Hermann Kurz
Der Sonnenwirt
Hermann Kurz

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Dreiunddreißigstes Kapitel

Sobald die Türe sich hinter dem Bäcker geschlossen hatte, eilte der seltsame Gast hinzu und horchte. Bald hörte er, wie die Haustüre ging und der Schlüssel langsam und leise darin umgedreht wurde. »Ich hab's von dem Schubjack nicht anders erwartet, als daß er mich verraten werde«, sagte er und sah sich in der Stube um. Der große tiefe Wandschrank schien ihm zu gefallen: er schloß ihn auf, leuchtete einen Augenblick hinein und stellte dann die Ampel wieder genau dahin, wo sie gestanden war. »Schlechte Maus, die nur ein Loch weiß, aber es wird genügen«, sagte er, schlüpfte in den Schrank und zog die Türe desselben hinter sich zu. Er war noch nicht lange darin, als die Haustüre mit Geräusch aufgeschlossen wurde und die Wachmannschaft, den Bäcker an der Spitze, in die Stube stürzte. Sie sahen sich um. »Wo ist er denn?« schrien alle wie aus einem Munde. »Da ist er gesessen«, sagte der Bäcker bestürzt. »Geschwind, das Haus durchsucht!« schrien sie und verteilten sich nach allen Richtungen. Die Stube, die angrenzende Kammer und Küche wurden sorgfältig durchgesucht, aber an den Schrank dachte niemand. Nachdem sie hier und in den anderen Räumen des Hauses mit den wieder angezündeten Lichtern in jeden Winkel geleuchtet und nichts gefunden hatten, kamen sie zurück. Die einen schalten, die anderen höhnten den Bäcker, daß er sie um eines leeren Traumes willen in Alarm gebracht habe. Derselbe schwur hoch und teuer, der Sonnenwirtle sei in seinem Haus gewesen, auf diesem Stuhle sei er gesessen, und aus dieser Flasche habe er getrunken. »Jetzt glaub ich's auch«, sagte er, »daß er mit dem Teufel im Bund ist, denn ich hab die Haustür zugeschlossen, wie ihr selber wisset, und einen anderen Ausgang gibt's nicht. Daß er reinkommen ist, wundert mich weniger, denn es wär möglich, daß ich vorher nicht zugemacht hätt, weil ich mir fürgestellt hab', ihr werdet doch noch mehr Wein wollen.«

»Das ist noch das Vernünftigst, was dir den ganzen Abend durch dein Schädel gangen ist«, sagte der Schütz. »Und da wir einmal da sind, so wollen wir eben so frei sein und des Sonnenwirtles fein Wein versuchen. Sein Wohl! Ich wünsch ihm, daß er weit von hier sein gut's Brot finden und uns nichts mehr zu schaffen machen möcht.«

Er trank und ließ die Flasche weitergehen. »Du bist gut laden, wie lang's Heu«, sagte ein anderer zu ihm.

»Ja, du hast deine beste Züg im Hals«, bemerkte ein dritter.

Nachdem die Flasche geleert war, sprachen sie auch noch dem Kruge zu, scherzten über die Geisterseherei des Bäckers und begaben sich endlich wieder auf ihren Posten zurück. Der Bäcker begleitete sie, schloß die Haustür hinter ihnen sorgfältiger als jemals ab und ging wieder in seine Stube. Aber wer vermag sein Entsetzen zu beschreiben, als er seinen furchtbaren Gast an derselben Stelle und in der gleichen Haltung wie vorhin am Tische sitzen sah. Langsam und ruhig, aber mit dem strengen Blick eines Richters, wendete dieser sein Gesicht nach ihm hin. »Elender Hund«, sagte er, »hab ich dir je in meinem Leben etwas zuleid getan? Kannst du's vor deinem Weib verantworten, daß du den Verräter an mir gemacht hast? Sie würde dich nicht mehr ansehen, wenn sie noch lebte. Geh, du bist nicht wert, in dem Stuhl zu sitzen, der so oft ihr Schmerzenslager gewesen ist.«

Der Bäcker zitterte und hatte alle Fassung verloren.

Der Gast schlug ein Gelächter auf, das dem Wirt durch Mark und Bein ging. »Was seid ihr doch für erbärmliche Dummköpfe!« rief er. »Ihr habt mich gesehen, angerührt und in der Hand gehalten und habt mich doch mit allen euren Lichtern nicht gefunden.«

Der Bäcker starrte ihn mit irren Blicken an. Der Schreckliche erzählte ihm haarklein alles, was vorgegangen, und wiederholte ihm jedes Wort, das gesprochen worden war. Dem Bäcker wirbelte der Kopf.

»Dummer Tropf! Da, in der Bouteille bin ich gesteckt!« rief der Geächtete mit höhnischer Stimme.

Der Bäcker fiel auf die Knie, streckte die Hände, wie um Gnade flehend, nach ihm aus und war feig genug, zur Verminderung seines eigenen Kerbholzes, ihm zu verraten, welches Gelübde der Fischerhannes getan.

