Hermann Kurz
Der Sonnenwirt
Hermann Kurz

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Zweites Kapitel

»Frau Sonnenwirtin, jetzt ist's an mir!« rief der ältere von zwei Männern in hellblauen Wämsern, die am Wirtstische saßen. »Bringt nur gleich zwei Bouteillen auf einen Streich. Und wenn das Vermögelein draufgehen sollte, der Friede muß stet und fest sein. Man sagt ja, ein Prozeß sei etwas Fettes. Nun gut, auf etwas Fettes muß man brav trinken, damit's einem den Magen nicht verdirbt.«

»Nach Befehl!« erwiderte die Wirtin, eine große, schlanke Frau, aus deren gelblichem Gesichte starke Knochen hervortraten; und die Flaschen auftragend fuhr sie fort: »G'segn's Gott, ihr zwei Müller, Ober und Unter! Das ist das wahre Wasser auf eure Mühlen und wird sie besser treiben als das Haderwasser, dem ihr einige Zeit her den Zugang verstattet habt. Ja, ja, ich gratulier! Ein fetter Vergleich ist besser als ein magerer Prozeß. Das Sprichwort sagt's zwar umgekehrt, aber ich hab doch recht. Auch ist's gescheiter, das Geld in die ›Sonne‹ zu tragen, als zum Advokaten, denn bei dem wärt ihr doch nicht so 'ring durchgekommen wie mit so ein paar Bouteillen Zehner.«

Die beiden Zunftgenossen, welche einen über ihre Gerechtsame entstandenen Streithandel noch beizeit geschlichtet hatten, ließen ihrer guten Laune vollen Lauf. Sie saßen schon den halben Nachmittag hinter ihrer Friedensflasche und hatten, wie das in solchen Fällen zu geschehen pflegt, die streitigen Punkte sowie die Gründe, die zur Beilegung rieten, mehr als ein dutzendmal umständlich durchgesprochen. Lachend trank der jüngere der Wirtin zu, der ältere aber bedachte sie mit einer derben Liebkosung. – »Was die Sonnenwirtin noch ein fester Kerl ist!« rief er, »ich glaub, die wär Manns genug, um noch Zwillinge zu bringen.«

Die Frau schoß einen scharfen Blick aus ihren grauen Augen auf den Necker, stieß ihn mit einem halb scherzhaft, halb ernstlich gemeinten Scheltwort zurück und verließ, ihren Geschäften nachgehend, das Wirtszimmer.

»Ich glaub, Euch juckt's schon wieder nach einem Prozeß, Vetter!« sagte der jüngere Müller lachend. »Paßt nur auf, die da versteht keinen Spaß. Ihr werdet wohl wissen, daß man ihr kein gebrannteres Herzleid antun kann, als wenn man sie an ihre Kinderlosigkeit erinnert.«

»Weiß wohl«, entgegnete der andere, »und eben darum hab ich's getan, weil ich die neidige, gelbe, giftige Kröte noch gelber sehen will, als unser Herrgott sie geschaffen hat. – Komm her, Peter«, unterbrach er sich, einen Eintretenden zurufend, »du hast treulich mit zum Frieden geraten, nun ist's billig, daß du auch mit uns trinkst. Ihr werdet nichts dagegen haben, Vetter, wenn ich meinem Knecht einschenke? Hol dir ein Glas und geh her.«

Der Knecht tat, wie ihm geheißen wurde, und setzte sich dann hinter einen andern Tisch auf die Bank, die vorm Ofen längs der Wand hinlief. Von dort aus nahm er seinen wohlberechtigten Anteil am Gespräch, stellte sich auch in seinem Reden und Benehmen völlig auf den Gleichheitsfuß mit seinem Herrn und dessen Gefährten; nur dadurch, daß er nicht unmittelbar bei ihnen Platz nahm, beobachtete er den Standesunterschied.

»Der gelbe Neidteufel!«fuhr der obere Müller fort. »Man darf nur den Sonnenwirt vergleichen, was er unter seinem ersten Weib für ein Mann war und was er unter dem dürren Rippenstück für einer geworden ist. Damals war er aufgeweckt und kameradschaftlich und gar nicht b'häb in Handel und Wandel und Geldsachen. Jetzt ist er schwach und hat keinen eigenen Willen mehr, ist dabei aber gegen andere Leute ein wahres Untier an Geiz und Hochmut. Der alte Kerl, er trägt den Kopf wie ein Edelmann und meint wahrhaftig, er sei aus anderem Teig gebacken als wie unsereiner.«

»Das macht eben der Reichtum«, sagte der Knecht von seiner Bank herüber.

