Hermann Kurz
Der Sonnenwirt
Hermann Kurz

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»Jetzt will ich gern sterben«, seufzte Friedrich, als er aus dem Rausche des Entzückens endlich wieder zu sich kam. »Noch einmal will ich dir's geschworen haben, daß ich nimmer von dir lassen will, was auch kommen mag, und will dir treu sein bis in den Tod.«

»Du mußt jetzt nicht vom Sterben reden«, sagte ihm Christine leise ins Ohr, indem sie den Kopf verschämt an seine Schulter lehnte, »ich hab's jetzt doppelt nötig, daß du für mich lebst.«

»Ja, ich will, und Müh will ich mir geben, daß ich immer den richtigen Weg geh und daß du keine Unehr von mir hast und keine Sorgen um mich. Gelt' das ist doch eigentlich Ursach gewesen, daß du dich so lang besonnen hast? Gesteh's nur frei heraus, ich nehm's dir nicht übel.«

»Nein«, sagte sie, »ich hab mich nie zum Richter über dich aufgeworfen und hab's ja wohl gewußt, wie gut du bist und daß in deinem Herzen kein fauler Butzen ist und kein falscher Blutstropfen in deinen Adern. Meinst du denn, sonst hätt ich dir so getraut?«

»Warum hast du mich dann aber so lang zappeln lassen und hast mir so viel böse Stunden gemacht?«

»Ei, bin ich's nicht wert, daß du dich ein wenig um mich hast verleiden müssen?«

»Ich will den Baum nicht loben, der auf den ersten Streich fällt, aber du hast mir's doch ein wenig gar zu arg gemacht, hast mich ja am ewigen Feuer braten lassen. Hättest's dir selber nicht zuleid tun sollen. Jetzt sag's nur: warum bist du so unbarmherzig gewesen gegen mich und dich?«

»Ich kann's nicht sagen«, kicherte Christine wie damals, als sie sich im Bäckerhause hinter dem Ofen versteckte.

»Ich küss dich so lang, bis du's sagst, denn ich merk jetzt schon, daß es was zu bedeuten hat.«

»Da kannst lange küssen.«

»Oder ich drück dich, bis dir der Atem ausgeht.«

»Dann sterb ich in deinem Arm.«

»Wart, ich will dir schon zeigen, wer Herr ist. Willst du Daumenschrauben kennenlernen?«

Kaum hatte er ihre Finger etwas zwischen den seinigen gepreßt, so schrie sie: »Halt! Laß nach! Ich will ja alles gestehen!« Sie legte den Mund an sein Ohr und sagte: »Sieh, meine Mutter hat zu mir gesagt, wenn ich einen dummen Streich mache, schlägt sie mir alle Glieder entzwei, und –«

»Ja? Und?«

»Ach, du brauchst nicht alles zu wissen.«

Er erhaschte ihre Finger und wiederholte die vorige Folter.

»Und damit's nicht zu dem kommen soll, was mir meine Mutter gedroht hat«, bekannte sie stöhnend und lachend zugleich, »hab ich dich und mich so plagen müssen.«

Er lachte aus vollem Herzen. »So?« sagte er, »du hast also so ein gut's Zutrauen zu mir gehabt, daß du gleich gedacht hast, du werdest dich bei mir vor einem dummen Streich nicht behüten können?«

»Ach, ich hab dich eben von Anfang an so lieb gehabt, du böser Bub du!«

»O du mein lieb's Weible du!« rief er.

Er zog sie in seine Arme und legte ihren Kopf an sein Herz.

