Hermann Kurz
Der Sonnenwirt
Hermann Kurz

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Neuntes Kapitel

Eben hatte Friedrich wieder seine Davidsharfe brummen lassen und eilte in schnellen Wendungen durch Zwischengäßchen vor den Wächtern davon; da führte ihn sein Weg an dem Bäckerhause vorbei, wo er Christinen zuerst gesehen hatte. Er hörte lustige Stimmen hinter den Läden und blickte durch eine Spalte in die Stube, wo er seinen Invaliden und andere Bekannte am Wirtstische sitzen sah. Christine war nicht zu sehen, also konnte ihm sein trotziges Ehrgefühl den Eintritt nicht verwehren. Während er sich noch ein wenig besann, wo er das Gewehr unterbringen sollte, sah er in der schneehellen Nacht einen Mann nicht mit den sichersten Schritten daherkommen, in welchem er den Fleckenschützen erkannte. »Der hat schon einen Stich«, sagte er zu sich, »und will noch die Sicherheit des Orts bewachen; da wird's heut nacht noch zum Durchbruch kommen; ich will ihm einstweilen eins aufspielen, damit er munter bleibt.« Er schlich sich auf die Seite und gab in der Geschwindigkeit seinem Gewehr eine verdoppelte Ladung; Dieser hatte das Geräusch des Ladstocks gehört und lauschte vorgebeugt mit dem Finger an der Nase, ohne recht zu wissen, wohin er sich wenden solle; auf einmal tat es hart an seinem Ohr einen Knall, daß er der Länge nach mit der Nase in den Schnee fiel und sein dreieckiger Hut weit hinausflog. Im Nu hatte der Täter das Gewehr versteckt und saß drinnen in der Wirtsstube neben dem Invaliden, der ihn mit einem pfiffigen Blinzeln bewillkommte. »Nicht wahr, meine alte Lise ist noch gut bei Stimm?« flüsterte er ihm ins Ohr, »ich hab jeden Knall herausgehört, und bei jedem hat mir das Herz im Leib gelacht.« Dann fuhr er in einer angefangenen Geschichte vom Prinzen Eugen zu erzählen fort, unter welchem er es bis zum Profossen gebracht hatte. Friedrich wußte seine Geschichten alle auswendig, versah ihn mit Wein und ließ ihn erzählen und unterhielt sich indessen leise mit dem uns schon bekannten Müllersknecht, der ihm seit jener Schilderung seiner Jugendbegebnisse eine Art von Bewunderung zollte. Der Alte sollte jedoch seine Geschichte nicht zu Ende bringen, denn kaum war er durch Friedrichs Eintritt unterbrochen worden, so erhob sich eine neue Störung. Die Tür wurde heftig aufgestoßen, und der Schütz kam in einer bogenförmigen Linie hereingeschossen. »Da muß er herein sein, der Mordtäter, der mir nach dem Leben getrachtet hat!« schrie er, indem er die glühenden Augen von einem zum andern laufen ließ. Die ganze Gesellschaft versicherte, sich mit den Augen zuwinkend und durcheinanderschreiend, hier sei niemand, der ihm etwas getan habe, und alles fragte, was ihm denn geschehen sei. Er erzählte sein Abenteuer, wobei er den Oberkörper wiegte und dann wieder einen Schritt vorwärts oder rückwärts geriet; dieses Schwanken wurde noch dadurch vermehrt, daß er in seiner ohnehin nicht festen Stellung beständig argwöhnisch in der Gesellschaft umhersah, ob er nicht an irgendeinem Merkmal seinen Angreifer erkennen könne. Das Gelächter, die Spottreden und schalkhaft verkehrten Fragen der ergötzten Zechbrüder machten ihn noch wilder; er schimpfte und fluchte und bestand darauf, »hier oder wenigstens in der Nähe herum irgendwo müsse er versteckt sein, der keinnützig Lump, der sich sogar an seiner ihm von Gott vorgesetzten Obrigkeit vergreife«.