»Ja, er ist grausig reich«, versetzte der untere Müller. »Er wird wohl auf zwölftausend Gulden geschätzt. Aber freilich, wie Ihr sagt, Vetter, so verhält sich's: ist b'häb und faßt das Tuch an fünf Zipfeln.«

»Wo der gedroschen hat, darf man kein Korn mehr suchen«, ergänzte der Knecht.

»An alldem ist das vorteilhaftige böse Weibsbild schuldig! Sie will alleweil oben hinaus; sie möcht's gern der Pfarrerin und der Amtmännin gleichtun, schmeichelt sich auch bei ihnen an und verlästert andere Leute, denn das hören solche Frauen immer gern. Oh, die ist falsch wie Galgenholz. Und wie ist sie nur mit ihren Stiefkindern umgegangen! Die hat sie von Anfang an zurückgesetzt und verkürzt, in der Meinung, sie werde eigene bekommen, und wie das nicht eingetroffen ist, so hat sie's ihnen aus Mißgunst noch ärger gemacht. Die älteste Tochter hat den kahlköpfigen, trockenen Krämer da drüben geheiratet, um nur aus der Hölle los zu werden. Die andere, die Magdalene, tät, schätz ich wohl, mit einem Frosch vorliebnehmen, wie die Prinzessin im Märlein.«

»Ihr trefft den Nagel auf den Kopf, Vetter!« rief der jüngere Müller mit mürrischem Lachen. »Wie? Oder wißt Ihr's nicht? Hat ein blindes Schwein eine Eichel gefunden?«

»Nun, was ist's denn?«

»Habt Ihr den Laubfrosch noch nie aus und ein gehen sehen? Wißt Ihr denn nicht, was man für Werg an der Kunkel hat?«

Der andere schüttelte den Kopf.

»Das Ausrufungszeichen in dem froschgrünen Rock!« fuhr der jüngere hitzig fort. »Er sieht akkurat aus, wie Ihr ihn gestempelt habt. Seid Ihr denn heut ganz auf den Kopf gefallen?«

»Was, der Bartkratzer, der sogenannte Herr Chirurgus, der Heuchler, der Kopfhänger, die magere Kuh Pharaonis? Jetzt wird mir's anders! Jetzt hab ich eine Stärkung vonnöten! Kommt, Vetter, ich will's an Euch hinlassen.« Damit erhob er sein Glas.

»Ich will's ausstehen«, erwiderte der andere mit sauersüßer Miene, kam ihm mit dem seinigen entgegen, und sie stießen miteinander an. Nachdem der Knecht durch einen Wink beschieden worden war, den Dreiklang vollzumachen, lehnte sich der ältere Müller in seinen Stuhl zurück und fuhr verwundert fort: »Ei so guck einer! Der Alte schlägt seine Mädchen doch recht unterm Preis los, denn die paar Fußbreit Grundherrschaft, die der grüne Darmfeger besitzt, werden justament einen Sack Erdbirnen ausgeben, und was er jahraus, jahrein mit seiner Rasiererklinge ausschabt, das wird ihn auch nicht gerade fett machen. Die Figur gibt's. Aber der Alte trifft zwei Fliegen mit einem Schlag. So ein Schlucker darf kein groß Heiratgut fordern; da behält der Schwährvater seine Krontaler brav in der Truhe und hat noch den Profit, daß ihm der fromme Schwiegersohn, sooft er den Morgen- und Abendsegen liest, um ein baldsanftseliges Ende betet. Seine erste Tochter wird auch nicht viel mitbekommen haben, wie er sie hinausgegeben hat; denn ich seh just nicht, daß ihr Ehkrüppel sonderlich stark spekuliert, weder in Käs noch in Schwefelhölzern. Im Gegenteil, seine Firma geht einen sehr bedächtlichen Gang und blüht wie die späten Obstsorten; ich glaub, er hat's aufs Langsam-reich-Werden angelegt. Aber es ist doch ein Herr Handelsmann, in Stuttgart heißen sie's gar Kommerzienrat, und das ist Numero Zwei. Den neuen Schwiegersohn kauft er vielleicht noch wohlfeiler, und das ist noch ein kostbarerer Artikel, das ist gar ein halber Doktor. Die Frau Chirurgussin wird sich natürlicherweise Flügel an die Haube machen lassen müssen, wenn sie mit der langen froschgrünen Stange ranggemäß über die Straße rudern will. Schad ist's übrigens um die Magdalene. Sie gäb grad so einen Arm voll für einen wackern Junggesellen wie Ihr zum Beispiel, Vetter.«

