Hermann Kurz
Der Sonnenwirt
Hermann Kurz

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Achtunddreißigstes Kapitel

Als Friedrich Schwan sich in Sicherheit wußte, ließ er es seine erste Sorge sein, die treulose Begleiterin, die ihm den Dienst verweigert hatte, wieder instand zu setzen. Zu diesem Behufe ging er nach dem Hof zurück, von wo er mit Christinen gekommen war, weckte die Leute, die schon zu Bette lagen, forderte Licht und erzählte mit verbissenem Grimme, was sich zugetragen. Man war ihm schweigsam zu Willen, wie man eben in abgelegenen Wohnungen solche Besuche zu ertragen pflegte. Nachdem sein Gewehr ausgebessert war, schlug er in seinem trotzigen Mute den Weg ein, den die Streifer mit ihrer Gefangenen genommen hatten, nicht eben denselben Weg, aber den Weg nach seiner für ihn verschlossenen Heimat, wohin sie geführt worden war. In sinkender Nacht kam er im Tal unten an, durchschnitt es und wählte sich geradezu den gangbarsten Weg, die Göppinger Straße, weil er dachte, daß man ihn von dieser Seite am wenigsten erwarten würde. Er wollte mitten in den Flecken eindringen – er wußte selbst nicht recht, was er wollte. Der Mond ging auf und machte sein Wagestück um so gefährlicher. Eben kam er an der Ziegelhütte vorüber, als plötzlich hinter einem dort liegenden Scheiterhaufen hervor drei Schüsse auf ihn fielen. Keiner hatte getroffen, doch war ihm auf der rechten Seite ein Fetzen vom Rocke weggeschossen. »Auf ihn! Auf ihn!« schrien mehrere Stimmen, und drei Männer sprangen hervor. »Ich hab ihn bezahlt, ich hab ihm einen Flügel abgeschossen!« rief der eine. Es war abermals der hartnäckige Fischer, der durchaus den ausgesetzten Preis verdienen zu wollen schien. »Faßt ihn, den Fleckendieb, den Börtlinger Räuber!« schrien die beiden anderen, in welchen er den ihm feindlichen Müller und dessen Knecht erkannte. »Oho!« schrie er und schlug an: »So weit ist's noch nicht.« Bei dem Anblick seiner aufgehobenen Büchse flüchteten sie sich zurück, er schoß, hörte aber die Kugel in das Holz einschlagen. »Wenn ihr mir so ernstlich nach dem Leben trachtet, ihr Wegelagerer!« rief er, »so könnt ihr euch auf mich verlassen, daß ich den ersten, der mir von euch begegnet, über den Haufen schieße, und du, Fischerhanne, weißt ohnehin, was dir geschworen ist!« – Da er sie jedoch hinter ihrer Brustwehr wieder laden hörte, so zog er sich zurück, um der Überzahl auszuweichen und gleichfalls ungestört laden zu können.

Nach kurzer Zeit versuchte er von anderer Seite her eine Annäherung an den Flecken. Nicht weit vom Hochgerichte, vor welchem Christine ihn gewarnt hatte, ging er zu der Hütte eines Feldhüters und gebot diesem herauszukommen. Es war ein Schulkamerad von ihm, der als ein armer Mann das Amt übernommen hatte, bei Nacht die Frucht zu hüten. »Erschrickst du vor mir?« fuhr er ihn an.

»Nein«, antwortete der Hüter, »ich hab nur so spät niemand erwartet, es ist schon zehn Uhr vorbei.«

»Wie steht's?«

»Nicht zum besten. Der Hagel hat heut stark auf der Markung geschlagen. Wenn's so fortgeht, wird bald nichts mehr zum Hüten dasein.«

»Weißt du nichts von meiner Christine?«

»Ja, eh ich heraus bin, hab ich gehört, daß sie gefänglich eingebracht worden sei. Sie sitzt auf'm Rathaus und wird morgen mit dem frühsten nach Göppingen geliefert. Alles sagt, sie werd ins Zuchthaus kommen.«

Er knirschte mit den Zähnen.

»Die alt Müllerin hat doch recht Unglück mit ihren Kindern. Weißt du's mit dem Jerg?«

»Was?«

»Weißt du nicht, daß in Geislingen ein Aufruhr gewesen ist und daß man achtzehn Soldaten erschossen hat?«

»Freilich weiß ich's.«

»Nun, und da ist deiner Christine Bruder auch darunter gewesen.«

Er stieß einen Schrei des schmerzlichsten Zornes aus und wütete gegen die ganze Welt, den Herzog an der Spitze.

»Nimm dich doch in acht!« sagte der Hüter, »du kannst dich mit solchen Reden um den Kopf bringen.«

»Was liegt daran!« erwiderte er.

