.

»Ich bin neugierig, zu erfahren, was ein reicher norwegischer Kaufmann für Freigebigkeit hält. Denn seine Miene schien auszudrücken, daß er sich selbst sehr nobel, großartig fand – die kleine Schwenkung mit der Hand, als er das Couvert übergab, war verwegen.«

»Zweitausend Kronen!« rief Ulla und wurde rot vor Befriedigung.

»In ein paar Jahren ist das Gemälde zehntausend wert,« sagte Lewi. »Aber auf alle Fälle war er kein Knauser, das muß man zugeben.«

Ulla hatte nicht entfernt an eine Einnahme gedacht, während sie malte. Nun aber gab ihr dieses Geld ein solches Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit, eine so kindliche Freude, so glücklichen Stolz, wie man sonst nur empfindet, wenn man zum erstenmal in seinem Leben eine Summe in der Hand hält, die man selbst verdient hat. Dies ganze letzte Jahr hatte sie ja keine eigenen Einnahmen gehabt, und das hatte sie verschiedenemale peinlich berührt und gedemütigt. Sie hatte zwar einige kleine in Wertpapieren angelegte Ersparnisse, aber die Zinsen davon waren höchst unbedeutend.

»Das soll der Grundstock zu meiner Reise werden,« sagte sie, als sie das Geld wieder in das Couvert steckte.

»Welcher Reise?« fragte Falk, der in solcher Eile die Straße entlang stürmte, daß die anderen Mühe hatten, ihm zu folgen.

»Nach Rom. Einmal muß ich doch noch dahin kommen, um mein Gemälde fertig zu machen.«

»Ja, Du mußt den Winter hin, das kann nichts helfen,« sagte Lewi. »Es länger aufzuschieben wäre wahrer Blödsinn.«

Ulla antwortete nichts, und alle legten schweigend den übrigen Weg zurück, Falk während der ganzen Zeit immer um einige Schritte voraus. Als sie sich von den Malern verabschiedet hatten und allein auf ihrem Zimmer waren, rief er aus: »Jetzt ist mir endlich ein guter Plan eingefallen, glaube mir. Diesen Winter geht es nicht, weil Rolf noch zu klein ist, aber nächsten. Ich schaffe einen Stellvertreter für die Schule, wir nehmen die Mutter und den kleinen Rolf mit und bleiben den ganzen Winter im Süden.«‹

»Und das Geld?« fragte sie, und ihr Antlitz leuchtete auf. »Woher nehmen wir das?«

»Ja, Du weißt, ich habe eine kleine Summe gespart –«

»Zu einer Slöjdschule Eine Schule für Schnitz- und Hobelbankarbeit. für die Schüler, ja – die so lange schon Dein Lieblingsplan ist.«

»Wenn Du Dein großes Gemälde verkaufst, wirst Du schon eine Slöjdschule errichten,« erwiderte er.



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