Hermann Kurz
Der Sonnenwirt
Hermann Kurz

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Fünftes Kapitel

Friedrichs Leben in der Ebersbacher »Sonne« begann allmählich wieder in normale Bahnen einzulenken. Für den Vater fühlte er wenn nicht Achtung, so doch eine unbestimmte Scheu, ja sogar unter rauher Hülle einen Rest kindlicher Zuneigung, und mit der Stiefmutter stand er in jenem mürrischen Verkehr, bei dem Gewohnheit die Stelle der Liebe betritt. Auch in der Gemeinde war er geduldet; niemand zeigte sich ihm widerwärtig, mancher blickte ihn freundlich an, und des Makels, der auf ihm haftete, schien nicht gedacht zu werden. Ihm selbst war nicht wohl und nicht wehe; mit dem Zuchthause hatte er auch den Waisenpfarrer vergessen. Ein strenges Gesicht machte ihm niemand mehr als der Amtmann. Aber dies hatte wenig zu sagen, denn der Amtmann galt persönlich nicht sehr viel bei der Gemeinde und zu Hause gar nichts; auch nahm der im Grunde gutmütige und schwache Mann eigentlich nur deshalb eine Amtsmiene gegen ihn an, weil er ihn einmal in Untersuchung gehabt hatte und ihn nun wo nicht mit Worten und Werken, so doch mit Gebärden polizeilich überwachen zu müssen glaubte. Dagegen war er bei der Frau Amtmännin sehr gut angeschrieben, und zwar zu seiner eigenen Verwunderung besser, als er es verdiente, denn er hatte sich schon manche boshafte Bemerkung über ihr Pantoffelregiment erlaubt. Vielleicht war ihr nichts davon zu Ohren gekommen; genug, die stolze, kräftige Frau empfand eine gewisse Teilnahme für den jungen Burschen, der schon so früh über die Schranken der bürgerlichen Ordnung gesprungen war. Es schien ihr nicht unangenehm zu sein, wenn sie ihren Fleischbedarf von ihm ins Haus getragen bekam, und der alte Sonnenwirt, der keine Art von Gnadenschimmer aus den Augen ließ, sorgte alsbald dafür, seinem Sohne dieses Ehrenrecht auf dem Wege des Herkommens zu überweisen. Die gestrenge Frau pflegte ihn dabei sehr huldvoll zu behandeln, sie reichte ihm manchmal ein Glas Wein, ermahnte ihn zu vernünftiger Aufführung, ergötzte sich aber besonders gerne an seinen eigentümlichen freimütigen Äußerungen. An solchen ließ es Friedrich selten mangeln; denn wenn er einmal seine Schüchternheit gegen Vornehmere überwunden hatte, so tat er seiner Zunge, zumal wenn aufgemuntert, keine Gewalt mehr an. Die Gunst der Amtmännin ebnete ihm auch sonst noch seinen Pfad; der Schütz und die Scharwächter, welche die Polizei im Flecken handhabten, ließen diese Stimmung ihrer Gebieterin nicht unbeachtet und drückten bei manchen Unregelmäßigkeiten des jungen Burschen, bei manchen kleinen Verstößen gegen die öffentliche Ordnung ihre Augen zu.

Unter diesen Umständen war er eines Morgens mit seinem Korbe ins Amtshaus eingetreten. Die Amtmännin prüfte den Inhalt und sagte wohlgefällig: »Das gibt ein schönes Brätchen, ich hab alle Konsideration vor Seines Vaters Geschmack, sag Er ihm einen Gruß, und ich sei wohl zufrieden.«

»Oh, ich hab's selber ausgewählt, Frau Amtmännin«, erwiderte Friedrich.