Man hörte Schritte, und im Mondlicht kamen Soldaten zum Vorschein.

»Wer da?« rief er mit wilder Stimme, hervortretend und das Gewehr anlegend.

»Die tun dir nichts«, sagte der Hüter, »die sind in Urlaub und lassen sich's wohl sein, weil man wegen der unruhigen Zeit dem Soldaten ein wenig durch die Finger sieht, haben den ganzen Tag viel getrunken und wollen den Geist verluften; wenn sie vielleicht auch gesagt haben, daß sie auf dich streifen wollen, so ist's ihnen nicht Ernst damit.«

»Ist des Jergs Bruder, der Hannes, unter ihnen?«

»Nein«, sagte der Hüter und nannte ihm ihre Namen.

Er trat den drei bewaffneten und mit Gewehren versehenen Reichskriegern entgegen; mit der einen Hand hielt er sein Gewehr, mit der anderen klopfte er auf die Lederhosen und rief: »Nur her da, ich hab schon lang auf euch gewartet, ich bin der Sonnenwirtle!«

Diese Worte und Töne schlugen wie ein Kartätschenhagel in die Schar der Helden ein, die vielleicht in nächster Zeit gegen den rebellischen König von Preußen in das Feld rücken sollten. Sie machten kehrt und liefen so schnell davon, als ihre steifen Stiefeletten, die doch recht eigentlich ein Mittel gegen das Fluchtfieber abzugeben geeignet waren, es gestatten wollten.

Er lachte unbändig hinter ihnen her. Über den spaßhaften Anblick und über der Befriedigung seines Stolzes hatte er, für einen Augenblick wenigstens, alles vergessen, was ihn drückte.

»Hab ich's nicht gesagt, die tun dir nichts?« sagte der Feldhüter. »Die könnt man mit keinem Pferd mehr einholen.«

»Hol mir Wein.«

»Gern, aber weißt, damit ich vor Amt schwören kann, du habest mich gezwungen, so mußt mir's anders befehlen.«

»Gut.« Er klopfte an sein Gewehr. »Du mußt mit mir da hinein und zu trinken holen, und wenn du nicht willst, so schieß ich dich zusammen.«

»Sehr wohl.«

Sie gingen miteinander bis nahe an den Flecken. Dort gab er ihm Geld und wartete mit angezogenem Gewehre auf seine Zurückkunft.

Der Hüter kam allein, denn er wußte wohl, daß eine Verräterei ihn außerstand setzen würde, je wieder seinen Dienst bei Nacht zu tun. Hierauf gingen sie in das Feld zurück.

Der Hüter mußte den Wein tragen und durfte dafür nachher mit ihm trinken.

»Was reden sie in Ebersbach von mir?« fragte er, sich bequem auf den Boden streckend.

»Sie haben gottsträflich Angst vor dir.«

Er lachte und ließ nicht ab mit Fragen, bis ihm der Hüter die gleiche Antwort wohl sechsmal in verschiedenen Wendungen wiederholt gegeben hatte.

»Aber die Börtlinger Geschicht macht bös Blut, es wird allenthalben nach dir gestreift, und es ist da herum nicht mehr gut wohnen für dich.«

Er lachte noch lauter und fing nun mit diesem Einbruch, den er vor wenigen Stunden mit manchem Gewissensbiß erzählt, heillos zu prahlen an. Dabei kam er wieder auf den Schultheißen von Börtlingen zu sprechen und sich zu rühmen, wie er diesen für seine Heuchelei und Ungerechtigkeit bestraft habe. »So muß man's machen«, sagte er, »ist's nicht recht so?«

»Unser Pfarrer«, sagte der Hüter ausweichend, »schimpft auch auf ihn und sagt, jetzt habe er's, daß er nicht mehr Vorsicht anwende und alles dem Himmel überlassen wolle; er verderbe dem geistlichen und weltlichen Amt das Spiel, verschmähe allen erlaubten Profit, hänge sein Geld an die Armen, die dadurch nur immer begehrlicher werden, und opfere sich auf eine einfältige Art für seine Gemeinde auf, so daß ihm's kein Pfarrer und niemand nachmachen könnte, der sich nicht zugrunde richten wollte.«

»So?« sagte der Räuber und versank in stummes Nachdenken. So verwandelt und entstellt sein ursprünglich gutes Gemüt war, so konnte er sich doch dem Eindringen der Wahrheit nicht entziehen, die aus diesen Worten hervorleuchtete: Die erste größere Rachetat, womit er die von der bürgerlichen Gesellschaft erlittenen Unbilden zu vergelten meinte, hatte einen Gerechten getroffen.

Er sprach wenig mehr und überließ den Hüter bald der ohne Zweifel willkommenen Einsamkeit, indem er sich wieder in den Wald aufwärts zog.


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