Hermann Kurz
Der Sonnenwirt
Hermann Kurz

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Einundzwanzigstes Kapitel

Von der »Sonne« war aller Friede und alle Freude gewichen. Beinahe täglich gab es zwischen Vater und Sohn stachlige Reden, Wortwechsel, Geschrei und heftige Auftritte, und wenn Handlungen vermieden wurden, die das letzte Band der Liebe in einer Familie zerreißen, so kam dies bloß daher, daß der Sonnenwirt die entschiedene Erklärung seines Sohnes, ein herabwürdigendes Schimpfwort gegen Christinen werde ihn zu den äußersten Schritten treiben, sich zu Herzen genommen hatte. Auch würde er der Achtung, welche der Mann dem Manne durch unbeugsames Beharren auf seinem Willen und seiner Wahl einflößt, schwerlich in die Länge widerstanden und vielleicht würde mit der Zeit seine mürrische Einsprache die Eigenschaft einer jener unangenehmen Gewohnheiten angenommen haben, die man auszurotten oder wenigstens unschädlich zu machen vermag. Gibt es doch Eltern, die noch immer über die Heirat eines Kindes brummen, während sie schon die Enkel auf den Armen tragen. Aber die Sonnenwirtin war mit Aufbietung aller ihrer Mittel bemüht, die mildernde Kraft der Zeit und der vollendeten Tatsache zu bekämpfen und keine gelindere Wendung des Zwiespalts aufkommen zu lassen. Man konnte darüber streiten, ob ihre Stelle – denn sie galt in ihrer Umgebung für eine vorzügliche Wirtin – von Christinen jemals würdig ausgefüllt werden könne, ein Zweifel, der sie wenig kümmerte, außer insofern sie ihn als ein Mittel gegen diese Heirat brauchen konnte; was jedoch für sie als unzweifelhaft feststand, war die Gewißheit, daß sie sich mit dieser Schwiegertochter nimmermehr vertragen würde. Sie war in ihrer Verfolgung gegen sie zu weit und zu offenkundig vorgegangen, als daß sie, nach ihrer Sinnesart, eine Versöhnung je für möglich halten konnte. Nach menschlicher Berechnung mußte sie dereinst ihren Mann geraume Zeit überleben, und wenn sie jetzt diese Heirat seines Sohnes gütlich oder durch Ertrotzung zustande kommen ließ, so glaubte sie, da der Sonnenwirt dann nicht leicht zur Abfassung eines seinem Sohne feindseligen Testamentes zu bringen war, voraussehen zu müssen, daß ihr nach seinem Tod das Schicksal bevorstehen würde, von dem jungen Paare aus dem Hause getrieben oder, was noch schlimmer, im Hause mit Füßen getreten zu werden. Friedrich konnte ihr vielleicht vergeben, Christine aber nie; diese Überzeugung mußte sie deshalb hegen, weil sie sich sagte, daß sie an Christinens Stelle ebenso handeln würde. So trieb sie denn täglich den Keil tiefer, um das Band zu sprengen oder gar die Enterbung des Stiefsohnes durchzusetzen. Sie ging oft ins Pfarrhaus und Amthaus, um die dort herrschende Ungunst zu schüren und dann ihrem für Eindrücke von oben empfänglichen Manne wiederzuberichten, was man daselbst über die ungleiche Partie spreche; auch war sie nicht sparsam, ihm Drohungen und Schmähungen, die sein Sohn ausgestoßen, anmaßende und verletzende Reden, die Christine geführt haben sollte, zuzutragen. Hierbei war ihr der Fischer, der sie fleißig mit der faulen Ware seiner Berichte versorgte, von großem Nutzen, und er selbst zog aus dem Familienzerwürfnis nicht geringen Gewinn.

Da die Sonnenwirtin sowohl ihren Mann als seinen Sohn sehr genau kannte, so wußte sie auch bessere Regungen, die eine endliche Ausgleichung des Zwistes hätten herbeiführen können, zu ihren Zwecken auszubeuten. So war es ihr gar nicht unwillkommen, als ihr Mann eines Tages zu ihr sagte: »Es ist mir doch nicht lieb, daß er mich drum ansieht, als ob ich ihm sein Mütterlich's vorenthalten wollt. Wenn der dumm Bub absolut in sein Unglück rennen will, so weiß ich am End nicht, ob ich ihn halten soll. Es ist mir nur um die ›Sonne‹. Ich hab mich eben in Gedanken ganz drein hineingelebt, daß er einmal eine Posthalterserbin heiratet und die ›Sonne‹ vollends recht in Flor bringt.«

»Sie werden sich um ihn reißen«, bemerkte sie, »er ist ein guter Brocken, verschreit, wie er ist.«