»Aber das hör ich gern!« rief sie. »Das tut mir wohl! Oh, sag noch einmal so!«

»Mein lieb's Weible! Und jetzt will ich dich auch recht um Verzeihung bitten, daß ich dir's so wüst gemacht hab, absonderlich gestern nacht, wo du meinetwegen aus gewesen bist und ich dir noch schnöde Reden dafür geben hab. Gelt, du verzeihst mir's? Sieh, es ist mir von ganzem Herzen leid.«

»So, jetzt kommst endlich, du Hinterfürhühnle? Hast Ursach genug gehabt, das gleich zu sagen, aber der hochmütig Herr hat sich nicht runtergehen wollen.«

»Ja, sieh, um Verzeihung bitt ich niemand, als einen recht guten Freund, und von dir hab ich vorhin noch nicht gewußt, ob du freund oder feind mit mir bist.«

»Oh, geh du! Du hast wohl gewußt, daß ich dir nicht feind bin. Aber gelt, jetzt glaubst, daß du den besten Freund auf der Welt an mir hast?«

Er beteuerte ihr diesen Glauben mit wiederholten Liebkosungen.

»Was hast denn zu meinem Brief gesagt?« fragte sie nach einer Weile. »Gelt, du hast gewiß gesagt: jetzt kriecht sie endlich zu Kreuz?«

»Ich hab denkt: so, jetzt ist sie endlich in sich gangen und bereut's, daß sie so unchristlich gewesen ist und sich und mir das Leben so sauer gemacht hat.«

»Was nicht sauret, das füßet auch nicht. Aber was hast du denkt, daß ich so wüst geschrieben hab? Ich hab's schier im Finstern tun müssen.«

»Schreib du, wie du willst, mir ist alles recht, was du schreibst. Wirst's schon noch besser lernen, bis du Sonnenwirtin bist, und die Rechnungen und Geschäftsbriefe kann ich ja einmal selber schreiben.«

»Ja, das glaub ich, daß es noch eine gute Zeit anstehn wird, bis ich Sonnenwirtin bin.«

»Nun ja, du wirst doch meinem Vater nicht um den Tod beten?«

»Gott behüt und bewahr mich!« rief Christine eifrig. »Gelt, das ist nicht dein Ernst? Nein, ich gönn ihm und wünsch ihm noch ein langes Leben.«

»Und Enkel genug?«

Sie schlug ihn auf den Mund. »Ich hab nur sagen wollen, es wird noch manches Wässerlein den Bach hinunterlaufen, bis man uns zusammenläßt. Ach, ich bin eben ein gering's Mädle und von armen Eltern, und die deinigen sind reich und hoffärtig; du kannst's dir selber sagen, daß es da nicht so ganz glatt gehen wird. Mir selber geht auch viel ab, was zu dem Stand gehört. Wiewohl, ich will dir versprechen, daß ich's an nichts fehlen lassen will und nichts versäumen, was ich noch lernen kann. Aber wenn auch du vielleicht mit einem solchen Versprechen zufrieden bist, so ist's dein Vater noch lang nicht, denn er sieht noch auf ganz andere Eigenschaften.«

Er ging mit starken Schritten vor ihr in der Stube hin und her. »Ich will dir nichts vormachen, was nicht wahr ist«, sagte er. »Ich kann zwar im jetzigen Augenblick, glaub ich, viel auf meinen Vater bauen, aber so leicht wird's nicht gehen, daß ich sagen kann: Ich darf nur blasen. Er wird vielleicht ein wenig aufgucken, wenn ich ihm sag, was ich vorhab; sein Leibstückle ist's nicht, denn das hat einen anderen Klang. Wir müssen uns also darauf gefaßt machen, daß man uns ein paar Berg in Weg wirft, und falsche Zungen können auch dazwischenkommen. Aber, wie gesagt, ich steh jetzt mit meinem Vater so, daß ich hoffen kann, wenn er meinen Ernst sieht, so gibt er nach. Die Hauptsach aber ist: Ich hab dich lieb und will dich, und mir bist du recht, und darum mußt auch allen anderen gut genug sein. Ich will doch sehen, wer mir das über den Haufen wirft, was ich mir einmal fürgenommen hab. Ich bin fest überzeugt und weiß ganz gewiß, wenn ein Mensch seinen Willen ernstlich auf etwas setzt, und es ist nichts Unrechts, so führt er's auch durch. Ich aber hab meinen Sinn fest darauf gerichtet, daß du mein Schatz und mein Weib werden sollst, und wie ich meinen Willen bei dir erreicht hab, so werd ich ihn bei meinen Eltern und bei den deinigen erreichen.«

Christine beruhigte sich oder beschwichtigte wenigstens ihre Unruhe im Anschauen und Anschmiegen an ihren Freund. Er gefiel ihr gar zu gut; er kam ihr so männlich vor und war unter dem zuversichtlichen Reden gleichsam gewachsen.