»Jetzt hol mir frischen Wein, hast mich lang genug warten lassen. Ich will dich noch einmal auf die Probe stellen, aber ich folge dir unsichtbar. Wenn du mir einen falschen Tritt tust, so sitz ich dir im Nacken und will dich reiten, daß du nach Gott schreien sollst. Und misch mir den Wein nicht, Schuft, oder du sollst mir keines natürlichen Todes sterben.«

Diesmal brauchte er nicht an der Tür zu lauschen, denn der Bäcker hatte sie weit offengelassen. Er hörte ihn den richtigen Weg nach dem Keller einschlagen, aus welchem er bald wieder zurückkam, fast wahnsinnig vor Angst, die sich erst etwas legte, als er das Gespenst nicht mehr hinter sich vermuten mußte, sondern leibhaftig vor sich am Tische sitzen sah. Der Unhold stellte ihm die mißliche Aufgabe, sich zu besinnen, welche Strafe er durch seinen Verrat verdient habe, und trank, während der Bäcker alle Qualen der Todesangst ausstand, seinen Wein langsam und behaglich aus. Dann erhob er sich mit den Worten. »Wenn ich wiederkomme, so laß dir keinen solchen Spaß mehr einfallen, ich könnt ein andermal ernsthafter aufgelegt sein. Was schaust denn so nach meinem Fuß?« fuhr er ihn an, »Ja so, du bist neugierig, ob kein Pferdefuß zum Vorschein komme. Nein, dummer Kerl, das Ding sitzt nicht im Fuß. Sieh, da sitzt's!« Er klopfte ihm mit dem Knöchel des Fingers an den Kopf, wie man an ein Faß klopft, aber so stark, daß der Bäcker beinahe zu Boden fiel. Dann verließ er das Haus, und der Bäcker schloß abermals die Türe, aber ohne den beruhigenden Glauben, daß diese Maßregel ihm irgendeine Sicherheit zu gewähren vermöge. Er dachte nicht mehr an das Backen, sondern löschte schnell die Lichter und schlüpfte angekleidet, von Angst und Fieber geschüttelt, in sein Witwersbett.

Der Geächtete ging nach der einzigen Heimat, die er noch in seinem Vaterorte hatte, obwohl auch diese für ihn unzuverlässig geworden war. Er drückte den Riegel der Hintertüre, den Finger durch die Türspalte drängend, leise zurück, und nach wenigen Augenblicken stand er vor dem Bette seiner Schwiegermutter. Auch dieser drang ein eisiger Schreck durch die Gebeine, als sie, plötzlich erwachend, in ungewissem Sternenlichte eine geisterhafte Gestalt mit aufgehobenem Finger vor sich stehen sah und alsbald ihren verratenen Schwiegersohn erkannte.

»Welchen Judaslohn habt Ihr für die Auslieferung gekriegt?« fragte er.

Sie vermaß sich mit den höchsten Schwüren, daß sie weder etwas bekommen noch etwas verdient habe und daß der Überfall ihr selbst ganz unversehens gekommen sei. Er ließ den Verdacht, der mehr in seinem Gemüt als an bestimmten Beweisen haftete, auf sich beruhen und weckte seinen Knaben. Der Kleine lächelte ihn mit halboffenen Augen wie im Traume an.

»Da siehst, Friederle, daß dein Vater frei ist. Brauchst dich nicht zu grämen. Willst mit?«

»Der wird doch nicht das Kind durch die Wälder rumschleifen wollen!« rief die Alte lebhaft. »Ein Vater kann sein Buben in dem Alter noch nicht pflegen.«

»Er hat ja seine Mutter«, antwortete er. »Sie ist frei und wohl aufgehoben.«

»Gott sei Lob und Dank!« rief die Alte, sei es, daß eine menschliche Regung sie erfaßt hatte oder daß sie ihn in guter Laune zu erhalten trachtete. »Aber wenn auch!« fuhr sie fort, »das ist kein Leben für ein Kind, und mein Hühneraug sagt mir, daß noch einmal Schnee fällt. Laß Er mir nur den Buben da, ich geb ihn nicht her.«

Sie kannte ihn wohl und hatte die rechte Seite getroffen. »Wenn Ihr eine gute Ahne seid«, sagte er, »so will ich fünfe grad sein lassen. Aber fahret mir säuberlich mit den Kindern, das sag ich Euch. Wo ich auch bin, mein Aug zielt immer daher, und ich weiß immer, wie's bei Euch steht, so gut, als wenn ich gegenwärtig wär.«

Er küßte die Kinder, von welchen das kleinere ruhig fortschlief, und wandte sich zum Gehen.

»Ich will noch einmal mit dem Sonnenwirt wegen der Auswanderung reden«, rief ihm die Alte nach. »Wo Er sich mit der Christine aufhält, will ich nicht fragen, damit Er nicht wieder mißtrauisch wird. Er kann sich ja von Zeit zu Zeit erkundigen oder durch vertraute Leut anfragen lassen. Und halt Er sich nicht hier auf, das Klima ist nicht gesund für Ihn.«

»Schon recht«, antwortete er und war verschwunden. Die Alte fuhr unter die Decke und murmelte ein langes Dankgebet für ihr glückliches Entrinnen.


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