»Jetzt hast genug hasseliert, Schütz!« rief ein Mann mit verwegenem und zugleich verfallenem Gesicht, das den Ausdruck einer grämlichen Lustigkeit hatte und blutige Spuren trug, als ob es auf irgendeine Weise zerschunden oder zerkratzt worden wäre. »Komm, schwenk dir die Gurgel aus, hast dich ja ganz heiser geschrien. Hier hältst vor der unrechten Schmiede: von denen, die hier sitzen, ist seit mindestens einer Stunde keiner aus der Stube kommen. Bist aber auch ein rechter Leichtfuß, heißt das, du mußt nicht besonders fest auf den Füßen sein, daß dich ein blinder Schutz gleich zum Purzeln bringen kann. Da sieh den Profossen an, der ist ein anderer Kerl, den haben sie um einen Fuß kürzer gemacht, und doch steht er auf seine anderthalb anders hin als du auf deine zwei ganze. Den schmeißt keiner so leicht um, weder mit einer blindgeladenen Kanone noch mit einer scharfgeladenen Buttell. Laß das Hasselieren sein, sag ich, und komm her, ich bring dir's. Es vertreibt dir den Schnapsgeruch.«

Der Invalide, der an der Tischecke saß, hatte alsbald zum Beweis für das Gesagte den Stelzfuß auf dem Tisch und trommelte damit nach Wein. Zugleich machte er Anstalt, seine Geschichte wieder aufzunehmen, aber es glückte ihm nicht.

»Dein gut's Wohlsein, Küblerfritz!« sagte der Schütz, das dargebotene Glas annehmend und auf einen Zug leerend, mit einer Mischung von Freundlichkeit und Spott, »es scheint, du machst jetzt Feuerkübel und verlegst dich aufs Löschen. Wünsch Glück dazu. Lösch aber nur zuerst den Brand in deinem eigenen Haus, du Mann im Feuerofen. Wiewohl, dein Feuerteufel, deine Margret, ist heut abgekühlt worden; sie hat ganz krumme Finger gehabt und hat laut geschnattert, wie ich sie wieder aus dem Häusle herausgelassen hab, wegen der großen Kälte ist sie nur auf ein paar Stunden dreingesprochen worden.«

»Was? Ist dein Weib heut eingesperrt worden, Kübler?« fragte der Invalide.

Der Kübler nickte mürrisch. »Ihr wisset ja, wie sie ist und wie sie mein Mädle von meinem ersten Weib plagt und den Waisen, den ich aus dem ›Heiligen‹ in der Kost hab. Zu dem sagt sie immer: ›Du Bettelhund! Du Herrenhund! Du schlappohriger Hund!‹ und schlägt ihn zwischen die Löffel, zwischen die am Kopf, mein ich, wenn er den Löffel in der Schüssel zu voll macht. Er ißt freilich schier mehr, als er einträgt, das Kostgeld ist so mager. Ihr könnt auch in meinem Gesicht sehen, wie sie mich diese Feiertage gezeichnet hat. Vor Weibernägeln ist auch der Stärkste nicht sicher. Ich hab sie aber durchgewalkt, daß ihr die Knochen heut noch mürb davon sind, und hätt eigentlich keine Hilfe nötig gehabt vom Kirchenkonvent; ich kann gottlob allein mit ihr fertig werden.«

»Hat sie dich denn verklagt?«

»Nein, das läßt sie wohl bleiben. Der Pfarrer hat eben von irgendeiner guten Nachbarschaft gehört, daß es wieder einmal Händel bei uns gegeben hat, und hat dann die Sach vor den Kirchenkonvent gebracht. Sie haben gemeint, sie müssen heut noch eine Sitzung halten, die Herren, und das ganze Kutterfaß vom alten Jahr ausleeren. Es sind noch viele vorgeladen gewesen.«

»Haben sie dich gestraft?«

»Nein, wiewohl ich die Schläg nicht abgeleugnet hab, aber meines Weibes Bosheit ist eben Gott und der Welt bekannt. Sie hat über mich geklagt, ich sei ein Faulenzer und verdiene nichts ins Haus. Jetzt sagt selbst, ihr Mannen, ob das wahr ist?«