»Um so besser, so darf Er's auch selber in die Küche tragen. Geh Er, mein Sohn, und bring Er's der Kathrine hinaus. Daß Er sich aber nicht untersteht, dem Mädchen zu flattieren; ich habe mir sagen lassen, daß Er ein galanter Junker sei.«

Friedrich lachte und trug das Fleisch in die Küche. »Da, Jungfer«, sagte er, »und die Frau hat mir einen Kuß aufgetragen als Zugabe.«

Das Mädchen ließ mit einem leisen Schrei den Korb fallen und flüchtete sich hinter den Herd. Sie hatte etwas Demütiges und Gedrücktes in ihrem Wesen und sah, obwohl noch jugendlich und nicht unschön, doch blaß und verblüht aus. Sie war eine Verwandte der Amtmännin, die sie unter dem Namen einer Hausjungfer, eigentlich aber als Dienstmagd, zu sich genommen hatte.

»Es ist nicht so ernstlich gemeint, Jungfer«, lachte Friedrich. »Nur sachte mit der Braut! Das Fleischle da hätt so sauber bleiben können, wie Ihre Tugend von meinetwegen bleiben soll.«

Er hob das Fleisch vom Boden auf, warf es ihr auf den Herd und verließ die Küche, indem er brummte: »Was sich die nicht einbildet, und ist nur so ein Flügel.«

Als er wieder ins Zimmer kam, um zu fragen, was die Frau Amtmännin auf morgen zu befehlen habe, fand er ein Glas Wein eingeschenkt, zu dem er sich nicht lange nötigen ließ.

»Hat's draußen was abgesetzt?« fragte sie. »Ich meinte einen Fall zu hören.«

»Oh, der Jungfer ist nur ein kleiner Poss passiert. Darauf hab' ich weiter gar nichts gesagt als ›Sachte mit der Braut!‹, und da ist sie gleich ganz schiefrig geworden.«

Die gestrenge Frau lachte recht gnädig. »Es kommt ja nur auf den Mosje Friedrich an«, sagte sie, »ob er aus dem Sprichwort Ernst machen will. Das Mädchen ist aus einer sehr guten, aber während der Minderjährigkeit des Herzogs unterdrückten und herabgekommenen Familie. Nun, dafür hat sie sich desto besser in der Welt fortbringen gelernt; das ist auch eine Aussteuer. Sie ist schon bei einem adeligen Geheimrat in Diensten gewesen und weiß, was Mores sind. Das gäb eine Wirtin, die den vornehmsten Gästen gewachsen wäre.«

Sie sagte dies alles auf eine scherzhafte Weise, in welcher gleichwohl etwas Aufmunterung lag. »Aber freilich«, fügte sie hinzu, »Wirte sehen mehr auf äußeres als auf inneres Metall, und bei Wirtssöhnen wird man ohne Zweifel den gleichen Gout antreffen.«

»Konträr, im Gegenteil«, versetzte der junge Mensch, »ich seh bei einem Mädle aufs Herz und nicht auf die Batzen. Liebreich ist über hübsch, und hübsch ist über reich. Aber Exküse, Frau Amtmännin, mein Sinn steht darauf, daß, wenn ich einmal heiraten tu, so muß es ein freies Mädle sein. Ich will mein Weib nicht aus der Dienstbarkeit holen. Arm darf sie wohl sein, aber keine solche, die schon auf der Adelsbank herumgerutscht und in vornehmen Häusern herumgepudelt worden ist.«

Die Amtmännin fuhr aus dem Armsessel auf, und ihre Kontusche von Perse rauschte wie eine Windsbraut durch das Zimmer. »Er, Flegel, der Er ist!« schrie sie, »meint Er denn, ich werde meine Perlen vor solche Schweine werfen! Eine Zigeunerin wird Er noch kriegen oder des Seilers Tochter, wenn's hoch kommt, wozu alle Aussicht vorhanden ist! Reis Er sich auf der Stelle, und laß Er sich's nicht beigehen, mir wieder unter die Augen zu treten.«

Friedrich hatte eben das Glas ergriffen, um zur Bekräftigung seiner Rede einen herzhaften Schluck zu tun, als dieser unerwartete Sturm bei vermeintlich heiterem Himmel ausbrach. Er setzte verblüfft das Glas auf den Tisch, ergriff seinen Korb und machte sich rücklings gegen die Türe, wobei er den eben eintretenden Amtmann empfindlich auf den Fuß trat. Dieser neue Fehltritt war nicht geeignet, ihm seine Fassung wiedergewinnen zu helfen; vielmehr gelangte er strauchelnd und taumelnd zur Tür hinaus, von grimmigen Blicken und unfreundlichen Segenswünschen verfolgt.