»Wollt Ihr mich ins Gered bringen?« brauste der jüngere auf. »Ihr schwätzt mir da recht hinterfür heraus wie ein Mann ohne Kopf! Was will ich von dem Mädle? Habt Ihr wo läuten hören? Bin ich dem Sonnenwirt auf irgendeine Art oder Weise zu Hof geritten. Macht mir nichts vor! In dem Punkt versteh ich keinen Spaß.«

»Na, wollen die Sache ruhen lassen«, beschwichtigte der ältere. »Aber so viel ist gewiß, wenn die erste Frau, die rechte Mutter, noch am Leben wäre, so fiel die Aussteuer ein wenig größer aus und der Hochmut ein wenig kleiner.«

»Ja, und mancher böse Auftritt wär unterblieben und mancher Lärm und Spektakel bei Tag und auch bei Nacht, der die ›Sonne‹ mehr in Finsternis als in Glanz brachte bei der Gemeinde. Und die Hauptsonnenfinsternis wär gewiß auch nicht so schwarz ausgefallen unter dem linden Regiment der rechten Mutter.«

»Was meint Ihr damit? Ja so, jetzt geht mir auf einmal ein Licht auf. Ihr sprecht vom Gutedel, vom jungen Sonnenwirtle. Mag leicht sein, daß der mit Verstand und Güte gradgebogen worden wäre, der knorrige Hagbuchenstock. Zwar ist es schwer zu sagen, ob das Mutterherz den rechten Weg gefunden hätte nachmals, wie es nötig wurde; denn die selige Sonnenwirtin war eben die gute Stunde selber, und den Stab Wehe hat sie nimmermehr zu führen verstanden. Der Sonnenwirt sah dem Früchtlein auch in allweg zu viel durch die Finger, solang sie lebte und solang der Erbprinz die Nüsse noch mit den Milchzähnen knackte.«

»Ja«, lachte der jüngere Müller, »wohlgezogen, aber übel gewöhnt, das war er von Anfang an.«

»Ist denn ein Sohn da?« fragte der Müllersknecht von seiner Bank herüber.

Sein Dienstherr sah ihn verwundert an. »Ja so«, sagte er nach einer Weile, »du hast dich schon so bei mir eingewöhnt, daß ich schier gar gemeint hätte, du seiest seit Jahr und Tag in meinem Haus, und bist doch erst einen Monat da. Freilich, auf die Art hast du den jungen Sonnenwirtle noch nicht zu Gesicht kriegen können. Wundert mich übrigens, daß du in deinem Deizisau nichts von ihm gehört hast; denn er ist ein Gewaltiger vor dem Herrn, und wenn man ihm nicht den Krattel beizeiten vertreibt, so kann er, schätz ich wohl, im ganzen Land bekannt werden.«

»Wo ist er denn?« fragte der Knecht.

»Er ist an einem Örtlein, wo du nicht gern hinkämst«, war die Antwort, und die beiden Müller brachen in ein Gelächter aus. »Jetzt rat einmal.«

Die Türe ging abermals auf, und ein Mensch in hohen Wasserstiefeln trat herein. Er trug einen Kübel, den er vorsichtig auf einen Stuhl setzte. »Ist die Frau nicht da?« fragte er.

»So, du bist's, Fischerhanne?« rief der obere Müller. »Was hast denn da? Du gehst ja mit dem Kübel so sachte um, wie wenn du Perlen in der Fils gefunden hättest.«

»Guten Abend, ihr Leute«, sagte der Fischer. »Tut's so? Ist's schon Feierabend? Nein, die Perlen geraten nicht hierzuland, außer in der Glasfabrik. Forellen sind's, frisch aus dem Bach, ich hab sie nur geschwind im Kübel hergetragen.«

»Was meint Ihr, Vetter? Wie wär's, wenn wir so ein paar Silberfischlein in die Küche schicken täten? Der Wein schmeckt noch so gut dazu. Wie, Fischerhanne, gib her, laß einmal sehen, was hast für War?«


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