»Ach was!« entgegnete er, »das wär bald vergessen, wenn er nur einmal nicht mehr so überzwerch wär. Aber ich geb allmählich die Hoffnung auf, daß er wird wie ein anderer Mensch. Er hat eben gar keine Ehr im Leib. So einem Lumpenmensch zulieb auf sein Eigentum verzichten wollen und eine Zukunft in die Schanz schlagen, um die ein anderer tausend Stunden weit auf'm Kopf lief – ich kann's nicht begreifen. Aber wenn er mit Gewalt vom Herrn zum Knecht werden will, so kann ich ihn nicht anders machen. Des Menschen Will ist sein Himmelreich.«

»Ja«, sagte sie, »man kann freilich am End nicht wissen, was unser Herrgott mit ihm vor hat. Was einmal Gottes Will ist, da kann man nicht wider den Stachel löcken. Und wenn er nun einmal durchaus drauf versessen ist, sich mit seinem Mütterlichen abfinden zu lassen, wie er sagt, und dir und andern als Knecht zu dienen, unter der Bedingung, daß du ihm seine Hirschkuh gibst, so wär grad jetzt eine gute Gelegenheit vorhanden, wo man sie miteinander hineinsetzen könnt. Du weißt ja, des Küblers Häusle will kein Mensch, und sein Weib sitzt im Elend da und tät's schier umsonst hergeben.«

»Ja, die hat auch nicht geruht, bis sie ihn unter dem Boden gehabt hat, und jetzt hat sie das Nachsehen. Das Häusle, ja, das wär freilich billig zu haben, sie wird noch lang vergeblich auf einen Käufer warten, und das Wasser geht ihr an den Hals. Aber meinst du, er werd keinen Abscheu davor haben? Das Haus ist doch arg verschrien, neben dem, daß es klein und schlecht ist.«

»Was, der? Das ist ja ein Aufgeklärter. Der macht sich nichts draus, und wenn der Teufel selber drin gehauset hätt.«

Friedrich schien auch anfangs mit dem Vorschlage nicht unzufrieden zu sein, als er, wie dies in solchen Fällen häufig geschieht, aus dem Munde der Nachbarsleute erfuhr, mit welchem Gedanken sein Vater umgehe. Aber eine Unterredung mit Christinen änderte seinen Sinn.

»So!« rief sie, als er ihr den Plan mitgeteilt, »ich soll in ein Haus ziehen, wo sich einer den Hals abgeschnitten hat und als Geist laufen muß!«

»Dummes Geschwätz!« erwiderte er, »der Küblerfritz schläft ruhig im Kirnberg draußen und ist froh, daß er vor seiner bösen Ripp Ruh hat. Der lauft nimmer.«

»Das mag sein, wie's will, aber mir graust's davor. Und das Haus ist eben einmal unehrlich. Was meinst, was die Leut sagen werden, wenn wir drin wohnen? Da wird's heißen: die beiden hat man hineingesetzt, weil das Haus für jedermann sonst zu schlecht gewesen ist und weil man glaubt, daß es mit ihnen ein gleiches End nehmen wird.«

»Du hast den rechten Zipfel erwischt«, sagte Friedrich. »Jetzt seh ich auf einmal in die Sach hinein. Das ist ein giftiger Gedank von der Frau Stiefmutter, und der ganz Vorschlag soll gar nichts als ein Pasquill auf mich sein.«

Seit diesem Augenblicke sprach Friedrich von dem Gegenstande ganz anders. Die wilden Reden, die er gegen die Nachbarn, wenn sie denselben berührten, fallenließ, wurden seinem Vater alsbald wieder hinterbracht, und die Stiefmutter sorgte dafür, daß sie eher gemehrt als gemindert wurden. Hieraus erfolgten neue Auftritte zwischen Vater und Sohn, die sich um so bitterer entluden, da die Verachtung, die der letztere gegen den Urheber seiner Tage hegte, seit er ihn auf der Zumutung betreten hatte, sein Mädchen mit ihrem Kinde im Stich zu lassen, durch den seinem Gefühl nach in herabwürdigender Weise gemachten Vorschlag, das Haus des Selbstmörders zu beziehen, noch geschärft worden war. Auch wurde er in seiner Auffassung dieser elterlichen Absicht durch die öffentliche Meinung im Flecken bestärkt, obgleich dieselbe, nach der Weise einer unter jahrhundertlangem Drucke lebenden Bevölkerung, sich nur heimlich zu seinen Gunsten aussprach. Einer um den andern ließ sich verlauten: »Es ist doch nicht recht vom Sonnenwirt, daß er seinen eigenen Sohn in die Hütte des Halsabschneiders setzen will, aber ich will nichts gesagt haben.« Gleichwohl war ein halbes Dutzend von denen, die so gesprochen hatten, nachher gleich bei der Hand, um über die unbesonnenen Reden des Jähzorns, die er bei solchen Anlässen ausgestoßen, Zeugnis gegen ihn abzulegen.


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