»Nein, nein!« riefen alle zusammen, »das kann man dir nicht nachsagen.«

»Ich weiß wohl«, fuhr der Kübler fort, »es geht knapp bei uns her, und Armut ist eine Haderkatz. Wenn man vollauf hat, so kommt man viel leichter miteinander im Frieden aus. Aber meine Schuld ist's nicht, wenn's manchmal sogar am Kreuzer fehlt. Mein Weib mit ihrem abscheulichen Fluchen, wegen dessen sie gestraft worden ist, und mit dem Spektakel, den sie immer mit meinem Kind hat, schreckt die Leut ab, daß sie nicht gern ins Haus kommen und lieber ihr Sach woanders machen lassen. Aber man darf den Herren nur etwas an die Kunkel stecken, und wenn's eitel Altweiberfäden wären, gleich machen sie ein Gespinst daraus. Ich wär vielleicht heut abend zu Haus geblieben, denn ich hätt's wohl nötig, bin nicht mehr der lustig und durstig Küblerfritz, der ich in meinen ledigen Jahren und bei meinem ersten Weib gewesen bin. Aber die Streitsach hat mir's angetan, die ist schuld, daß ich die Batzen in Wein aufgehen laß, anstatt zu sparen. Ich spür's in allen Gliedern, heut nacht muß noch ein Rausch getrunken sein. Juhu! Komm, Frieder, stoß mit mir an. Du bist auf eine Art auch im gleichen Spittel krank mit mir.«

Friedrich stieß an. »Alle bösen Weiber sollen mit dem alten Jahr hinfahren!« rief er.

»Und was ist denn heute sonst noch vorgefallen beim Kirchenkonvent?« fragte der Invalide den Schützen.

»Ein Husarentanze, antwortete dieser.

»Was?« riefen die andern und sperrten Maul und Augen auf.

»Die Konventsherren werden doch nicht getanzt haben«, sagte der Müllerknecht.

»Dummes Geschwätz!« entgegnete der Schütz. »Dem Herrn Amtmann war angezeigt worden, daß in einem Lichtkarz bei der kropfigen Lisabeth Kuchen gegessen worden seien und daß des Xanders Bäsle, die bei ihm dient, den Husarentanz dabei getanzt habe, wobei auch ledige Bursche zugegen gewesen seien. Die Tänzerin und die Lisabeth, weil die den Karz ohne Erlaubnis gehalten, sind jede ein paar Stunden ins Häusle gesprochen und mit einem Weiberfrevel gestraft worden, und von dem Weibsgeziefer, das im Karz Kuchen gessen hat, ist jede um elf Kreuzer gestraft worden, so auch der Beck, der neben der Lisabeth wohnt und die Kuchen backen hat.«

Friedrich horchte hoch auf: dies war der Karz, in welchen Christine durch seine Vermittlung eingeführt worden war. Er hütete sich aber wohl, zu fragen, ob Christine unter den Gestraften gewesen sei.

»Der Husarentanz?« fragte der Müllerknecht, »was ist denn das für ein Tanz?«

»Kein besonders anständiger«, antwortete ihm Friedrich.

»Der Husarentanz«, sagte der Schütz, »nun, das ist eben der Husarentanz. Wer wird denn den nicht kennen?«

»Der Schütz«, rief der Kübler, »stellt sich doch, als ob er alles wüßt! Ich bin euch gut dafür, daß er ihn selber nicht kennt.«

»Was, ich?« erwiderte der Schütz und richtete sich stolz empor, »ich soll ihn nicht kennen?«

»Nein, ich wett, was du willst.«

»Eine Flasch Wein!«

»Eingeschlagen!«

Und ohne an seine Amtswürde zu denken, sprang der Schütz vom Stuhl auf, setzte den Hut verkehrt auf den Kopf, nahm die Rockzipfel zwischen die Zähne und führte einen seltsamen Tanz mit plumpen Sprüngen auf, die sich um so abscheulicher ausnahmen, da er im wachsenden Rausche seines Körpers nicht mehr mächtig war.- Wenn das Mädchen, von dem er erzählte, nur zum zehnten Teil so häßlich getanzt hatte, so hatte Friedrich mit seiner Bezeichnung vollauf recht gehabt. Die Gesellschaft brüllte vor Lachen, aber in den Augen der Männer malte sich zugleich die Verachtung, welche die Bäckerin noch deutlicher ausdrückte, indem sie, ohne lachen zu können, mitleidig nach dem Lustigmacher hinsah. »Da tanzt unsere Obrigkeit!« sagte der Kübler.

»So, das ist der Husarentanz!« keuchte der Schütz, indem er atemlos auf seinen Stuhl zurückfiel. »Jetzt eine Halbe dem Küblerfritz!«


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