»Nun hast du mein Herz und meine Hand und meinen Eid«, fuhr er fort. »Jetzt mußt du mir aber auch versprechen, daß du mir treu sein willst, denn ich muß dir nur gestehen, das Rumschwanzen und Lustigtun mit den ledigen Burschen auf'm Tanzboden, das muß jetzt ein End haben, und die Husarentänz im Karz stehen dir auch nicht an.«

»Was, Husarentänz? Ich weiß nicht, was du willst. Seit wir nicht mehr gut miteinander gestanden sind, bin ich gar nicht in Karz kommen, und daß ich selbigsmal auf den Tanzboden gangen bin, das hätt dir doch dein Herz sagen sollen, warum das geschehen ist.«

»Du hast ja aber gar nichts mit mir gemacht.«

»Hätt ich kommen und vor dich hinknien sollen?«

»Aber gelacht und geschwätzt hast mit den andern, wie wenn ich gar nicht da wär.«

»Ich hab doch nicht schreien und heulen können, wiewohl mir das nah genug gewesen ist; es ist mir schwer ankommen, mich so zu verstellen, nachdem ich hingangen bin, bloß um dich zu sehen, und du gar nichts von mir gewollt hast.«

»Und unter den Karzgängerinnen, die gestraft worden sind, bist du nicht?«

Sie wußte von nichts. Er mußte ihr den Vorgang erzählen. In ihrem abgelegenen Häuschen hatte sie von der Geschichte gar nichts gehört.

»Jetzt ist's recht«, sagte er lachend. »Aber jetzt möcht ich erst einmal den Husarentanz von dir sehen. Wie, mach mir ihn einmal vor.«

Sie sah ihn mit großen Augen an. »Sag das nicht noch einmal«, entgegnete sie ernsthaft. »Es wär mir leid, wenn's dein Ernst wär!«

»Nein«, sagte er und nahm sie in die Arme, »ich hab dich bloß ein wenig necken wollen. Ich hab dich lieb und wert, und verlaß dich drauf, daß ich dich immer in Ehren halten werd. Aber das mit den ledigen Buben, das hast du mir noch nicht versprochen.«

»Du wirst mich noch bös machen!« sagte sie. »Was will ich von den ledigen Buben! Aber ich will dir's schwören, damit die arm Seel Ruh hat. Da, sieh, ich schwör's! Und jetzt wollen wir sehen, wer seinen Eid am längsten hält, du oder ich.«