»Aber die kann einem den Marsch machen!« sagte er verwundert zu sich, als er auf der Straße war. Er trug langsam seinen Korb nach Hause, ohne sich recht erklären zu können, wodurch er die Frau so plötzlich gegen sich aufgebracht habe. Desto deutlicher stand ihm die doppelte Tatsache vor Augen, daß er um eine nicht zu verachtende Gönnerschaft ärmer und um einen furchtbaren Feind reicher geworden sei. Er verabredete hinter dem Rücken seines Vaters mit einem Knecht, daß dieser künftig statt seiner das Fleisch ins Amtshaus tragen solle; aber trotz dieser Auskunft machte ihm der Vorgang nicht wenig zu schaffen. Verschüttet Öl ist nicht gut aufheben, sagte er den ganzen Tag bedenklich mit dem Sprichwort zu sich.

Was konnte Friedrich unter solchen Umständen Besseres vornehmen, als die Flasche aufzusuchen, in welcher der Deutsche, der Jüngling wie der Greis, der gemeine Mann wie der vornehme, schon so manche Verlegenheit ersäuft oder erst recht großgezogen hat. Sein Vater war ausgeritten, Ochsen zu kaufen, und wurde erst in später Nacht zurückerwartet; die Stiefmutter aber stand nicht in so hohem Ansehen bei ihm, um ihretwegen die Hausordnung einzuhalten. Er erlaubte sich, das Nachtessen zu umgehen, und besuchte dafür ein Bäckerhaus, wo er gerne einzusprechen pflegte.

Die Stube war halbdunkel, als er sie betrat. Auf einem Ofenbänkchen dämmerte der Bäcker, wie es ihm schien; die Wärme des Ofens ließ sich bei der vorgerückten Jahreszeit recht behaglich empfinden. Hinter dem erhellten Fenster, das in die Küche ging, bewegte sich eine Gestalt, die er für die Bäckerin hielt. »Duselst, Beck?« sagte er, dem Manne im Vorübergehen einen freundschaftlichen Rippenstoß versetzend; »'n Schoppen Grillengift, Beckin!« rief er dann, gegen die Küche gewendet, und schlug ein paarmal mit der Faust auf den Tisch. Dann setzte er sich und stützte verdrießlich den Kopf auf die Hand.

Ein Licht wurde gebracht und vor ihn gestellt, ohne daß er den Kopf erhob. Gleich darauf stellte dieselbe Hand den begehrten Wein im Schoppenglase vor ihn auf den Tisch. Ohne aufzusehen, wurde er doch der Hand gewahr, die mit dem Glase vor seinen Augen erschien. Sie hatte, trotzdem daß sie nichts weniger als glatt und geschont aussah, etwas Zartes; die wohlgedrechselten Fingerchen schlangen sich allerliebst um das Glas, und an die Hand schloß sich ein zierlicher, runder, voller Arm. Eben wollte er verwundert fragen, wie die beleibte Bäckersfrau zu so anmutigen Gliedmaßen komme, als ein fremdes feines Stimmchen das in den Wirtshäusern übliche »Wohl bekomm's« dazu sprach. Er tat die Hand von den Augen, sah hin, ließ den Arm auf den Tisch fallen, hob den Kopf und starrte mit freudigem Schrecken die Erscheinung an. Es war niemand anders als das hübsche Mädchen mit den gelben Zöpfen, das ihm neulich bei seinem unglücklichen Werbungsversuch begegnet war und das er seitdem nicht aus dem Sinn verloren hatte.


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