Auch er gab sich nun seinerseits zufrieden. Sie plauderten zutraulich miteinander und malten sich ihr künftiges, häusliches Leben aus, wobei es nicht an Scherzen und Neckereien fehlte. Während sie so Arm in Arm in der Stube herumgingen, rief Christine auf einmal. »Hu, wie kalt geht's an mich hin! Was ist denn das?« Auch er empfand jetzt den kalten Luftstrom, und beide untersuchten, woher derselbe komme. Eine von den runden Fensterscheiben fehlte, und durch die offene Lücke drang die kalte Winterluft ins Zimmer. »Das ist vorhin nicht gewesen!« rief Christine erbleichend. »Sieh nur, da liegen die Glasscherben auf der Bank! Herr Jesus, da ist jemand vor dem Fenster gewesen und hat uns zum Schabernack die Scheib eingedrückt. Ich hab doch nichts gehört.« – »Ich auch nicht«, sagte er, den Tatbestand in stummer Bestürzung prüfend. »Wir sind verraten!« rief sie weinend und verbarg das Gesicht an seiner Brust. »Sei ruhig, der Wind wird's getan haben«, sagte er; aber er selbst war keineswegs so ruhig, als er schien, denn er hatte noch eine andere Entdeckung gemacht, die Christinens Argwohn nur zu sehr bestätigte. Auf den Staffeln der Außenseite waren im Schnee frische, scharfe Fußspuren wahrzunehmen. Dies konnten nicht seine eigenen sein; denn zur Zeit seines Kommens hatte es ziemlich stark geschneit, und seine Tritte mußten daher bald wieder verwischt worden sein. Es war ihm kaum zweifelhaft mehr, daß, nachdem es zu schneien aufgehört, jemand sich die Stiege heraufgeschlichen und die Scheibe eingedrückt habe, worauf der Täter, wahrscheinlich in der Meinung, durch das Klirren der Gläser in der Stube einen Schreck erregt zu haben, schnell wieder entflohen war. Von dieser Wahrnehmung aber teilte er Christinen nichts mit; vielmehr suchte er sie, als sie ihn darauf aufmerksam machte, daß ja gar kein Wind gehe, auf den Glauben zu bringen, die Katze werde es getan und vielleicht von außen durch das Fenster hereingewollt haben. Dies war jedenfalls ein annehmbarer Grund, wenn die Eltern bei ihrer Heimkunft der Sache nachfragten, und er hieß sie inzwischen das Loch mit einem Tuch verstopfen.

Sie waren noch im Reden und Raten über den Vorgang begriffen, und Christine hatte ihre Verstörung noch keineswegs überwunden, als die große Glocke auf dem Turme anschlug. »Horch, die Betglock!« rief sie, »die Kirch ist aus, jetzt mach, daß du fortkommst!«

Sie küßten und herzten einander, während Christine ihn beständig forttrieb.

»Heut abend kommen wir zusammen, nicht wahr?« sagte er.

»Ja, sobald meine Leut im Bett sind, und das ist ziemlich früh.«

»Ich treff dich hinterm Haus, und dann spazieren wir ins Feld. Der Boden ist mit lauter Zucker bestreut. Meinst nicht, es werd dir zu kalt sein?«

»Mich friert's nicht, wenn ich bei dir bin, aber jetzt mach dich fort.«

Sie wollte ihn bereden, das Haus durch die hintere Türe zu verlassen.

»Nein«, sagte er, »vorn, wo ich herein bin, da will ich auch wieder hinaus. Ich red ohnehin nächster Tag ganz frei und offen mit deinen Eltern.«

»Laß es nur noch ein wenig anstehen«, sagte sie, »es ist mir so angst.«

»Und wenn sie fragen, ob jemand unter der Kirch bei dir gewesen sei, so sagst ohne weiteres ja, ich sei dagewesen.«

Sie versprach alles und trieb ihn wiederholt zur Eile an, so daß er, als sie sich voneinander losrissen, noch lange nicht genug geküßt zu haben meinte.

Friedrich hatte noch einen besonderen Grund gehabt, das Haus auf der Vorderseite zu verlassen. Es sollten nicht doppelte Fußstapfen hinterbleiben, die vielleicht ein endloses Gewirr von Vermutungen wachgerufen haben würden. Er trat sorgfältig in die vorhandenen Spuren und folgte ihnen, um auf diese Weise etwa herauszubringen, wer vor dem Fenster gewesen sein möchte. Die Spuren führten an den äußersten Häusern des Fleckens hin und dann kreuz und quer durch einige Gäßchen, wo sie sich aber bald mit anderen Fußstapfen vermischten. Er mußte seine Nachforschung als fruchtlos erkennen und ging kopfschüttelnd seines Weges. Die Leute kamen eben aus der Kirche. Er konnte es nicht vermeiden, manchem verwunderten und neugierigen Blick zu begegnen; da er sich aber ruhig in den Zug mischte, so brachte dies viele, die sich mehr mit Anhörung der Predigt als mit Musterung der Zuhörer beschäftigt hatten, auf den Glauben, daß er gleichfalls aus der Kirche komme.


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